Hintergrund

Frauen als Feindbild: Wie mit Falschmeldungen Hass gegen Politikerinnen geschürt wird

Warum sind Frauen häufig Opfer von Falschmeldungen und was sind die Motive hinter politischer Desinformation und Hassrede? Darüber, welche Auswirkungen diese offline haben, hat CORRECTIV mit den Politikerinnen Claudia Roth, Aydan Özoğuz und Wiebke Winter gesprochen.

von Kathrin Wesolowski

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Aydan Özoğuz, Claudia Roth und Wiebke Winter (v. links) erlebten bereits gegen sie gerichtete Hasskampagnen im Netz. (Quelle: Deutscher Bundestag / Achim Melde; Gottfried Schwarz / Collage: CORRECTIV)

Wiebke Winter weiß, wie sich Hass im Netz anfühlt und wie er sich auf das reale Leben auswirken kann. Die 24-Jährige ist Landesvorsitzende der Jungen Union Bremen und auf Instagram aktiv. Immer wieder erhielt sie beleidigende Nachrichten, Morddrohungen und anzügliche Nachrichten – dann trat die Bedrohung aus dem Netz heraus. 

Ein Stalker rief bei Winters Familie und ihrem Doktorvater an, tauchte plötzlich auf einer Veranstaltung auf, an der sie teilnehmen wollte. Aus der virtuellen wurde eine reale Bedrohung. Die Politikerin habe sich in dieser Zeit wie im falschen Film gefühlt, wie ein Opfer: „Wenn man in der Politik sein will, will man ja nicht in diese Opferrolle kommen“, sagt Winter heute gegenüber CORRECTIV. 

Hass im Netz ist keine Seltenheit. Gerade Politikerinnen, die in den Sozialen Netzwerken aktiv sind, stellen eine vermeintlich leichte Zielscheibe dar. Das Ziel: Einschüchterung auf der einen und Machtdemonstration auf der anderen Seite. CORRECTIV hat mit drei Frauen – Wiebke Winter (CDU), Claudia Roth (Grüne) und Aydan Özoğuz (SPD) – gesprochen, um zu erfahren, wie sie damit umgehen.

Hass wird durch Falschinformationen geschürt

Wiebke Winter selbst hat den Stalker auf der Veranstaltung nicht gesehen. Ihre politischen Mitstreiter hätten ihn von Fotos im Netz erkannt und Winter gewarnt, dass er gekommen sei. Die Polizei habe ihn dann festgenommen und sie später eine Unterlassungsverfügung erwirken können. Um den Vorfall zu verarbeiten, habe sie psychologische Hilfe in Anspruch genommen, sagt sie.

Claudia Roth (65), Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestags, hat nach eigenen Angaben ebenfalls Erfahrung mit Hass auf offener Straße. Seinen Ursprung hat dieser jedoch häufig im Internet. Ein beliebtes Mittel, um Politikerinnen zu diskreditieren: Falsche Zitate. So werden Roth häufig Aussagen in den Mund gelegt, die sie so nie geäußert hat. Immer wieder tauchen angebliche Aussagen der Politikerin in Sozialen Netzwerken auf. 

CORRECTIV überprüfte zahlreiche davon in Faktenchecks: Demnach soll Roth beispielsweise gesagt haben, die Vorfälle am Kölner Hauptbahnhof an Silvester 2015 seien ein Hilferuf von Geflüchteten gewesen, Deutsche hätten keine Kultur und Identität oder es gebe keine Deutschen, nur Nicht-Migranten. Für keines dieser angeblichen Zitate fanden wir Belege.

Claudia Roth werden immer wieder falsche Zitate zugeschrieben. Diese Collage zeigt drei der angeblichen Zitate, die CORRECTIV widerlegt oder als unbelegt eingestuft hat. (Screenshots und Collage: CORRECTIV)

Gefälschte Zitate dienen dazu, Politikerinnen als Feindbild zu markieren

„Wenn es um Menschen mit Migrationsgeschichte, um Eingewanderte oder um Muslime geht, dann wird gehetzt“, sagt Roth im Gespräch mit CORRECTIV. Warum sie selbst angegriffen wird, erklärt sie sich so: „Wir repräsentieren genau das Gegenteil von dem, was die AfD, was die Rechten, was Rechtsaußen will.“ Sie spricht von der grünen Frau als „absolutem Feindbild“ der Rechten. Tatsächlich wird oft ihre angebliche Haltung adressiert, beziehungsweise mit falschen Zitaten suggeriert, sie sei „deutschlandfeindlich“.

Die Grünen-Politikerin Roth steht nicht alleine da: Auch über die SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoğuz (53) kursieren vielfach Falschinformationen, immer wieder erlebt sie Hassrede im Netz. 

Dieses angebliche Zitat von Aydan Özoğuz ist frei erfunden, wie CORRECTIV bereits 2019 recherchierte. (Quelle: Facebook, Screenshot: CORRECTIV)

„Die Hassnachrichten sind teilweise sexistisch. Teilweise sind es Drohungen, teilweise verleumdende Dinge, die sich ausgedacht wurden“, sagt Özoğuz im Gespräch mit CORRECTIV. Häufig sei die SPD-Politikerin auch wegen ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit und ihres türkischen Migrationshintergrundes angegriffen worden.

Ein öffentlich bekanntes Beispiel: 2017 wurde Özoğuz rassistisch von dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland angegangen. Özoğuz, damals noch Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, schrieb in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel, dass die „Leitkultur“-Debatte oftmals ins Lächerliche abgleite, da eine spezifisch deutsche Kultur nicht identifizierbar sei. Historisch gesehen sei die deutsche Geschichte eher von „regionalen Kulturen“, von Vielfalt und von Einwanderung geprägt. 

Das Zitat wurde aus dem Kontext gerissen im Netz verbreitet und fachte den Hass gegen sie an.

Laut Medienberichten sagte Gauland daraufhin bei einem Wahlkampfauftritt im thüringischen Eichsfeld, dass man die „Deutschtürkin“ mal dorthin einladen solle und ihr sagen solle, was spezifisch deutsche Kultur sei. „Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ 

Im Zusammenhang mit dem Thema Migration werden auch erfundene Zitate über die Politikerin verbreitet. Ein Beispiel: Özoğuz habe angeblich gesagt, „dass Asylbewerber kriminell werden, auch unter Umständen Raub begehen, das ist einzig und allein die Schuld der Deutschen, weil deren Spendenbereitschaft sehr zu wünschen übrig lässt“. Dieses angebliche Zitat hat Özoğuz aber nie gesagt.

Wiebke Winter: „Wo sicherlich eine rote Linie überschritten wurde, war in dem Moment, als mir Leute erzählt haben, wie sie mich umbringen wollen“

Hass im Netz kommt aber nicht nur von Rechts. Wiebke Winter vermutet etwa, dass sie ihn „aus der linken Ecke“ erlebt hat. 2019 äußerte sich die Politikerin in dem Stern-Online-Format „Diskuthek“ gegen eine Legalisierung von Cannabis – und bekam daraufhin hunderte von Hassnachrichten.

Nach diesem Auftritt bei der „Diskuthek“ und der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis erlebte Wiebke Winter einen Shitstorm. (Quelle: Stern / Youtube, Screenshot: CORRECTIV)

„Wo sicherlich eine rote Linie überschritten wurde, war in dem Moment, als mir Leute erzählt haben, wie sie mich umbringen wollen und dass sie mich nach Auschwitz schicken wollen würden“, sagt die CDU-Politikerin gegenüber CORRECTIV. Sie habe auch eine Sprachnachricht erhalten, in der ihr jemand mitgeteilt habe, dass er sie „vergewaltigen und vergasen“ wolle. 

„Natürlich hat man Angst in solchen Momenten und muss damit umgehen können“, sagt sie. Auch für solche Fälle habe sich Winter psychologische Hilfe geholt – und Anzeige erstattet. 

Claudia Roth will Hass im Netz nicht einfach stehen lassen und greift in bestimmten Fällen zu rechtlichen Schritten: „Im Falle von Volksverhetzung, offenen Morddrohungen oder extremen Beleidigungen erstatten wir Anzeige.“ Auch Özoğuz zeigte Hassredner schon an und bezog öffentlich Stellung zu Falschinformationen

Für Claudia Roth ist es zudem wichtig, auf vermeintliche Fakes zu reagieren, denn: „Die Verbreitung von falschen Nachrichten, insbesondere jene, die emotional populistische Stimmung erzeugen, sind brandgefährlich.“ Im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2021 zeigt Roth sich besorgt, dass die Zahl von Falschnachrichten zunehmen könnte.

Konfliktforscher Andreas Zick: Hassredner sehen sich selbst nicht als Täter sondern als Opfer

Für den Konfliktforscher Andreas Zick sind die Motive der Menschen, die falsche Nachrichten und Hass streuen, klar: Sie wollten einer Community angehören, Kontrolle ausüben. Bestenfalls sollten sich angefeindete Menschen selbst zu den Falschnachrichten äußern, das Verhalten ändern, erklärt er. Der Hass komme dabei seiner Erfahrung nach meist von Rechts. 

Die meist ideologisch motivierten Verbreiter von Hetze würden sich dabei nicht als Täter sondern als Opfer sehen, die bedroht werden. Sie richteten ihren Hass auf ein bestimmtes Feindbild, das dann Schuld sei. „Das Prinzip: ,Ich bin Opfer und da ist die schuldige Person. Und deswegen ist das, was ich sende, gar kein Hass‘“, erklärt Zick die Denkweise. 

Zudem thematisiere politische Desinformation allgemein alles, was das vermeintliche Volk bedrohe, sagt Zick: „Alles, was der Idee nationaler, homogener, abgeschlossener Gesellschaften widerspricht, kann zur Angriffsfläche werden.“ Dabei seien gerade selbstbewusste Frauen, sich sich für eine offene Gesellschaft einsetzten, prototypische Feindbilder.

Roth, Özoğuz und Winter sehen Verantwortung auch bei Social-Media-Plattformen

Die Grünen-Politikerin Roth sieht diesbezüglich Plattformen wie Youtube, Facebook und Twitter in der Verantwortung. 2018 kursierte ein angeblicher Tweet von ihr im Netz. Demnach habe Roth gesagt, dass Deutsche keine Kultur und Identität hätten. Dabei hat sie gar keinen Twitter-Account. Geholfen hätte da etwa eine Verifizierung von Nutzerkonten, meint Roth. 

Eine Debatte dazu findet auch Özoğuz wichtig: „Die Plattformen verdienen ihr Geld mit den Nutzern, dann können sie sich nicht komplett aus der Verantwortung stehlen, wenn es darum geht, dass ihre Plattformen auch missbraucht werden.“

Wiebke Winter hat keine klare Meinung dazu, wie Politik und Plattformen mit der Anonymität im Netz umgehen sollten: Einerseits sei es wichtig, auch von den Plattformen Unterstützung dafür zu bekommen, Hassredner aus dem Netz ausfindig zu machen. Andererseits müssten Anonymität und eine gewisse Meinungsfreiheit gewährleistet bleiben.

Claudia Roth sagt ebenfalls, sie sei für freie Meinungsäußerung. Dennoch gebe es Grenzen: „Meinung endet da, wo Volksverhetzung beginnt, bei schlimmsten Beleidigungen, Drohungen oder wenn man andere mit Mord- oder Vergewaltigungsphantasien belästigt; solche Äußerungen müssen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.“ Deswegen geht die Grünen-Politikerin noch einen Schritt weiter: Plattformen müssten ihrer Ansicht nach festlegen, was veröffentlicht werden darf und was nicht – und folglich nicht erst dann reagieren, wenn Beiträge bereits im Netz kursieren.

Die meisten Social-Media-Plattformen haben bereits Maßnahmen gegen Falschinformationen eingeleitet. Facebook arbeitet beispielsweise in Kooperationen mit unabhängigen Faktencheckern wie CORRECTIV zusammen und schränkt die Reichweite von Inhalten, die diese als falsch einstufen, ein. Seit Anfang April begrenzt Whatsapp die Weiterleitungsfunktion von Nachrichten, um die Verbreitung von Falschnachrichten einzudämmen. 

Ziemlich undurchschaubar geht derzeit Twitter vor, das seit Mai manche Tweets – darunter einige von US-Präsident Donald Trump – mit einer Art Warnhinweis für mehr Kontext versieht. Den Kontext, der den Nutzern dort angezeigt wird, kuratiert Twitter jedoch ganz allein. Wie genau, ist nicht transparent. Google und YouTube nutzen ein Datenformat namens Claim Review und heben damit Faktenchecks in ihren Suchergebnissen hervor, wenn Nutzer nach bestimmten Begriffen suchen.

Wiebke Winter: Zu Hass und Falschmeldungen sollte nicht geschwiegen werden

Im Netz geht es Roth zufolge nicht nur um Meinungsfreiheit sondern auch um Kunstfreiheit. Häufig steht unter falschen Zitaten kleingedruckt ein Hinweis auf Satire, wie beispielsweise bei Beiträgen von Uwe Ostertag. Dieser ist unter anderem verantwortlich für gefälschte Wahlplakate und falsche Zitate von Politikern. 

Auf den ersten Blick ist der Hinweis auf Satire nicht unbedingt erkennbar. (Screenshot und Markierung: CORRECTIV)

Roth sagt dazu: „Da geht es ja mitnichten um Satire. Mit dem Verweis auf Satire, wird versucht zu verhindern, dass rechtlich sanktioniert werden kann. Dabei sind es in der Regel Lügen und totale Hetze.“ Das kann aber durchaus nach hinten losgehen, wie der Fall Ostertag zeigt: 2017 wurde er laut Mainpost zu vier Jahren auf Bewährung verurteilt – wegen Volksverhetzung im Internet. Er erstellte auch einen angeblichen Satire-Beitrag über Claudia Roth, der zuletzt im Juli erneut kursierte. 

Wiebke Winter präsentiert sich trotz allem weiterhin selbstbewusst im Netz. Für sie ist sicher: Ihre Zielgruppe erreicht sie über Plattformen wie Instagram. Löschen würde sie ihren Account nicht.

Für die junge Politikerin ist wichtig, zu Hass und Falschmeldungen nicht zu schweigen, sondern offen damit umzugehen und darüber zu sprechen. Mit Freunden und Bekannten, mit anderen Politikerinnen und auch in den Medien.