In eigener Sache

Das war das 3. Quartal 2020

Ein Rückblick auf Recherchen und Projekte bei CORRECTIV von Juli bis September 2020.

CrowdNewsroom

Den Ansatz, Bürgerinnen und Bürger mithilfe unseres CrowdNewsroom aktiv in Recherchen einzubinden, haben wir in den vergangenen Monaten gleich mit vier Projekten auf jeweils sehr unterschiedlichen Ebenen unter Beweis stellen können: 600 Kommunalpolitikerinnen und –Politiker haben sich an einem Projekt zur Kommunalwahl in NRW beteiligt. Vertreter der Studierenden haben für uns Wahlergebnisse der deutschen Unis zusammen gesucht. Über 1.500 Bürgerinnen und Bürger haben sich in Bayern an unserer großen Transparenz-Offensive zum Wohnungsmarkt beteiligt. Und bei einer lokalen Klima-Recherche halfen uns junge Leute, über 400 Anfragen an Kommunen zu stellen. Was diese Projekte verbindet: Ohne die Hilfe all dieser Menschen wären die Recherchen nicht entstanden, die wir Ihnen kurz vorstellen wollen.

„Transparenz ist der erste Schritt für wirksamen Mieterschutz“, sagte der Münchener Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), nachdem der Bayerische Rundfunk zusammen mit CORRECTIV die Ergebnisse der Recherche „Wem gehört die Stadt“ Mitte Juli veröffentlichte. In den Monaten zuvor hatten vor allem Bürgerinnen und Bürger aus München, aber auch aus Würzburg und Augsburg, diese Transparenz in Bayern geschaffen, indem sie sich an unserem gemeinsamen Projekt beteiligten. 

Dank der Hinweise und Einträge konnten wir durch weitere Recherchen offenlegen, wie ein Fonds seine Anleger verprellt, weil er den Bau von Häusern in Aussicht stellt, hohe Renditen verspricht, aber nach unseren Recherchen vor Ort Projekte gar nicht umsetzt. Ebenso konnten wir nachweisen, wie Investoren Vorkaufsrechte aushebeln oder durch sogenannte Share Deals Preise in die Höhe treiben können. Beides fördert die Spekulation mit Immobilien – unabhängig von tatsächlicher Nachfrage. 

Die Recherche in Bayern haben wir zum Anlass genommen, um einmal genauer zu beschreiben, wie leicht es ist, in Deutschland anonym Geld in den Immobilienmarkt zu schleusen. Es ist auch eine launige Anleitung zur Geldwäsche, aber mehr noch eine ernst gemeinte Mahnung an die Politik, die vier wichtigsten Einfallstore zu schließen. Bei dem Thema Wohnungsmarkt bleiben wir hartnäckig. Ende September haben wir zusammen mit dem Saarländischen Rundfunk begonnen, ein ganzes Bundesland unter die Lupe zu nehmen. Seit dem 30.09. fragen wir: „Wem gehört das Saarland?“.

Im August veröffentlichten wir die Ergebnisse eines Crowd-Projektes zur Demokratie an Hochschulen. Wir wollten wissen, wie stark sich Studierende an den Wahlen für die Studierenden-Parlamente beteiligen und welche Probleme es bei den studentischen Vertretungen gibt. Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dabei gleich auf einen handfesten Steuerhinterziehungs-Skandal zu stoßen. Durch einen Hinweis konnten wir recherchieren, dass an der Uni Kassel wohl über Jahre Steuern von Studierenden-Vertretern hinterzogen wurden. Der Fall zeigt, dass die Hochschul-Parlamente zum Teil auch von der finanziellen Verantwortung überfordert sind und allein gelassen werden.

Unsere Recherche hat mithilfe von Studierenden erstmals umfassende Infos über die (fast durchweg geringe) Wahlbeteiligung an Unis erhoben. Das Ergebnis: Nur wenige Hochschulen schaffen es, Studierende für ihre demokratische Vertretung zu mobilisieren. 

Der Kommunalwahlkampf in NRW im September war für unsere Demokratie etwas Besonderes: Es war die erste Wahl nach Beginn der Corona-Krise. Wie würden die Menschen auf das Krisenmanagement der Regierung, auf die Wirtschaftskrise oder auf die politische Instrumentalisierung von Verschwörungsmythen reagieren? Welche Rolle spielen die Themen, die uns vor Corona beschäftigt haben? Wir haben die Wahl zum Anlass genommen, um der Kommunalpolitik auf den Zahn zu fühlen und haben eine Schwerpunktseite zur Kommunalwahl aufgesetzt.

Die Kommunalpolitikerinnen und -politiker in NRW haben wir mithilfe unseres CrowdNewsrooms gebeten, uns über ihre Alltagserfahrungen in der Politik zu berichten. Aus den Antworten von über 600 Teilnehmenden kristallisierte sich schnell heraus, dass viele Lokalpolitikerinnen in den unteren Ebenen der Politik sehr stark mit Sexismus zu kämpfen haben. Es war ernüchternd bis erschreckend zu lesen, wie dumpf und herablassend vor allem Frauen, die sich politisch engagieren, teilweise behandelt werden.

Für unser Netzwerk CORRECTIV.Lokal werteten wir erstmals umfassend Daten aus, wie viele Frauen in kommunalen Räten in NRW repräsentiert sind. Vor der Wahl waren es knapp 25 Prozent, nach der Wahl stieg der Anteil der Frauen auf ein Drittel. Und wir berichteten über Fälle sexueller Belästigungen gegenüber minderjährigen Parteimitgliedern, die uns in der Umfrage geschildert wurden. Beide Recherchen wurden von über 20 regionalen Medien in NRW aufgenommen. Das Thema Frauen in der Kommunalpolitik dominierte zeitweise die allgemeine Berichterstattung über die NRW-Kommunalwahl.

Mit der Umfrage unter den Kommunalpolitikern wollen wir auch langfristig eine Tür aufmachen zu den Strukturen der Lokalpolitik. Vor Ort kann und muss viel entschieden werden. Wir wollen mehr darüber berichten, wie sich Lokalpolitik verändern muss, damit die Demokratie auf den unteren Ebenen lebendig bleibt.

Eine andere Form der Beteiligung gelang uns mit einer Klima-Recherche, auch anlässlich der Kommunalwahl in NRW. Wir wollten recherchieren, wie viele Anteile die Kommunen an Unternehmen haben, die fossile Energien produzieren. Unsere CORRECTIV-Klimaredaktion hätte das allein kaum geschafft. Über 400 Kommunen mussten angefragt, deren Antworten ausgewertet werden. Wir boten daher Workshops für junge Leute an und brachten ihnen die Grundlagen journalistischen Arbeitens bei. So konnten sie – von uns betreut – diese Anfragen stellen. Unter der Anleitung der Klima-Redaktion konnten wir für NRW zeigen, welche Kommunen noch in fossile Energieträger investiert sind. Einige von ihnen antworteten nur widerwillig oder ungenau. Gut zu sprechen waren sie auf das Thema jedenfalls nicht.

Zwei Bücher haben wir im September veröffentlicht: Da Korruption ein wiederkehrender Schwerpunkt unserer Arbeit ist, hat unser Kollege Frederik Richter eigene Recherchen und bekannte Fälle über Korruption deutscher Unternehmen im Ausland zusammengestellt. In seinem Buch „Geheimsache Korruption“ gibt er spannende Einblicke, wie wenig sich deutsche Unternehmen, teilweise bis heute, um Werte scheren, wenn lukrative Aufträge winken. Ein Bestechungsskandal in Usbekistan, der schon Jahre zurückliegt, erhielt eine ungeahnte Aktualität, weil wir im September mit einem Insider von damals sprechen konnten und auf Dokumente stießen, die mögliche Bestechungsgelder im Umfeld der saarländischen SPD verorten.

Bei dem zweiten Buch handelt es sich um die Übersetzung des Mueller-Reports, einer berühmt gewordenen Recherche der Washington Post über die Arbeit des Sonderermittlers Robert Mueller. Er hatte versucht, die Verwicklungen Russlands in die US-Wahl 2016 aufzuklären und wurde von US-Präsident Trump dafür massiv diskreditiert. Wir haben den Report der Washington Post übersetzt und von Jan Feindt illustrieren lassen. Der Report macht deutlich, wie Trump im Weißen Haus handelt und welchen Interessen er dient.

Als Auskopplung aus unserem im Juni veröffentlichten Buch „Corona – Geschichte eines angekündigten Sterbens“, das sich lange in den Bestseller-Listen hielt, setzten wir mit auch weiteren Artikeln die Serie auf der Schwerpunktseite zu unserem Crowd-Projekt zu Corona fort.

Uns zeigen die offenen Recherchen mit Bürgerinnen und Bürgern, wie wir dadurch oft erst auf bestimmte Themen stoßen, die wir dann gezielt verfolgen können. Uns liegt daran, diese Form der Recherchen auszubauen und weiterzuentwickeln.

Dieser Text entstand als Editorial zu unserem regelmäßigen Quartalsbericht für das dritte Quartal 2020. Allen Unterstützerinnen und Unterstützern steht der gesamte Bericht in ihrem Profil zur Verfügung.