CumEx Files

Häufige Fragen zu den CumEx-Files

Welche Konsequenzen haben die CumEx-Files? Wie lassen sich Steuerraubzüge verhindern? Auf diese Fragen und mehr antworten wir hier

von Ruth Fend

Häufig gestellte Fragen CumEx Files

Unsere Recherchen zu Cum-Ex-, Cum-Cum- und ähnlichen „steuergetriebenen“ Aktiengeschäften haben letzte Woche für große Aufmerksamkeit gesorgt. Wir haben in unserer Geschichte erzählt, wie ein europaweites Recherchenetzwerk unter Leitung von CORRECTIV nachwies, wie Europa ausgeraubt wurde und dass diese Geschäfte bis heute weitergehen. Hier noch einmal die wichtigsten Ergebnisse und Antworten auf häufige Fragen im Überblick.

In welchem Ausmaß waren die einzelnen Länder betroffen?

Nach Berechnungen des Steuerprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim und Recherchen der CumEx-Files-Partner beläuft sich der Schaden durch Cum-Ex und seine verschiedenen Varianten mindestens auf folgende Summen:

Deutschland: mindestens 31,8 Milliarden Euro
Frankreich: mindestens 17 Milliarden
Italien: mindestens 4,5 Milliarden
Dänemark: mindestens 1,7 Milliarden
Belgien: 201 Millionen

Cum-Cum-Geschäfte fanden in Deutschland, Frankreich oder Italien bereits seit den 90er-Jahren statt. Cum-Ex-Geschäfte gab es seit 2001 in Deutschland, seit 2006 in der Schweiz und seit 2012 in Dänemark. Auch die Behörden der Länder reagierten unterschiedlich. Während die Schweiz Cum-Ex-Geschäfte 2008 unterband, gelang Deutschland das erst 2012 weitgehend – wobei die CumEx-Files belegt haben, dass auch heute noch „steuergetriebene“ Geschäfte betrieben werden. In Dänemark reichen die untersuchten Fälle bis 2017. Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte sind auch unter dem englischen Oberbegriff Dividendstripping bekannt.

Wie kann man sich Cum-Ex und andere Formen von Dividendenstripping genau vorstellen?

Unsere Kollegen von Zeit Online haben die Mechanik der verschiedenen steuergetriebenen Aktiengeschäfte in einem Video erklärt:

Könnten noch mehr Länder betroffen sein?

Der Investmentbanker, der CORRECTIV und dem ARD-Magazin Panorama ein Marktangebot für ein „steuergetriebenes“ Aktiengeschäft vorstellte, erwähnte neben den beschriebenen Zielländern unter anderem Südafrika. Das Land sei bereits erfolgreich getestet worden. Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge ist der Kreis von Ländern, die Opfer von Dividendenstripping geworden sein könnten, noch größer.

Wie reagiert die Politik auf die Veröffentlichungen?

Während die mediale Resonanz auf die Veröffentlichung der CumEx-Files in Deutschland und Europa immens war, bleibt es in der deutschen Politik bislang erstaunlich ruhig. In Dänemark kündeten der Premier- und in Frankreich der Finanzminister eine scharfe Verfolgung der Verdächtigen an, in Österreich widersprach das Finanzministerium Hinweise auf einen Schaden, und auch auf europäischer Ebene meldeten sich Parlamentarier zu Wort.

Für heute Nachmittag 15 Uhr wurde kurzfristig im Europäischen Parlament eine Debatte über die Aktiengeschäfte angesetzt, in der auch die EU-Kommission und der Rat vertreten sind.

Über das Schweigen in Deutschland zeigten sich die Grünen-Politiker Gerhard Schick und Sven Giegold irritiert und erwähnten “bisher unwidersprochene Gerüchte, wonach Hamburger Finanzbehörden unter Olaf Scholz ein hartes Vorgehen gegen die Warburg-Bank ausgebremst haben”. Bundesfinanzminister Scholz müsse alles tun, um jeglichen Verdacht auszuräumen, er stünde bei diesem Ausplündern die Steuerzahler auf der falschen Seite.

Sind Aktiendeals wie Cum-Ex und Cum-Cum wirklich illegal?

Juristen, die an den Steuergeschäften als Gutachter beteiligt waren, argumentieren, dass alles, was nicht explizit verboten ist, erlaubt ist. Andererseits widerspricht so eine formaljuristische Auslegung dem Geist des Gesetzes. Demnach ist es unrechtmäßig, sich etwas erstatten zu lassen, was man nicht bezahlt hat. Die Bundesregierung spricht von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch. Der Initiator des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses, Gerhard Schick, beschreibt eine konstruierte Scheinlegalität über Steuergutachten, die wiederum von der Finanzindustrie bezahlt wurden. Die Lücke, die Cum-Ex ermöglichte, wurde 2012 technisch geschlossen, diejenige für Cum-Cum 2016.

Die Argumentation einiger Akteure ist zumindest zweifelhaft. So nannte Wolfgang Kubicki als Landtagsabgeordneter von Schleswig-Holstein solche verdächtigen Aktiengeschäfte der HSH Nordbank noch „ungeheuerlich”:

Die beschriebenen Geschäfte erfüllen ohne jeden Zweifel den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung. Eine Bank, die für sich behauptet, ihr sei die Tragweite dieser Geschäfte nicht klar gewesen, muss sich fragen lassen, ob sie überhaupt geschäftsfähig ist 

Noch im selben Jahr wurde er jedoch als Anwalt von Hanno Berger tätig, einer der Drahtzieher von Cum-Ex-Geschäften. Er vertritt ihn in seinen strafrechtlichen Angelegenheiten.

Denn sie wussten, was sie tun (Republik)
Der doppelte Kubicki (Zeit Online)

Kann der Staat das Geld wieder zurückfordern?

Deutschland versucht, die unrechtmäßig eingeholten Steuererstattungen wieder einzutreiben. Gerade wenn es sich um kleinere Banken handelt, verfügen diese aber nicht immer über genügend Rücklagen, um das Geld zurück zu überweisen. So ist etwa die deutsche Tochter der kanadischen Maple Bank aufgrund der Rückforderungen des Staates pleite gegangen. Die HVB hat freiwillig 140 Millionen Euro zurückgezahlt. Andere Banken wurden aufgefordert, Rückstellungen zu bilden, bis letztinstanzlich geklärt ist, ob CumEx illegal ist – dann erst müssten sie zurückzahlen.

Dänemark konnte ebenfalls Teilbeträge zurückfordern und bemüht sich um weitere Rückzahlungen. Für die anderen betroffenen Länder liegen keine offiziellen Zahlen oder belastbare Marktdaten vor. Aufgrund der komplexen Konstrukte ist eine genaue Zuordnung oft schwierig.

Werden die Beteiligten juristisch zur Verantwortung gezogen?

Auf schwere Steuerhinterziehung stehen bis zu zehn Jahre Haft. Dass noch kein Cum-Ex-Akteur im Gefängnis sitzt, hat auch mit der Komplexität der Materie zu tun, deren Aufarbeitung Jahre beansprucht. Bei vier Staatsanwaltschaften in Deutschland laufen Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat bereits gegen sechs Personen Anklage erhoben, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln richten sich gegen mehr als 100 Personen. Noch in diesem Jahr könnte sie die ersten Anklagen erheben.

Die Staatsanwaltschaft trifft allerdings auf mächtige Gegner: Wie die Zeit berichtete, verklagt ein Ein-Mann-US-Pensionsfonds, der für Cum-Ex-Geschäfte genutzt wurde, nun wiederum den deutschen Staat: 2011 lehnte das Bundeszentralamt für Steuern eine Auszahlung von 28 Millionen Euro an den “KK Law Firm Retirement Plan Trust“ ab, weil Verdacht auf Betrug bestand. Diese ihm entgangene Auszahlung versucht der Trust jetzt einzuklagen. Ein weiterer millionenschwerer Fonds, in den Hauptbeschuldigte in den Verfahren eingezahlt haben, finanziert die Klage. Sollte sie Erfolg haben, wären Cum-Ex-Geschäfte für legal erklärt. „Das wäre für die strafrechtliche Verfolgung von Cum-Ex-Geschäften ein herber Rückschlag”, sagte Steuerprofessor Spengel der Zeit. Und nicht nur das: Bekommt KK Law recht, droht ein Dominoeffekt: Nicht nur kämen die Banken darum herum, die eingestrichenen Gewinnen zurückzuzahlen. Den Staaten drohen sogar weitere Milliardenschäden: Sie müssten weitere Kapitalertragssteuern auszahlen, die den Cum-Ex-Tradern ab 2012 entgangen sind. Das Urteil wird 2019 erwartet.

Warum kooperierten die betroffenen Staaten Europas nicht stärker miteinander?

Obwohl es sich beim Dividendenstripping um grenzüberschreitende Aktivitäten handelt, verwies die EU-Kommission in der Vergangenheit stets auf die Nationalstaaten als verantwortliche Akteure. Bis zur Veröffentlichung der CumEx-Files hielt die Bundesregierung die Geschäfte für ein deutsches Problem, das zudem seit 2012 gelöst sei. Die europäischen Partner warnte man von deutscher Seite aus erstmals 2015 vor den Praktiken – obwohl sie schon seit 13 Jahren bekannt waren. Aus dem Jahr stammt auch der einzige Eintrag zu Cum-Ex im Melderegister der OECD. Die OECD bemüht sich als einzige Organisation systematisch um internationalen Austausch. Über das „Aggressive Tax Planning Directory“ können Mitgliedsländer Steuertricks melden. Allerdings wird das Register offenbar weder regelmäßig gelesen noch gefüllt.

Wie könnte Dividendenstripping künftig verhindert werden?

Finanzmarktregulierung gleicht generell einem Hase-und-Igel-Spiel: Sobald eine Lücke gestopft ist, machen sich die Finanzmärkte auf die Suche nach einer neuen. Dennoch gibt es Wege, das System weniger anfällig für Steuerraubzüge zu machen, wie auch die Erfahrungen anderer Staaten zeigen.

Das sieht man etwa daran, dass manche Staaten dem Dividendenstripping schon frühzeitig einen Riegel vorschoben. Norwegen etwa stoppte 2015 zehn Steuerforderungen in Höhe von 4,3 Millionen Dollar und führte stärkere Kontrollen ein. So verlor das Land nur 71.000 Dollar. Auch die USA haben sich rechtzeitig geschützt.

In Deutschland hingegen sind Versuche, die Steuerdeals gesetzlich zu unterbinden, 2007 und 2009 fehlgeschlagen. Erst ein Schreiben aus dem Finanzministerium von 2012 hatte größeren Erfolg.

Ein Fraktionsbeschluss der Grünen von 2017 verweist in diesem Zusammenhang auf den großen Einfluss der Finanzlobby auf die Gesetzgebung. So habe das Bundesministerium für Finanzen (BMF) ganze Passagen der Gesetzesbegründungen wortgleich aus einem Schreiben des Bankenverbands übernommen und so zur Scheinlegalität der Geschäfte beigetragen. Eine zentrale Rolle habe dabei ein Finanzrichter gespielt, der von den Banken bezahlt wurde, während er wie ein Referent für das BMF arbeitete. Die Grünen fordern deshalb ein Lobbyregister, mit Hilfe dessen Beziehungen und Kontakte zwischen Politik und Wirtschaft nachvollziehbar würden.

Aktuell fordern die Grünen-Politiker Sven Giegold und Gerhard Schick eine europäische Finanzpolizei, die auf eigene Initiative hin ermitteln kann. Es wäre ein Pendant zum Bundeskriminalamt (BKA) oder dem amerikanischen FBI auf europäischer Ebene. Für die kommende Sitzungswoche in Straßburg haben die Grünen eine Plenardebatte zu dem Skandal unter Anwesenheit aller relevanten Institutionen beantragt.

Bestehende Instrumente, die man nur umsetzen müsste: eine grenzüberschreitende Meldepflicht von Steuertricks durch Steuerberater, Rechtsanwälte, Bankberater und andere Vermittler. Seit Mai 2018 gibt es dazu eine europäische Richtlinie. In Deutschland beraten Bund und Länder, wie sie sich umsetzen lässt. Allerdings lehnt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine nationale Meldepflicht ab.

Giegold und Schick werfen der Großen Koalition zudem vor, ein Schutzgesetz für Whistleblower zu verzögern und beim Kampf gegen aggressive Steuervermeidung zu bremsen. So verhindere Finanzminister Scholz eine länderbezogene Steuertransparenz von Großunternehmen in Europa. Auch im Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex hätten Union und SPD den Skandal eher kleingeredet und -gerechnet als effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Für heute Nachmittag 15 Uhr wurde kurzfristig im Europäischen Parlament eine Debatte über die Aktiengeschäfte angesetzt, in der auch die EU-Kommission und der Rat vertreten sind (zum Livestream).

Mehr zum Thema

Cum-Ex-Themenseite – Häufig gestellte Fragen und aktuelle Recherchen