Antibiotikaresistenz als politische Priorität
Seit einigen Ausbrüchen, die große Medienaufmerksamkeit bekommen haben, sind resistente Keime in Großbritannien im Fokus der Politik. Regierungsinitiativen sollen das Problem in den Griff bekommen. Doch es Mangelt an verlässlichen Daten. Wir geben eine Übersicht zu der komplexen Situation im Land und versorgen sie mit den wichtigsten Informationen zum Thema.
Antibiotika-Resistenzen sind zu einem bedeutenden Thema in der britischen Politik geworden. Im Jahr 2014 brachte die Regierung den AMR-Bericht heraus. Der vielbeachtete Bericht wurde als hochkarätige Antwort der Regierung auf ernste Bedenken hinsichtlich Antibiotika-Resistenzen gehandelt.
Der Bericht, koordiniert vom ehemaligen Goldman Sachs Ökonomen Lord Jim O’Neill, behandelt die Angelegenheit als eine globale Gesundheitskrise und gibt Ratschläge, wie das Problem im internationalen Kontext gelöst worden kann. In einem aktuellen und exklusiven Interview mit dem „Bureau of Investigative Journalism“ bezeichnete Lord O’Neill die Antibiotika-Krise als ein Desaster, das besorgniserregender als die globale Finanzkrise im Jahr 2008 sei. Er warf außerdem die Idee einer „Antibiotika-Steuer“ in den Raum, einer der Vorschläge, die im letzten Report des Berichts enthalten waren.
Großbritanniens Chief Medical Officer, Dame Sally Davis, nannte das Problem der Antibiotika-Resistenzen eine „tickende Zeitbombe“ das zusammen mit Terrorismus auf eine Liste mit Bedrohungen der Nation gehörte.
Im Jahr 2013 entwickelte die Regierung eine parteiübergreifende Strategie zur antimikrobiellen Bekämpfung, ausgelegt auf fünf Jahre. Die Strategie konzentriert sich auf drei Bereiche: Förderung von Wissen über und Verständnis von antimikrobiellen Resistenzen, Erhalt der Wirkung von existierenden Antibiotika und Förderung der Entwicklung von neuen Antibiotika.
Ausgeprägtes Bewusstsein nach schweren Ausbrüchen
Wegen einer Serie von MRSA-Ausbrüchen in der Mitte der 2000er ist das Bewusstsein für die Gefahren hoch. Die Ausbrüche erreichten im Jahr 2006 ein Rekordhoch als MRSA 1652 Todesfälle verursachte oder dazu beitrug. Damit verzeichnete Großbritannien dreimal so viele Fälle wie im Jahr 1993, als die Aufzeichnungen begannen. Verschiedene Richtlinien zur Hygiene in Krankenhäusern haben sich seitdem verschärft und die Zahl der Todesfälle ist in den letzten Jahren gefallen.
Neue Richtlinien zur Kontrolle von Infektionen für das Pflegepersonal aus dem Jahr 2005 beinhalten die Untersuchung von Patienten auf MRSA. Außerdem werden ansteckende Patienten in Isolierzimmern untergebracht.
Krankenhäuser sind nun verpflichtet die Anzahl von MRSA-Infektionen zu erfassen und öffentlich zu machen. Nachdem 2012 weniger als 300 Todesfälle in Verbindung mit MRSA gezählt wurden, werden nun anstatt der Todesfälle die Anzahl der MRSA-Infektionen im Jahr festgehalten.
Außerdem führte Großbritanniens Regierung mehrere Kampagnen mit denen die Öffentlichkeit über den richtigen Gebrauch von Antibiotika aufgeklärt werden soll. Außerdem wurden die Bürger dazu aufgerufen, ihre Hausärzte nicht wegen einem normalen Husten oder einer Erkältung um Antibiotika zu bitten. Die helfen bei Virus-Infektionen nämlich nicht.
Lückenhafte Informationen
Die Regierung veröffentlicht Daten zu den häufigsten, aber auch zu den, ihrer Einschätzung nach, gefährlichsten Infektionen. Campylobacter ist für die meisten Lebensmittelvergiftungen im Vereinigten Königreich verantwortlich. Konkret wird geschätzt, dass der Keim für 280000 Infektionen und hundert Todesfälle verantwortlich ist.
Antibiotika sind bei dem Keim in vielen Fällen wirksam. Einer Recherche von TBIJ vom April dieses Jahrs zufolge steigt jedoch die Resistenz gegen eines der wichtigsten Antibiotika gegen Campylobacter Infektionen kontinuierlich. Bei fast der Hälfte aller Campylobakter Infektionen im Jahr 2015, die in Großbritannien auftraten, wurden die Keime positiv auf Resistenzen gegen Ciprofloxacin getestet. Das ist eines von mehreren Medikamenten, die Ärzte benutzen, wenn bei Patienten mit Lebensmittelvergiftung Komplikationen auftreten.
Public Health England veröffentlicht jedes Jahr, jeden Monat und jedes Quartal Daten über E. coli, C. difficile und MRSA Infektionen. Es gibt aber keine Informationen darüber, bei wie vielen dieser Infektionen Resistenzen gegen manche oder alle Antibiotika bestehen. Die Daten zu Infektionen sind meist nach Krankenhäusern kategorisiert.
Das European Centre for Disease Prevention and Control analysiert regelmäßig Daten von teilnehmenden Krankenhäusern. Die zeigen, dass der Anteil von resistenten Formen von E. coli und S. aureus in Großbritannien im Vergleich zum europäischen Durchschnitt gering ist.
Unüberschaubares Konsumverhalten
Neueste Daten zeigen, dass im Jahr 2013 531,2 Tonnen Antibiotika an Menschen abgegeben wurden. An Tiere wurden 418, 7 Tonnen verfüttert. Heruntergebrochen auf den einzelnen Menschen bedeutet das: Es wurden 135 mg Antibiotikum pro Kilogramm Gewicht konsumiert. Auf jedes Kilo Tier kommen 55,6 mg.
Damit liegt Großbritannien im europäischen Durchschnitt: Nach einem Bericht der Europäischen Kommission von 2015 kamen dort 144 mg Antibiotikum auf ein Kilo Vieh, bei den Menschen waren es 116 mg. Beides zusammengerechnet, kommt Großbritannien nach Frankreich und Italien auf Platz 3. Das liegt vor allem an der hohen Bevölkerungszahl des Landes.
Im Jahr 2014 haben Allgemeinmediziner mehr als 37 Millionen Behandlungen mit Antibiotika verschrieben. Das gibt zwar Auskunft darüber, wie oft Ärzte die Einnahme von Antibiotika verschrieben haben – aber nicht darüber, wie lange die Einnahme dauerte und wie hoch sie dosiert war. Am meisten wurden in diesem Jahr Antibiotika aus drei Gruppen eingesetzt: Penicilline (45 Prozent), Tetrazyklin (22 Prozent) und Makrolide (15 Prozent).
Ärzte haben in den letzten Jahren seltener Antibiotika verschrieben. Und trotzdem zeigt ein Bericht von Public Health England vom 2015, dass der Antibiotikakonsum zwischen 2011 und 2014 um 6,5 Prozent gestiegen ist. Das weist darauf hin, dass Ärzte höhere Dosen und längere Einnahmezeiten verschreiben. 74 Prozent der Rezepte für Antibiotika werden nämlich von Ärzten ausgestellt.
In Bezug auf Transparenz bei Antibiotikaverschreibungen in Arztpraxen ist England besser aufgestellt als andere europäische Länder. Die Verschreibungsdaten jeder Praxis sind offen zugänglich und können für statistische und wissenschaftliche Analysen genutzt werden.
Die Zahl der Antibiotika-Verschreibungen ist auch in Krankenhäusern angestiegen – bei stationären Patienten um 11,7 Prozent, bei ambulanten Patienten um 8,5 Prozent. Der Public Health England Bericht zeigt außerdem, dass der Anteil an Verschreibungen von Breitbandantibiotika in Krankenhäusern am höchsten ist. Das ist problematisch. Nach den Vorgaben des National Institute for Health and Care Excellence, sollten Breitbandantibiotika nur bei Infektionen mit resistenten Keimen genutzt werden. Werden sie regelmäßig verschrieben, erhöht sich das Risiko für die Entstehung von MRSA und anderen resistenten Bakterien.
Die Regierung hat nach Informationen des TBIJ sogar nur teilweise einen Überblick darüber, welche Antibiotika in welchen Mengen in der Mastindustrie verwendet werden. Nur das Veterinary Medicines Doctorate veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht darüber, wie viele Antibiotika an Mastställe verkauft werden. Dieser Bericht basiert auf Daten von Pharmakonzernen, die auf Tiermedizin spezialisiert sind.
Wir brauchen mehr Transparenz damit wir sehen können, wo das Problem liegt. Im Februar hat TBIJ eine Untersuchung veröffentlicht, die zeigt, dass die Verwendung von einer besonders wichtigen Gruppe von Antibiotika, den Fluoroquinolonen, in der britischen Geflügelmast zwischen 2013 und 2014 um 59% gestiegen ist.
Die Daten des Veterinary Medicine Doctorate zeigen, dass der Verkauf von Antibiotika im Allgemeinen zwischen 2008 und 2014 graduell gestiegen ist. Der Verkauf von in der Humanmedizin besonders wichtigen Antibiotika dagegen ist drastischer angestiegen. Dazu gehören Fluoroquinolone und Cephalosporine der dritten und vierten Generation.
Wir arbeiten daran, Zugang zu detaillierteren Informationen zu bekommen, um einen besseren Überblick darüber zu geben, welche Antibiotika wo benutzt werden. So wollen wir unser Verständnis vom Problem verbessern.
Die Autoren sind Journalisten bei „The Bureau of Investigative Journalism“, einem britischen unabhängigen und gemeinnützigen Medium, mit dem wir bei unserer Recherche zu gefährlichen Keimen zusammenarbeiten.
Die Autoren sind Journalisten bei „The Bureau of Investigative Journalism“, einem britischen unabhängigen und gemeinnützigen Medium, mit dem wir bei unserer Recherche zu gefährlichen Keimen zusammenarbeiten.
Übersetzung aus dem Englischen: Xenia Balzereit