Faktencheck

Wie viele Menschen demonstrierten in Berlin bei der AfD-Großdemo?

Für Journalisten ist es schwer, über Demonstranten-Zahlen zu berichten, da es oft zwei verschiedene Angaben gibt: die hohen – geschätzten – Zahlen der Veranstalter, und die der Polizei, die den Veranstaltern zu niedrig sind.

von Jacques Pezet

Am 27. Mai 2018 demonstrierten AfD-Unterstützer in Berlin. Ihre Gegner waren auch dabei.© Tobias SCHWARZ / AFP

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Es ist kaum möglich, verlässliche Demonstranten-Zahlen zu erhalten.

Unter dem Motto „Zukunft Deutschland“ organisierte die AfD eine Großdemo am Sonntag, dem 27. Mai 2018, in Berlin. Laut des rechtskonservativen Blogs „Philosophia Perennis“ hatten sich „etwa 10.000 Menschen in Berlin vor dem Hauptbahnhof zur großen AfD-Demo ‘Zukunft Deutschland’ versammelt. RT Deutsch hat 12.000 AfD- und 5000 Gegendemonstranten gezählt. Die Pressemitteilung der AfD-Pressestelle spricht von 8.000 Teilnehmern.“

Demonstranten-Zahlen sind ein Klassiker der sogenannten alternativen Fakten. Für Journalisten ist es schwer, darüber zu berichten. Das gilt auch für die AfD-Demo.

Polizei Berlin: mehr als 30.000 Menschen bei unterschiedlichen Demos unterwegs

Am 28. Mai 2018 veröffentlichte die Berliner Polizei eine Pressemitteilung, in der sie die folgende Bilanz mitteilt: „Insgesamt 15 Demonstrationen wurden gestern von der Polizei Berlin in Mitte begleitet. Unter dem Motto ‘Für Freiheit und Demokratie’ nahmen bis zu 5.000 Personen an einem Aufzug der AfD teil. […] An den Gegenversammlungen beteiligten sich bis zu 25.000 Personen überwiegend störungsfrei.“

Dies entspricht den Zahlen, die die Polizei schon am Sonntag verschiedenen Medien mitteilte und auch auf Twitter veröffentlichte: „Wir gehen davon aus, dass heute mehr als 30.000 Menschen in unterschiedlichen Demos unterwegs waren.“

Zahlen der Veranstalter

Während der Demo hatte Guido Reil, Berliner AfD-Politiker und Organisator der Großdemo, geschätzt, dass „locker 10.000 Menschen“ bei der Veranstaltung waren. Auf ihrer Webseite bedankte sich die AfD bei ihren Mitgliedern mit einer niedrigeren Zahl: „Bis zu 8.000 teilnehmende Bürger zeigten – bis ins Innerste des Kanzleramtes wahrnehmbar – ihren Unmut gegenüber Merkel und ihrer Politik. Gemeinsam haben wir eindringlich endlich Taten für die Zukunft Deutschlands eingefordert.“

Die Organisatoren der Gegendemo „Aufstehen gegen Rassismus“ behaupteten bei Tagesende, dass 72.000 Menschen gegen die AfD demonstriert hätten.

Die zitierten Zahlen von Philosophia Perennis konnten wir und RT Deutsch nicht finden

CORRECTIV hat versucht, die Zahlen nachzuvollziehen, die im Artikel von „Philosophia Perennis“ dem russischen Medium „RT Deutsch“ zugeschrieben werden. Sowohl auf der Webseite von „RT Deutsch“, als auch in deren sozialen Netzwerken konnten wir diese nicht finden. Am Sonntag hatte „RT Deutsch“ lediglich einen kommentarlosen Livestream von beiden Demos gefilmt und ins Internet geladen.  

Auf Anfrage von CORRECTIV antwortete Florian Warweg, der Chefredakteur von „RT Deutsch“: „Ich habe nochmals sowohl beim Social Media-Team als auch am 27.5.  diensthabenden Redakteur nachgefragt. Kein RT-Mitarbeiter hat die von David Berger genannte Teilnehmerzahl in einem Post oder Artikel verwendet. Die Zahl und Zuordnung scheint ausschließlich auf der Fantasie/Wunschvorstellung des Bloggers zu beruhen.“*

CORRECTIV hat David Berger, den Autor des Artikels und Betreiber von „Philosophia Perennis“, angeschrieben. Bislang bekamen wir keine Antwort von ihm.

Wie sollen Journalisten mit Demo-Zahlen umgehen?

Für Journalisten, besonders für Faktenchecker, sind Demonstranten-Zahlen ein Problem. Faule Journalisten könnten einfach schreiben: „Zwischen 5.000 und 8.000 AfD-Unterstützer demonstrierten in Berlin. An der Gegendemo nahmen zwischen 25.000 und 72.000 Menschen Teil.“ Man könnte ihnen ihre Ungenauigkeit vorwerfen.

Aber mit welchen Mitteln können wir die Schätzungen der Polizei oder der Demonstranten überprüfen? Die Demonstranten haben Interesse daran, Aufmerksamkeit durch hohe Zahlen zu erzielen. Außerdem glauben Demonstranten den Aussagen der Polizei oft nicht. So wird der Polizei von einer Seite vorgeworfen, der Regierung zu dienen und die AfD-Zahlen zu minimieren. Die andere Seite, die Gegendemonstranten, könnten der Polizei vorwerfen, (zum Beispiel nach der Festnahme der 73-jährigen Anti-Nazi-Aktivistin Irmela Mensah-Schramm) den Sicherheitsdiskurs der AfD zu unterstützen und wegen dieser Sympathie eine höhere Zahl zu nennen. So behaupteten die Gegendemonstranten, dass nur 2.000 Menschen am AfD-Marsch teilnahmen.

Leider gibt es diesmal – im Gegensatz zu Donald Trumps Inauguration – keine Luftaufnahme von den Berliner Demonstrationen. Sonst hätten wir das Tool von „mapchecking.com“ benutzen können. Damit ist es möglich, eine Zone auf „Google Maps“ zu definieren und zu berechnen, wie viele Personen dorthin passen.

*Update vom 29. Mai 2018: Wir haben den ursprünglichen Text mit der Antwort von „RT Deutsch“ ergänzt.