Devestment

Angst vorm Klima: Finanzfirmen machen grüne Rolle rückwärts

Die Trump-Regierung macht Druck auf Banken und Investoren, die ökologische und soziale Ziele verfolgen. Auch in Deutschland weichen Finanzfirmen von ihren freiwilligen Verpflichtungen zurück. ESG – lange Zeit der große Hype auf dem Finanzmarkt – verliert an Bedeutung.

von Gabriela Keller , Gesa Steeger

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Gestern noch das Aushängeschild, heute eine Art Unwort, das keiner mehr laut aussprechen will: ESG, das Kürzel bezeichnet Investments, die sich nach sozialen oder Umweltkriterien richten. Foto: KI generiert (midjourney&magnif.ai), Prompt: Ivo Mayr/CORRECTIV

Deutsche Versicherungsriesen, die reihenweise aus freiwilligen Klimaabkommen austreten, Firmen, die ihre Klima- und Diversitätsziele diskret verschweigen und Vorstandsetagen, in denen die Klimakrise verharmlost wird – in Deutschlands Finanzwelt ist etwas ins Kippen geraten.

Sustainable Finance war lange Zeit das Aushängeschild der Branche. Jetzt ist sie auf dem Nachhaltigkeits-Rückzug. Firmen, die Aspekte wie gleiche Rechte für die Geschlechter oder Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigen, geraten in die Defensive. 

In den USA tobt seit längerem ein Kulturkampf um die drei Buchstaben ESG, das steht für Ecology, Social und Governance, auf Deutsch Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Die Idee dahinter: Die Finanzfirmen sollen sich nach festen Kriterien richten und so ihr Geld so in eine nachhaltige, verantwortungsvolle Wirtschaft lenken. Was vor kurzem noch ein Hype war, ist plötzlich kaum noch Thema. ESG ist nun ein risikobehaftetes Wort, das fast niemand mehr laut aussprechen will. 

Der Rollback wird befeuert durch massive Kampagnen in den USA. Ultrarechte Stimmungsmacher, Lobbyisten der fossilen Industrie und Agitatoren aus dem Trump-Lager führen mit allen Mitteln einen Kampf um die Zukunft der Finanzwelt. Grüne, nachhaltige Investitionen soll es in dieser Zukunft nicht mehr geben – zumindest nicht als verbindliche Vorgabe. Banken, Asset Manager und Finanzinstitute in den USA drehen ihre Ziele bereits zurück – zumindest öffentlich.

Auch in Europa zeigt der Kampf gegen nachhaltige Finanzanlagen Wirkung, sagen Finanzfachleute, Banker, Nachhaltigkeitsexperten und Insider, mit denen CORRECTIV sprach.

Expertin für Nachhaltigkeit: „Sustainable heißt, hochambitioniert in die Nische zu gehen“

Der Umschwung fing bereits im September 2024 an, so sagt es Wiebke Merbeth, Partnerin bei der Strategieberatung Monitor Deloitte, Nachhaltigkeitsexpertin und Mitglied im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung: „Da war Trump noch nicht einmal gewählt, und ich habe schon im Parlament gemerkt: Da dreht sich der Wind.“

Merbeth erkannte den Wandel und reagierte: Sie empfahl intern im Unternehmen sowie ihren Kunden, kein Personal mehr in der Nachhaltigkeitsberatung und entsprechenden Abteilungen aufzubauen. Auch schlug sie vor, den Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung umzubenennen: in Transition-Finance-Beirat. Sie sagt: „Sustainable heißt, hochambitioniert in die Nische zu gehen.“

In den vergangenen Jahren, so Merbeth, seien die Regulierungen über das Ziel hinausgeschossen. Nun regt sich Gegenwehr, oder, wie sie es ausdrückt: „The harder you push the system, the harder it pushes back“. Daher gehe es nun darum, zu retten, was zu retten ist. „Und das geht nur, wenn Ambitionen zurückgeschraubt werden, bevor alles wieder zurückgedreht wird.“ 

„Wissen Sie eigentlich, dass die Polkappen gar nicht schmelzen?“

Die Deloitte-Expertin weiß, dass Klimaleugner-Narrative sich hartnäckig halten, auch in der Finanzbranche. Es gibt Aufsichtsräte und Vorstände von Konzernen, die jetzt zu ihr sagen würden: „Frau Merbeth, wissen Sie eigentlich, dass die Polkappen gar nicht schmelzen, sondern wachsen?“ Solche Gespräche habe sie jetzt jede Woche, sagt Merbeth.

Gerade, wer den Klimawandel schon immer für eine Erfindung hielt, fühlt sich durch die Ereignisse in den USA beflügelt. Dort werden die Attacken gegen ESG-Banking mit extremer Aggression geführt: Im Juni 2024 schrieb das Justizkomitee im US-Repräsentantenhaus, es lägen Beweise vor, „dass ein ,Klima-Kartell’ aus linken Umweltaktivisten und großen Finanzinstituten sich verschworen hat“, um Unternehmen die Klimaneutralität aufzuzwingen. Dieses Kartell habe dem American Way of Life den Krieg erklärt, attackiere den freien Markt und stranguliere die Wirtschaft.

Finanzinstitute und Banken, die nachhaltig investieren, geraten unter Verdacht und werden mit juristischen Folgen bedroht. „Das Problem sind die rechtlichen Risiken, die hassen Banken wie die Pest“, sagt ein Finanzexperte einer großen Bank, der sich nicht zitieren lassen will. Die Trump-Administration gilt als unberechenbar, und manche in der Finanzwelt fürchten sogar, dass Trump das Thema Nachhaltigkeit zum Teil seines globalen Handelskriegs machen könnte. 

Auf Anfrage ist kaum jemand bereit zu sprechen: Von rund 30 Finanz- und Versicherungsunternehmen, die CORRECTIV angefragt hat, hat nur ein Bruchteil geantwortet. „La Française wird sich nicht zu diesem Thema äußern“, teilt eine Kommunikationsagentur im Auftrag der Gruppe mit. Ob aus Angst vor Repressionen oder vor einem Imageschaden, bleibt unklar. Ein Nachhaltigkeits-Fachmann aus einem Finanzkonzern sagt: „Wir müssen aufpassen, der Sache nicht zu schaden, indem wir uns aus dem Fenster lehnen und dann in den USA zur Zielscheibe werden.“

Klimaschutz soll verhindert werden

Brendan O’Donnell, Direktor des Programms für Klima- und Umweltpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, spricht von einem „Klima der Angst“. Ziel sei es, diese Unternehmen unter Druck zu setzen und so auf Trump-Kurs zu bringen. Den rechten Akteuren hinter der Anti-ESG-Kampagne gehe es vor allem darum, Klimaschutz zu schwächen und „echte Lösungen zu verhindern“, so O’Donnell gegenüber CORRECTIV. 

Eine Angst, die bis nach Europa und Deutschland reicht: Erste deutsche Unternehmen, darunter die Versicherungsriesen Allianz und Munich Re kippen freiwillige Klimaabkommen oder stampfen ihre Gleichstellungsziele ein – wie zuletzt der Softwarehersteller SAP. Als Begründung gibt der Konzern die politische Lage in den USA an. 

Im Mai 2023 schreiben 23 US-Generalstaatsanwälte einen Drohbrief an alle in den USA tätigen Versicherer, die sich der Net Zero Insurance Alliance (NZIA) angeschlossen hatten. Es bestehe die „ernste Sorge“, dass die Ziele der Initiative gegen Gesetze verstoßen. Daraufhin verließ das französische Versicherungsunternehmen Axa, wie mehrere andere große Versicherer, das Bündnis. „Wir halten an unseren ESG-Verpflichtungen fest, aber wir machen keine großen Worte mehr darum“, sagt ein Sprecher von Axa in der Konzernzentrale in Paris. „Wenn wir darüber sprechen, versuchen wir zu erklären, wie die Kriterien unseren Geschäften helfen.“

Kaum mehr Werbung für ESG

Ein weiteres Beispiel: Die Deutsche-Bank-Fondsgesellschaft DWS warb vor zwei Jahren auf ihrer Website offensiv mit Diversität, Inklusion und Klimaschutz. Doch nicht alle Versprechen hielt die DWS: Im April dieses Jahres wurde bekannt, dass die Deutsche-Bank-Tochter wegen Greenwashing-Vorwürfen zur Zahlung von 25 Millionen Euro verurteilt wurde. Heute ist auf ihrer Website kaum noch Werbung zum Thema ESG zu finden. 

Auf Anfrage von CORRECTIV teilt DWS mit, dass das „Thema Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Anforderungen für die Vermögensverwaltungsbranche“ sich in den vergangenen Jahren „weiterentwickelt“ hätten. An öffentlichen Debatten dazu sei die DWS „kontinuierlich beteiligt“ und trete öffentlich in Erscheinung. Im Zuge der „veränderten Situation in den Vereinigten Staaten“ prüfe DWS sehr genau „wie wir zum Beispiel auf die Entwicklungen in Bezug auf Diversität reagieren, um die lokalen Gesetze einzuhalten.“ 

Blackrock: Transition statt ESG

Was Unternehmen in den USA droht, die sich der politischen Linie nicht beugen, das zeigen Fälle in West Virginia und Oklahoma. Dort wurden mehr als ein Dutzend Banken von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, zumindest zeitweise. Der Grund: die ESG-Kriterien der Banken und ein vermeintlicher Boykott von fossilen Öl- und Gasfirmen.

Unter den betroffenen Firmen findet sich auch der größte Vermögensverwalter der Welt, Blackrock. Im Januar zog sich die Firma aus der Net Zero Asset Managers Initiative (NZAMI) zurück – einem Bündnis von über 300 Vermögensverwaltern, die bis 2050 klimaneutral werden wollen. Zuvor war der Konzern, gemeinsam mit zwei weiteren Finanzunternehmen, von mehreren US-Bundesstaaten verklagt worden. Der Vorwurf: durch Klimaziele fossile Energie wie Kohle künstlich zu verteuern und den Wettbewerb zu verzerren. 

Bedeutet dies, der Konzern geht vor Trump in die Knie? Eine Sprecherin von Blackrock wiegelt ab: Der Rückzug aus dem Klimabündnis bedeute nicht, dass ESG für Blackrock keine Rolle mehr spiele. Für die Kunden sei das Thema weiterhin wichtig. 

Mehr als 340 Gesetzesentwürfe gegen ESG seit 2020

Gesetzesentwürfe, die Investitionen nach ökologischen oder sozialen Kriterien unterbinden  sollen, häufen sich in den USA seit Jahren. Laut der US-amerikanischen Medienorganisation Centre for Media and Democracy wurden seit 2020 über 340 solcher Anti-ESG-Entwürfe in 38 US-Bundesstaaten eingebracht. 

Eine treibende Kraft dahinter ist die State Financial Officer Foundation (SFOF), ein Verband republikanischer Schatzmeister und Rechnungsprüfer aus 28 US-Bundesstaaten, der massiv gegen ESG lobbyiert – nicht nur in den USA. Die SFOF spielt im Kampf gegen das klimaschonende Banking eine Schlüsselrolle: Wie das Rechercheprojekt SFOF Exposed belegt, agiert die Organisation als Scharnier zwischen Finanzbeamten und der Finanzlobby. Die Organisation hat eine eigene Website erstellt, um die Amerikaner vor den „Gefahren von ESG“ zu „warnen“. 

Der Verband ist bestens vernetzt. Zu den Sponsoren zählte laut ihrer Website etwa der Investmentriese KKR, der jahrelange Hauptaktionär des Axel-Springer-Verlags. Dort erscheint die Bild-Zeitung, die vehement und mitunter verzerrt gegen Klimaschutzregelungen oder -technologien polemisiert.  

Viel Geld für klimaschutzfeindliche Schatzmeister

Bemerkenswert: Auch der deutsche Softwarekonzern SAP zählte bis Ende 2022 zu den Sponsoren von SFOF, wie das Unternehmen bestätigt. Und längst richtet der Verband seinen Blick nicht nur auf die USA: In einem Brief an Trump dankten die Schatzmeister dem Präsidenten dafür, dass er „belastende und ideologisch motivierte Regulierungen beseitigt habe“ und bitten ihn nun darum, den Handelsbeauftragten der USA auf die Europäische Union anzusetzen: Die „aggressive ESG-Agenda der EU hat die Europäische Wirtschaft verkrüppelt“ und bedrohe nun die Unternehmen in den USA. Daher seien „starke Maßnahmen“ erforderlich, etwa Ermittlungen und gegebenenfalls Sanktionen.

Unterstützung im Kampf gegen ESG erhält SFOF von der Heritage Foundation, die als Wegbereiter Trumps an die Macht gilt. Die Stiftung leugnet seit Jahrzehnten den Klimawandel und schießt auch gegen ESG. Sie lädt radikale SFOF-Mitglieder zu Gesprächsrunden ein, vergleicht das Handeln von Finanzinstituten mit Tyrannei und fordert auf ihrer Webseite: „Die politischen Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene müssen die Öffentlichkeit vor diesen schädlichen progressiven Bestrebungen schützen.“

Deutsche Lobbyisten übernehmen rechte Narrative aus den USA

Auch in Deutschland übernehmen Lobbyisten Narrative aus den USA. Das zeigt eine Studie des CDU-nahen Thinktanks „Stiftung Marktwirtschaft“. CORRECTIV hatte Anfang des Jahres über enge persönliche Verbindungen zwischen Kanzler Merz sowie anderen Unionspolitikern und der Stiftung berichtet. In ihrer Studie greift die Stiftung das Schlagwort „Klimakartelle“ auf, fragt im Titel: „Green Deal auf Kosten des Wettbewerbs?“ und warnt vor den Folgen wirtschaftlicher Regulierung: höhere Preise, Willkür und erstickte Innovationen. 

Die Stiftung Familienunternehmen spricht bereits 2022 in einer Studie von „ökologisch intendierten Dirigismus“, der den wirtschaftlichen Wohlstand gefährde. Als Beispiele nennen die Autoren das Verbrenner-Aus oder den Kohleausstieg. 

Klimaskeptiker und Befürworter fossiler Energien fühlen sich bestätigt. Der Amtsantritt von Trump in den USA ermutigt auch in Europa Rechtsautoritäre und Lobbyisten der Öl-, Gas- und Kohleindustrie, wie CORRECTIV mehrfach berichtete. Dass Unternehmen nun wegen politischem Gegenwind aus Klimaabkommen aussteigen – ohne sichtbare Gegenwehr, das sei „etwas wenig“, sagt Tilman Massa, Co-Geschäftsführer vom Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre. Selbst wenn intern weiter an Klimazielen festgehalten würde – öffentlich könnte so der Eindruck entstehen, Nachhaltigkeit habe von Anfang an keine große Rolle gespielt.

Sustainable Finance gerät in die Defensive

Mehrere Finanzmanager, mit denen CORRECTIV sprach, sagen klar: Die Kehrtwende in den USA verschiebt auch in Europa das Kräfteverhältnis. „Natürlich nehmen wir das wahr“, sagt Lukas Adams, Leiter des Vermögensmanagements der GLS Bank, einer genossenschaftlich organisierten Nachhaltigkeitsbank. „Das ist sehr frustrierend, das lässt uns nicht kalt.“ 

Zwar, sagt er, verzeichne die GLS Bank weiter Wachstum bei den Einlagen. Es sei nicht so, dass alle Asset Manager und Investmentfirmen ihre grünen Anlageprodukte einstampfen. Aber das Klima hat sich verändert: In den vergangenen Jahren wurde Adams oft als Nachhaltigkeitsexperte zu Konferenzen und Bankengipfeln eingeladen. Der Hype um Sustainable Finance bescherte der Bank viel Aufmerksamkeit; die Branche schmückte sich mit Gästen wie ihm. Nun, sagt Adams, sind die Einladungen seltener geworden. „Man merkt, dass das Thema jetzt weniger interessiert“, sagt er. „Wir sehen jetzt, dass aus den USA ein massiver Backlash kommt. Es kommt mir vor, wie der letzte Tanz der fossilen Energie.“

Massives Lobbying der Öl- und Kohlekonzerne

In den USA haben NGOs und Medien enge Verbindungen zwischen den Anti-ESG-Kampagnen und der fossilen Energiebranche offengelegt. Recherchen zeigen: Gesetze gegen ESG-Investing gehen auf massives Lobbying von Öl- und Kohlekonzernen sowie deren Verbänden zurück. 

Die fossile Industrie stützt Trump, und Trumps Maga-Lager stützt die fossile Industrie. Beide Seiten profitieren. Tilman Massa vom Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre sieht vor allem die Politik in der Pflicht: „Diese Entwicklung zeigt, wie wichtig klare politische Rahmenbedingungen für Klimaschutz sind, die auch für Unternehmen gelten.“ Denn der Gegenwind könne noch viel stärker werden. 


Redigat: Justus von Daniels, Martin Böhmer

Faktencheck: Martin Böhmer