Die Gönner
Richter vergeben Bußgelder an gemeinnützige Organisationen. Im Dunkeln bleibt, welche Richter an wen Geld verteilen. Was die Vereine mit dem Geld machen, wird nicht überprüft. Einige Richter fordern mehr Transparenz.
Im Jahr 2016 konnte sich die Stiftung des privaten Städel Museums in Frankfurt über eine besondere Spende freuen: ein Landgericht in Hessen überwies 50.000 Euro an das berühmte Museum. In derselben Zeit erhielt die Aids-Hilfe im benachbarten Fulda gerade einmal 275 Euro von einem Gericht in Hessen.
Für Richter an Strafgerichten ist es Alltag: Strafverfahren können gegen Zahlung einer Geldstrafe durch den Angeklagten eingestellt werden. Das Geld geht entweder direkt in die Staatskasse oder die Richter verteilen es an eine private Organisation. Die Richter sind unabhängig, daher dürfen sie auch bestimmen, wohin das Geld gehen soll. Einziges Kriterium: die Organisation muss gemeinnützig sein.
„Ich möchte, dass das Geld aus einem Strafverfahren einen Bezug zur Tat hat“, sagt der Strafrichter Jens Buck vom Amtsgericht Hannover. „Vor allem sollten Auflagen an Organisationen gehen, die auch einen wohltätigen Bezug haben.“ Ein schöner Satz, der von Richtern oft zu hören ist. Aber die Realität – siehe das Städel Museum – sieht in zahlreichen Fällen anders aus.
Hobbyvereine
Richter spenden an Tennisvereine, Jazz-Clubs oder Industrievereine. Sie geben Geld an Yacht-Clubs oder spendeten einem Förderverein eines Gymnasiums 2015 50.000 Euro, die für die Anschaffung eines Konzertflügels genutzt wurden. Auf dem Papier sind diese Vereine alle gemeinnützig. Mit einer Straftat oder mit Wohltätigkeit hat das aber eher wenig zu tun.
Gerichte und Staatsanwaltschaften in Deutschland vergaben im Jahr 2016 mehr als 90 Millionen Euro, einen Großteil davon an private Organisationen, der Rest an die Staatskasse. Das geht aus einer Datenbank hervor, die das Recherchezentrum CORRECTIV 2014 eingerichtet hat und die alle verfügbaren Listen der Gerichte seit 2007 berücksichtigt. Die Datenbank, in der man die Empfänger der Spenden nachschlagen kann, ist jetzt mit den Daten aus den Jahren 2015 und 2016 aktualisiert.
Mehr als die Hälfte der Zuwendungen, etwa 50 Millionen Euro, stammten im Jahr 2016 aus Nordrhein-Westfalen. An wen sie gehen, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. NRW und Baden-Württemberg lehnen eine Veröffentlichung der Empfänger ab.
Die Auswertung der zugänglichen Daten zeigt: in den meisten Fällen fließt das Geld an justiznahe Organisationen und Einrichtungen, die sich um Bedürftige kümmern. Also die Jugendhilfe, Opferhilfevereine oder Drogenberatungen, die ohne die Zuwendungen der Gerichte kaum arbeitsfähig wären.
Ein Gericht verteilte aber auch fünfstellige Beträge über Jahre an einen Ruderclub im hessischen Weilburg. Ein anderes Gericht in Hessen spendete 20.000 Euro an einen Verein, in dem ausschließlich große Unternehmen und Kanzleien Mitglied sind.
Mehr als 90 Millionen ohne Kontrolle verteilt
Es sind zweistellige Millionenbeträge, die Richter und Staatsanwälte – anders als andere Staatsbeamte – jedes Jahr frei verteilen können.
Oft ist die Auswahl der Empfänger zufällig, manchmal hängt sie von den Interessen eines Richters ab oder der Lobbyarbeit von Vereinen. Einige Organisationen bekommen hohe Beträge, andere ein paar hundert Euro.
Vor allem: Welcher Richter an welche Organisation Geld gibt, ist nicht bekannt. Es ist kaum überprüfbar, ob Richter Vereinen Geld zuschanzen, denen sie selbst nahe stehen. Es hat Fälle von Vetternwirtschaft gegeben. 2014 spendeten Münchner Richter an einen Verein, der Ausgrabungen in Ägypten unterstützte. Im Vorstand des Vereins saßen Richter.
Und die Justiz überprüft nicht, was die Vereine mit dem Geld machen.
Mehr Transparenz gefordert
Die „Neue Richtervereinigung“ fordert mehr Transparenz. „Es muss klar sein, von welchem Richter ein Betrag an wen verteilt wird“, sagt Amtsrichter Ulf Thiele, der Sprecher der Gruppe Strafrecht der „Neuen Richtervereinigung“. Damit könnten schwarze Schafe leichter identifiziert werden. „Ich hätte kein Problem, wenn die Richter erkennbar wären“, sagt Thiele.
Amtsrichter Thiele fordert zwar mehr Transparenz, findet die Idee der freien Verteilung grundsätzlich richtig: „Wir können die ganze Bandbreite gemeinnütziger Arbeit fördern“, sagt er. So bekämen nicht nur bekannte Organisationen eine Förderung, sondern auch kleine Vereine. „Auf eine Art ist das anarchisch vielfältig.“
Nur: Fast jeder Verein ist in irgendeiner Form gemeinnützig. Auch immer mehr Stiftungen, von denen 95 Prozent gemeinnützig sind, bemühen sich um Justizspenden. Das Rote Kreuz oder der Opferhilfeverein „Weißer Ring“ finden sich in den Gerichtslisten genauso wie Schulvereine, Jazz- oder Angelclubs.
Richter verteilten Geld für private Interessen
Oft führen Gerichte Listen mit Vorschlägen, welche Vereine gefördert werden könnten. In Niedersachsen hat diese Liste 96 Seiten. „Ich verteile das Geld nur an Organisationen, deren Arbeit ich auch kenne“, sagt Amtsrichter Buck aus Hannover.
Besonders bunt trieb es früher die Justiz in Hamburg. Anfang der 1970er Jahre wurde ein regelrechtes System zum Melken von Spendengeldern aufgedeckt. Im Zentrum stand damals der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS). Genauer: Die Landessektion des BADS in Hamburg. Staatsanwälte und Richter stellten Verfahren gegen die Zahlung an den BADS ein, hielten später Vorträge für genau diesen BADS und ließen sich dafür satt entlohnen.
Das ist alles Vergangenheit, aber mit den Richtern unter seinen Mitgliedern gilt der Verein immer noch als justiznah. Der BADS veranstaltet regelmäßig Trinkabende für Rechtsreferendare: die Abende sollen über die Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum aufklären. Mit 440.000 Euro im letzten Jahr gehört der Verein zu den meistgeförderten Einrichtungen in Hamburg.
Es dürfe im Verein niemand gegen Entgelt referieren, der dem Verein Bußgelder zuweise, schreibt Peter Gerhardt auf Anfrage von CORRECTIV. Gerhardt ist Präsident des BADS. „Sämtliche Vorstandsmitglieder sowie Landesvorsitzende sind rein ehrenamtlich tätig.“
Hamburg geht einen anderen Weg
Der Fall hat in Hamburg zu einem Umdenken geführt. Die Richter der Stadt weisen das Geld in der Regel nur noch einem Zweck zu. Zum Beispiel Opferhilfe, Jugendhilfe oder Verkehrserziehung. Welcher Verein konkret das Geld erhält, entscheidet dann die Verwaltung.
Anders als die Richter in den anderen Bundesländern, die völlig frei entscheiden können, orientiert sie sich an einer Reihe von Kriterien. Die Verteilung erfolgt zudem koordiniert. Die Empfänger müssen die Verwendung der Gelder nachweisen. Auch das gibt es nur in Hamburg.
„Das System der Direktzuweisung ist in vielen Facetten anfällig für Missbrauch“, sagt Holger Schatz. Er leitet das Justizvollzugsamt in Hamburg. Das reformierte System sei transparenter und weniger persönlich an die Richter gebunden, so Schatz. In seiner Behörde kümmern sich zwei Mitarbeiter um die Verwaltung der Geldauflagen. „Es ist ein aufwändiges System“, sagt Schatz.
Der Deutsche Richterbund, die größte Vereinigung von Richtern, hält im Gegensatz zur Neuen Richtervereinigung nichts davon, das aktuelle System zu ändern. Der Richterbund sei nicht der Auffassung, „dass sich die Zuweisungspraxis noch weiter verbessern ließe, indem man die Entscheidungskompetenz auf Stellen außerhalb der Justiz verlagert“, so ein Sprecher.
Aggressive Werbung von Vereinen und Stiftungen
Nicht wenige Organisationen haben die Zuwendungen auch als Geschäftsmodell erkannt. Vereine schreiben jede Woche Bettelbriefe, andere schicken Kugelschreiber oder kommen mit Werbegeschenken vorbei. Mehrere Richter beschrieben gegenüber CORRECTIV, wie Vereine und Stiftungen versuchen, ihre Entscheidung so zu beeinflussen. Der Strafrichter Ulf Thiele findet das unerträglich: „Zu viele Organisationen überschütten einen mit Werbebriefen, weil sie darauf spekulieren, dass sich ein Richter bei der nächsten Geldauflage an deren Namen erinnert.“
Es gab auch schon unangenehme Werbeversuche von Organisationen. Die Berliner Richterin Lisa Jani erinnert sich, wie ein Vertreter einer Stiftung an ihre Tür klopfte. „Er stellte einen Koffer bei mir auf den Tisch“, sagt Jani. In dem Koffer seien lauter schöne Werbeartikel gewesen. Jani schmiss ihn aus dem Zimmer und drohte andernfalls mit einem Strafverfahren wegen Bestechung. „Das hat dann auch gewirkt“.
Auffällig ist die Deutsche Arthrose-Hilfe (DAH). Seit 2007 haben Richter und Staatsanwälte dem Verein mehr als zwei Millionen Euro zugewiesen. Die Arthrose-Hilfe gehört damit zu den am stärksten geförderten Organisationen in Deutschland.
Das ist merkwürdig: viele Richter geben an, dass sie bei den Spenden einen Bezug zur Straftat herstellen wollen. Haben so viele Verfahren in Deutschland mit Arthrose zu tun?
Werbung hilft
Der Grund dürfte ein anderer sein: Die DAH wirbt offensiv um Spenden. Der Verein ist vielen befragten Richtern in Deutschland bekannt, weil er sie einzeln anruft und Briefe verschickt. Helmut Huberti ist Vorsitzender der Arthrose-Hilfe. Er ruft nach eigener Aussage die Richter vorher an, ob sie Infomaterialien haben wollen: „Ist die Person einverstanden, erhält sie kein Werbematerial, sondern die jeweils aktuelle Ausgabe des „Arthrose-Infos““, sagt Huberti.
Der Vorsitzende des Vereins hat für die Richter gleich zwei verschiedene Argumente parat: „Wenn es durch eine Straftat zu Knochenbrüchen kommt, kann das häufig zu Arthrose führen“, sagt Huberti gegenüber CORRECTIV. „Es kann auch sein, dass der Richter selber Arthrose hat oder jemand mit der Krankheit kennt“. So weckt Huberti das Interesse der Richter. Es scheint zu wirken.
Die Datensammlung für diese Recherche hat Belinda Grasnick durchgeführt. Mehrere Personen haben sie dabei über ein Crowdfunding finanziell unterstützt. Soweit die Spender einer Namensnennung zugestimmt haben, erscheinen sie in der folgenden Liste. Vielen Dank an: Lutz Grasnick, Marcus Speck, Nataliya Nikolska, Michael Rasenberger, Per Pogoda, Thomas Fischer, Christopher Bohlens, Julia Brötz, Daniel Drubig, Björn Haase-Wendt, Kieron Kretschmar, Harald Becker, Lilian Emonds, David Noack