Gehalt, Kriminalität und Merz: Aussagen von Alice Weidel beim Sommerinterview im Faktencheck
Das Sommerinterview von Alice Weidel in der ARD wurde von lauten Demonstrationen gestört. Dazu – und zu anderen Themen – stellte Weidel mehrere falsche oder unbelegte Behauptungen auf.

Am 20. Juli stellte sich Alice Weidel den Fragen der ARD im Sommerinterview. Wir haben mehrere Behauptungen von Weidel im Faktencheck geprüft.
Aussagen, die sie im Interview tätigte, etwa zum Thema Migration, waren falsch, wieder anderen fehlte Kontext. Auf Rückfragen von CORRECTIV.Faktencheck antwortete sie bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks nicht.
Ob Merz Wahlversprechen gebrochen hat, steht noch aus
„Ich habe Friedrich Merz als Lügenkanzler bezeichnet, weil er alle Wahlversprechen gebrochen hat, die er von sich gegeben hat. Er hat versprochen das Heizungsgesetz abzuschaffen – ist nicht mehr. Er hat die Migrationswende versprochen, auch das ist abgeräumt.“
Bewertung: Unbelegt
Alice Weidel behauptet direkt zu Anfang, Friedrich Merz habe seine Wahlversprechen rund um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und um Migration gebrochen. Für so eine Bilanz ist es allerdings zu früh.
Das GEG, umgangssprachlich als Heizungsgesetz bekannt, wurde 2020 von der Großen Koalition beschlossen und 2023 von der Ampel-Regierung reformiert. Es war eines der größten Streitthemen während der Ampel-Regierungszeit und ein umstrittenes Wahlkampfthema, zu dem auch immer wieder Falschmeldungen kursierten. Friedrich Merz positionierte sich immer wieder klar gegen das Gesetz. Und – obwohl es um die Formulierung Diskussionen gegeben haben soll – steht im Koalitionsplan: „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen“. Das neue Gebäudeenergiegesetz soll „technologieoffener, flexibler und einfacher“ werden.
Wie genau das aussehen soll, bleibt offen, einige Änderungen wurden allerdings schon angestoßen. So verkündete Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) im Mai in ihrer Regierungserklärung, „die Technologieverbote der letzten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes zurücknehmen“ zu wollen. Dazu gehöre als erste Maßnahme das „Betriebsverbot für Heizkessel abzuschaffen“. In Paragraph 72 des GEG ist geregelt, dass Gebäudeeigentümer ihre Heizkessel nicht mehr betreiben dürfen, wenn diese mit einem flüssigen oder gasförmigen Brennstoff betrieben werden und vor dem 1. Januar 1991 eingebaut wurden oder älter als 30 Jahre sind.
Dennoch bleibt die Union bei dem Thema vage. Auf Nachfrage an die Regierung, zum Stand des Vorhabens, erhielten wir keine Rückmeldung.
Und wie sieht es beim Thema Migration aus? Hierzu heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle „die irreguläre Migration wirksam zurückdrängen“ und etwa den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre komplett aussetzen.
Das wurde vom Bundesrat im Juli gebilligt. Ebenfalls wurde eine Aussetzung der Einbürgerung nach drei Jahren beschlossen. Innenminister Dobrindt (CSU) ordnete zudem die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze an – was Fachleute allerdings als rechtswidrig betrachten. Weidels Aussage, Merz habe alle seine Wahlversprechen gebrochen, trifft so also nicht zu.
Warum Berlin so viele Einbürgerungsanträge abarbeitet und das nichts mit Merz zu tun hat
„Wir lesen heute in der Bild-Zeitung nur noch eins […]: Dass das CDU-regierte Berlin jetzt sogar Mindestquoten für Einbürgerungen hochgesetzt hat von letztem Jahr 20.000, dieses Jahr auf 40.000.“
Bewertung: Fehlender Kontext
Im Zuge des Gesprächs rund um Wahlversprechen von Merz sagt Weidel auch: Das CDU-geführte Berlin habe seine „Mindestquoten“ für Einbürgerungen von 20.000 auf 40.000 erhöht. Doch mit Merz als Bundeskanzler, wie Weidel suggeriert, haben die Vorgaben nichts zu tun.
Weidel bezieht sich offenbar auf einen Bild-Artikel vom 20. Juli 2025, in dem es um ein internes Protokoll aus dem Berliner Landesamt für Einwanderung geht. Demnach seien in der ersten Jahreshälfte 2025 20.060 Einbürgerungen durchgeführt worden, damit liege man „bestens im Plan für das Ziel von 40.000 Einbürgerungen insgesamt im Jahre 2025“.
Engelhard Mazanke, Direktor des Landesamtes für Einwanderung, bestätigt über einen Sprecher gegenüber CORRECTIV.Faktencheck, dass dieses interne Protokoll echt sei. Diese Ziele würden unter anderem von ihm, Mazanke, vorgegeben und würden sich etwa nach Personalressourcen und den rechtlichen Rahmenbedingungen richten. Eine politische Vorgabe habe es nicht gegeben. Dieses Jahresziel ist seit Januar 2025 bekannt, schon damals schrieb die Stadt Berlin in einer Pressemeldung davon.
Sondern, so schreibt Mazanke, mit der Digitalisierung des Verfahrens – die Einbürgerungsstelle hatte laut Pressemeldung Anfang 2024 40.000 offene Verfahren in Aktenform von den Bezirken übernommen. Die Akten mussten erst einmal digitalisiert werden. Das habe bis Juni 2024 gedauert. Auch die geänderte Gesetzeslage erlaubt jetzt schneller Einbürgerungen: Im Juni 2024 trat eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft. Es ermöglicht die Einbürgerungen in der Regel nach fünf statt wie bisher nach acht Jahren und erlaubt in mehr Fällen als bisher die Mehrstaatigkeit.
Das Ziel von 40.000 Einbürgerungen in diesem Jahr ist also eine administrative Zielvorgabe, bei der übernommene und neue Anträge abgearbeitet werden.
Falsche Angaben zu ausreisepflichtigen Syrern
„Dann müssen wir ausreisepflichtige Menschen abschieben. Wir haben beispielsweise 215.000 Syrer, das ist eine Großstadt, die ausreisepflichtig sind.“
Bewertung: Falsch
Dass 215.000 Syrer in Deutschland ausreisepflichtig seien, wie Weidel behauptet, stimmt nicht.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) liefert auf Anfrage die aktuellsten Daten. Demnach hielten sich bis zum 30. Juni 226.506 ausreisepflichtige Personen in Deutschland auf. Davon seien aber nur 11.000 syrische Staatsangehörige.
Ausreisepflichtig sind zum Beispiel Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Die große Mehrheit syrischer Personen, die ausreisepflichtig sind (9.997 laut Bamf), hat jedoch eine Duldung, das bedeutet, die Personen dürfen nicht abgeschoben werden.
Das Bamf hatte nach dem Sturz des Assad-Regimes Asylanträge aus Syrien Ende 2024 ausgesetzt. Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe darf die Behörde die Asylanträge jedoch nicht länger aufschieben. Insgesamt befanden sich laut Bamf bis Ende Juni 2025 958.561 syrische Staatsangehörige in Deutschland.
Zulagen für Vorstände der AfD-Fraktion liegen teils über dem Niveau anderer Parteien
„Wir sind die einzige Fraktion, die transparent ist [was die Entlohnung der Vorstände angeht] […] das Gehalt der Vorstände und auch der Vorsitzenden [wurde] auf das übliche Niveau der anderen Fraktionen und Parteien angehoben.“
Bewertung: Falsch
Ende Juni hat die AfD die Zulagen der AfD-Partei- und Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla auf 12.000 Euro verdoppelt, die des restlichen Fraktionsvorstands auf 6.000 Euro. Das entspricht 100 beziehungsweise 50 Prozent der monatlichen Diät für Bundestagsabgeordnete. Weidel und Chrupalla bekommen demnach zusätzlich zum regulären Abgeordnetengehalt in Höhe von 12.000 Euro pro Monat plus der steuerfreien Kostenpauschale von rund 5.300 Euro pro Monat noch einmal 12.000 Euro zusätzlich. Angesprochen auf die Erhöhung sagte Weidel im Interview bei Minute 7:55, ihre Fraktion sei die einzige, die bezüglich dieser Entlohnung transparent sei. Außerdem hätte die Partei mit der Erhöhung nur die Gehälter an das „übliche Niveau der anderen Fraktionen und Parteien“ angepasst.
Beides ist falsch. Die AfD hatte die Erhöhung der Gehälter gar nicht selbst bekannt gegeben, sondern sie wurde erst durch einen Bericht von T-Online öffentlich. Auf eine Anfrage dazu, ob diese Zulagen auch von der Fraktion selbst veröffentlicht werden, antwortete diese nicht. Andere Parteien sind teils transparenter. So machen die Grünen die prozentualen Zulagen für Fraktionsmitglieder auf ihrer Webseite öffentlich. „Fraktionsvorsitzende, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin, die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und stellvertretende Fraktionsvorsitzenden erhalten eine Funktionszulage in Höhe von 50, 37,5, 25 und 20 Prozent einer monatlichen Diät“, heißt es dort. Die Zulagen liegen also unter denen der AfD.
Aus CDU/CSU-Kreisen heißt es, die Höhe der Gesamtleistungen an Fraktionsmitglieder für die Wahrnehmung besonderer Funktionen sei öffentlich und in der jährlichen Rechnungslegung der Fraktion zu finden. Eine Aufschlüsselung auf die einzelnen Funktionen würde aber nicht veröffentlicht. Die aktuellsten Zahlen liegen für das Jahr 2023 vor (Seite 6). Damals lag dieser Betrag für die CDU/CSU-Fraktion bei rund zwei Millionen Euro.
Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erklärte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Carsten Linnemann, dass er auf seine Zulage freiwillig verzichtet habe. Der ebenfalls stellvertretende Vorsitzende Sepp Müller erhielt laut Angaben auf seiner Webseite von 2022 30 Prozent der Abgeordnetendiät als Zulage – weniger also als die 50 Prozent bei der AfD.
Die Nichtregierungsorganisation Transparency International kritisierte zuletzt die fehlende Transparenz mancher Fraktionen. Wie das RND berichtet, macht auch die SPD die Aufschlüsselung der Zulagen nicht öffentlich. Einzelne SPD-Politikerinnen und Politiker erwähnen ihre Zulagen, nennen aber nicht deren Höhe. Laut dem Finanzbericht von 2023 lagen die Ausgaben damals bei der SPD insgesamt bei rund 1,8 Millionen Euro. Die SPD-Fraktion antwortete nicht auf eine Anfrage zur Höhe der Zulagen.
Die Linke zahlt keine Zulagen mehr, wie der Fraktionsvorsitzende Sören Pellmann auf seiner Webseite erklärt. Auch Ina Latendorf, erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, erklärte auf Nachfrage, dass Vorstandsmitglieder inklusive den Vorsitzenden und der Parlamentarischen Geschäftsführung keine Zulagen für diese Tätigkeiten erhalten.
Fazit: Die AfD-Fraktion hat ihre Zulagen selbst soweit bekannt nicht öffentlich gemacht. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD machen die einzelnen Zulagen ebenfalls nicht öffentlich. Deshalb lässt sich auch nicht nachvollziehen, ob die der AfD-Fraktion auf demselben Niveau liegen. Die Grünen und Die Linke machen Zulagen, beziehungsweise die Abwesenheit dieser, öffentlich und zahlen weniger als die AfD-Fraktion. Dass die AfD als einzige Fraktion die Gehälter transparent mache und die Gehälter nur den anderen Fraktionen angepasst habe, ist somit falsch.
Paragraf 18 im Asylrecht wird von Unionsrecht überlagert – Weidel spart das aus
„Remigration ist die Einhaltung von Recht und Gesetz. Und die Einhaltung von Recht und Gesetz bedeutet nach unserem Asylgesetz, Artikel 18, dass jeder, der aus einem sicheren Drittstaat zu uns kommt, abzuweisen ist.“
Bewertung: Falsch
Weidel spricht außerdem über den Begriff der „Remigration“ und sagt, es gehe dabei lediglich um die Einhaltung von Recht und Gesetz. Das deckt sich nicht mit den Angaben im AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl. Dort steht, das Konzept umfasse Maßnahmen, „die bereits heute der geltenden Rechtslage entsprechen oder sich jedenfalls mittels verfassungskonformer Gesetzesänderungen umsetzen lassen“, es ist also auch von Gesetzesänderungen die Rede.
Im Anschluss spricht Weidel von Paragraf 18 des Asylgesetzes und behauptet, dass demnach „jeder, der aus einem sicheren Drittstaat zu uns kommt, abzuweisen ist.“ Damit lässt Weidel außer Acht: Im selben Paragraf steht, dass unter bestimmten Umständen von einer Zurückschiebung einer asylsuchenden Person aus einem sicheren Drittstaat abzusehen ist. Etwa dann, wenn Deutschland nach Unionsrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dann dürfe, so schreibt auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, Deutschland eine Person an der Grenze nicht abweisen, die Einreise müsse gestattet werden. Relevant sei dabei die Dublin-III-Verordnung. In einem Dublin-Verfahren muss dann geprüft werden, ob Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Der von Weidel angesprochene Abschnitt im Paragraf 18 sei „totes Recht“, sagt dazu auf Anfrage Rechtswissenschaftlerin Anuscheh Farahat. „Diese Vorschrift kann nicht zur Anwendung kommen, sobald eine Person Asyl beantragt, weil dann immer ein Dublin-Verfahren durchgeführt werden muss.“
Auch das Verwaltungsgericht Berlin schrieb in einem Urteil rund um Zurückweisungen an der deutschen Grenze, dass der von Weidel angesprochene Teil des Paragrafens durch die Dublin-III-Verordnung verdrängt werde – sogar dann, wenn die Person, die den Asylantrag stellt, sich noch nicht in Deutschland, sondern noch an der Grenze oder in der Transitregion befindet.
Wie „Remigration“ als ein verharmlosender Tarn- und Funktionsbegriff der völkischen Ideologie verwendet wird, erklären wir hier.
Für steigende Messerkriminalität in den letzten 10 Jahren, wie Weidel behauptet, gibt es keine Belege
„Wenn ein Gericht hingeht und dann auch vor Gericht in irgendeiner Art und Weise es gelten lässt, dass […] ich die Messerkriminalität in unseren Landesgrenzen, die Entwicklung derselben, die letzten zehn Jahre ganz klar beleuchte […] und sage, dass wir hier ein migrantisches Problem haben, das wir vorher nicht hatten, was importiert wurde, dann wird das gleich aufgegriffen und auch vor Gericht gebracht.“
Bewertung: Unbelegt
Weidel wiederholt eine Behauptung, die immer wieder zur Stimmungsmache gegen Ausländerinnen und Ausländer herangezogen wird. Im September 2024 behauptete beispielsweise der für Desinformation bekannte österreichische Sender Auf1, Menschen mit Migrationshintergrund würden sechsmal häufiger „zum Messer greifen“ als Deutsche. Das ist falsch.
Weidel führt im Interview keine Quelle für ihre Aussage an. Auf Nachfrage dazu antwortete sie bis zur Veröffentlichung nicht. Weder die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), noch der Jahresbericht der Bundespolizei 2023, auf den Auf1 sich bezog, treffen Aussagen über Menschen mit Migrationshintergrund. Für Vergleiche, wie häufig Ausländer oder Deutsche Straftaten begehen, sind die Zahlen nur begrenzt aussagekräftig. Die kriminologische Forschung zeigt, dass nicht die Herkunft eines Menschen oder seine Staatsbürgerschaft entscheidend sind für die Begehung von Straftaten, sondern Faktoren wie Gewalterfahrung, Bildungsniveau oder Armut.
Die PKS erfasst als Messerkriminalität Taten, „bei denen der Angriff mit einem Messer unmittelbar gegen eine Person angedroht oder ausgeführt“ wird, heißt es in einer Pressemitteilung. Einen Anstieg der vergangenen zehn Jahre, wie Weidel ihn gesehen haben will, kann die Statistik aber schon methodisch nicht liefern. Erst seit dem 1. Januar 2024 werden Angriffe mit Messern einheitlich in der Statistik erfasst, wie eine Sprecherin des BKA uns erklärte. Ein Vergleich von aktuellen Zahlen mit Vorjahren ist also irreführend.
Die PKS unterscheidet zwischen deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen – zu letzteren gehören aber auch etwa Touristinnen und Touristen, Grenzpendelnde und Stationierungskräfte. Sie bietet also von vorneherein keine klaren Daten über Geflüchtete oder Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland. Ganz abgesehen davon, dass die Tatverdächtigen in dieser Statistik stets nur eben genau das sind: Verdächtige, die noch keinen Gerichtsprozess durchlaufen haben oder verurteilt wurden.
Von der Forschung belegt ist, dass 2022 im Vergleich zu 2013 etwas mehr Jugendliche gelegentlich ein Messer bei sich haben, unabhängig davon, ob ein Migrationshintergrund vorliegt oder nicht. Das schreibt etwa der Mediendienst Integration. Was der Grund für diese Bewaffnung sei, sei aber noch nicht ausreichend erforscht.
Von deutschen Bürgergeldbeziehenden haben nicht drei Viertel einen Doppelpass
„Die Hälfte der Bürgergeldempfänger sind Ausländer. Die haben nie in dieses Sozialsystem eingezahlt. Und die andere Hälfte hat zu drei Vierteln einen Doppelpass. Sie haben Migrationshintergrund.“
Bewertung: Größtenteils falsch
In den Wochen vor dem Interview kursierten bereits ähnliche Behauptungen in den sozialen Medien – mit dem Thema Bürgergeld wird immer wieder gegen migrantische Personen Stimmung gemacht. Bevor wir auf die Zahlen schauen, müssen zunächst die von Weidel genutzten Begriffe differenziert werden: „Menschen mit Migrationshintergrund“ ist nicht gleichbedeutend mit „Menschen mit Doppelpass“.
Die Bundesagentur für Arbeit – zuständig für das Bürgergeld und Daten über die Beziehenden – bezeichnet in ihren Statistiken diejenigen als Menschen mit Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft hatten. Menschen müssen also selbst gar keine Migration erfahren haben, um trotzdem in der Statistik als „Mensch mit Migrationshintergrund“ zu zählen. Das entspricht auch der Definition des Statistischen Bundesamts.
Ein Deutscher oder eine Deutsche mit „Doppelpass“, wie Weidel formuliert, hat dagegen neben der deutschen Staatsbürgerschaft noch eine weitere. Diese Gruppen haben Überschneidungen, sind aber nicht identisch: 2024 lebten in Deutschland insgesamt rund 3,1 Millionen Deutsche mit doppelter Staatsangehörigkeit und 25,2 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund.
Es stimmt, dass etwa die Hälfte der Beziehenden von Bürgergeld Ausländerinnen und Ausländer sind: 48 Prozent, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervorgeht. Von den 52 Prozent der deutschen Beziehenden sollen laut Weidel drei Viertel einen Doppelpass haben. Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit schreibt uns, dass es zu Bürgergeldbeziehenden mit doppelter Staatsbürgerschaft keine Daten gibt.
Auch Weidels Behauptung drei Viertel der deutschen Beziehenden hätte einen Migrationshintergrund stimmt nicht: Eine Aufschlüsselung nach Migrationshintergrund (mindestens ein Elternteil ist zugewandert) und Migrationserfahrung (selbst zugewandert) zeigt: Der überwiegende Teiler deutschen Beziehenden – in der Grafik in Gelb dargestellt – hat keinen Migrationshintergrund.
Zu behaupten, ausländische Menschen würden in Deutschland nicht in das Sozialsystem einzahlen, ist ebenfalls irreführend: Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren in Deutschland im vierten Quartal 2024 etwa 5,7 Millionen Ausländerinnen und Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt – also in etwa jeder Zweite. Das sind etwa 16 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland.
Weidel suggeriert, Demonstration gegen sie sei durch Steuergelder finanziert
Während des Interviews waren im Hintergrund Demonstrierende zu hören und zu sehen. Der lautstarke Protest richtete sich gegen die AfD und die Einladung Weidels zum Interview. Bei Minute 12:30 sagt Weidel, man wisse nicht, ob diese Demonstration mit Steuergeldern über „irgendwelche NGOs angeschoben“ sei.
Dass Menschen, die gegen die AfD oder gegen rechts demonstrieren, bezahlt würden, wird immer wieder behauptet. Angebliche Belege dafür stellten sich aber in der Vergangenheit immer wieder als falsch heraus, wie CORRECTIV.Faktencheck schon mehrfach berichtet hat. Lediglich in Einzelfällen wurden Demonstrationen gegen Rechtsextremismus tatsächlich finanziell unterstützt, wie 2015 in Brandenburg. Auch die AfD hat in der Vergangenheit Demonstrierende bezahlt.
Die Demonstration während des Interviews war nicht angemeldet, zitiert T-Online einen Polizeisprecher. Organisiert wurde sie vom Zentrum für Politische Schönheit. Auf Fotos von dem Protest waren außerdem Personen zu sehen, die Westen des Vereins Omas gegen Rechts trugen.
Das Zentrum für Politische Schönheit ist spendenfinanziert und hat laut einer Antwort der Bundesregierung 2021 keine Förderung durch die Bundesregierung erhalten (Seite 15). Das erklärte uns auch eine Vertreterin auf Nachfrage: „Das Zentrum für Politische Schönheit hat nicht einen Cent an staatlichen Fördermitteln erhalten. Weder in der Vergangenheit noch im Zusammenhang mit der Aktion am vergangenen Sonntag.“
Der Verein Omas gegen Rechts distanzierte sich auf Nachfrage, und erklärte, dass die Protesaktion nicht von ihm stamme. Es sei auch nicht bekannt, wer daran teilgenommen habe. Der Verein erhalte keine staatliche Förderung und finanziere sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Einzelne Regionalgruppen erhielten in der Vergangenheit auch in geringem Umfang Förderung durch die Bundesregierung, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (Seite 62) von August 2024 hervorgeht.
Die Protestaktion gegen Weidel und das Interview mit ihr wurden also nicht „mit Steuergeldern angeschoben“.
Den Faktencheck zum Sommerinterview mit Friedrich Merz lesen Sie hier.
Redigatur: Steffen Kutzner, Paulina Thom