Wirtschaft

Versteckspiel um eine Panzerfabrik

In der Türkei soll auch dank deutscher Beteiligung eine Panzerfabrik entstehen. Der Rüstungskonzern Rheinmetall tut so, als habe er nichts damit zu tun. Die Universität RWTH Aachen arbeitete an einer Machbarkeitsstudie für die Fabrik mit. Eine gemeinsame Recherche mit Özgürüz und dem Magazin „stern“.

von Hans-Martin Tillack , Margherita Bettoni , Frederik Richter

Das Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen erstellte eine Machbarkeitsstudie für die geplante Panzerfabrik.© Alexander Löwenstein

Das künftige Werksgelände ist so groß wie 300 Fußballfelder und liegt direkt an der türkischen Schwarzmeerküste. Hier in Karasu, etwa drei Autostunden östlich von Istanbul, will der türkische Unternehmer Ethem Sancak mit seiner Firma BMC auf einer Fläche von 222 Hektar Lastwagen, Busse und Motoren bauen lassen. Das klingt harmlos. Doch auf dem künftigen Werksgelände sollen auch Panzer produziert werden – und die deutsche Panzerschmiede Rheinmetall ist über ein Joint Venture mit BMC verbunden.

Eine Panzerfabrik für die Türkei des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan? Es ist ein Vorhaben, das man niemandem in Deutschland erklären kann. Präsident Recep Tayyip Erdogan hält bis heute deutsche Journalisten und Menschenrechtler eingesperrt. Und er ruft türkischstämmige Deutsche zum Boykott von CDU, SPD sowie Grünen auf. Eine Panzerfabrik bauen, für solch einen Despoten? Und doch sind die Pläne real.

Bereits Ende Juni vermeldete eine Lokalzeitung aus der Gegend von Karasu den ersten Spatenstich auf dem Gelände. Inzwischen zieht sich um einen Teil des Areals ein Zaun mit Stacheldraht. Dahinter wehen die Flaggen von BMC, der Türkei und von Katar. Das Militär des Emirats ist indirekt zu rund 25 Prozent an dem Joint Venture beteiligt, das Rheinmetall und BMC zusammen mit einem malaysischen Partner im Oktober gegründet hatten.

Im März hatte der „stern“ zusammen mit dem Recherchezentrum CORRECTIV und der türkischen Exilredaktion Özgürüz erstmals Details des Vorhabens enthüllt. Das führte zu Protesten. Inzwischen spielt Rheinmetall das Vorhaben immer wieder herunter. Man habe für Karasu „keine Werksplanungen entwickelt oder entwickeln lassen“, beteuerte der Konzern jetzt. Doch dem „stern“ und seinen Recherchepartnern liegen detaillierte Unterlagen zu dem Werksgelände in Karasu vor – auch aus dem Hause Rheinmetall.

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Das Fabrikgelände in Karasu: im Hintergrund die türkische und die katarische Flagge.

ozguruz.org / Zübeyde Sarı

Auf einer Folie aus dem Jahr 2017 nennt Rheinmetall es das „BMC Karasu Projekt“. In Zukunft, das zeigen die Papiere, sollen am Schwarzen Meer auf insgesamt 96 Hektar Fabrikbauten entstehen. Darunter ist laut einer Folie die Halle für ein Produkt, das mit „MBT“ abgekürzt wird. MBT steht für Main Battle Tank, also Kampfpanzer. Erst vor ein paar Wochen hat das türkische Verteidigungsministerium BMC ausdrücklich eingeladen, sich um den Bau des ersten türkischen Kampfpanzers vom Typ Altay zu bewerben.

Aber in Karasu sind laut einer Studie auch Fabrikgebäude für zwei weitere gepanzerte Fahrzeugtypen vorgesehen. 1150 Stück der Produkte aus dem Geschäftsfeld „Defense“ sollen – so die Studie – künftig jedes Jahr das Werksgelände verlassen. Also offenbar über tausend gepanzerte Militärfahrzeuge. Und das pro Jahr. Um eine „reibungslose und effiziente Ausführung“ des Fabrikbaus zu sichern wollte Rheinmetall – so sagt es eines der Papiere – gegenüber BMC als Gesamtverantwortlicher auftreten. Die Türken dürften eine „schlüsselfertige“ Lösung erwarten.

Auftrag „frühzeitig beendet“

Rheinmetall hatte nach Recherchen des „stern“ bereits versucht, die deutschen Firmen Obermeyer und Edag für eine Partnerschaft zu gewinnen. Sie kam aber nicht zustande. Bei dem Ingenieurdienstleister Edag etwa hat man bereits 2016 beschlossen, sich von militärischen Projekten in der Türkei fernzuhalten.

Zumindest zeitweise war dafür das Werkzeugmaschinenlabor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) aus Aachen dabei. Von Mai bis September 2016 arbeitete die RWTH an einer Machbarkeitsstudie für das Werk in der Türkei. Der Auftrag sei von einer Vermittlungsfirma gekommen, nicht von Rheinmetall, sagt ein Sprecher der Hochschule. Es sei zunächst auch nur um „Spezialfahrzeuge“ gegangen. Erst später meldeten sich Vertreter von BMC. Und nun war auch vom Bau von Panzern die Rede. Man habe den Auftrag darauf „frühzeitig mit einer eingeschränkten Präsentation der Ergebnisse beendet“, sagt der Sprecher.

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Übersicht über das Fabrikgelände: das dunkelblaue Areal rechts oben ist für Rüstungszwecke vorgesehen.

ozguruz.org / Zübeyde Sarı

Es sei „ein Fehler“ gewesen, dass man die Studie erstellt habe, räumt er ein. Erst vor zwei Jahren hatte sich die RWTH in einer sogenannten Zivilklausel ausdrücklich verpflichtet, keine Rüstungsforschung zu betreiben. Irgend jemand hat mit der Hochschule also ein veritables Versteckspiel getrieben. Rheinmetall kann Fragen zu der RWTH-Studie nach eigenen Angaben „nicht nachvollziehen“. Aber sicher ist, dass der Konzern seit 2015 mit BMC über eine mögliche gemeinsame Produktion von Panzern in der Türkei  im Gespräch war.

Im Februar 2016 vermeldeten Branchendienste, dass BMC am Standort Karasu ein Werk mit 4000 Beschäftigten errichte wolle, auch zum Bau von Panzern. Und am 17. März 2016 kündigte Rheinmetall-Chef Armin Papperger ein Joint Venture zum Bau militärischer „Fahrzeugsysteme“ in der Türkei an – also rund zwei Monate vor dem Auftrag an RWTH.

Dabei ist bis heute nicht ganz klar, inwieweit bei dem Karasu-Projekt  deutsche Exportvorschriften beachtet werden. Bei der Hochschule hatte man sich immerhin, so ihr Sprecher, „vom vermittelnden Unternehmen bestätigen lassen, dass dies geprüft wurde“. Für den Bau der Altay-Panzer brauche man gar keine Erlaubnis der Bundesregierung, weil man weder Bauteile noch Blaupausen exportiere, argumentierte man bei Rheinmetall intern. „Wenn wir mit Partnern in der Türkei einen türkischen Panzer entwickeln und bauen, dann ist die Bundesregierung daran nicht beteiligt“, sagte Firmenchef Papperger im März sogar in einem Interview. Das Unternehmen halte sich „strikt“ an die deutschen Rüstungsexportregeln, versichert Papperger.

Eine Lücke, durch die eine ganze Fabrik passt?

In der Tat ist es bis heute erlaubt, ohne Genehmigung Experten für die technische Unterstützung bei der Rüstungsproduktion in Ländern wie der Türkei zu entsenden. Es ist eine Gesetzeslücke, die die Bundesregierung bis heute nicht schließen will. Der „Aufbau von Waffenfabriken“ sei auf diesem Weg aber gar nicht möglich, beteuert das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium.

Auch der Exportrechtler Harald Hohmann stützt das. Er hat Zweifel an der Rheinmetall-Strategie: „Wenn es für einen regelrechten Technologietransfer nur schwerlich eine Genehmigung gäbe und man stattdessen bewusst den Weg der Entsendung von Experten wählt, dann ist das möglicherweise eine Umgehung der Regeln für gelistete Technologie“, sagt er. Und falls der Aufbau einer Waffenfabrik in der Türkei ohne Erlaubnis nicht möglich ist? Was hat das Wirtschaftsministerium dann getan, um Rheinmetall diese Sicht klarzumachen? „Die Bundesregierung berät Unternehmen nicht bei der Frage möglicher Kooperationen“, antwortete das Ministerium lapidar auf eine Anfrage von „stern“, CORRECTIV und Özgürüz.

Die Große Koalition in Berlin hat eigentlich einen härteren Kurs gegenüber Ankara angekündigt. Aber in Sachen Rheinmetall spielt sie das Versteckspiel bisher mit. Weder Kanzlerin Angela Merkel noch einer ihrer Minister haben das Vorgehen des Unternehmens in Türkei bisher kritisiert. Der Grünen-Vositzende Cem Özdemir übte deshalb jetzt harte Kritik:  „Der Umgang mit Rheinmetalls Türkei-Plänen ist ein Paradebeispiel für die Doppelzüngigkeit der Bundesregierung“, sagte Özdemir dem „stern“.

Während Außenminister Sigmar Gabriel „lautstark ein Ende der Rüstungsexporte in die Türkei“ fordere, schauten er und seine Koalition bei dem Rheinmetall-Vorhaben „stillschweigend zu“. Die Große Koalition habe hier „versagt“, fügte Özdemir hinzu: „Würde es die Bundesregierung mit ihrer Kurskorrektur in der Türkeipolitik ernst meinen, würde sie dafür sorgen, dass diese Panzerfabrik nicht gebaut werden kann.“

Profitable Nähe

Will es die Bundesregierung vielleicht weiterhin trotz allem vermeiden, den Präsidenten in Ankara allzu sehr zu reizen? Sicher ist: Erdogan ist das Vorhaben in Karasu wichtig. Schon im November 2015 lud der Potentat Manager von Rheinmetall zusammen mit BMC-Chef Ethem Sancak zum Dinner in einen osmanischen Palast in Istanbul. Erdogan persönlich habe auch den Standort des Werks am Schwarzen Meer augesucht, erzählt man bei Rheinmetall hinter vorgehaltener Hand.

Eine der Folien aus den Firmenbeständen nennt die Gründe für die Standortwahl: Karasu liege in der „am stärksten industrialisierten Region“ der ganzen Türkei. In der Nähe produzieren andere Hersteller bereits heute Autos und Militärfahrzeuge. Es gibt Zulieferbetriebe, Autobahnen und Häfen. BMC-Chef Sancak ist ein glühender Bewunderer des Präsidenten Erdogan und Vorstandsmitglied in dessen Partei AKP.

Von dieser Nähe profitiert nun Rheinmetall. Und die Düsseldorfer tun gegenwärtig zugleich einiges, um sich hinter Sancak zu verstecken. Ursprünglich sollte sich ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem Rheinmetall wie BMC beteiligt sind, für den Bau der Kampfpanzer des Typs Altay bewerben. Jetzt macht das offenbar BMC allein. Rheinmetall bleibt im Hintergrund.

Rheinmetall spielt Pläne herunter

Sancak redet ab und zu öffentlich über die geplante Fabrik in Karasu und den geplanten Bau der Altay-Panzer. Rheinmetall  erwähnt er in dem Zusammenhang nicht. Er preist stattdessen gerne Erdogan. Der Präsident wiederum hat den BMC-Eigentümer immer wieder gefördert. Er hat ihm  quasi die Mitgift für die Ehe mit Rheinmetall verschafft. Die 222 Hektar in Karasu zum Beispiel: Die hatte laut türkischen Zeitungsberichten die Regierung in Ankara im Jahr 2016 BMC per Dekret zugewiesen. Oder den Fahrzeugbauer BMC selbst: Ihn kaufte Sancak vor drei Jahren vom Staat, sogar billiger als ursprünglich verlangt.

Kurz darauf übernahm das Industriekomitee der Streitkräfte des schwerreichen Golfemirats Katar fast 50 Prozent der Anteile an BMC. Erdogan habe ihm beim Einstieg der Kataris geholfen, bekannte Sancak hinterher dankbar. Ohne die finanzkräftigen Kataris im Rücken hätten sie ihn bei Rheinmetall vielleicht gar nicht ernst genommen. Doch bereits Ende 2015 – so zeigen es interne Unterlagen – hoffte man bei dem deutschen Unternehmen, zusammen mit BMC und einem dritten Partner aus Malaysia der „bevorzugte Partner“ sowohl der Türkei wie auch von Katar zu werden.

Anders gesagt: Man träumte davon, beide Staaten mit den gemeinschaftlich produzierten Panzern zu beliefern und Milliarden damit erlösen. Heute, wie gesagt, spielt man die Pläne in der Düsseldorfer Konzernzentrale herunter. In der Türkei habe sich seit 2015 „vieles“ verändert, „auch für Rheinmetall“, heißt es nun wolkig. Aber auf den Fluren in Düsseldorf erzählt man sich, dass für die Panzerproduktion in Karasu sogar bereits ein Werksleiter benannt sei.

Ein Mann namens Dirk Hentschel, der bisher für die Produktion der Radpanzer des Typs Boxer im Rheinmetall-Werk in Kassel zuständig war. Rheinmetall bestreitet, dass er die Fabrik in Karasu leiten soll. Fakt ist, dass Hentschel neuerdings im Karrierenetzwerk LinkedIn einen Posten in der Türkei angibt. Er sei als Werkleiter der Rheinmetall-Tochter Rheinmetall MAN Military Vehicles im Mittelmeerort Antalya tätig.

Nur hat diese Tochter gar kein Werk in der Türkei – anders als der Rheinmetall-Partner BMC.


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Mitarbeit: Zübeyde Sarı
Der Autor Hans-Martin Tillack ist Redakteur beim „stern“.

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