Faktencheck

Nein – Der Osterhase wird nicht als Selbstaufgabe unserer Kultur in „Traditionshase“ umbenannt

Prominente Politiker aus der AfD vermuten hinter der Bezeichnung „Traditionshase“ anstelle des Wortes „Osterhase“ in Supermärkten die freiwillige Preisgabe Deutschen Kulturgutes. Das stimmt nicht.

von David Schraven

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Die Behauptung stimmt nicht.

Die Botschaft sieht auf den ersten Blick seltsam aus. Auf einem Einkaufsbon der Karstadt Feinkost GmbH & Co.Kg in Hamburg wird statt eines Osterhasen ein „Traditionshase“ gebucht. Der Beleg ist vom 28. März 2018. Um genau zu sein, er stammt von 10:23 Uhr.

Kurze Zeit später geht der Bon mit dem Wort „Traditionshase“ anstelle des Wortes „Osterhase“ über die Sozialen Medien und löst Empörung aus. Die Rede ist von der Selbstaufgabe Deutschlands, von Verlust der Identität, von Boycott Karstadts. Der Jurist Joachim Steinhöfel schrieb am 28. März um 14:31 Uhr auf Facebook: „Die Unterwerfung und die Selbstaufgabe schreiten voran. Ich gebe bei Karstadt keinen Cent mehr aus.“ Ein Shitstorm gegen Karstadt rauschte heran.

„Liebe Karstadtleitung, ich war immer ein Fan eurer Warenhauskette, aber jetzt überschreitet ihr für mich Grenzen der Selbstaufgabe die ich als Kunde nicht mehr mitgehen werde“, schrieb Stefan Steder.

Erika Steinbach ließ da nicht lange auf sich warten. Um 17:03 twitterte sie: „Bei Karstadt gibt es keine Osterhasen mehr, sondern Traditionshasen. Wer mir keine Osterhasen mehr verkaufen will, der kann auch sonst auf mich verzichten…….“

Kurz darauf erschien auch ein Bon der Supermarktkette REWE im Internet. Und auch hier: aus dem Osterhase war ein „Traditionshase“ geworden. Haben die Sprachwandler tatsächlich Deutschland schon soweit unterwandert? Supermarktkette um Supermarktkette, um deutsche Kultur zu zerstören? Ist Deutschlands Osterhase bedroht? Auf jeden Fall geriet Deutschland in Aufregung.

Dabei ist die Aufklärung so leicht.

Per Twitter teilte der „REWE“-Konzerns zum Beispiel mit, das der Lindt-Goldhase seit 1992 auf den Kassenbons als „Traditionshase“ bezeichnet werde. REWE schreibt, dieser Begriff sei durchaus treffend, „da es ihn nach unserem Kenntnisstand bereits seit den frühen 50er Jahren in Deutschland gibt.“

Es gibt also keine neue Sprachwandlung – oder Sprachpanscherei – sondern einen Begriff in einem Warenwirtschftssystem.

Da diese Systeme nicht alle Menschen kennen, erklären wir es kurz:  Als Warenwirtschaftssysteme werden Systeme bezeichnet, mit denen unter anderem Lebensmittelläden ihre Einkäufe und Verkäufe organisieren. Jede Ware braucht hier eine eindeutige Bezeichnung, damit neue Ware bestellt werden kann, wenn sie aus ist. Ob Ware aus ist, wird festgestellt, indem an der Kasse die Ware beim Verkauf eingebont wird. Jede verkaufte Ware wird nach Verkauf in der Lagerliste abgezogen. Wird ein bestimmter, vorher festgelegter Wert in der Lagerliste unterschritten, wird aus dem System heraus eine Nachbestellung der Ware ausgelöst. Das Warenwirtschaftssystem sorgt dafür, dass niemand mehr mit dem Zettel zählen muss, ob noch genügend Waren auf Lager ist.

Nun gibt es sehr viele verschiedene Osterhasen aus Schokolade in deutschen Supermärkten. Wenn man die alle unterschiedslos als Osterhasen bezeichnen würde, könnte das Warenwirtschaftssystem diese nicht mehr auseinanderhalten. Es wäre nicht klar, welcher Hase ausverkauft ist und welcher nicht. Deswegen werden die Schokorammler in der Warenwirtschaft in der Regel alle anderes benannt. Der Milkahase anders als der Kinderschokoladeosterhase und so weiter und so fort. Der Goldhase von Lindt heißt oft „Traditionshase“ in der Warenwirtschaft, weil er schon seit den frühen 1950er Jahren am Markt ist. Mimikama hat drüber berichtet.

Mit anderen Worten: Das Abendland ist nicht in Gefahr. Der Osterhase heißt weiter Osterhase – nur in der Warenwirtschaft wird er zur besseren Unterscheidung auch mal anders bezeichnet.

Leider erreicht diese Erklärung nicht alle Menschen. Der AfD-Chef Jörg Meuthen meldete sich etwa auf Facebook zu Wort: „Prompt sind natürlich auch die linksgrünen Verteidiger dieser Unterwerfungsgeste aus ihren Löchern gekrochen und sprechen wortreich von ‚Besonderheiten im Warenwirtschaftssystem’. Diesen empfehle ich, einmal über die Besonderheiten in unserem Kultursystem nachzudenken. Kleiner Denkanstoß: Unser Land ist christlich geprägt, nicht islamisch; deshalb heißt es bei uns Osterhase, Osterei und Osterfest — nicht dagegen Traditionshase, Traditionsei und Traditionsfest.“

Das stimmt, allerdings sind diese Begriffe nicht zur Verwaltung eines Supermarktlagers mit vielen verschiedenen Osterhasen geeignet.

Warum erscheint der Begriff erst seit wenigen Stunden bei Google?

Zum Abschluss noch eine kurze Aufklärung zu einer weiteren vermuteten Verschwörung in dieser Sache. Der schon genannte Jurist Steinhöfel schrieb in einem weiteren Post auf Facebook: „Wenn es die Bezeichnung ‚Traditionshase’ angeblich schon seit Jahrzehnten gibt, wie einige schlecht oder gar nicht recherchierte Artikel behaupten, warum gibt es dann ausschließlich Google–Treffer aus den letzten 48 Stunden?“

Die Antwort liegt im System von Google. Ein Begriff wird dann in den Suchvorschlägen oder Autovervollständigung* angezeigt, wenn nach ihm gesucht wird. Nur dann. Vor 72 Stunden hat sich noch kaum jemand auf diesem Planeten für die Bezeichnung für Schokohasen im Warenwirtschaftssystem von Supermärkten interessiert. Das änderte sich erst durch die Proteste von Steinbach und Co. Aus diesem Grund wird erst seit wenigen Stunden das Wort „Traditionshase“ in die Google-Suchmaske eingetippt. Und auch aus diesem Grund werden seit einigen Stunden zu diesem Thema Artikel geschrieben, etwa auch von der FAZ oder Bento.

Man könnte meinen, mit dieser Erklärung wäre nun der Fall „Traditionshase“ endgültig beendet. Falsch. Noch einmal meldet sich AfD-Chef Meuthen zu Wort: Er zieht jetzt die Aufgabe der Identität zeitlich vor. Nicht erst vor wenigen Stunden sei die Identität aufgegeben worden, sondern vor Jahrzehnten, als das Wort „Traditionshase“ in die REWE-Warenwirtschaft eingetippt wurde. „Die Tatsache, dass dieser Begriff bei REWE bereits seit 1992 verwendet wird, macht die Sache grundsätzlich in keiner Weise besser – jedenfalls dann nicht, wenn er seinerzeit gewählt wurde, um sich der seit den 80er Jahren grassierenden ‚politischen Korrektheit’ zu unterwerfen.“ Meuthen spricht von „Sprachverstümmelung“ und weiter: „Wer in all diesen Dingen keine Unterwerfung erkennen kann, möge seine Wahrnehmung ärztlich untersuchen lassen.“

Das Verständnis eines Warenwirtschaftssystems kommt sehr langsam bei Meuthen an.


Update 31. März 2018

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Der umbenannte AfD-Schokohase im Onlineshop der Populisten.

Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikels wird bekannt, dass die AfD von Jörg Meuthen in ihrem Online-Werbemittelversand selbst Osterhasen aus Schokolade verkauft hat – zumindest im Jahr 2017. Diese nannte sie wörtlich: „Schokohasen“. Damit erfüllt die AfD genau die Voraussetzungen der „Sprachverstümmelung“ und „Unterwerfung“, die AfD-Chef Meuthen anprangerte. Erst nach den Angriffen von Meuthen, Steinbach und Co. benannte die AfD ihre „Schokohasen“ um: In „Schokoosterhasen“. Die Umbenennung ist im Bearbeitungsverlauf des Artikels weiter sichtbar.

* in einer früheren Version des Artikels hieß es, Begriffe würden bei Google nur angezeigt, wenn nach ihnen gesucht wird. Diese Aussage bezog sich auf die Autovervollständigung und die Suchvorschläge. Um dies deutlicher zu machen, wurde der Satz entsprechend ergänzt. Danke an Chris71 für den Hinweis.

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