Die größten Wasserschlucker Deutschlands
Die deutsche Großindustrie verbraucht Billionen Liter Wasser jährlich – vielfach mehr als die privaten Haushalte. Trotzdem werden laut CORRECTIV-Recherchen künftig vor allem Bürgerinnen und Bürger sparen müssen: Jahrzehntelange Verträge sichern den Konsum von Industrie und Großverbrauchern.
Trockene Felder, Waldbrände und Städte, die ihre Bürgerinnen und Bürger zum Wassersparen aufrufen – während in vielen Regionen Deutschlands das Wasser knapp wird, muss sich zumindest die Industrie wenig Sorgen machen. Die Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen haben es versäumt, Großkonsumenten wie RWE oder BASF zum Wassersparen zu verpflichten und ihren Verbrauch einzuschränken. Dabei nutzen nach CORRECTIV-Recherchen Kohle-Tagebaue, Chemiefirmen und die Nahrungsmittelindustrie insgesamt fast viermal so viel Fluß- und Grundwasser wie alle Bürgerinnen und Bürger zusammen – und können dies mit jahrzehntelangen Verträgen auch weiterhin tun.
Wie dramatisch dieses Versäumnis ist, zeigen die Ereignisse der vergangenen Wochen im In- und Ausland: Bürgerinnen und Bürger werden zum Wassersparen angehalten, während Konzerne weiterhin Millionen Kubikmeter Wasser täglich nutzen. In Italien etwa rationierte die Regierung das Trinkwasser für einige Kommunen im Norden des Landes, in vielen südfranzösischen Dörfern sind das Blumengießen und Autowaschen inzwischen verboten, und in Brandenburg deckelt der Wasserverband Strausberg-Erkner den Verbrauch von Privathaushalten.
Wasser ist für große Verbraucher fast kostenlos
Welche Unternehmen in Deutschland am meisten Wasser nutzen, und wie sehr Behörden bei der Auskunft zu den größten Nutzern mauern, zeigt erstmals diese Recherche. CORRECTIV hat alle 16 Bundesländer angefragt, welche bei ihnen angesiedelten Unternehmen am meisten verbrauchen. Nicht alle Anfragen wurden vollständig beantwortet.
Zuvor hatte CORRECTIV aufgedeckt, dass sich Landwirtschaft, Umweltverbände, Industrie und Behörden zunehmend vor Gericht um Wasser streiten. Diese gerichtlichen Konflikte machen deutlich, dass auch in Deutschland bereits Verteilungskämpfe toben und bisher ungeklärt ist, wer im Falle einer Wasserkrise sparen muss: Private Haushalte oder die Industrie.
Mit insgesamt rund 500 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr gehören die Tagebaue von RWE zu den Spitzenreitern – sie verbrauchen so viel wie rund elf Millionen Bürgerinnen und Bürger. Aber ans Einsparen denkt der Essener Konzern nicht: „Die größte Wassersparmaßnahme ist der Kohleausstieg“, so ein Sprecher auf Anfrage. Mit jedem nicht mehr betriebenen Kraftwerksblock sinke der Bedarf. Mit anderen Worten: Frühestens mit dem geplanten Kohleausstieg im Jahr 2030 können die von RWE verwendeten Wasserquellen wieder für Trinkwasser oder die Bewässerung von Feldern mit Weizen, Salat oder Kartoffeln genutzt werden. Bis dahin zahlt der Konzern nach eigenen Angaben höchstens fünf Cent für einen Kubikmeter Wasser.
Immerhin gibt RWE Auskunft über den eigenen Wasserverbrauch und die Kosten. Der Konkurrent, die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag) in Sachsen-Anhalt, weigert sich. „Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir die von Ihnen angefragten Informationen nicht zur Verfügung stellen, da es sich hierbei um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt“, schreibt das Unternehmen. Eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG), das Journalistinnen und Journalisten, aber auch Bürgerinnen und Bürgern Auskunftsrechte für all jene Daten einräumt, die die Umwelt und Lebensgrundlagen betreffen – also auch Wasser – ließ das Unternehmen bislang unbeantwortet.
BASF darf künftig noch mehr abpumpen
Mehr als die Kohlekraftwerke verbraucht allerdings die chemische Industrie: Der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF nutzt nach CORRECTIV-Recherchen mehr Wasser als jedes andere Unternehmen in Deutschland. Um ihre Lacke, Düngemittel und Kunststoffe herzustellen, müssen Rohstoffe erst erhitzt und schließlich mit Wasser abgekühlt werden.
Laut Umweltbundesamt wird aber genau diese Industrie in den Hitzeperioden der Klimakrise noch mehr Wasser benötigen als bislang: „Der Bedarf an Kühlenergie für industrielle Prozesse und für Raumklimatisierung wird aufgrund steigender Temperaturen voraussichtlich zunehmen.“ Zugleich wird die Klimakrise die Temperaturen von Gewässern steigern und die Pegel sinken lassen und damit „die Nutzbarkeit von Kühlwasser aus Flüssen reduzieren“. Kurz: Die größten Konsumenten könnten künftig noch mehr Wasser benötigen als bisher.
Tatsächlich nutzt BASF deutlich mehr als die umstrittene Teslafabrik in Brandenburg: Rund 1,2 Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Rhein und 20 Millionen Kubikmeter Grundwasser fließen durch die Anlagen des Werks in Ludwigshafen. BASF dürfte theoretisch sogar noch mehr Wasser abpumpen: Seine Verträge billigen dem Unternehmen nach CORRECTIV-Informationen sogar 1,6 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu.
Der Konzern verweist darauf, dass er einen Großteil des Wassers wieder zurückführe. Trotzdem fehlt das abgepumpte Wasser im Rhein – und damit auch den Bürgerinnen und Bürgern: Rund 30 Millionen Anwohner trinken sein aufbereitetes Wasser. Zudem können Hitzewellen dazu führen, dass das in der Fabrik zusätzlich erwärmte Wasser nicht mehr zurück in den Rhein fließen darf, weil es die dortigen Pflanzen und Tiere schädigen würde. Angesprochen darauf, wie viel Wasser der Chemieriese in der Zukunft einsparen kann, gibt BASF folgende Antwort: „Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir zu den Wasserverbrauchsdaten am Standort Ludwigshafen keine Angaben machen.“
Ein Konzern in Bayern zahlt nichts für Wasser
Ein Grund für diese Verschwiegenheit könnte sein, dass BASF nahezu nichts für einen Kubikmeter Wasser, also 1.000 Liter, leisten muss: Insgesamt zahlte der Weltkonzern nach Angaben des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums im Jahr 2020 rund neun Millionen Euro – also weniger als 0,75 Cent pro Kubikmeter. Sein Konkurrent Alzchem, der an vier Standorten in Bayern vor allem klimaschädlichen Stickstoffdünger für die konventionelle Landwirtschaft herstellt, zahlt offenbar nichts: „In Bayern bestehen derzeit noch keine Regelungen über die Erhebung von Wasserentnahmeentgelten“, schreibt der Konzern auf Anfrage.
Alzchem ist, ebenso wie BASF, auch ein Beispiel dafür, dass die Industrie sich offenbar weit großzügigere Mengen hat vertraglich festschreiben lassen, als sie derzeit benötigt: Seine Fabriken konsumierten aktuell nur etwas mehr als 50 Prozent des genehmigten Volumens, so Alzchem. Im Falle einer extremen Hitze, in der der Konzern mehr Wasser benötigen würde als bislang, dürfte er also noch mehr Wasser aus den Flüssen entnehmen. Denn um Dünger herzustellen, muss heißes Wasser unterirdisch in Spalten gepumpt werden, um die erforderlichen Rohstoffe zu erhalten.
Update, 1. Juli 2022: In einer vorherigen Version stand an dieser Stelle eine Grafik, die den Preis für Trinkwasser, den RWE zahlt, mit dem Trinkwasser-Preis für Bürgerinnen und Bürger gegenüberstellt. Da sich die Preise unterschiedlich zusammensetzen und somit nicht direkt vergleichbar sind, haben wir die Grafik entfernt.
Keine Auskunft – Evonik so schweigsam wie BASF
Auch der zweitgrößte Chemiefabrikant Deutschlands, der Essener Evonik-Konzern, entnimmt insgesamt 730 Millionen Kubikmeter aus Flüssen und Grundwasser – verschweigt aber, wie viel Geld er an seinem Hauptstandort in Marl dafür bezahlen muss. Er bitte um Verständnis, dass er zu den Entgelten keine öffentlichen Angaben tätigen möchte, schreibt Evonik.
So zeigt sich, dass der industrielle Wasserkonsum insgesamt kaum geregelt und diskutiert wird – im Gegensatz etwa zum Energieverbrauch. Über die Brandenburger Ölraffinerie PCK ist zwar zurzeit bekannt, dass sie nahezu alleine vom russischen Öl lebt – aber nur wenigen ist bewusst, dass PCK auch zu den größten Wassernutzern in Brandenburg gehört, wie das Land Brandenburg schreibt. Die Firma selbst will sich gegenüber CORRECTIV nicht äußern.
Viel Wasser auch für Aufbackbrötchen und Geschmacksstoffe
Nicht nur die Schwerindustrie ist auf Wasser angewiesen. Auch Branchen, die auf den ersten Blick nicht als wasserintensiv gelten, pumpen enorme Mengen aus Flüssen und dem Grundwasser. Das zeigt ein Blick in den Hamburger Hafen und die dortigen Unternehmen. Etwa die dort angesiedelte Firma Ingredion, die sich selbst als „globalen Anbieter für Zutatenlösungen“ bezeichnet. Sie stellt Dinge her, über die Verbraucher und Verbraucherinnen nur selten informiert werden: künstliche Zusätze, die das Brot knackiger machen, oder die teures Öl und Eier durch günstige Stärkemischungen ersetzen. Auch die britische Firma Ohly gehört mit ihrem Hamburger Standort zu den Top Ten der größten Wasserverbraucher. Sie ist ebenso ein Gigant der Industrienahrung: Ohly stellt zum Beispiel Hefeflocken her, die mit ihren rund ein dutzend Geschmacksnoten von Honig bis Roastbeef der Fabriknahrung zu Geschmack verhelfen sollen.
Wie Behörden bei den größten Wasserverbrauchern mauern
Trotz der großen Bedeutung dieser industriellen Nutzer ist ihr Konsum bislang intransparent. Hessen und das Saarland gaben trotz Rückfragen nur die öffentlichen Nutzer, also vor allem Wasserversorger, an. Bayern gab erst nach Zahlen einer Gebühr von rund 140 Euro Auskunft, welche Unternehmen am meisten Wasser aus der Region abzapfen. Mecklenburg-Vorpommern gab an, dass es gar nicht wisse, wie viel Wasser wirklich entnommen werde, nur, wie viel offiziell erlaubt ist.
Das rheinland-pfälzische Ministerium für Klimaschutz und Umwelt benannte zwar zügig BASF als größten Nutzer des Landes, verschwieg aber die neun anderen Konsumenten in der Top 10. CORRECTIV musste monatelang nachfragen, bis sich das von den Grünen geführte Ministerium zu einer Antwort entschloss. Aber auch in dieser Liste ist der zweitgrößte Nutzer von Grundwasser mit rund zehn Millionen Kubikmeter Wasser anonymisiert – er stimmte nach Aussagen des Ministeriums nicht zu, seinen Namen veröffentlicht zu sehen. Ein erstaunlicher Vorgang, schließlich hatten andere Bundesländer die größten Nutzer vollständig gelistet.
Auch der von den Grünen geführte Bremer Senat für Umwelt verweigerte die Herausgabe der angefragten Daten zu den größten Wasserverbrauchern im Stadtstaat mit dem Hinweis auf Datenschutz. Erst nach einer Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) und einer Bearbeitungsgebühr von 174 Euro bekam CORRECTIV die Informationen. Auch die Berliner Behörden verweigerten anfänglich die Auskunft und reagierten erst auf eine UIG-Anfrage – allerdings schickte die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt eine anonymisierte Auflistung der zehn größten Nutzer in der Hauptstadt. Darunter ein Hotel, ein Getränkehersteller, der Zoo sowie nicht weiter benannte Industriefirmen. CORRECTIV fordert weiterhin die Nennung der Namen der Unternehmen.
Manche Bundesländer wissen angeblich selbst nicht, wer ihre größten Konsumente sind. Auf Anfrage teilte das Thüringer Landesamt für Umwelt mit, dass es zu den größten privaten Wasserverbrauchern keine „verlässlichen Angaben“ machen könne, da es in Thüringen dafür „keine Rechtsgrundlage gibt, die die Grundwasserbenutzer dazu verpflichtet, Entnahmedaten zu melden.“ Damit erübrigt sich auch, dass die Industrie etwas zahlen muss.
Update, 27. Juni 2022: In einer vorherigen Version der Grafik „Wasserverbrauch im Vergleich“ waren die Größenverhältnisse falsch dargestellt. Wir haben das korrigiert.
Update, 1. Juli 2022: Eine vorherige Version des Texts enthielt eine Grafik sowie einen Satz („Bürgerinnen und Bürger zahlen für die selbe Menge Trinkwasser durchschnittlich knapp vier Euro.“), die den Preis für Trinkwasser, den RWE zahlt, mit dem Trinkwasser-Preis für Bürgerinnen und Bürger verglichen haben. Da sich die Preise unterschiedlich zusammensetzen und somit nicht direkt vergleichbar sind, haben wir beide entfernt.