Fakten-Check

Was sagte der Dalai Lama zur europäischen Flüchtlingspolitik?

„Europa gehört den Europäern'', soll der 14. Dalai Lama bei einer Konferenz in Malmö am 12. September gesagt haben. Nun äußerte der Dalai Lama auf seiner Webseite: Seine Ansichten seien aus dem Zusammenhang gerissen worden.

von Caroline Schmüser

Der spirituelle Führer der Tibeter, der 14. Dalai Lama, bei einer Pressekonferenz in Malmö, Schweden, am 12. September 2018.© Johan NILSSON / TT News Agency / AFP

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Teilweise falsch
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Die Aussagen von SKB sind teilweise falsch. Es gibt keine Belege dafür, dass der Dalai Lama die europäische Einwanderungspolitik mit der politischen Situation in Tibet verglichen hätte.

„Europa gehört den Europäern“, soll der 14. Dalai Lama bei einer Konferenz in Malmö, Schweden, am 12. September 2018 gesagt haben. Das schreiben mehrere Zeitungen, wie die österreichische Regionalzeitung Kleine Zeitung, die Welt, Stern und Junge Freiheit. Verschiedene Webseiten wie Schlüsselkindblog, Zuerst.de und Peter Gaede Blog griffen diese Meldungen auf.

Den Berichten zufolge appellierte der Dalai Lama, Europa sei „moralisch verantwortlich“, wenn es um die Aufnahme eines Flüchtlings gehe, „dessen Leben wirklich in Gefahr ist“. Am Ende müssten Flüchtlinge aber ihr eigenes Land entwickeln und dieses wieder aufbauen.

Schlüsselkind schreibt außerdem: „Der tibetische Führer vergleicht die Massenmigration nach Europa mit der chinesischen Masseneinwanderung nach Tibet, die bis heute die größte Bedrohung für die Identität der Tibeter darstellt.“

Doch – stammen diese Aussagen tatsächlich vom Dalai Lama?

Unklar, was genau gesagt wurde

Ob der Dalai Lama diese Aussagen tatsächlich so tätigte, konnte CORRECTIV nicht nachprüfen – eine Video- oder Audiodatei der Konferenz in Malmö gibt es nicht.

Auf der offiziellen Webseite des Dalai Lama erschien am 12. September ein Bericht über die Konferenz mit dem Dalai Lama in Malmö. Darin heißt es zum Thema Flüchtlingspolitik: „Er wiederholte das, was er zuvor Pressevertretern gesagt hatte: Dass es gut sei, kurzfristig Hilfe anzubieten. Auf längere Sicht wollen die meisten Flüchtlinge jedoch in die Länder zurückkehren, aus denen sie geflohen sind. Was wichtig ist, ist die Wiederherstellung des Friedens dort und ihnen, vor allem der Jugend, eine Ausbildung zu geben, damit sie ihre Länder wieder aufbauen können.“

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Der relevante Abschnitt aus dem offiziellen Bericht über die Konferenz mit dem Dalai Lama am 12. September in Malmö, Schweden.

Screenshot von Correctiv

Die Aussagen des Dalai Lama erfuhren große mediale Aufmerksamkeit. In einem Statement auf der offiziellen Webseite des Dalai Lama heißt es nun, die „Ansichten Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zu Flüchtlingen wurde aus dem Zusammenhang gerissen“.

Statement des Dalai Lama: Meisten Flüchtlinge betrachten eigenes Land als Heimat

Das Statement, in dem der Dalai Lama das kontroverse Zitat erklärt, ist die Antwort des Dalai Lama auf die Frage einer Zuschauerin während eines Vortrags in Rotterdam in den Niederlanden am 16. September 2018. Die Zuschauerin hatte den Dalai Lama auf dessen Aussagen in Malmö angesprochen. Auf dem offiziellen YouTube-Account des Dalai Lama wurde ein Video des Moments veröffentlicht.

Die Zuschauerin sagte, wie im Video zu hören: „Gestern war ich ein wenig überrascht, weil ich einen Artikel über Sie gelesen habe, in dem es heißt, dass Europa den Europäern gehört, und dass die Einwanderer in ihr Heimatland zurückkehren sollten.“ Dies sei nicht vergleichbar mit den sonstigen Worten des Dalai Lama über Altruismus, Liebe, Akzeptanz und Gleichheit. Die Frage lautete dann: „Könnten Sie sich vielleicht weiter erklären?“

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Auf der offiziellen Webseite des Dalai Lamas wurde ein Statement zu seinen Aussagen in Malmö veröffentlicht,

Screenshot von Correctiv

Der Dalai Lama antwortete: „Es ist wunderbar, dass Deutschland und andere europäische Länder den Flüchtlingen geholfen haben, als sie aus anderen Ländern nach Europa gekommen sind. Ich denke jedoch, dass die meisten dieser Flüchtlinge ihr eigenes Land als Heimat betrachten, aber gerade jetzt gibt es dort viele Tote, Tyranneien und Leiden. Deshalb sind sie geflohen.“ Kurzfristig sollten die europäischen Länder Geflüchteten Zuflucht bieten. Insbesondere Kinder und Jugendliche sollten außerdem eine allgemeine und berufliche Bildung, einschließlich der technischen Ausbildung, erhalten. Ziel sei es, dass Geflüchtete schließlich in der Lage sein sollten, zum Wiederaufbau in ihre eigenen Länder zurückzukehren.

Die Tibeter hätten beispielsweise in Indien Zuflucht gefunden, die meisten Tibeter würden jedoch nach Tibet zurückkehren wollen, sobald die Situation sich dort geändert habe. „Jedes Land hat seine eigene Kultur, Sprache und Lebensweise, und es ist besser für die Menschen, in ihrem eigenen Land zu leben. Das ist meine Meinung“, sagte der Dalai Lama.

Altes Interview: „Europa kann kein arabisches Land werden“

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Dalai Lama über die europäische Flüchtlingspolitik äußert. In einem Interview, das am 31. Mai 2016 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung erschien, antwortete der Dalai Lama auf die Frage, wie er die „gegenwärtige Flüchtlingskrise in Europa“ empfinde: „Wenn wir in das Gesicht jedes einzelnen Flüchtlings schauen, besonders bei den Kindern und Frauen, spüren wir ihr Leid. Ein Mensch, dem es etwas besser geht, hat die Verantwortung, ihnen zu helfen. Andererseits sind es mittlerweile zu viele. Europa, zum Beispiel Deutschland, kann kein arabisches Land werden. Deutschland ist Deutschland.“

Auch moralisch betrachtet meine er, dass Flüchtlinge nur vorübergehend aufgenommen werden sollten. Das Ziel sei, dass sie in ihre Heimat zurückkehren und beim Wiederaufbau der eigenen Länder mithelfen.

Der 14. Dalai Lama, der spirituelle Führer der Tibeter, floh im Jahr 1959 von Tibet ins Exil nach Indien, nachdem in der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein Aufstand gegen die chinesische Regierung ausgebrochen war. Der Dalai Lama ist aufgrund der politischen Umstände in Tibet bis heute nicht in seine Heimat zurückgekehrt.

Dalai Lama vergleicht nicht Tibet und Europa

Schlüsselkind behauptet, der Dalai Lama vergleiche die Zuwanderung nach Europa mit der Migration von Chinesen nach Tibet. Einen Beleg dafür nennt Schlüsselkind nicht. Auf eine E-Mail-Anfrage von CORRECTIV zu der Quelle dieser angeblichen Aussage des Dalai Lamas bekamen wir von Schlüsselkind keine Antwort.

Schlüsselkind führt in diesem Zusammenhang ein Zitat des Dalai Lamas an. Dieser soll bei einer Rede anlässlich des 38. Jahrestags des Tibetischen Aufstands gesagt haben: „Der ungehinderte Zustrom chinesischer Immigranten nach Tibet hat zur Folge, dass die kulturelle und religiöse Identität Tibets überflutet wird und die Tibeter in ihrem eigenen Land auf eine unbedeutende Minderheit reduziert werden. Es ist nichts anderes, als ein kultureller Völkermord.“

Auf der Webseite des Dalai Lama kann man diese Rede des Dalai Lamas nachlesen. Er hielt sie am 10. März 1997. Damals sagte er: „Neue Maßnahmen zur Einschränkung der Verwendung der tibetischen Sprache in der Bildung wurden eingeführt. (…) Diese neuen Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Religion und Bildung, gepaart mit dem ungebremsten Zustrom chinesischer Einwanderer nach Tibet, der die ausgeprägte kulturelle und religiöse Identität Tibets überwindet und die Tibeter auf eine unbedeutende Minderheit in ihrem eigenen Land reduziert, belaufen sich auf einer Politik des kulturellen Völkermords.“ Heute seien die Tibeter in den meisten größeren Städten bereits marginalisiert. Sollte ein solcher „Bevölkerungstransfer“ weiterhin stattfinden, würde die tibetische Zivilisation in einigen Jahrzehnten nicht mehr existieren, sagte der spirituelle Führer der Tibeter.

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Auf der offiziellen Webseite des Dalai Lama findet man die Rede, die dieser am 10. März 1997 anlässlich des 38 Jahrestages des Tibetischen Aufstands hielt.

Screenshot von Correctiv

Einen Vergleich mit einer europäischen Einwanderungspolitik machte der Dalai Lama an dieser Stelle nicht. Belege dafür, dass der Dalai Lama einen solchen Vergleich zu einem späteren Zeitpunkt gezogen hätte, konnten wir nicht finden.