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Transparenz im Immobilienmarkt: Ergebnisse für München, Augsburg und Würzburg

Bei der Recherche „Wem gehört die Stadt“ zu den Eigentümern des bayerischen Wohnungsmarktes haben 1500 Bürgerinnen und Bürger mitgemacht. Ihre Einträge zeigen, wie ihr Leben als Mieter vom Geschäftsmodell des Vermieters abhängt. Neben Brauerei-Konzernen tauchen als Immobilienbesitzer auch anonyme Firmen aus Luxemburg oder Delaware auf.

von Justus von Daniels , Verena Nierle

muenchen

Wohnen ist Glückssache. Am 13. Januar, kurz nach dem Start unseres Projektes „Wem gehört die Stadt“, beteiligt sich ein Bürger im CrowdNewsroom, einer Online-Plattform für Recherchen mit Bürgerinnen. Dort trägt er ein: „Ich weiß um den glücklichen Umstand, gerade in der heutigen Marktlage, in einem nicht ren­di­te­ori­en­tierten Wohnungsverein zu wohnen und dort Mitglied zu sein.“

Kurz darauf folgt ein Eintrag aus einer anderen Welt, die doch nur sechs Kilometer entfernt liegt. Ein anderer Mieter schreibt: „Der gesamte Block gehörte einer Erbengemeinschaft, wurde nun an JP Residential in Luxemburg verkauft. Wohnungen werden nicht mehr nachvermietet, alle Bewohner (ursprünglich 92 Parteien) haben Angst davor, was noch kommt.“ Beide Mieter leben in München, links und rechts der Isar im Stadtzentrum.

Kooperation: Bayerischer Rundfunk & CORRECTIV

Dieser Artikel ist Teil der Recherche „Wem gehört die Stadt?“, die CORRECTIV zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk in drei bayerischen Städten durchführt.
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Hunderte Erfahrungsberichte aus Bayern

Rund 1500 Bürgerinnen und Bürger aus München, Würzburg und Augsburg haben ihre Daten für die Aktion „Wem gehört die Stadt“ gespendet, Hunderte von ihnen schrieben CORRECTIV und dem Bayerischen Rundfunk ihre Erfahrungen mit ihren Vermietern. Auch etliche private Eigentümer haben mitgemacht.

Ihre Einträge zeigen, es hängt viel davon ab, welches Geschäftsmodell ein Eigentümer verfolgt. Daran entscheidet sich oftmals, ob das Mietverhältnis stimmt und die Miethöhe erträglich ist, nicht nur von der Lage ab und nicht nur vom Zeitpunkt des Mietvertrages.

Die Konfliktlinien des Wohnungsmarktes laufen nicht allein dort, ob ein großes Unternehmen im Grundbuch eingetragen ist oder ein Privateigentümer. Entscheidend ist, ob jemand fair oder rein profitorientiert ist. Wohlgemerkt für etwas, das ein Grundbedürfnis ist. Sogar ein Menschenrecht.

Sozialen Vermieter versus maximale Mieten

Ob es, wie uns eine Mieterin schrieb, „ein sehr sozialer Vermieter“ ist, „der seit Bestehen der Wohnung keine Mieterhöhung vorgenommen hat“ oder einer, der jede Mieterhöhung mitnimmt und Mieter als lästiges Übel seiner Gewinnerwartung betrachtet, wie so mancher Investor, auf den wir bei den Recherchen stießen.

Einige Eigentümer treibt die Frage um, wie sie weiter fair vermieten können. „Die Finanzbehörde will uns keine Steuererleichterung für diese Wohnung geben, da wir die ‚ortsübliche Miete‘ um 40 Prozent unterschritten haben“, berichtet einer. Eine andere Eigentümerin schreibt, die „unsäglichen Bauvorschriften“ seien doch die „wahren Preistreiber“.

Diese beiden Vermieter haben uns geschrieben, viele Eigentümer sind erst gar nicht bekannt.

Undurchsichtiger Immobilienmarkt in München

In einigen Mitgliedsländern der EU ist es üblich, dass die Eigentumsverhältnisse öffentlich einzusehen sind. Die Politik kennt den Markt besser, Bürger können sich einfacher informieren, Journalisten mit weniger Hindernissen recherchieren. Nicht so in Deutschland, dort sind die Inhalte des Grundbuches ein gut gehütetes Geheimnis. In München hat die Stadtverwaltung praktisch keine Übersicht über die Eigentümerstruktur.

In der bayerischen Landeshauptstadt, das haben wir zu Beginn der Recherche oft gehört, bringe so ein Projekt doch nichts. Schließlich sei ja mehr oder weniger bekannt, dass es einige reiche Münchner Familien gebe, die viel besitzen, dazu Erbengemeinschaften, viel Lokalkolorit eben. Ähnliches hörten wir auch über Würzburg und Augsburg. Wozu eine Recherche, die Licht in den Markt bringen will?

Ein Ergebnis unserer Recherche: In München fallen Häuser von Erbengemeinschaften oft in die Hände von institutionellen Investoren oder Fonds, weil sich die Erben die Erbschaftssteuer nicht leisten können. So verändert sich nach und nach die Eigentümerstruktur.

Brauerei-Familien investieren im Wohnungsmarkt

Die Haltung, dass der Markt bekannt sei, gab es schon in Hamburg, in Düsseldorf, in Lüneburg oder Berlin. Das Recherchezentrum CORRECTIV hat das Projekt in diesen Städten mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen durchgeführt. Am Ende überwog dann doch jeweils das Interesse an den Recherchen. Jede dieser Städte hat eine eigene Eigentümerstruktur, in allen förderten die Beiträge der Mieterinnen und Mieter Überraschungen zutage.

Auch München hat seine eigene Struktur. Einige Brauerei-Familien werden gleich mehrfach von Mietern eingetragen. Aber in den sechs Wochen, in denen wir über die BR-Radioprogramme, BR24 und in zahlreichen Fernsehbeiträgen zur Teilnahme aufriefen, tauchten zunehmend Namen in den Datenspenden auf, die anders klangen als der lokal verankerte Vermieter: Firmen aus Luxemburg oder der Schweiz, auch eine Firma aus Delaware wurde genannt und andere Steuerparadiese. In diesen Fällen ist der Firmensitz Teil des Geschäftsmodells.

Das muss nicht anrüchig sein, erlaubt ist es allemal. Aber es zeigt: Die Möglichkeit, anonym Geld zu investieren oder Gewinne so zu verschieben, dass dort keine Steuern gezahlt werden, wo das Haus steht, ist gängig im Immobilienmarkt. In unserem Text zum Thema Geldwäsche im Immobilienmarkt warnt ein Experte, das Problem der Anonymität zu ignorieren. Deutschland geht es schätzungsweise um 100 Milliarden Euro, die jedes Jahr zu sauberem Geld gewaschen werden, viel davon im deutschen Immobilienmarkt.

Begehrte Renditeobjekte, steigende Mietpreise

In Bayern gibt es eine Menge Erbengemeinschaften, die Häuser besitzen. Die Erbschaftssteuer für die Häuser erdrückt manche Erben, so dass sie sich gezwungen sehen, zu verkaufen. Mieter sind besorgt, was nach dem Verkauf geschieht. Unsere Recherchen ergeben, dass große oder international aufgestellte Investoren zuschlagen. Die haben ein Ziel: Rendite für ihre Fondsanleger. Ein Hebel sind dabei Mietsteigerungen. Für die Mieter bedeutet das häufig: Sie können sich ihre Wohnung nicht mehr leisten.

Auf welche unterschiedlichen Wegen Mietwohnungen zum Spekulationsobjekt werden, zeigt ein Fall, zu dem wir in München recherchiert haben. Seit 1895 steht das Haus in München-Schwabing, 2017 wurde es für rund sechs Millionen angeboten, demnächst soll es für 28 Millionen weiterverkauft werden, ohne dass dort Baumaßnahmen stattgefunden haben. Im Gegenteil – das Haus ist inzwischen ziemlich heruntergekommen. Die Wertsteigerung ergibt sich unter anderem durch das Spekulieren auf eine Baugenehmigung für einen fünfgeschossigen Neubau.

Investoren sammeln dafür schon Geld bei Kleinanlegern ein, bevor die Genehmigung überhaupt erteilt ist. Schwarmfinanzierung nennt sich das. Der Vorteil für die Investoren: Sie können nun einen Teil des Risikos auf die beteiligten Kleinanleger abwälzen. Falls die Spekulation schief geht, werden erst alle anderen Gläubiger ausgezahlt bevor die Schwarminvestoren an der Reihe sind. In den meisten Fällen heißt das für die Kleinanleger: Totalverlust.

Begehrter Wohnraum in Augsburg und Würzburg

Dass die Lage für Menschen, die eine Wohnung suchen, in kleineren Städten nicht unbedingt einfacher ist, zeigt dieses Beispiel: „Nach drei Tagen geschalteter Anzeige auf einem Immobilien-Portal habe ich immer weit über 250 Bewerbungen auf die Wohnung“, schreibt Andreas Ljevarl, ein Eigentümer aus Augsburg. „Mir tun viele Interessenten sehr, sehr leid, weil sie wenig bis gar keine Chance auf dem (…) Wohnungsmarkt haben.“

Und aus Würzburg erreichte uns diese Zuschrift: „Es wird immer so viel geredet über sozialen Wohnungsbau, aber der bezieht sich vor allem auf Menschen mit niedrigem Einkommen. Diese können dann eine sozial geförderte Wohnung erhalten. Aber wir sind eine dreiköpfige Familie mit mittleren Einkommen und bekommen keinen Wohnschein oder eine einkommensorientierte Förderung.“

Drei- oder Vierzimmerwohnungen würden sich nur noch Leute mit höherem Einkommen leisten können. Oder die Vermieter würden diese direkt an Studenten als WG vermieten, um so noch mehr Miete verlangen zu können, schreibt der Familienvater. Er wünscht sich, dass mehr Wohnraum für alle geschaffen würde.

Die Hinweise und Erfahrungen, die uns die Mieterinnen und Mieter, aber auch Eigentümer schickten, sind nicht repräsentativ, aber sie zeigen ein mittelbares Bild des Marktes.

Stadt München hat keine Übersicht der Eigentümer

Bemerkenswert fanden wir eine Antwort der Stadt München. Die Grünen im Stadtrat München hatten im November 2019 eine Schriftliche Anfrage an die Stadtbaurätin Elisabeth Merk gestellt. Sie wollten von der Stadt Auskunft über die Eigentümerstruktur. Also, wie viele Münchner Wohneinheiten Fonds und institutionelle Investoren gehörten, wie viele Pensionskassen, Versicherungen oder privaten Eigentümern. Insgesamt 15 Fragen. Die Antwort auf die meisten Fragen lautete: „Der Landeshauptstadt München liegen hierzu keine weiterführenden Informationen vor“.

Die Stadt München konnte lediglich den eigenen Bestand (gut 70.000 Wohnungen) berechnen. Sie benannte die Anzahl der Wohnungen der Genossenschaften (40.000), der katholischen Kirchen (6.000) und Privateigentümern (200.000). Zu den großen privaten Eigentümern machte die Stadt nur ungefähre Angaben und zählte nur eine handvoll Firmen auf.

Oberbürgermeister Reiter fordert neue Gesetzgebung

Der Wohnungsmarkt ist eine der großen politischen Herausforderungen der Städte. Aber die Stadtverwaltungen kennen den Markt nicht. Nicht nur in München, auch in Augsburg und Würzburg und anderen Städten ist es ähnlich. Das liegt auch an der Intransparenz, an undurchsichtigen Firmengeflechten und versteckten Verkäufen.

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD fordert im Interview mit dem BR, für das wir ihm einige Ergebnisse der Bürgerrecherche vorlegten, Veränderungen: „Es bräuchte eine Gesetzgebung, die es Spekulanten nicht mehr so leicht macht, darauf zu setzen, dass in München alles immer teurer wird und dass sie die Miete ins Unermessliche erhöhen können.“ Transparenz sei der erste Schritt für wirksamen Mieterschutz, so OB Reiter.

Schon nach den ersten Rechercheprojekten von CORRECTIV in Hamburg und Berlin gab es Vorstöße von Oppositionsparteien im Bundestag für ein offenes Immobilienregister, in dem zumindest Firmen als Eigentümer und damit verknüpft deren wahre Besitzer einsehbar werden sollten. Auch einige große Eigentümer setzen sich für mehr Transparenz ein. Die große Koalition hat diese Ideen blockiert.

Lernen aus den Versäumnissen der letzten Jahrzehnte?

Aus diesen Recherchen und vielen Berichten über die angespannte Lage am Wohnungsmarkt in den vergangenen beiden Jahren zeigt sich, dass der Wohnungsmarkt viele Jahre zu defensiv gestaltet wurde. Firmen konnten praktisch mit jedem Renditemodell im Immobilienmarkt investieren. Gerade nach der Finanzkrise gab es einen Boom der Finanz-Investoren auf dem Wohnungsmarkt.

Vor ein paar Wochen erst ist mit Deutsche Wohnen ein Wohnungs-Unternehmen nach dem Aktien-Absturz der Lufthansa in den DAX aufgerückt. Die Deutsche Wohnen muss Rendite für ihre Aktionäre abwerfen. Rendite, die in diesem Business in erster Linie aus der Miete generiert wird.

Einige Geschäftsmodelle aus dem Immobilienmarkt zu verbannen, eine soziale Mischung im Städtebau zu fördern: Die Städte können Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte nicht wettmachen. Aber sie können dafür sorgen, dass es nicht allein Glückssache ist, bei wem man zur Miete wohnt. Dafür braucht es zugängliche Informationen für die Öffentlichkeit.

Statt Angst vor dem neuen Eigentümer zu haben, wäre es ein erstrebenswertes Ziel, wenn möglichst viele behaupten können, was uns Mieterin Eva Ernst über ihre Wohnung schrieb: „Es ist einfach toll hier zu wohnen.“

Justus von Daniels ist Chefredakteur von CORRECTIV. Verena Nierle ist Leiterin von BR Recherche/BR Data. Beide haben die Kooperation geleitet.

Das „Wem gehört die Stadt?“-Team

Justus von Daniels (Leitung), Michel Penke (Recherche & Text), Max Söllner (Recherche), Melina Hemmer (Recherche), Jonathan Sachse (Korrektorat), Belén Ríos Falcón (Grafik), Katharina Späth (Community)