Elite-Uni öffnet sich für Klimaskeptiker
Die private Hochschule ESMT in Berlin soll die Wirtschaftselite Deutschlands ausbilden. Nun kooperiert sie ausgerechnet mit einem regierungsnahen, ungarischen Institut – das sich aus russischen Ölimporten finanziert und anti-europäische Ideologien verbreitet.
An einem Frühlingstag dieses Jahres sprechen Bundeskanzler Olaf Scholz und Multimilliardär Bill Gates an einem Ort im Herzen von Berlin. Direkt neben dem Berliner Schloss sind die beiden zu einer Veranstaltung im Gebäude der European School of Management and Technology (ESMT) eingeladen.
Die private Universität versteht sich als führende „Business School“ Deutschlands und taucht in verschiedenen Uni-Rankings auf den vordersten Plätzen auf. Aufsichtsrat und Stiftungsrat der ESMT sind hochkarätig besetzt. Für die Berliner Institution direkt am Spreekanal spendet das „Who is Who“ deutscher und internationaler Unternehmen. Auf metergroßen Steintafeln im Foyer dankt die Universität etwa der Allianz AG, der Deutschen Bank, auch RWE, dem Robert Bosch-Konzern, McKinsey und der Qatar Investment Authority. Eine höchst fragwürdige Kooperation fehlt allerdings an den Wänden: In das Haus zieht nun der Geist von Viktor Orbán ein.
Seit etwa einem Jahr kooperiert die ESMT über eine Stiftungsprofessur und ein Austauschprogramm mit dem ungarischen Mathias Corvinus Collegium (MCC), das finanziell und ideologisch dem ungarischen Ministerpräsidenten nahesteht: Das MCC ist am staatlichen ungarischen Ölkonzern MOL beteiligt. MOL wiederum macht Geschäfte mit Russland. Die Berliner Wirtschaftsschmiede arbeitet also mit einem Institut zusammen, das Profite aus Ölimporten von Russland nach Europa zieht.
Orbán hatte diese Importe nach dem Angriff auf die Ukraine sogar noch erhöht, wie aktuelle Recherchen von ZDF und CORRECTIV zeigen. Ungarns Staatschef lehnt sich regelmäßig gegen EU-weite Gesetze zum Klimaschutz auf. Er warnt in einer Rede vor „gemischten Rassen“ durch Zugewanderte; er arbeitet daran, die Medien seines Landes gleichzuschalten.
Die ideologische Schule des MCC passt zu Orbáns Politik – in westeuropäischen Institutionen konnte sie hingegen bislang kaum Fuß fassen. Doch die Berliner ESMT öffnete ihre Türen für eine Institution, die das rechtspopulistische Weltbild Orbáns propagiert.
ESMT sei „frei von politischer Einflussnahme”
Das MCC wurde 1996 als politisches Institut gegründet. Eigentlich sollte es ungarische Begabte fördern, aber seit einiger Zeit wird der Radius immer größer: Nicht nur in der Berliner Elite-Universität ist das MCC seit kurzem vertreten. Das MCC erwarb 2023 auch den größten Teil der privaten Wiener „Modul University“. Und auch in Brüssel will das MCC das „toxische Image“ Ungarns verbessern, sagt der MCC Brüssel Chef Frank Furedi gegenüber Euractiv.
„Viktor Orbán unterwandert angesehene Institutionen, um seine Meinungsmache zu platzieren“, sagt Benjamin Hilgenstock, Experte für osteuropäische Energiepolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dazu gehörten: Die Befugnisse der EU zu verkleinern, Sanktionen an Russland zu stoppen, noch weniger Flüchtlinge zuzulassen und Gesetze zum Klimaschutz möglichst scheitern zu lassen.
Für das MCC bietet die ESMT-Berlin als „eine der renommiertesten Business Schools in Europa eine großartige Gelegenheit für unsere Studenten, von einigen der besten Wirtschaftsprofessoren zu lernen“, schreibt das MCC auf Anfrage von CORRECTIV.
Eine Sprecherin der Hochschule schreibt auf CORRECTIV-Anfrage, dass die ESMT Berlin für ein „demokratisches, offenes Weltbild“ stehe. Durch die Kooperation mit dem MCC würden „europäische Werte gestärkt und langfristig in die Herkunftsländer getragen und etabliert.“ Die ESMT sei „überparteilich und frei von politischer Einflussnahme“. Kooperationspartner würden „keinerlei Einfluss auf Forschung und Lehre der ESMT nehmen“.
Festzuhalten ist, dass das ungarische Institut eine Stiftungsprofessur in Berlin finanziert und in Ungarn weniger für Wissenschaft als für Klimaskepsis und Offenheit für rechtspopulistsche Parteien steht.
In Budapest sprach etwa der Präsident der klimaleugnerischen Heritage-Foundation vor Stipendiaten und geladenen Gästen, die Donald Trump im Herbst zum Sieg verhelfen will. MCC-Vertreter behaupten, Kinder würden von „politischen Aktivisten“ indoktriniert, wenn im Unterricht die Klimakrise behandelt würde. Aus Deutschland reisten etwa der Physikprofessor André Thess an, der wiederum AfD-nahe Wissenschaftler und Klimaleugner zu seinen Seminargästen zählt.
„Esst so viel Fleisch ihr wollt, habt so viel Kleidung wie ihr wollt“
Das MCC lädt zu seinen Veranstaltungen weit rechts stehende Politiker ein, beispielsweise wurde schon der britische Rechtspopulist Nigel Farage eingeladen, der Parteigründer der Werteunion und frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen oder die deutsche Unternehmerin Gloria von Thurn und Taxis, die immer wieder mit rechtspopulistischen Aussagen auffällt.
Ganz aktuell stellen das MCC Brüssel und sein Klima-Institut Ende Mai auf einer Veranstaltung in Brüssel den Konsens in den Klimawissenschaften in Frage. Dort spricht Richard Lindzen. Der Physiker lehrte früher am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), steht jedoch heute in Verbindung mit mehreren klimawandelleugnerischen Organisationen, wie zum Beispiel der „CO2-Coalition“.
Lindzen behauptet, die Einigkeit über die Klimakrise beruhe darauf, dass die meisten gebildeten Menschen keine Ahnung von Wissenschaft hätten. Er zieht einen drastischen Vergleich. „Hitler sagte damals auch, dass es einen Konsens über die Rassenlehre gäbe“, sagt Lindzen. Der Nachmittag geht mit ähnlichem Diskurs weiter, die Redner und Rednerinnen beschwören die Notwendigkeit fossiler Energien und behaupten, ernsthafte Klimapolitik käme einem Rückzug ins Mittelalter gleich.
Gegen Ende appelliert Frank Furedi, Direktor des MCC Brüssel, an das Publikum: „Esst so viel Fleisch, wie ihr wollt, habt so viel Kleidung, wie ihr wollt: Unsere Welt schafft das.“
Das MCC leugne keineswegs die Gefahren des Klimawandels, schreibt das Institut auf Anfrage. „Wir erkennen lediglich die Gefahr extremer Lösungsansätze an, die zu wirtschaftlichen Fehlschlägen führen können.“
Russisches Öl finanziert nun die Elite-Uni mit
Offenbar hindern diese Positionen die ESMT nicht daran, mit dem MCC zusammenzuarbeiten. Im September 2023 reisten die ersten Masterstudenten aus Ungarn an. Das MCC übernimmt die Kosten für ihr Studium an der Privatuni – und finanziert zudem seit Mai 2023 einen Lehrstuhl. Zoltán Antal-Mokos kam schon 2005 an die ESMT, seit Beginn der Kooperation ist er dort nun „MCC Professor in Strategy“. Außerdem erhielt das MCC einen Platz im Internationalen Beirat der Berliner Uni. Zoltán Szalai, der Generaldirektor des MCC, sitzt dort an der Seite von Ex-Wirtschaftsminister und Vorsitzenden der Atlantik-Brücke, Sigmar Gabriel, Michael Diekmann vom Versicherungsgiganten Allianz oder Katja van Doren vom Kohlekonzern RWE.
Deutsche Bank schätzt Zusammenarbeit mit ESMT
Auf Anfrage von CORRECTIV brüsten sich die ESMT-Sponsoren mit ihrer Förderung. Die EMST gehöre „zu den bedeutendsten, interdisziplinären Bildungstreffpunkten in Berlin“, schreibt eine Sprecherin von RWE. Man setze sich dort für „Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration“ ein. Sowohl die Deutsche Bank, die den Lehrstuhl des Präsidenten der ESMT für nachhaltige Finanzwirtschaft sponsert, als auch RWE und die Allianz wollen sich nicht zu der Kooperation mit dem MCC äußern.
Die „politischen Fußsoldaten“ Orbáns
„In Ungarn betreibt das MCC fortgeschrittene Indoktrination“, sagt Bence Szechenyi gegenüber CORRECTIV. Der US-Amerikaner mit ungarischen Wurzeln verbrachte nach seinem Schulabschluss 2022 ein Jahr mit MCC-Förderung in Budapest, um sein Glück als freier Journalist zu versuchen. Weil er aus einer prominenten ungarischen Familie stammt, war er beim MCC ein willkommener Student.
Über die MCC-Förderung bekam Szechenyi etwa 3.000 US-Dollar pro Monat. Durch solche hoch dotierten Stipendien habe das MCC „in Ungarn die Kontrolle über die Wege zum Erfolg übernommen“, sagt Szechenyi gegenüber CORRECTIV. Man werde damit in die oberste Prozent-Schicht der Gesellschaft katapultiert. „Wenn du in dem System bleibst, dann bekommst du auch die Vorteile. Der Preis ist Loyalität“, sagt er. Es werde erwartet, dass man zum politischen Fußsoldaten werde.
Die vortragenden Redner seien fast immer voreingenommen gewesen. „Sie vertraten ganz klar konservative Meinungen zu Migration und Gender“, so Szechenyi. Der 26-Jährige erzählt gegenüber CORRECTIV, wie das MCC versuchte, auch seine Texte zu beeinflussen. Sobald er etwas Kritisches gegenüber der Regierungs-Agenda geschrieben habe, hätte er es in überarbeiteter Form zurückbekommen, sagt Szechenyi. Für einen Essay hätte er „die brutale Grenzpolitik Ungarns im Jahre 2015 rechtfertigen“ sollen, sagt Szechenyi. Den Essay habe er am Ende nicht geschrieben, sagt Szechenyi.
Neben der Orbánschen Migrationspolitik stand noch ein zweites hoch politisches Thema auf der Agenda: Energiesicherheit. Laut Szechenyi nutze das MCC seine Bildungsangebote auch, um zu rechtfertigen, dass Ungarn weiterhin Gas und Öl aus Russland importiert. Eine Studie, die vom MCC veröffentlicht wurde, spricht sich zum Beispiel gegen die Einführung von Sanktionen auf russisches Gas aus.
Ungarn hält weiter an russischem Öl fest
Die Nähe zu Öl und Gas beim MCC kommt nicht von ungefähr, denn das Institut finanziert sich auch durch einen zehnprozentigen Anteil am ungarischen Öl-Konzern MOL. Es ist das profitabelste Unternehmen Ungarns und residiert in Budapest im höchsten Gebäude des Landes. Über die Anteile erhält das MCC jährlich hohe Dividenden. Im April dieses Jahres kündigte der Öl-Konzern an, etwa 511 Millionen Euro an seine Anteilseigner ausschütten zu wollen. Das bedeutet, dem MCC stehen etwa 51 Millionen Euro aus diesem fossilen Konzern zu – Gewinne auch aus den Geschäften mit russischem Öl.
Zwar ist seit dem Ukrainekrieg die Einfuhr von russischem Öl in die EU zumindest auf dem Seeweg komplett verboten. Doch für den Import über Pipelines gibt es Ausnahmen, von denen Ungarn profitiert: Es kauft fast 40 Prozent mehr russisches Öl ein als vor dem Angriffskrieg. „Das ist eine politische Entscheidung von Orbán, mit ungarischen Importen weiter Russland zu stützen“, sagt Experte Hilgenstock von der DGAP. Andere Länder, die ebenso abhängig von russischen Importen waren, kauften ihr Öl längst in anderen Ländern ein – oder würden wie Tschechien Alternativen planen. Orbán aber bliebe nah an Russland. Der Rechtspopulist will die EU gegen Russland ausspielen – um damit seine Interessen in Brüssel zu vertreten.
Das Geld aus russischem Öl, die Denkschule von Marktradikalen und Klimawandelleugnern – das MCC untergräbt den bisherigen europäischen Konsens. Auch die Bauernproteste, der größte EU-weite Aufstand der Branche seit Jahren, befeuerte das Institut – und lenkte die Kritik der Landwirte und Landwirtinnen gegen die EU.
Vernetzung der Bauern-Proteste
Unter dem Motto „Kämpft gegen den Krieg der EU gegen die Landwirtschaft!“ rief es dazu auf, an den Bauernprotesten im Januar teilzunehmen. Die Umwelt-Agenda der EU sei Schuld am Unglück der Bauern. Auch Viktor Orbán selbst sucht immer wieder die Nähe zu den europäischen Bauern-Protesten. Doch es bleibt nicht nur bei Aufrufen und Stimmungsmache.
Am 09. April organisierte das MCC Brüssel ein Vernetzungs-Event für die europäischen Bauern. Auf diesem schimpften die Anwesenden über EU-Regularien: Der Wissenschaftler Thomas Fazi sagt, die europäische Politik bedrohe nicht nur die europäischen Landwirte, sondern auch die Ernährungssicherheit in Europa. Im Auftrag des MCC hatte er auch schon über die „Große Net Zero Lüge” geschrieben.
Auch Vertreter der deutschen Gruppe „Land schafft Verbindung“ (LSV) waren anwesend - diejenigen also, die sich gerade als Alternative zum mächtigen Bauernverband positionieren und denen mehrfach AfD-Nähe vorgeworfen wurde. Die Teilnahme hätte einen „rein informativen Charakter gehabt“, so ein Sprecher auf Anfrage von CORRECTIV. Trotzdem könnte das MCC-Event die internationale Bauern-Demo am 4. Juni entscheidend beeinflussen: Die LSV-Vertreter haben sich dort mit Verbänden aus den „Niederlanden, Belgien, Polen, Spanien, Frankreich und Italien“ vernetzt.
Die ungarische Unterwanderung in Deutschland
Bis nach Deutschland reicht Ungarns Arm nicht nur über die Kooperation der ESMT-Wirtschaftshochschule: 2020 gründete das MCC sogar einen eigenen Ableger, das „Deutsch-Ungarische Institut“. Zu dessen Veranstaltungen werden Redner wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz eingeladen. Kai Diekmann, ehemaliger Chefredakteur der Bild, erzählt bei einer Runde des deutsch-ungarischen Instituts, wie er einmal mit Russlands Präsident Putin schwimmen und Eishockey spielen war.
Der deutsche Forschungsdirektor des MCC Brüssel ist Werner Patzelt, der in Deutschland für seine umstrittenen Forschungen zu Pegida kritisiert wird. Von seinem ehemaligen Arbeitgeber, der TU Dresden, wurde ihm eine Senior-Professur verweigert, weil er Pegida und AfD zu nahe stehe, berichtete der Spiegel. Die Liste an umstrittenen Rednern ist lang, auch der Chemnitzer Geschichtsprofessor Frank-Lothar Kroll findet sich darunter, der vor einigen Jahren Referent beim rechtsradikalen Institut für Staatspolitik des AfD-Vordenkers Götz Kubitschek war. Später sagte er dazu, er sei „naiv gewesen.“ Besonders häufig verlinkt das MCC zu weit rechts stehenden Medien wie der Preußischen Allgemeinen Zeitung, Tichys Einblick, der Schweizer Weltwoche sowie der Budapester Zeitung.
Konrad-Adenauer-Stiftung ändert Website
Bemerkenswert ist die Nähe einer politischen Stiftung zum MCC. Bis vor Kurzem waren sowohl MCC als auch das Deutsch-Ungarische Institut als Partner des Konrad-Adenauer Büros in Ungarn gelistet. Dort war zu lesen, dass das Deutsch-Ungarische Institut durch „objektive Diskussion“ ein gegenseitiges Verständnis ermögliche. Das MCC sei in den „letzten 25 Jahren zu einer angesehenen interdisziplinären Denkfabrik“ geworden.
Nach der CORRECTIV-Anfrage an die CDU-nahe-Stiftung sind diese Formulierungen online nicht mehr zu finden. Bei einzelnen und ausgewählten Themen, könne es „punktuelle Kooperationen bei Veranstaltungen mit dem MCC bzw. dem Deutsch-Ungarischen Institut geben“, schreibt ein Sprecher der konservativen Stiftung. Man wolle „eine möglichst große Bandbreite verschiedener Sichtweisen aus Deutschland in den öffentlichen Diskurs in Ungarn einbringen und den kritischen Dialog pflegen“.
Ähnlich argumentiert die Berliner ESMT. Sie hält an dem Austausch fest und hofft offenbar, dass sich die deutschen Studierenden auch für die ungarischen Perspektiven interessieren. In der Stellungnahme an CORRECTIV schreibt die Uni: Die Kooperation werde dazu dienen, „Fenster in den Köpfen der Studierenden zu öffnen“. Außerdem könne sie es lehren, sich auf „deutscher und ungarischer Seite für andere Ansichten zu interessieren“.
Update 05.06.: Wir haben klargestellt, dass die Deutsche Bank den Lehrstuhl des ESMT-Präsidenten sponsert, aber nicht den Präsidenten stellt.
Text und Recherche: Annika Joeres, Justus von Daniels, Elena Kolb
Redaktion: Anette Dowideit
Design: Ivo Mayr, Mohamed Anwar
Kommunikation: Valentin Zick, Esther Ecke
Faktencheck: Katarina Huth