Corona-Pandemie: Vergleich der Inzidenzen von August 2020 und 2021 ist irreführend
In den Sozialen Netzwerken verbreitet sich ein irreführender Vergleich: Trotz Impfungen habe es im August 2021 mehr Neuinfektionen mit dem Coronavirus gegeben als im August 2020. Der Vergleich lässt außer Acht, dass im Jahr 2021 die ansteckendere Delta-Variante verbreitet war und Impfungen nachweislich schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle verhindern.
Auf Facebook verbreitet sich ein Bild mit Text, auf dem die Corona-Neuinfektionen, die Impfquote und die Inzidenzwerte von August 2020 mit den entsprechenden Zahlen von August 2021 verglichen werden. Alle Werte sind 2021 höher. Kommentiert wurde das Bild mit den Worten „Schuld sind die Impf-Verweigerer“ – es wird also suggeriert, dass die Fallzahlen 2021 trotz Impfungen höher seien, die Impfung also keinen positiven Effekt bringe. Bisher (Stand 7. September) wurde der Facebook-Beitrag mehr als 2.000 Mal geteilt.
Unsere Recherche zeigt: Der Vergleich ist irreführend. Im August 2020 waren Coronavirus-Varianten verbreitet, die nicht so ansteckend waren wie die aktuell dominante Delta-Variante. Hinzu kommt, dass der zeitliche Verlauf der Pandemie unterschiedlich war. 2020 begannen die Fallzahlen erst im Oktober zu steigen, 2021 geschah das bereits im August. Entscheidend ist bei einer hohen Impfquote nicht mehr allein die Inzidenz, sondern die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle. Die Zahl der Todesfälle stieg 2020 parallel zu den Fallzahlen, 2021 ist bisher kein solcher Anstieg zu beobachten.
Stimmen die Zahlen aus dem Facebook-Beitrag?
Wir haben uns zunächst angesehen, ob die Zahlen, die auf Facebook genannt werden, richtig sind. Genannt werden für August 2021 eine Impfquote von 58 Prozent, 8.700 Neuinfektionen und eine Inzidenz von 37,4. Da der Facebook-Beitrag am 22. August 2021 veröffentlicht wurde, haben wir nach Situationsberichten des Robert-Koch-Instituts (RKI) für dieses Datum gesucht. Die Berichte vom 21. und 22. August fehlen jedoch im Archiv des RKI, also haben wir uns den Bericht vom 20. August angesehen. Daraus gehen die folgenden Zahlen hervor:
- Neuinfektionen: 9.280
- bundesweite Inzidenz: 48,8
- Impfquote: 63,8 Prozent einmal geimpft, 58,5 Prozent vollständig geimpft (Link)
Auch in den Tagesberichten vom 18. August und 19. August finden sich die Zahlen aus dem Facebook-Beitrag nicht so wieder. Die Werte liegen allerdings in einem ähnlichen Bereich.
Ähnlich stellt sich die Situation mit Blick auf die Berichte des Vorjahres 2020 dar. Hier nennt der Facebook-Beitrag 1.548 Neuinfektionen und eine Inzidenz von 8,5. Die Zahl taucht in keinem der RKI-Berichte aus dem Monat auf. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, haben wir uns auch hier den Bericht vom 20. August genauer angeschaut, die Zahlen stimmen nicht überein, sind aber erneut nicht weit von denen auf Facebook entfernt:
- Neuinfektionen: 1.707
- bundesweite Inzidenz: 9,5 (Link)
Eine Impfquote ist nicht vermerkt, da es zu diesem Zeitpunkt noch keinen zugelassenen Impfstoff in Deutschland gab, wie auch in dem Bericht des RKI zu lesen ist.
Ansteckendere Virusvarianten im Jahr 2021
Was aus den Zahlen des RKI nicht hervorgeht und im Facebook-Beitrag weggelassen wird: Der Verlauf der Pandemie in den jeweiligen Jahren unterschied sich mit Blick auf die Ausgangssituation deutlich. Der Vergleich der zwei Monate ist daher irreführend.
Im Jahr 2020 stiegen die Corona-Fälle erst im Oktober deutlich an, im Jahr 2021 fand ein Anstieg der Fälle bereits ab Juli statt, wie im Dashboard des RKI zu erkennen ist.
Ein weiterer Grund, weshalb man die Zahlen von August 2020 und August 2021 nicht vergleichen kann, ist, dass im August 2021 die Delta-Variante des Coronavirus das Infektionsgeschehen bestimmte, wie aus einem Bericht des RKI (Seite 3) hervorgeht.
Für diese Virusvariante bestehen laut RKI „deutliche Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit“. Die Delta-Variante weise eine höhere „Fallanstiegsrate“ auf und auch die Zahl der angesteckten Kontaktpersonen durch Infizierte sei höher als die vorher dominierende Variante des Coronavirus (Alpha). Außerdem schützen die Impfungen gegen die Delta-Variante nach bisherigen Erkenntnissen weniger gut.
Infektionen trotz Impfung sind möglich, aber selten
Daran, dass sich das Virus weiter verbreitet, ändert also auch eine Impfquote von 58 Prozent nichts. Laut der Informationsseite des Bundesgesundheitsministeriums „Zusammen gegen Corona“ sei eine Impfquote von 85 Prozent für die 12- bis 59-Jährigen sowie von 90 Prozent für Personen ab 60 Jahren notwendig, „um die 7-Tage-Inzidenzen unter 100 beziehungsweise 50 Fälle pro 100.000 Personen zu halten“. Das habe das RKI berechnet.
Wichtig ist auch: Die Impfungen erzeugen keine sogenannte „sterile Immunität“, das bedeutet, dass Geimpfte durchaus noch mit dem Virus infiziert werden können. In der Summe sei das Risiko einer Virusübertragung durch die Impfung stark vermindert, erklärt das RKI. Es müsse zwar davon ausgegangen werden, „dass einige Menschen nach Kontakt mit SARS-CoV-2 trotz Impfung (asymptomatisch) PCR-positiv werden und dabei auch infektiöse Viren ausscheiden“. Geimpfte spielten jedoch mutmaßlich für die Verbreitung des Coronavirus „keine wesentliche Rolle“ mehr. Wir haben das bereits in einem Faktencheck genauer erläutert.
Covid-19-Impfungen schützen vor schwerem Krankheitsverlauf und Tod
Auch wenn die Impfquote nicht ausreichend ist, um die Pandemie in Deutschland zum Erliegen zu bringen, schützen aktuelle Impfstoffe dennoch wirksam gegen einen schweren Krankheitsverlauf – auch bei der Delta-Variante.
Das RKI schrieb dazu im Juli 2021, eine englische Studie habe ergeben, dass der Impfstoff von Astrazeneca bei zwei Impfdosen Infektionen mit der Delta-Variante zu 60 Prozent verringert habe – das heißt, bei geimpften Menschen traten 60 Prozent weniger Infektionen auf als bei ungeimpften. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer habe das Risiko für eine Infektion um 88 Prozent verringert. Außerdem seien weniger Menschen ins Krankenhaus eingeliefert worden: Der Impfstoff von Astrazeneca habe die Zahl der Einlieferungen nach zwei Impfdosen um 92 Prozent verringert, der von Biontech/Pfizer um 96 Prozent.
Trotz des Anstiegs der Fallzahlen ist in Deutschland aktuell kein gleichermaßen starker Anstieg der Todesfälle wie 2020 zu sehen.
Fazit: Der Vergleich der Fallzahlen und Inzidenzen zwischen dem August 2020 und dem August 2021 soll suggerieren, dass die Impfungen keinen positiven Effekt hätten. Das führt in die Irre. Im Jahr 2021 waren ansteckendere Virusvarianten verbreitet. Außerdem reduzieren die Impfungen nachweislich schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle.
Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Situationsbericht des RKI vom 18. August 2021: Link
- Situationsbericht des RKI vom 19. August 2021: Link
- Situationsbericht des RKI vom 20. August 2021: Link
- Situationsbericht des RKI vom 18. August 2020: Link
- Situationsbericht des RKI vom 19. August 2020: Link
- Situationsbericht des RKI vom 20. August 2020: Link
- Epidemisches Bulletin des RKI vom 8. Juli 2021: Link
- Covid-19-Dashboard des RKI: Link
- Informationsseite des RKI „SARS-CoV-2: Virologische Basisdaten sowie Virusvarianten“: Link
- Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland des RKI vom 14 Juli 2021: Link
- Eintrag zum Thema „Impfquote“ auf der Informationsseite „Zusammen gegen Corona“ des Bundesgesundheitsministeriums: Link