Marsalek und der russische Geheimdienst: Was wusste der ehemalige Geheimdienstkoordinator Schmidbauer?
Wirecard ist nicht nur ein deutscher Wirtschaftsskandal, sondern zeigt offenbar auch das Versagen der deutschen Spionageabwehr. Die sonderbaren Kontakte des früheren Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer zu dem nach Moskau geflohenen Ex-Vorstandschef von Wirecard und russischen Spion Jan Marsalek werfen Fragen auf.
München, 18. November 2018. In einer mondänen Villa gegenüber dem russischen Generalkonsulat treffen sich drei Männer mit spektakulären Lebensläufen. Gastgeber der Runde: Jan Marsalek. Der heute 44 Jahre alte Österreicher war damals Top-Manager des Dax-Konzerns Wirecard. Mittlerweile weiß man, dass er seit rund einem Jahrzehnt russischer Spion ist. 2018 ahnten einige das vielleicht bereits. An seiner Seite ist an jenem Tag im November Martin Weiss. Der einstige Abteilungsleiter des österreichischen Verfassungsschutzes arbeitete nach seiner Behördenkarriere für den russischen mutmasslichen Agentenführer Marsalek. Der Besucher, den die beiden an jenem 18. November empfangen, ist eine bundesrepublikanische Geheimdienst-Legende: Bernd Schmidbauer. In Geheimdienstkreisen wird der heute 84 Jahre alte CDU-Politiker halb ironisch und halb ehrfurchtsvoll 008 genannt. Schmidbauer war ein enger Vertrauter des einstigen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Sieben Jahre diente er ihm im Range eines Staatsministers als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt.
Dieses Treffen Schmidbauers mit Marsaleks ist seit langem bekannt. Aber die Recherchen des Spiegel und des ZDF Anfang März 2024 über die russischen Agententätigkeiten des ehemaligen Wirecard-Vorstandes machen die Affäre um die spektakulärste Pleite der Münchner Firma zu einem Agentenkrimi. Offenbar führte die deutsche Vorzeige-Techfirma, für die sich sogar die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in China ins Zeug legte, über Jahre ein Mann im Dienste des russischen Regimes. In seiner damaligen Funktion als Finanzminister musste sich auch der heutige Kanzler Olaf Scholz (SPD) Vorwürfe gefallen lassen. Er trage die Verantwortung dafür, dass Behörden den Betrug nicht erkannten“, hieß es. Stattdessen hatte die ihm nachgeordnete Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) nach kritischer Berichterstattung über Wirecard 2019 sogar ein Leerverkaufsverbot für Aktien des bayerischen Unternehmens verhängt – und so die Firma gestützt. Scholz wies 2021 noch als Finanzminister dazu vor dem Untersuchungsausschuss jegliche Verantwortung von sich. Heute steht die Frage im Raum: War Wirecard, eine Firma mit besten Kontakten ins Kanzleramt, Teil einer russischen Geheimdienstoperation?
Um so etwas in Deutschland zu verhindern, gibt es Nachrichtendienste. Es ist die Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ausländische Agenten aufzuspüren. Doch die Agententätigkeit von Jan Marsalek soll niemandem aufgefallen sein – auch nicht dem damaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der bis kurz vor dem Treffen in der Münchner Villa noch im Dienst war. Dabei standen führende deutsche Ex-Nachrichtendienstler in Kontakt mit Wirecard und auch mit Jan Marsalek direkt – wie das Schmidbauer-Treffen in Marsalek-Villa zeigt.
Was machte Kohls Nachrichtendienstmann beim russischen Spion Marsalek?
Was machte Kohls Nachrichtendienstmann beim russischen Spion Jan Marsalek? Wer hat das Treffen arrangiert? In wessen Auftrag war er dort? Auf diese Fragen hat Schmidbauer nie eine plausible Antwort gegeben – weder im April 2021 vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages, noch auf CORRECTIV-Anfrage. Im Untersuchungsausschuss erwähnte Schmidbauer „Netzwerke“ und „Leute, die hochrangige Beamte waren in Sicherheitsbehörden“. Und er sagte, es sei „um einen binären Kampfstoff“ bei dem Treffen mit Marsalek gegangen – gemeint ist Nowitschok, das sowjetische Nervengift, mit dem der russische Militärgeheimdienst im März 2018 den Überläufer Sergej Skripal und dessen Tochter Julija im britischen Salisbury attackierte und 2020 den Oppositionellen Alexej Nawalny.
Schmidbauer behauptet zu wissen, dass Nawalny nicht mit Nowitschok vergiftet worden sei. Und regelmäßig relativiert Kohls oberster Geheimdienstler die Hinweise auf Marsaleks russische Verbindungen. Selbst nachdem klar wurde, dass der Wirecardvorstand Richtung Russland floh, sprach Schmidbauer im Untersuchungsausschuss noch davon, dass auch „Virginia“ Masarleks Ziel hätte sein können – eine Anspielung auf den US-Geheimdienst CIA, die ihren Hauptsitz in dem US-Bundesstaat hat.
Schmidbauers Rolle in der Nähe des russischen Spions hat in Deutschland lange kaum interessiert. Doch jetzt gerät er erneut ins Blickfeld. Mit dem neuen Wissen um Jan Marsalek stellen sich auch Fragen nach Schmidbauers Funktion. Denn es war nicht nur das Treffen in München, er hatte ebenfalls mit mehreren Vertrauten Jan Marsaleks Kontakt, die heute im Focus österreicherischer Ermittlungsbehörden stehen. Das sind der ehemalige Verfassungsschützer Martin Weiss, der Polizeibeamte Egisto Ott und der Diplomat Johannes P.
Schmidbauer half einem Mitarbeiter von Marsalek bei der Geiselbefreiung in Libyen
Schmidbauers Sicht auf diese mutmaßlichen russischen Agenten und Helfer in Österreich ist geprägt von Nachsicht. So nahm er etwa Marsaleks Mitarbeiter Martin Weiss im Bundestag in Schutz. Damals war bereits bekannt, dass Weiss Marsalek kurz nach dem Zusammenbruch von Wirecard bei der Flucht unterstützte. Schmidbauer: „Ich bin nicht der Meinung, dass es hier einen Fluchthelfer gab, der Martin W. hieß.“ Weiss und Schmidbauer kennen sich viele Jahre. Als Weiss noch österreichischer Top-Beamter war, half Schmidbauer ihm gerne mit seinen Kontakten, etwa bei Geiselbefreiungen in Libyen. Martin Weiss lebt heute in Dubai. In Chats, so steht es in vorliegenden Ermittlungsunterlagen, soll Marsalek davon gesprochen haben, dessen„ »Evakuierung« nach Dubai“organisiert zu haben.
Kurz vor Ostern wurde in Österreich der Polizeibeamte Egisto Ott festgenommen. Dessen Verhaftung erschüttert Österreich, da er jahrelang als Helfer Marsaleks tätig gewesen sein soll und trotz vorliegender Indizien immer weitermachen konnte. Und auch zu Ott hatte Schmidbauer bereits vor mindestens sechs Jahren Kontakt.
Im Februar 2018 stürmten Polizisten in Wien das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Bei der Durchsuchung nahmen sie auch heikle Unterlagen über die rechtsextreme Szene mit. Dem damaligen Innenminister und heutigen FPÖ-Chef Herbert Kickl – ein besonders radikaler Scharfmacher der Rechtsaußenpartei – wurde vorgehalten, konstruierte Vorwürfe gegen das BVT genutzt zu haben, um die Durchsuchung zu rechtfertigen. Ein Gericht stellte im August 2018 fest, dass die Aktion teilweise „rechtswidrig“ gewesen sei.
Schmidbauer knüpfte weitere Kontakte zu Putinfreunde in Österreich
Rund einen Monat nach der Durchsuchung, am 28. März 2018, schrieb ein enger Mitarbeiter Kickls einen Vermerk über ein Gespräch, das er zwei Tage zuvor mit Egisto Ott geführt habe. Dabei, so der vorliegende Vermerk, habe Ott dem Kickl-Mann berichtet, dass „der ehemalige Staatsminister und Koordinator der deutschen Nachrichtendienste Herr Bernd Schmidbauer einen Termin bei Frau Bundesminister Kneissl“ Anfang April 2018 habe. Zudem sei Schmidbauer nach Otts Angaben bereit, bei der Staatsanwaltschaft über die Vorgänge im BVT auszusagen“.
Schmidbauer nutzte die Gelegenheit, um am 3. April 2018 vor den Staatsanwälten den Marsalek-Vertrauten Martin Weiss, der auch in die Affäre verwickelt war, reinzuwaschen. Der sei „eine völlig integre Persönlichkeit“, der „im BVT sehr übel mitgespielt“ wurde, heißt es im Vernehmungsprotokoll, das CORRECTIV vorliegt. Das bestätigte Schmidbauer 2021 auch am Telefon auf Nachfrage. Dabei erwähnte er auch, dass er Egisto Ott bereits länger kenne, sich mit ihm sogar schon über regionalen Honig aus Kärnten unterhalten habe. Das ist bemerkenswert: Den Staatsanwälten sagte Schmidbauer dass er Ott „zuvor nicht kannte“. Dieser habe ihn „lediglich betreut im Zusammenhang mit meiner Reise hier nach Österreich“.
Diese Reise sollte ihn, wie ebenfalls vom Kickl-Mitarbeiter Tage zuvor notiert, am selben Tag auch ins Außenministerium führen. Ministerin war damals Karin Kneissl. Sie lebt mittlerweile in Sankt Petersburg, arbeitet für einen russischen Think Tank und tritt beim russischen Propagandasender Russia Today auf. Im August des Jahres 2018 besuchte der russische Präsident Wladimir Putin ihre Hochzeit und tanzte mit der österreichischen Außenministerin
Der dritte Mann und eine verdächtige Organisationseinheit
In Kneissls Ministerium traf Schmidbauer ihren engsten Mitarbeiter Johannes P. auch er gilt offenbar als Mitglied der russischen Zelle. Im Oktober 2021 wurde P. suspendiert. Ermittler warfen ihm vor, sich im Oktober 2018 im Ministerium streng geheime Unterlagen der internationalen Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zum Skripal-Attentat besorgt zu haben. Genau mit diesen Unterlagen, die auch die Nowitschok-Formel enthielten, soll Marsalek in London herumgeprahlt haben. P. bestreitet die Vorwürfe. Schmidbauer sagte auf Nachfrage, dass er bei seinem Treffen mit dem Diplomanten P. auch die Außenministerin Kneissl getroffen habe.
In jenem Frühjahr 2018 arbeitete ausgerechnet der Polizeibeamte Egisto Ott am Aufbau einer „Dienststelle“ des Außenministeriums in Wien. Diplomat P. sollte nach diesen Plänen Chef einer Organisationseinheit werden, die laut Ermittlungsakten „Sicherheitsmaßnahmen und operatives Krisenmanagement im Ausland“ leisten sollte. Kneissl war in den Aufbau eingeweiht und ließ sich unterrichten: Heikel: Hier wären Fäden aller österreichischen Nachrichtendienste zusammengelaufen. Das bedeutet nach heutigem Wissen: Der russische Geheimdienst hätte unter dem Dach des Außenministeriums in Wien eine eigene Zelle aufgebaut. Und ein weiterer Hinweis auf Bernd Schmidbauer aus Deutschland taucht wieder auf.
In einem vorliegenden Chatverlauf zwischen den am Aufbau der erwähnten Einheit Beteiligten vom 13. November 2018 erkundigte sich Egisto Ott nach anstehenden Terminen von „BS“ – Bernd Schmidbauer dürfte gemeint sein. Man müsse schließlich dessen andere „Termine koordinieren und zeitlich festlegen“. Kurz darauf, am 18. November 2018, kommt es dann zum Treffen Schmidbauers mit Jan Marsalek in dessen angemieteter Luxusvilla gegenüber dem russischen Generalkonsulat in München.
Maaßen jagte offenbar lieber Journalisten als russische Spione
Heute sagt Schmidbauer, dass es sein könne, dass der Termin mit Marsalek über seinen alten Bekannten aus dem BVT, Martin Weiss, zustande gekommen ist.
Der pensionierte deutsche Geheimdienstkoordinator schwieg angeblich über die Zusammenkunft in der Münchner Villa. Dem für die Spionageabwehr in Deutschland damals zuständigen Verfassungsschutz in Köln, dessen Präsidenten Hans-Georg Maaßen, dessen Nachfolger oder anderen Offiziellen, will Schmidbauer nicht von dem Treffen berichten haben. Da habe es ja vielleicht auch so schon Kontakt gegeben, sagt Schmidbauer zu CORRECTIV, ohne das zu konkretisieren.
Und die Treffen mit den anderen Marsalek-Vertrauten aus Österreich? Die haben für Schmidbauer nichts mit seinem Marsalek-Treffen zu tun. Denn da sei es ja nur um den „binären Kampfstoff“, also Nowitschok, gegangen. Kohls Geheimagent warnt vor Verschwörungstheorien.
Zufall oder nicht? Einer seiner Nachfolger im Kanzleramt, der Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche, der bis März 2018 unter Angela Merkel in dieser Funktion diente, tauchte auch bei Wirecard auf – als Berater. Zu seiner Zeit im Kanzleramt, hätte er die Arbeit des Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen beobachten müssen. Dessen Aufgabe wäre der Kampf gegen Spionage gewesen. Aber weder Maaßen noch Fritsche fielen Marsaleks russische Aktivitäten auf. Sie hatten damals andere Prioritäten. In ihrer Zeit kam es stattdessen zu einem Ermittlungsverfahren wegen „Landesverrats“ gegen die Betreiber des Onlineportals netzpolitik.org. Die Redaktion in Berlin hatte geheime Unterlagen veröffentlicht. Im Organigramm des Bundesinnenministeriums wurde für Maaßens Behörde bei der Abteilung zur Spionageabwehr die Aufgabe „Landesverrat“ hinzugefügt, wie Recherchen von CORRECTIV 2016 herausfinden. Das galt offenbar für die Journalisten in Berlin, aber nicht für den russischen Agentenring um Jan Marsalek bei Wirecard.
Nach seiner Pensionierung heuerte Fritsche nicht nur bei Wirecard an. Auch der österreichische Innenminister und jetzige Spitzenkandidat der FPÖ, Herbert Kickl, schloss einen Beratervertrag mit Fritsche. Seine Aufgabe: Der Umbau des BVT.