Wegen Missbrauchsklage: Eine Cousine des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. schlägt Erbe aus
Nach Informationen von CORRECTIV und Bayerischem Rundfunk schlägt eine Verwandte des ehemaligen Papstes das Erbe aus. Der Grund: Die Missbrauchsklage vor dem Landgericht Traunstein, der sich auch die Erben stellen müssten. Der Anwalt des Opfers beantragt nun die Abtrennung des Verfahrens.
Es ist ein schwieriges Erbe, das der verstorbene Papstes Benedikt XVI. hinterlässt. „Mit Einschreiben, Rückschein, fertig“ habe eine fast neunzigjährige Cousine des ehemaligen Papstes aus Oberbayern das Erbe wegen des Missbrauchs-Verfahrens vor dem Landgericht Traunstein ausgeschlagen, sagt deren Tochter Martina Holzinger gegenüber CORRECTIV und dem BR. Sie betreut nach eigener Aussage wegen des hohen Alters die Angelegenheit der Mutter.
Anfang April hatte der ehemalige Privatsekretär des verstorbenen Papstes, Georg Gänswein, der Cousine Ratzingers einen Brief geschickt, der CORRECTIV und dem BR vorliegt. Darin stellt sich Gänswein als „Testamentsvollstrecker“ von Ratzinger vor und schreibt, dass Benedikt XVI. „keinen persönlichen Erben benannt“ habe. Daher kämen nach der „vatikanisch-italienischen Erbfolgeregelung die nächsten Verwandten“ als Erben in Frage.
Hintergrund der Suche nach den Erben ist der Zivilprozess vor dem Landgericht Traunstein, in dem ein Missbrauchsopfer die Mitverantwortung von Bischöfen, darunter auch von Ratzinger, feststellen lassen will. Der Kläger hatte sich aufgrund einer Recherche von CORRECTIV, BR und Zeit über den Missbrauchstäter H. in Garching zu der Klage entschieden.
Höhe des Erbes von Ratzinger unbekannt
In dem Brief an die Cousine Ratzingers schreibt Gänswein, dass sie die anhängige Zivilklage gegen „Kardinal Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.“ miterben würde. Sie müsse sich nun entscheiden, „ob Sie das Erbe von Papst Benedikt annehmen oder ausschlagen möchten“.
Als Anhang schickte Gänswein offenbar zur Information einen Artikel des Mediums Domradio über das Verfahren in Traunstein mit. Gänswein schreibt in dem Brief weder, wie hoch das Erbe ist, noch wer die anderen Verwandten sind. Die Tochter der Cousine sagt, sie kenne nicht alle Cousinen oder Cousins.
Eine Anfrage vom BR, an wie viele weitere Verwandte Gänswein einen solchen Brief geschickt habe, wie hoch das Erbe sei, und was die anderen Verwandten geantwortet haben, ließ der Erzbischof unbeantwortet.
Der ehemalige Privatsekretär des verstorbenen Papstes hatte zuvor in den Medien von fünf Cousinen und Cousins als Erben des Papstes gesprochen.
Das Gericht ist noch nicht mal über die Reaktion der Cousine aus Oberbayern informiert: „Die Rechtsnachfolge nach Papst Benedikt XVI. ist noch nicht geklärt, zumindest weiß das Landgericht Traunstein noch nichts davon. Wer angeschrieben wurde und wer „ausgeschlagen“ hat, entzieht sich unserer Kenntnis“, schreibt die Sprecherin des Landgerichts auf Anfrage von CORRECTIV und BR. Das Nachlassverfahren berühre aber das anhängige Verfahren nicht.
Das Verfahren gegen Ratzinger soll nun abgetrennt werden
Die ungelöste Nachfolgeregelung soll nach vorliegenden Schreiben des Rechtsanwaltes des Klägers, Andreas Schulz, das Verfahren in Traunstein nicht länger belasten. Er beantragte daher das Verfahren gegen Joseph Ratzinger „respektive dessen unbekannte Erben abzutrennen“. Das Landgericht Traunstein hat den Beklagten die Gelegenheit gegeben, „bis 06.06.2023 Stellung zu nehmen“, heißt es in einem Schriftsatz, der CORRECTIV, BR und der Zeit vorliegt.
Einen ersten Verhandlungstermin hatte das Gericht im März verschoben, da die Rechtsnachfolger für Ratzinger nicht gefunden waren. Damals hatten sich alle Seiten noch gegen eine Abtrennung ausgesprochen.
„Der verstorbene Papst Benedikt XVI. ist gewissermaßen die Ikone nicht nur in diesem Zivilverfahren, sondern auch für alle Verfahren, die noch kommen werden“, sagt der Klägeranwalt Schulz, unabhängig davon, wie sich die Erben nun entscheiden.
Die Anwaltskanzlei Hogan Lovells, die den verstorbenen Papst vor Gericht vertritt, hat auf Anfrage von CORRECTIV und BR bis Redaktionsschluss nicht geantwortet.
„Sollte keiner der potentiellen Erben das Erbe annehmen, wäre das Verfahren gegen den emeritierten Papst beendet, es würde sich dann nur noch gegen die weiteren Beklagten richten“, schreibt die Gerichtssprecherin. Und die wären der Priester, das Erzbistum München und Freising sowie der ehemalige Erzbischof Friedrich Wetter.
Hintergrund zu dem Verfahren in Traunstein
Das Missbrauchsopfer Andreas Perr hatte im Juni letzten Jahres den ehemaligen Priester Peter H., das Erzbistum München und Freising, Friedrich Wetter sowie Benedikt XVI. verklagt. Er will feststellen lassen, dass ihm Schadensersatzansprüche zustehen. Hintergrund: Der verurteilte Missbrauchstäter H. wurde Ende der 1980er Jahren in der oberbayerischen Gemeinde Garching an der Alz eingesetzt, wo er den Kläger und weitere Jungen missbrauchte, obwohl den Bischöfen des Erzbistums und dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger Informationen über die Sexualstraftaten des Priesters vorlagen. Da es sich um ein Zivilverfahren handelt, gehen die Ansprüche des Klägers auf die Erben über.
Für die Cousine des Papstes und deren Tochter ist das Verfahren der Grund, das Erbe auszuschlagen. „Das war uns jetzt alles eine Nummer zu groß mit zu vielen unbekannten Faktoren“, sagt die Tochter Martina Holzinger gegenüber CORRECTIV und BR. Sie hätten „einen speziellen Anwalt nehmen“ nehmen müssen. Die Erbfolge eines emeritierten Papstes, bei dem ein Gerichtsverfahren anhängig ist, sei sehr aufwändig, sagt die Tochter.
Erzbistum und der ehemalige Priester erkennen den Missbrauch an
Den Missbrauch des Priesters H. an dem Kläger hatten sowohl das Erzbistum München und Freising als auch der Anwalt des ehemaligen Priesters anerkannt. Das Erzbistum München und Freising hatte im Januar auf die Einrede der Verjährung verzichtet und grundsätzlich die Haftung seiner Mitarbeiter akzeptiert.
Inwiefern das Erzbistum München und Freising für den Missbrauch an Andreas Perr in Garching verantwortlich ist, könne am 20. Juni vor dem Landgericht Traunstein nach Auffassung des Klägeranwalts separat verhandelt werden.
Die Verantwortung Ratzingers bei der Wiedereinsetzung des Missbrauchstäters H.
Als Präfekt der Glaubenskongregation wurde Kardinal Ratzinger 1986 in einem Bittgesuch des Erzbistums München und Freising darüber informiert, dass H. im Erzbistum erneut Kinder im alkoholisierten Zustand missbraucht hatte und deswegen vom Amtsgericht Ebersberg verurteilt wurde. Dem Schreiben lag nach Recherchen von CORRECTIV und BR das Attest des Psychiaters Werner Huth vor, der dem Priester eine „Pädophilie“ diagnostizierte. Ratzinger erlaubte H. daraufhin „wegen absoluter Alkoholunverträglichkeit“ die Messfeiern mit Traubensaft zu zelebrieren, und ermöglichte so, dass H. erneut in der Gemeinde Garching an der Alz eingesetzt wurde. Dort missbrauchte H. nach Recherchen von CORRECTIV und BR bis in die 1990er Jahre weitere Jungen und Andreas Perr. Ratzinger unterschrieb die Erlaubnis als Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan. Eine mögliche Haftungsübernahme des Erzbistums München und Freising erstreckt sich aber nur auf die Zeit, als der verstorbene Papst dort Erzbischof war. Sie gilt nicht für dessen Zeit im Vatikan.
Kardinal Ratzinger habe „in Komplizenschaft“ mit dem Erzbistum München und Freising „den Missbrauch an dem Kläger in dem Pfarrhaus in Garching an der Alz erst möglich gemacht“, schreibt der Klägeranwalt Schulz an das Gericht in Traunstein.