Fußballdoping

Was Löw im Sportstudio hätte sagen sollen

Für Joachim Löw ist die Sache mit dem Doping einfach. "Im Flugzeug durfte man rauchen oder man durfte auch fahren ohne sich anzuschnallen", sagte Löw am Samstag im aktuellen sportstudio auf die Frage nach systematischem Doping im Fußball. Man habe halt ein anderes Bewusstsein gehabt. Knapp fünf Minuten sprach der Bundestrainer im ZDF über Doping im Fußball und blieb erstaunlich vage. Löw hat selbst Mittel vom Freiburger Arzt Armin Klümper bekommen, er sollte Interesse an Aufklärung haben. Mit seinem Einfluss hätte er diese am Samstag anschieben können.

von Daniel Drepper

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Wir haben deshalb aufgeschrieben, was Joachim Löw hätte antworten müssen, wäre er wirklich an Aufklärung interessiert. Die Fragen von Moderator Jochen Breyer haben wir stehen lassen. Die neuen Antworten sind keine Zitate, sondern von uns erfundene Antworten auf Basis von Fakten. Wir unterstellen hierbei, dass Joachim Löws Aussagen im ZDF der Wahrheit entsprechen und er nichts über Dopingpraktiken weiß.

Das echte Interview von Löw am Samstag im aktuellen sportstudio gibt es im Video auf der Webseite des ZDF, um Doping geht es etwa ab Minute 20. Wir haben das Interview verschriftlicht und unten angehängt.

Jochen Breyer: Herr Löw, als Sie vor zweieinhalb Wochen gehört haben, dass zur damaligen Zeit, Ende der 70er, Anfang der 80er, in Freiburg und Stuttgart, wo Sie auch gespielt haben, gedopt wurde, Anabolika-Doping groß war – wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen? Waren Sie da geschockt?

Joachim Löw: Natürlich war ich geschockt, auch wenn ich schon lange eine Ahnung hatte, dass da noch etwas kommen wird. Ich bin froh, dass die Freiburger Justiz die Klümper-Akten freigegeben hat und wir jetzt endlich eine Chance auf Aufklärung haben. Der Fußball darf keine heilige Kuh sein, die niemand anfasst. Die wirtschaftliche Macht und die Verschlossenheit des Fußballs sollte für Journalisten und Beteiligte besonderer Ansporn sein, alles ans Licht zu holen. Normalerweise sprechen wir ja immer von schwarzen Schafen…

Breyer: Aber in diesem Fall ist ja tatsächlich jetzt…

Löw: Jaaa…

Breyer: … sind Belege aufgetaucht, dass es systematisch passiert ist bei den beiden Vereinen.

Löw: Genau. Jetzt haben wir auch endlich die Möglichkeit, diese Einzelfall-Theorie zu brechen. Es waren eben nicht nur ein paar Captagon-Tabletten – es war tatsächlich vom Verein organisiertes, finanziertes, abgesegnetes, systematisches Doping mit harten Dopingmitteln. Natürlich war ich auch das ein oder andere Mal beim Klümper. Ich hatte da ein Urvertrauen. Und dieses Urvertrauen hat der Klümper ganz offenbar missbraucht.

Breyer: Das heißt Sie haben bei da auch gar nicht nachgefragt, was da konkret gemacht wird?

Löw: Ich habe damals nicht nachgefragt – und das war ein Fehler. In den vergangenen drei Jahrzehnten habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht. Das ging früh los. 1987 ist ja Birgit Dressel an einem toxischen Schock gestorben, die Mehrkämpferin, die bei Klümper in Behandlung war und Dutzende Medikamente im Körper hatte, auch das Anabolikum Stromba. Da habe ich gedacht: Was ist hier los? Was hat der mit meinem Köper angestellt?

Ich habe auch mit Kollegen darüber gesprochen, aber wir haben uns nicht getraut, den Mund aufzumachen. Das war nicht die Zeit, in der man über Doping redet. Dann kamen die 90er und alle zeigten auf die DDR. Da war es einfach, das Problem zu verdrängen. Und dann war ich auf einmal in offizieller Funktion. Meinen Job beim DFB wollte ich auch nicht riskieren, mich als Erster aus der Deckung wagen. Gut, dass wir jetzt eine Diskussion haben, bei der wir alle offen über unsere Erfahrungen sprechen können.

Unabhängig vom Doping zeigt das Ganze für mich eines ganz deutlich: Es ist nie gut, wenn man einem Arzt blind vertraut, vor allem einem Arzt, der vom Arbeitgeber bezahlt wird. Im Fußball haben wir leider immer noch eine Art Guru-System, bei dem die Spieler selten Zweitmeinungen einholen, sich auf einen Arzt konzentrieren und alles mitmachen, was zur Leistungssteigerung beitragen sollen. Ein Beispiel ist die Methode der PRP-Behandlung. Bundesliga-Klubs entnehmen ihren Spielern Blut, konzentrieren die Blutplättchen und spritzen das Blut zurück, zur Heilung von Verletzungen. Das stand vor fünf Jahren schon einmal auf der Dopingliste und wird weiter kritisch beobachtet. Muss so etwas im Fußball angewendet werden? Ich finde nein.

Ähnlich kritisch sehe ich es, wenn Nationalmannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt unseren Spielern das Kälberblutmittel Actovegin spritzt, um die Heilung zu beschleunigen. Das ist in anderen Ländern verboten, Pharma-Experten kritisieren den Einsatz.

Und, Entschuldigung für die lange Antwort, lassen sie mich nur noch eines ansprechen: Schmerzmittel. Wir Fußballer nehmen viel zu viele Schmerzmittel. Viele Ehemalige leiden heute darunter. Spieler, die nicht mehr mit ihren Kindern joggen gehen können, zum Teil nicht einmal mehr ohne Schmerzmittel Golf spielen. Und das zieht sich bis heute. Bei der WM 2010 nahmen fast zwei Drittel der Spieler Schmerzittel. In der Bundesliga nimmt jeder dritte Spieler Schmerzmittel vor dem Spiel, sogar beim Training nehmen die Spieler das Zeug. Daran müssen wir arbeiten.

Breyer: Und wenn Sie jetzt sagen, dass Sie damals auch gar nicht genau gewusst haben, natürlich auch nicht nachgefragt haben, was ein Doktor Klümper verabreicht hat – ist dann Ihr Interesse nicht gerade groß an der Aufklärung, was damals genau passiert ist?

Löw: Natürlich will ich wissen, was mit mir damals passiert ist. Ich werde alles daran setzen, die Akten zu bekommen, um zu sehen, was mir damals gespritzt worden ist. So etwas hat ja auch Spätfolgen und ich möchte mich davor so gut es geht schützen. Das ist mein Köper und auf den lege ich schon auch wert. Wenn die Rede davon ist, dass wir systematisch gedopt worden sind, dann will ich, dass dafür jemand bestraft wird. Mayer-Vorfelder ist ja zumindest schon in dem Zusammenhang genannt worden, davon wird eine ganze Reihe Menschen gewusst haben. Diese Leute werde ich konfrontieren. Ich will auch, dass darüber geredet wird, was in den Jahren danach passiert ist. Das Doping wird ja nicht Ende der 80er Jahre abrupt aufgehört haben. Wenn jemand einmal mit Doping erfolgreich ist – lässt er dann später wieder die Finger davon? Ich glaube nicht.

Im Fußball hatten wir rund 30 Doping-Fälle in den vergangenen 20 Jahren.

Breyer: Zumindest solche, die aufgeflogen sind.

Löw: Genau. Und das nur im deutschen Fußball. Wie wir aus anderen Sportarten wissen, lassen sich nur die Dummen beim Dopen erwischen. Lance Armstrong wurde hunderte Male kontrolliert und nie kam ein positiver Dopingtest ans Licht. Warum sollte das im Fußball nicht möglich sein?

International gibt es im Fußball hunderte Dopingfälle. Und wie hoch ist die Dunkelziffer? Wir wissen von den Fuentes-Verbindungen in den Fußball, wir kennen die Doping-Prozesse gegen Juventus Turin in den 90ern. Überhaupt die italienischen Klubs, die hatten über Jahrzehnte Doping-Probleme. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu gucken: In Deutschland gibt es die Diskussionen um den Einsatz von Pervitin beim WM-Sieg 1954, die positiven Dopingtests im Halbfinale der WM 1966, die Captagon-Geständnisse der 70er und 80er, das Doping im DDR-Fußball, dazu jetzt das systematische Anabolika-Doping in westdeutschen Vereinen. Selbst im Amateurfußball gibt es Doping.

Lange gab es ja überhaupt keine Dopingkontrollen im Fußball. Warum sollte da nicht gedopt worden sein? Und der DFB reagiert extrem langsam. Auch heute ist die Kontrolldichte noch völlig unzureichend. Es gibt nur ein paar Hand voll Blutkontrollen jedes Jahr und das Budget für Dopingkontrollen im deutschen Fußball liegt bei weniger als einem Promille des Jahresumsatzes der Profiklubs. Das ist, das muss ich leider auch so sagen, beschämend.

Wirklich ernsthaft kontrolliert werden eigentlich nur die Nationalspieler. Wenn man die Kontrolldichte auf alle Ligen umrechnet, in denen getestet wird, dann müssen Spieler im Schnitt nur alle drei Jahre zur Kontrolle. Wir als DFB bestrafen unsere Spieler zudem selber, fast alle anderen Sportarten haben das Ergebnismanagement der Dopingkontrollen an die Nationale-Anti-Doping-Agentur abgegeben. Das sollten auch wir so tun.

Breyer: Abschließende Frage dazu: Die Reaktionen aus der Branche waren ja vielerorts „Doping bringt im Fußball ohnehin nichts“. Können Sie diese Reaktionen verstehen?

Löw: Die Reaktionen kann ich verstehen. Die Kollegen antworten vermutlich so, weil sie die Diskussion abwürgen wollen, weil sie keine Nachfragen wollen. Das ist verständlich, aber es ist nicht richtig. Natürlich bringt Doping im Fußball etwas, und zwar ganz erheblich. Deswegen ist es ja auch so wichtig, dass wir darüber reden und die Kontrollen verbessern. Es ist eben nicht nur Anabolika zur Regeneration, zum Muskelaufbau, zur Aggressivität. Es sind auch Aufputschmittel, es sind Insulin und Wachstumsfaktoren, es ist das Blutdopingmittel EPO. Wenn Sie mit Wissenschaftlern reden, sagen die Ihnen, dass gerade im Fußball mit seinen hohen finanziellen Anreizen und seiner komplexen Belastung Doping definitiv ein Thema ist.

Breyer: Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und für den Besuch im aktuellen sportstudio. Joachim Löw, der Bundestrainer.

Und hier die Original-Aussagen Löws in schriftlicher Form:

Jochen Breyer: Herr Löw, als Sie vor zweieinhalb Wochen gehört haben, dass zur damaligen Zeit, Ende der 70er, Anfang der 80er, in Freiburg und Stuttgart, wo Sie auch gespielt haben, gedopt wurde, Anabolika-Doping groß war – wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen? Waren Sie da geschockt?

Joachim Löw: Also sagen wir mal so, ich möchte jetzt nicht den Eindruck erwecken, dass ich jetzt diese ganze Geschichte bagatellisieren will. Also ich bin schon auch für eine schnelle Aufklärung, aber es ist natürlich auch ein bisschen so alles verschwommen dargestellt worden. Es sind plötzlich irgendwie Namen ins Spiel gebracht worden mit dieser Doping-Geschichte und das fand ich natürlich dann auch nicht ganz immer so in Ordnung und ich hatte dann auch manchmal das Gefühl in der Berichterstattung so man möchte so ein bisschen die heilige Kuh Fußball auch möchte man beweisen, dass es da auch Doping gab. Natürlich gibt es auch im Fußball über die vielen Jahre hinweg schwarze Schafe wie in jeder anderen Sportart, aber…

Breyer: Aber in diesem Fall ist ja tatsächlich jetzt…

Löw: Jaaa…

Breyer: … sind Belege aufgetaucht, dass es systematisch passiert ist bei den beiden Vereinen.

Löw: Es sind natürlich auch Dinge aufgetacht und deswegen bedarf es natürlich auch eine Aufklärung. Was ich persönlich sagen kann: Früher, 1970 oder 1980, als ich irgendwie 18, 19 oder 20 war, hatte man überhaupt kein Bewusstsein für Doping. Weil es gab keine Verbote und es gab auch keine Dopingkontrollen. Also das Bewusstsein war nicht vorhanden. Und es gab auch irgendwie keine Aufklärung. Es war vielleicht genauso wie im Flugzeug durfte man rauchen oder man durfte auch fahren ohne sich anzuschnallen, weil diese Regel mit Dopingkontrollen gab es nicht. Und ich bin dann auch mehrfach angesprochen worden ob ich beim Doktor Klümper war, der ja auch so ein bisschen dann in Verruf kam und natürlich war ich auch das ein oder andere Mal da. Aber mein Vertrauensvorschuss oder mein Vertrauen in diesen Berufsstand Arzt war oder ist immens groß. Also ich habe da ein Urvertrauen.

Breyer: Das heißt Sie haben bei da auch gar nicht nachgefragt, was da konkret gemacht wird?

Löw: Mit 18 oder 19 hätte ich mich natürlich nicht getraut, nachzufragen und ihm zu sagen ich möchte das vielleicht noch im Labor prüfen zu lassen, was er mir gibt. Aber für mich gibt es einen großen Unterschied: Wenn einer zum Arzt geht, wenn er gesund ist oder wenn er vielleicht auch krank oder verletzt ist. Und Doping, mit Anabolika, was man heute weiß, ist ja auch ein systematischer Prozess. Das muss ja auch mit einem Arzt abgesprochen sein. So ein Prozess geht ja auch über einige Wochen und baut sich auf. Ich zum Beispiel habe die ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, wenn ich mal verletzt war. Von daher macht das für mich schon einen großen Unterschied.

Breyer: Und wenn Sie jetzt sagen, dass Sie damals auch gar nicht genau gewusst haben, natürlich auch nicht nachgefragt haben, was ein Doktor Klümper verabreicht hat – ist dann Ihr Interesse nicht gerade groß an der Aufklärung, was damals genau passiert ist?

Löw: Ich bin auch.. natürlich, ich bin auf jeden Fall an einer Aufklärung insgesamt interessiert.

Breyer: Glauben Sie…

Löw: Ich weiß auch nicht, ich glaube seit 1986 gibt es Dopingkontrollen im deutschen Fußball. Und eines kann ich auch sagen: Das Netz ist mittlerweile so engmaschig und so kontrolliert alles, dass es natürlich da für den Spieler überhaupt fast keine Möglichkeit mehr gibt Doping irgendwie in Anspruch zu nehmen. Wenn ich nur daran denke, wie oft wir in der Vorbereitung zu dieser WM und während der WM kontrolliert worden sind… Also, da hat ein Spieler eigentlich normalerweise keine Chance. Wir sind manchmal morgens um 7 Uhr im Trainingslager geweckt worden und zehn Spieler mussten zur Kontrolle, anderes Mal 15 Spieler, einmal die ganze Mannschaft. Das war fünf oder sechs Mal. Dazu wird bei jedem Spiel kontrolliert. Und äh… ich glaube in 30 Jahren gab es glaube ich jetzt im Fußball 26 Dopingfälle. Also der Fußball macht schon…

Breyer: Zumindest solche die…

Löw: Der Fußball macht schon wahnsinnig viel, um dieses Problem auch zu bekämpfen.

Breyer: Zumindest solche, die aufgeflogen sind.

Löw: Auf jeden ist es ganz klar, Sport muss und soll auf jeden Fall sauber bleiben und Doping hat im Sport nichts zu suchen.

Breyer: Abschließende Frage dazu: Die Reaktionen aus der Branche waren ja vielerorts „Doping bringt im Fußball ohnehin nichts“. Können Sie diese Reaktionen verstehen?

Löw: Äh Nein, die verstehe ich eigentlich nicht. Weil heute weiß man schon auch, dass gerade Anabolika nicht nur bei Einzelsportlern sondern auch im Fußball was bringen könnte, selbstverständlich. Weil äh, wenn man systematisch das betreibt dann kann man natürlich auch äh schneller reagieren man kann den Trainingsumfan und die Trainingsintensität erhöhen. Also für den Einzelnen bringt das schon was und von daher muss das natürlich auch mit allen Mitteln bekämpft werden.

Breyer: Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und für den Besuch im aktuellen sportstuido. Joachim Löw, der Bundestrainer.

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