Klimawandel

Wie Beamtenpensionen die Klimakrise befeuern

Zehn von 16 Bundesländer investieren hunderte Millionen Euro ihrer Pensionsfonds in klimaschädliche Industrien. Von den Geldern profitieren skandalträchtige Konzerne wie Exxon und BP, aber auch internationale Großbanken, die den Ausbau fossiler Energien vorantreiben. Doch einige Bundesländer denken bereits um.

Symbolbild: Ein Schaukelstuhl wirft einen Schatten, der aussieht wie Schornsteine einer Fabrik. Ein Haufen Geldscheine liegt auf dem Boden.
Klimawandel

Wie Beamtenpensionen die Klimakrise befeuern

Zehn von 16 Bundesländern investieren hunderte Millionen Euro ihrer Pensionsfonds in klimaschädliche Industrien. Von den Geldern profitieren skandalträchtige Konzerne wie Exxon und BP, aber auch internationale Großbanken, die den Ausbau fossiler Energien finanzieren. Doch einige Bundesländer denken bereits um.

11. Mai 2023

Wer in Sachsen-Anhalt im Dienste des Landes arbeitet, auf den wartet am Ende seiner Karriere ein finanzielles Polster: Rund 1,6 Milliarden Euro hat das Land Sachsen-Anhalt in einen eigens geschaffenen Pensionsfonds am internationalen Kapitalmarkt angelegt. In Form von Unternehmensanleihen, Aktien oder Staatsanleihen. Doch davon profitieren nicht nur pensionierte Feuerwehrleute, Lehrerinnen und Lehrer und Justizbeamte, sondern auch klimaschädliche Industrien und internationale Großbanken, die den Ausbau fossiler Energien massiv vorantreiben. Das zeigt eine aktuelle CORRECTIV-Auswertung der Pensionsfonds der 16 Bundesländer.
Karte Deutschland Sachsen-Anhalt eingefärbt Karte Deutschland Investitionen der Bundesländer

So investiert nach Berechnungen von CORRECTIV Sachsen-Anhalt mehr als 58 Millionen Euro in einige der größten Erdöl- und Gaskonzerne der Welt.

Darunter finden sich BP, Exxon und TotalEnergies. Firmen, deren Pipelines und Ölplattformen in den vergangenen Jahrzehnten zu Umweltkatastrophen geführt haben. Exxon stand zuletzt in der Kritik, weil der Konzern jahrzehntelang wissenschaftliche Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel vertuschte.

Trotzdem will Sachsen-Anhalt an diesen Investitionen festhalten. Auf CORRECTIV-Anfrage teilt das Magdeburger Finanzministerium mit, dass ein „Deinvestment aus Firmen mit fossiler Energiegewinnung“ nicht geplant sei.

Das ostdeutsche Bundesland ist keine Ausnahme: CORRECTIV hat bei allen 16 Finanzministerien eine Liste der Anlagen angefragt.

Acht von 16 Bundesländern investieren direkt in klimaschädliche Industrien oder fragwürdige Großbanken (). Schleswig-Holstein und Berlin investieren indirekt über die Großbank BNP Paribas ().

Neben Sachsen-Anhalt ist Bayern bei den Investments in fossile Energien Spitzenreiter.

Bereits 2016 hatte CORRECTIV öffentlich gemacht, dass die Bundesländer damals rund 400 Millionen Euro in Unternehmen investierten, die den Klimazielen der Bundesregierung entgegenstehen. Zwar haben seither einige Bundesländer wie Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Berlin ihr Portfolio auf mehr Nachhaltigkeit ausgerichtet, doch auch diese finanzieren weiterhin direkt oder indirekt klimaschädliche Industrien.

Pensionsfonds gefährden die Klimaziele

Das Problem daran: Deutschland wird die internationalen Klimaziele so nicht erreichen und auch die Bundesregierung verfehlt ihren Plan, Deutschland zu einem führenden „Sustainable Finance-Standort auszubauen“, wie es in der gleichlautenden Strategie der Ampel-Regierung heißt. Zu deren Zielen zählt unter anderem, in der deutschen Finanzpolitik Klima- und Umweltschutz sowie soziale Aspekte zu berücksichtigen.

Davon sind Bund und Länder noch weit entfernt. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung. Das Gremium soll dabei helfen, die deutsche Finanzpolitik so umzustellen, dass sie einerseits wirtschaftlich ist und andererseits die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bis 2030 erreicht. 

„Noch trägt die Anlagepolitik von Bund und Ländern nicht maßgeblich zum Erreichen der Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, des Pariser Klimaabkommens oder des europäischen Green Deal bei.“ So lautet die Einschätzung im ersten Abschlussbericht des Gremiums aus dem Jahr 2021. Es sei daher geboten, „die eingesetzten Standards, Methoden und Instrumente“ anzupassen.

Bayerns Pensionsfonds finanziert Handel mit Gas und Treibstoff

Den Willen zur Anpassung scheinen jedoch nicht alle Bundesländer zu teilen. So investiert Bayern seine rund 1,7 Milliarden Euro in große Aktienindizes, die das Geld vor allem an die größten Konzerne der Börsen verteilen – ohne Klimaschutz zu berücksichtigen.

0 Millionen
investiert Bayern jeweils in den MSCI Fonds und Eurostoxx

Bayern investiert die Gelder für seine Beamtenpensionen zu nahezu gleichen Teilen in drei große Fonds, nur einer davon versteht sich als nachhaltig. Rund 500 Millionen Euro fallen aber auf den globalen MSCI-Fonds: Darin finden sich Anteile des weltgrößten Öl-Konzerns Exxon; der ebenfalls mit etwa 500 Millionen Euro ausgestattete Eurostoxx beinhaltet Anteile von Airliquide, Enel, Eni und TotalEnergies, die mit Gas und Treibstoffen handeln. Ein Problem sieht der Freistaat darin offenbar nicht. Man nutze „anerkannte nationale und internationale Unternehmenswerte, die jederzeit für den Vorsorgezweck verfügbar sind.“ Ein Scheinargument – verfügbar sind auch nachhaltige Aktien.

Baden-Württemberg investiert in klimaschädlichen Zement

Baden-Württemberg hat immerhin in diesem März zusammen mit NRW, Hessen und Brandenburg eine Strategie vorgelegt, mit der künftig „klimaneutral und fair“ investiert werden soll. Dafür müssten, so das baden-württembergische Finanzministerium, rund 20 Prozent aller Aktien verkauft und durch neue ersetzt werden. So sind die Bundesländer zwar vor wenigen Wochen aus den offensichtlich klimaschädlichsten Aktien ausgestiegen  – etwa denen des italienischen Ferrari-Konzerns oder des Heidelberger Zement-Konzerns. Aber teilweise wurden sie durch ebenso fragwürdige Firmenanlagen ersetzt. So wurde das Tabakunternehmen Philip Morris gegen den weltgrößten Zementkonzern, den Schweizer Holcim, ausgetauscht. Das Land investiert rund 18 Millionen Euro in den Konzern. Der rühmt sich zwar in seinem Geschäftsbericht dafür, klimafreundlich werden zu wollen – macht aber nach wie vor drei Viertel seines Profits mit Zement und Beton, Baustoffen mit den höchsten Emissionen.

Hessen unterstützt die Autoindustrie mit rund 105 Millionen Euro

Das Land ist Teil des Länder-Quartetts, das nun nachhaltig finanzieren will. Auch die Regierung in Wiesbaden will ihre Milliarden nun nach den sogenannten „Paris-abgestimmten EU-Referenzwerten (EU PAB)“ ausrichten – das bedeutet, die Konzerne müssen so wirtschaften, dass sie die Pariser Klimaziele nicht gefährden. Dazu zählt eine Begrenzung der Erderhitzung auf unter zwei Grad. So sind die Anteile an fossilen Gas – oder Kohleunternehmen aus den Anlagen verschwunden – andere Industrien, die sehr viel Treibhausgase produzieren, gibt es dort weiterhin: Etwa die Autoindustrie, die mit Anlagen in Höhe von rund 105 Millionen Euro gestützt wird, oder auch die Zement- und Bauindustrie. 

Nordrhein-Westfalen hat seinen Pensionsfonds umgestellt

Auch Nordrhein-Westfalen hat seinen Fonds auf nachhaltig umgestellt – wie Rheinland-Pfalz und Hessen fördert das Land allerdings weiter Firmen, die die Klimakrise befeuern, etwa Enagás und Gasunie. Beide Gesellschaften seien „vom externen Verwalter bisher als Netzbetreiber eingestuft worden, die nicht vom Ausschluss fossiler Energie erfasst seien“, schreibt das Düsseldorfer Finanzministerium. Eine fragwürdige Einstufung – schließlich stellt etwa Gasunie Pipelines für das fossile Gas in Deutschland zur Verfügung und versteht sich nach eigener Aussage als „Gasdrehscheibe für Nordwesteuropa.“ Der niederländische Konzern transportiert die Energie aus der Pipeline Nordstream 1 weiter, die vor dem Ukraine-Krieg aus Russland geliefert wurde. Ähnlich zweifelhaft ist die Nachhaltigkeit vom spanischen Konzern Enagás, der in Südeuropa Gasleitungen und -speicher betreibt.

Rheinland-Pfalz hält an fossilen Energie fest

Rheinland-Pfalz hat den größten Teil seiner Versorgungsrücklage in Schuldscheindarlehen des eigenen Landes investiert, aber auch rund 70 Millionen Euro in Aktien – angeblich nachhaltige Anlagen. Ein Blick in die Tabelle zeigt aber: Noch immer erhält der Gas-Riese Air Liquide 3,6 Millionen Euro von dem Land, auch der Bau- und Zementkonzern Saint-Gobain wird mit einer Million bedacht. Das Finanzministerium ist trotzdem zufrieden mit der Umstellung. Die Unternehmen zählten zu den „Nachhaltigkeitsführern“ in ihren jeweiligen Branchen. Nur dass es in der fossilen Gasbranche keine wirklich zukunftsfähigen Konzerne gibt.

Pensionsfonds haben andere Möglichkeiten zu investieren

Dass die Bundesländer noch immer massiv in fossile Energien investieren, liege vor allem an mangelnder Sensibilisierung oder fehlendem Know-How, sagt Silke Stremlau, Vorsitzende des Sustainable Finance Beirats und Vorständin einer nachhaltigen Pensionskasse. Dabei sei eine andere Art der Finanzpolitik möglich: „Wir haben kein Erkenntnisproblem mehr, nur noch ein Umsetzungsproblem.“ Es gebe viele nachhaltige Fonds und Auswahlmöglichkeiten, die dieselbe Rendite erbrächten wie herkömmliche Fonds. Auch bei Banken gebe es Alternativen. 

»Wir haben kein Erkenntnisproblem mehr, nur noch ein Umsetzungsproblem.«

Rund 30 Millionen Euro fließen aus Sachsen-Anhalt auf die Konten internationaler Großbanken. Das Land hält unter anderem Anleihen von der Deutschen Bank, JP Morgan Chase oder der französischen Großbank BNP Paribas. Damit finanziert das Land indirekt den Ausbau fossiler Energien. Laut eines Reports, an dem die deutsche Umweltorganisation Urgewald mitgewirkt hat, zählen diese Banken zu den größten Investoren fossiler Industrien. So hat die US-amerikanische Bank JP Morgan Chase seit 2016 rund 430 Milliarden Dollar für fossile Projekte zugesagt  – und ist damit Spitzenreiter unter den Großbanken. Auch aktuell finanziert JP Morgan fossile Projekte, die Förderung von Öl im Amazonasgebiet, Fracking in Argentinien oder Ölbohrungen in Guyana.

Auch nach Umstellung investieren Pensionsfonds in Großbanken

Auch andere Bundesländer wie Berlin, Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein, die bereits ihr Portfolio umstrukturiert haben und Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen, investieren in Großbanken, die den Ausbau fossiler Energien vorantreiben. Berlin und Schleswig-Holstein investieren in einen von den Ländern eigens aufgesetzten Aktienindex, der vor allem auf Nachhaltigkeit setzt. Trotzdem finden sich in dem Portfolio Anteile der französischen Geschäftsbank BNP Paribas – auch Hessen investiert mehr als 50 Millionen Euro in das Institut. Gegen die Bank hatten im Februar dieses Jahres mehrere Umweltorganisationen geklagt – wegen Finanzierungen von Gas- und Ölprojekten. 

Aus der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen heißt es dazu auf CORRECTIV-Anfrage, dass „die Gewinnung von fossilen Brennstoffen als Geschäftsmodell“ ein Ausschlusskriterium sei. Nicht jedoch der Umstand, dass Banken mit „Unternehmen zusammenarbeiten, die ihr Geschäftsmodell teilweise oder hauptsächlich an der Gewinnung fossiler Brennstoffe ausrichten.“

»Die Ministerien müssen den Portfolio-Managern vorgeben, welche Kriterien in der Anlage berücksichtigt werden sollen, und wie beispielsweise die Paris-Kompatibilität umgesetzt werden soll.«

Silke Stremlau vom Sustainable Finance Beirat sieht an diesem Punkt vor allem die Finanzministerien der Länder in der Pflicht. „Die Ministerien müssen den Portfolio-Managern vorgeben, welche Kriterien in der Anlage berücksichtigt werden sollen, und wie beispielsweise die Paris-Kompatibilität umgesetzt werden soll.“ Wenn ein Land komplett aus fossilen Investitionen aussteigen wolle, dann müssten die Länder aktuell auch alle großen Geschäftsbanken ausschließen, sagt Stremlau.

Einige Pensionsfonds investieren auch in Tabak oder Alkohol

Es gibt eine weitere Überraschung bei den öffentlichen Investitionen: Viele Bundesländer geben Unternehmen Geld, die gesundheitsschädliche Produkte verkaufen und Staaten und deren Krankenkassen dadurch viele Milliarden kosten: Zigaretten- und Alkoholfirmen. Rheinland-Pfalz etwa hat bei der französischen Schnapsfirma Pernod Ricard 1,6 Millionen Euro angelegt, Sachsen-Anhalt unterstützt Nikotinsucht und gibt British American Tobacco ebenfalls rund 1,6 Millionen Euro, Bayern investiert über seine Fonds sowohl in Pernod, als auch in den Champagner-Händler LVMH Moet Hennessy.

CORRECTIV hat 2016 schon einmal alle Länder aufgefordert, ihre Investments offenzulegen. Damals gaben einige Finanzministerien erst preis, wohin das Geld fließt, nachdem CORRECTIV Auskunftsklagen angekündigt hatte. Heute steht fest: Sachsen-Anhalt und Bayern legen auch sieben Jahre später ihr Geld für die Beamtenpensionen so an, dass es die Klimakrise und gesundheitsschädliche Industrien befeuert: Ihre Portfolios mögen sie geringfügig umgeschichtet haben – aber weiter fließen Milliarden in die größten und mitunter fragwürdige Konzerne. NRW, Baden-Württemberg, Hessen und Brandenburg haben gemeinsame Anlagerichtlinien entwickelt, um das Geld künftig nachhaltiger anzulegen. 

Sie sind Vorreiter und fürchten, dass ihre Aufgabe schwer wird: Die nachhaltigen Fonds verlangen von Firmen, jedes Jahr sieben Prozent Treibhausgase einzusparen. Die ersten sieben Prozent dürfen leichter einzusparen sein als die darauffolgenden – weil die Einsparungen immer drastischer ausfallen müssen. Absehbar werden einige Branchen an diesen Zielen scheitern. Für die verantwortlichen Finanzministerien bedeutet das: künftig müssen sie noch mehr Firmen von ihrer Investitionsliste streichen.

Über die Autorinnen

Annika Joeres
Annika Joeres

Journalistin

Annika beschäftigt sich bei CORRECTIV von Südfrankreich aus mit Umweltthemen, oft grenzüberschreitend. Weil sie den Klimawandel nicht nur beschreiben, sondern auch verhindern will, fährt sie mit Nachtzügen in die Berliner Redaktion. Für ihre Recherchen zu klimaschädlich angelegtem Geld der Bundesländer und zum weltweit ansteigenden Meeresspiegel erhielt sie mehrere Nominierungen und Preise, unter anderem den deutsch-französischen Journalistenpreis.

Gesa Steeger
Gesa Steeger

Journalistin

Das Thema Klima begleitet Gesa kontinuierlich und immer wieder in den vergangenen Jahren. So beschäftigte sie sich bereits mit Klimaklagen, Tiefseebergbau, illegalem Fischfang, Waldsterben und Massentierhaltung. Im Kern ihrer Recherchen und Texte steckt immer die Idee, das Große im Kleinen zu erzählen. Nah dran zu sein an den Menschen, die Leserschaft mitzunehmen, auch wenn es mal komplexer wird. Es ist auch der Versuch, Missstände zu benennen und aufzudecken – auch und gerade gegen Widerstände.

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