Faktencheck

Im Thüringer Landtag vorgestellte Analyse zeigt nicht, dass eine hohe Impfquote zu erhöhter Sterblichkeit führt

Im Netz verbreitet sich eine vermeintliche Studie, die angeblich zeigt, dass eine hohe Impfquote zu einer erhöhten Sterblichkeit führt. Das ist falsch, die Autoren der Analyse weisen diese Interpretation zurück. Zudem kritisieren Experten die Arbeit als methodisch fragwürdig.

von Matthias Bau

Titelbild_Impfquote
Anders als im Netz behauptet, gibt es keine Hinweise darauf, dass eine hohe Impfquote zu mehr Sterbefällen führt (Quelle: Steyer / Kappler / Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Je höher die Impfquote, desto höher die Sterbefallzahlen.
Bewertung
Falsch. Die Berechnung der Wissenschaftler Rolf Steyer und Gregor Kappler lässt wichtigen Kontext aus und wird von Experten als methodisch fragwürdig eingeschätzt. Die Autoren distanzierten sich von ihrer Arbeit.

Im Netz verbreitet sich eine angebliche „Studie“ (hier, hier, hier und hier), die zeigen soll, dass eine höhere Impfquote zu mehr Todesfällen führe. Ausgangspunkt für die Behauptung ist eine Analyse der Wissenschaftler Rolf Steyer und Gregor Kappler, die die Abgeordnete Ute Bergner (Partei Bürger für Thüringen seit September, davor FDP) beauftragt und im Thüringer Landtag vorgestellt hat.

Kappler und Steyer distanzieren sich mittlerweile in einer Stellungnahme von der Arbeit. Es handele sich dabei nicht um eine fundierte wissenschaftliche Studie, sondern lediglich um eine Notiz. Sie schreiben: „Unsere Notiz beweist keineswegs, dass eine erhöhte Impfquote zu einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit führt.“.

Abgeordnete spricht im Thüringer Landtag über angebliche „Studie“

Was ist der Hintergrund der Analyse? Am 17. November sagte die Abgeordnete Ute Bergner im Thüringer Landtag, sie habe während der Pandemie zwei Theorien wahrgenommen: „Theorie eins: Impfen reduziert die Sterbewahrscheinlichkeit. Theorie zwei: Die Nebenwirkungen der Impfung führen zu erhöhten Todeszahlen.“ Seit sechs Wochen stelle man eine Zehn-Prozentige Übersterblichkeit fest. Sie habe feststellen wollen, welche der Theorien wahrscheinlicher sei und ob die Übersterblichkeit dort höher sei, wo es bundesweit eine niedrige oder eine hohe Impfquote gebe. Sie habe daher zwei Statistiker um eine Analyse von Zahlen des RKI und des Statistischen Bundesamtes gebeten. Das Ergebnis, so Bergner: Die Übersterblichkeit steige mit wachsender Impfquote. 

Die Wissenschaftler schreiben in ihrer Stellungnahme, dass die Notiz nie zur Veröffentlichung gedacht war und sie fehlinterpretiert werde. Auch Bergner selbst hat sich zu der öffentlichen Debatte geäußert: „In der Diskussion ist mir aufgefallen, dass nicht sauber unterschieden wird zwischen der geforderten Berechnung und Studie sowie zwischen Korrelation und Kausalität.“

Wissenschaftler stellten keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Sterberate fest

Die Arbeit, von deren Interpretation sich die Wissenschaftler Rolf Steyer und Gregor Kappler in einer Stellungnahme distanzieren, trägt den Titel: „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“ und ist drei Seiten lang. 

Darin haben sie für die Kalenderwochen 36 bis 40 (6. September bis 10. Oktober) untersucht, ob es in den einzelnen Bundesländern einen statistischen Zusammenhang zwischen der Impfquote und der zu diesem Zeitpunkt registrierten Übersterblichkeit gibt. Es wurde also nicht untersucht, ob eine hohe Impfquote die Ursache für eine erhöhte Sterblichkeit ist, sondern lediglich, ob die beiden Faktoren in irgendeiner Weise zusammenhängen könnten.

In der Wissenschaft wird dieser Unterschied mit den Begriffen „Korrelation“ und „Kausalität“ beschrieben. Wie die Universität Duisburg-Essen und die Universität Leipzig übereinstimmend erklären, spricht man von „Korrelation“, wenn es darum geht herauszufinden, ob zwei Sachverhalte, die gleichzeitig auftreten, etwas miteinander zu tun haben könnten. Eine Korrelation weist jedoch nicht auf eine Kausalität hin, also darauf, dass einer der Sachverhalte die Ursache für den anderen Sachverhalt ist. 

Experten kritisieren methodisches Vorgehen der Notiz

Wie stark zwei Sachverhalte miteinander korrelieren wird durch einen sogenannten Korrelationskoeffizienten angegeben. Dieser kann zwischen +1 (positiver Zusammenhang) und -1 (negativer Zusammenhang) liegen. Liegt der Wert bei null, bedeutet das, dass kein Zusammenhang besteht. In der Notiz der Wissenschaftler Rolf Steyer und Gregor Kappler, auf die sich die Abgeordnete Ute Bergner bezog, wird die Stärke des Zusammenhangs von Impfquote und Übersterblichkeit für den betrachteten Zeitraum mit +0,31 angegeben.  

Wie wenig aussagekräftig das ist, wird aus der Stellungnahme der beteiligten Wissenschaftler deutlich. Schon für die Kalenderwoche 41 sei der angebliche Zusammenhang „nahezu gleich null“. Die Notiz beweise „keineswegs, dass eine erhöhte Impfquote zu einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit führt“, schreiben sie. Es gebe zahlreiche Gründe, „welche die gefundene positive Korrelation erklären könnten, ohne einen negativen Effekt der Impfquote auf die Übersterblichkeit zu implizieren“.

Das sagte auch Helmut Küchenhoff, Statistiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München gegenüber dem MDR. Die Ergebnisse der Analyse seien in „keiner Weise haltbar“. Schon dann, wenn man das Bundesland Sachsen aus den Berechnungen herausnehme, zeige sich die berechnete Korrelation nicht mehr. Gegenüber der Tagesschau sagte Felix zur Nieden vom Statistischen Bundesamt, es handele sich bei der Arbeit um „keine seriöse Auswertung, mit der man an die Öffentlichkeit geht“.

Hintergrund: Neue Statistik zu gestiegenen Todesfällen 

Am 12. Oktober veröffentlichte das Statistische Bundesamt eine Pressemitteilung in der es heißt, dass es im September 10 Prozent mehr Todesfälle gegeben habe, als im Mittelwert der Jahre 2017 bis 2020. Dieser Wert lasse sich jedoch nicht alleine durch die Anzahl an Covid-19-Toten erklären. 

Wie der Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks (BR) recherchierte, lässt sich die erhöhte Sterblichkeit jedoch auch nicht mit tödlichen Folgen der Covid-19-Impfungen erklären. Der Faktenfuchs schreibt unter Berufung auf einen Sprecher des Paul-Ehrlich-Institutes, das in Deutschland für die Erfassung von Impfnebenwirkungen zuständig ist: „Seit Beginn der Impfkampagne geht das PEI bisher in nur 48 Fällen davon aus, dass es möglich oder wahrscheinlich ist, dass der Tod tatsächlich auf die Impfung zurückzuführen ist“. Im selben Zeitraum seien insgesamt 107.888.714 Impfdosen verabreicht worden.

Covid-19-Impfungen schützen wirksam gegen schwere Verläufe und Todesfälle

Wie wir bereits in mehreren Faktenchecks erklärt haben (hier, hier und hier), schützen Covid-19-Impfungen wirksam vor schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen. Da der Impfschutz aber mit der Zeit nachlässt, empfiehlt die Ständige Impfkommission Auffrischungsimpfungen.

Wie das RKI in seinem Wochenbericht vom 2. Dezember zeigt, liegt die Inzidenz unter den Ungeimpften deutlich höher als unter den Geimpften. Auf Grundlage der Daten aus den vergangenen vier Wochen schätzt das RKI außerdem, dass die Impfstoffe in der Altersgruppe der 18- bis 59-jährigen mit einer Wirksamkeit von 67 Prozent gegen eine symptomatische Covid-19-Erkrankung schützen, in der Gruppe der Menschen ab 60 Jahren liege die Wirksamkeit bei 66 Prozent. Der Schutz gegen eine Einweisung ins Krankenhaus und gegen Tod sei aber immer noch sehr gut. 

Einer Grafik des RKI im Wochenbericht ist zu entnehmen, dass die Effektivität der Impfungen gegen eine Einweisung ins Krankenhaus bei 80 Prozent liegt, und die Effektivität gegen den Todesfälle noch etwas höher (je nach Altersgruppe). Damit bestätigt das RKI die Ergebnisse seiner Schätzung aus dem vorherigen Wochenbericht vom 25. November.

Schätzung der Impfeffektivität aus dem Wochenbericht des RKI vom 2. Dezember 2021
Schätzung der Impfeffektivität aus dem Wochenbericht des RKI vom 2. Dezember 2021 (Quelle: RKI / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Fazit: Bei der im Thüringer Landtag vorgestellten Arbeit handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Studie. Die Daten beweisen nicht, dass eine erhöhte Impfquote zu einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit führt.

Redigatur: Sophie Timmermann, Tania Röttger

Update, 8. Dezember 2021: Wir haben die Aussage korrigiert, ein Korrelationskoeffizient von +1 signalisiere einen wahrscheinlich Zusammenhang und ein Korrelationskoeffizient einen unwahrscheinlichen Zusammenhang.

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Arbeit von Rolf Steyer und Gregor Kappler „Je höher die Impfquote, desto höher die Übersterblichkeit“: Link
  • Stellungnahme von Rolf Steyer und Gregor Kappler: Link
  • Artikel des MDR vom 25. November „Was ist dran an der „Studie“ zu höherer Sterblichkeit durch Impfungen?“: Link
  • Artikel der Tagesschau vom 26. November „Statistik mit fragwürdigen Methoden“: Link
  • Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 12. Oktober „Sterbefallzahlen im September 2021: 10 % über dem mittleren Wert der Vorjahre“: Link
  • Wöchentlicher Lagebericht des RKI vom 2. Dezember 2021: Link