Parteimitglieder von Die Basis spekulieren ohne Belege über Wahlbetrug in Sachsen-Anhalt
In einem Video behaupten drei Mitglieder der Partei Die Basis, es habe bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Wahlbetrug gegeben. Ihre Argumente belegen diese These jedoch nicht, und die Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin widerspricht: Es gebe keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten.
In einem Youtube-Video spekulieren drei Mitglieder der Corona-Protest-Partei Die Basis über einen angeblichen Wahlbetrug in Sachsen-Anhalt. Am 5. Juli veröffentlichte der Youtube-Kanal Liberty News Berlin das Video, das auf Youtube mehr als 117.000 Mal aufgerufen wurde. Darin wird behauptet, bei der Landtagswahl am 6. Juni habe es möglicherweise Wahlbetrug gegeben. Darum werde die Partei das Wahlergebnis anfechten.
In dem Video sprechen der Rechtsanwalt Reiner Fuellmich und der Arzt Wolfgang Wodarg, die für die Partei Die Basis bei der Bundestagswahl im September kandidieren. Außerdem ist der ehemalige Grünen-Politiker David Claudio Siber zu sehen. Alle drei haben in den vergangenen Monaten bereits irreführende Behauptungen in Bezug auf das Coronavirus verbreitet.
Die Basisdemokratische Partei Deutschland, kurz Die Basis, vertritt die Argumente von Kritikern der Corona-Maßnahmen und „Querdenkern“, wie bereits mehrere Medien berichteten. Einige Akteure der Partei sind laut Netzpolitik mit demokratiefeindlichen Äußerungen aufgefallen.
Der Landeswahlleiterin in Sachsen-Anhalt sind keine Unregelmäßigkeiten bekannt
Eine Sprecherin der Landeswahlleiterin Sachsen-Anhalt schrieb CORRECTIV.Faktencheck am 12. Juli per E-Mail, es seien keine Unregelmäßigkeiten bei der Landtagswahl bekannt. In dem Video werden Behauptungen aufgegriffen, die kurz nach der Wahl bereits von dem rechten Video-Blogger Oliver Janich verbreitet wurden und die nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck haltlos sind.
Am 12. Juli hat Die Basis auf ihrer Internetseite einen Einspruch gegen das Wahlergebnis angekündigt. Die Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin schrieb uns, dass nach ihren Informationen tatsächlich ein solcher Wahleinspruch der Partei bei der Landtagsverwaltung eingegangen sei.
Laut Wahlprüfungsgesetz in Sachsen-Anhalt kann jede wahlberechtigte Person bis zu sechs Monate nach Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses schriftlich beim Landtag Einspruch dagegen einlegen. Der Einspruch wird dann vom Wahlprüfungsausschuss überprüft. So etwas gibt es auch auf Bundesebene; nach der Bundestagswahl 2013 wurden beispielsweise 224 Einsprüche eingelegt.
Mitglieder von Die Basis nennen keine konkreten Belege für angeblichen Wahlbetrug
Die Behauptungen in dem Video von Liberty News Berlin stellt im Wesentlichen Reiner Fuellmich auf. Er sagt, das Wahlergebnis weiche auffällig von den Umfrageergebnissen vor der Wahl ab, der starke Anstieg der Wahlbeteiligung gegen 18 Uhr sei verdächtig und es habe Menschen gegeben, die nicht wählen durften, weil ihre Stimme angeblich bereits abgegeben worden sei.
Siber kommentiert, er finde das Wahlergebnis angesichts der abweichenden Wahlumfrageergebnisse „bemerkenswert“, könne aber nicht einschätzen, ob Betrug vorliege (ab Minute 1:22). Wodarg fordert im Anschluss eine bessere Wahlbeobachtung und betont, er sei „sehr sicher“, die Wahl sei „gefälscht“ worden (ab Minute 2:10). Konkrete Belege für den angeblichen Wahlbetrug liefert keiner der Sprecher.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Wahlergebnis von Umfrageergebnissen abweicht
Laut Fuellmich habe es ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ der AfD mit der CDU in den Umfragen vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gegeben. „Und dann, am Ende gewinnt die CDU mit zehn Prozent Vorsprung. Das halten wir für ziemlich ausgeschlossen“, sagt er.
Tatsächlich wich das vorläufige Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt stark von der letzten Insa-Umfrage vor der Wahl ab – die CDU holte etwa zehn Prozentpunkte mehr, und die AfD bekam 5,3 Prozentpunkte weniger Stimmen als vorhergesagt.
Weshalb das kein Beleg für Wahlbetrug ist, haben wir bereits in einem anderen Artikel erklärt: Wahlumfragen sind Stichproben, die ein Meinungsbild zum jeweiligen Zeitpunkt der Umfrage abbilden. Dieses kann sich bis zur Wahl noch ändern, und es gibt verschiedene Schwachpunkte, die die Aussagekraft von Wahlumfragen begrenzen. Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt wird zum Beispiel vermutet, dass viele Menschen strategisch die CDU wählten, damit die AfD nicht stärkste Kraft werden konnte. Belegt ist das nicht. Es kommt jedoch häufiger vor, dass Wahlumfragen „daneben liegen“.
„Plötzlicher“ Anstieg der Wahlbeteiligung um 18 Uhr ist kein Beleg für Wahlbetrug
Fuellmich behauptet weiter, es sei ungewöhnlich oder verdächtig, dass kurz vor Schluss der Wahllokale „plötzlich“ die Wahlbeteiligung von 40 auf 60 Prozent gestiegen sei. „Wir gehen davon aus, dass das Briefwahlstimmen sind, und wir gehen davon aus, dass das in großem Umfang getürkt worden ist“, sagt er.
Wie uns eine Sprecherin der Landeswahlleiterin Sachsen-Anhalts bereits im Juni per E-Mail mitteilte, erhöhte sich die Wahlbeteiligung um 18 Uhr tatsächlich so stark aufgrund der Briefwahl. Das ist aber nicht ungewöhnlich: Bekanntlich durften Briefwahlstimmen am Wahltag noch bis 18 Uhr persönlich abgegeben werden. Sie werden erst ab diesem Zeitpunkt in die Wahlbeteiligung eingerechnet. Die Angaben vor 18 Uhr basieren hingegen auf statistischen Hochrechnungen aus einzelnen Urnenwahlbezirken.
„Die Wahlbeteiligung um 18 Uhr beinhaltet alle Wahlbezirke (2.628)“, schrieb uns die Sprecherin zur Erklärung. Die Wahlbeteiligung für 12, 14 und 16 Uhr sei dagegen auf Basis einer Stichprobe zur repräsentativen Wahlstatistik von 78 Urnenwahlbezirken ermittelt worden. „Das heißt, zu diesen Zeitpunkten waren noch keine Briefwähler enthalten. Diese fließen erst um 18 Uhr in das Wahlbeteiligungsergebnis ein. Je höher der Briefwahlanteil, desto mehr Einfluss hat er auf die Wahlbeteiligung um 18 Uhr. Wie man aus den Angaben zum Landesergebnis im Internet nachvollziehen kann, läge die Wahlbeteiligung um 18 Uhr ohne Berücksichtigung der Briefwähler im Land bei 42,8 Prozent.“
In diesem Jahr hat sich der Anteil der Briefwahl in Sachsen-Anhalt fast verdoppelt. Bei der Landtagswahl 2016 wählten rund 13,7 Prozent der Wählerinnen per Brief (PDF, Seite 7) – 2021 waren es knapp 29,1 Prozent.
Inwiefern der Vorgang, dass Briefwahlstimmen um 18 Uhr einbezogen werden, ein Beleg für Wahlbetrug sein soll, erklärt Fuellmich in dem Video nicht. Laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und dem Bundeswahlleiter sorgen gesetzliche Vorgaben und mehrere Mechanismen dafür, dass die Briefwahl in Deutschland geheim und sicher ist.
Keine Belege, dass Personen nicht wählen durften
Fuellmich behauptet außerdem: Es habe Personen gegeben, die nicht wählen konnten, weil vermutlich schon jemand anderes per Briefwahl eine Stimme für sie abgegeben habe. Er nennt keine konkreten Beispiele.
Laut der Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin in Sachsen-Anhalt sind solche Unregelmäßigkeiten aber nicht bekannt geworden. Die Niederschriften der Kreiswahlausschüsse aller 41 Wahlkreise enthielten „keine derartigen Anmerkungen oder Beanstandungen“, teilt eine Sprecherin CORRECTIV.Faktencheck am 12. Juli per E-Mail mit.
Weiter schreibt sie: „Unregelmäßigkeiten zur Landtagswahl sind der Landeswahlleiterin nicht bekannt geworden, insbesondere sind Sachverhalte, dass Wähler nicht wählen konnten, da schon jemand anderes die Stimme für sie abgegeben habe, hier nicht bekannt.“ Das Verfahren der Wahlprüfung sei noch nicht abgeschlossen.
Die Behauptungen der drei Politiker sind nicht neu – sie kursierten schon vor der Wahl in Sachsen-Anhalt
Spekulationen über Wahlfälschung sind nicht neu und tauchen seit Jahren regelmäßig rund um Wahlen in Deutschland auf. Bestätigt wurde der Verdacht jedoch in keinem Fall. Das Narrativ vom Wahlbetrug wurde bei der Wahl in Sachsen-Anhalt unter anderem durch ehemalige AfD-Politiker neu aufgewärmt.
Bereits zwei Tage vor der Wahl veröffentlichte die in der „Querdenken“-Szene bekannte Youtuberin Miriam Hope ein Video, in dem sie den ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten aus Baden-Württemberg Heinrich Fiechtner interviewte. Dieser sagte, ohne einen Beleg für seine These anzuführen: „Ich behaupte mal, bei Briefwahl wird betrogen, dass sich die Balken biegen.“
Nach der Wahl erschien ein Artikel auf dem Blog Reitschuster.de, in dem zum Beispiel auch der „plötzliche“ Anstieg der Wahlbeteiligung um 18 Uhr thematisiert wurde. Zudem stellte der Video-Blogger Oliver Janich nach der Wahl mehrere Behauptungen auf, die wir bereits überprüft haben und die sich ebenfalls als unbelegt herausstellten. Janich ist ein ehemaliger Journalist, der vor allem bekannt dafür ist, Verschwörungsmythen zu verbreiten.
Sein Video vom 8. Juni und die Argumente daraus wurden in der Szene der Gegner der Corona-Maßnahmen oft geteilt, zum Beispiel in den Telegram-Kanälen von Fiechtner, Ärzte für Aufklärung, dem rechten Esoteriker Heiko Schrang, dem Rechtsanwalt Markus Haintz und dem Arzt Bodo Schiffmann.
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann