Faktencheck

Nein – Migranten werden nicht durch Zwangsarbeit von Hartz-IV-Empfängern finanziert

Eine Website behauptet, das Arbeitsministerium wolle Arbeitslose zu Arbeit zwingen und dadurch Migranten finanzieren. Das ist falsch.

von Marita Wehlus

Jobcenter sollen künftig Langzeitarbeitslose in geförderte Jobs vermitteln. (Symbolbild)© succo / Pixabay

Bewertung
Die Behauptungen sind teilweise falsch. Langzeitarbeitslose sollen zwar in bezuschusste Stellen vermittelt werden. Nicht alle sind aber davon betroffen. Dafür, dass dadurch Migranten finanziert werden, gibt es keine Belege.

Das Online-Magazin „Anonymousnews“ schrieb am 16.Juli 2018, das Arbeitsministerium wolle Zwangsarbeit für Langzeitarbeitslose einführen, um Migranten zu finanzieren. Titel: „Zwangsarbeit für Deutsche, um Migranten zu finanzieren“. „Anonymousnews“ beruft sich dabei auf Artikel der Seiten „gegen-hartz.de“ und „o-Ton Arbeitsmarkt“.

„Anonymousnews“ schreibt, deutsche Hartz-IV-Empfänger müssten zwangsweise niedere Arbeiten verrichten, das sei also Zwangsarbeit. Gemeint ist das Teilhabechancengesetz, mit dem Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt kommen sollen. Ob man das als Zwangsarbeit einstufen kann, ist fraglich – nicht jede Person wird sanktioniert werden, die das Angebot ablehnt.

„Anonymousnews“ nennt außerdem keine Belege, wie dadurch Migranten finanziert werden sollen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) schreibt, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen dem neuen Teilhabechancengesetz und der Finanzierung von sozialen Leistungen für Migranten.  „Einen Zusammenhang kann ich klar verneinen“, schreibt eine Vertreterin des Ministeriums. Es gehe darum, Menschen wieder auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Das sei die Intention hinter dem Gesetz. Migranten spielen dabei also keine Rolle.

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Screenshot aus einer Antwortmail des BMAS vom 24.07.2018 auf eine Presseanfrage von EchtJetzt.

Tatsächlich werden Arbeitgeber bezuschusst, um Anreize zu schaffen, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen. Die Personen müssen auch Steuern zahlen.

Was steht in dem Gesetz?

Die Bundesregierung plant das sogenannte Teilhabechancengesetz, das die Vermittlung von „arbeitsmarktfernen“ Personen in einen sozialen Arbeitsmarkt regeln soll. Diese schwer vermittelbaren Personen sind seit Jahren arbeitslos und haben wenig Chance in Kürze einen normalen Job zu finden. Sie sollen in extra geschaffene Stellen vermittelt werden, die mit Lohnzuschüssen gefördert werden. Der Gesetzentwurf vom 18.07.2018 wurde diese Woche vom Bundeskabinett gebilligt. „Anonymousnews“ bezieht sich in dem Artikel noch auf die vorherige Referenten-Fassung vom 11.06.2018.

Arbeitslose, die in den letzten sieben Jahren mindestens sechs Jahre Hartz IV bezogen haben, würden zwangsweise einem Arbeitgeber zugewiesen, heißt es in dem Artikel. Inzwischen geht es um Menschen, die in den letzten acht Jahren mindestens sieben Jahre Hartz IV bezogen haben. Diese Änderung – auf acht statt sieben Jahre – kam nach Erscheinen des Artikels.

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Screenshot aus dem Gesetzentwurf der Regierung, 10. SGB II-ÄndG §16i (3)

Wer wird vermittelt?

Der Artikel von „Anonymousnews“ behauptet, dass alle Langzeitarbeitslosen automatisch in Jobs vermittelt werden, außer Aufstocker, die in diesem Zeitraum durchgehend vollzeitbeschäftigt waren.

Doch das stimmt nicht ganz. Auch Menschen, die in den letzten acht Jahren über einen längeren Zeitraum gearbeitet haben, sind nicht von dem Gesetz betroffen.

In dem Gesetzesentwurf heißt es: Es „werden erwerbstätige Leistungsberechtigte, deren Einkommen nicht bedarfsdeckend ist, sowie Leistungsberechtigte, die aufgrund vergangener Erwerbstätigkeit in den letzten acht Jahren nicht als besonders arbeitsmarktfern anzusehen sind, ausgeschlossen.“

Allerdings: „Welche Personen konkret in Frage kommen, entscheiden die Jobcenter vor Ort“, schreibt das BMAS auf Nachfrage. Die im Gesetzentwurf formulierten Kriterien gäben nur die potenzielle Zielgruppe an, die für die geförderten Stellen in Frage kämen.

Das Bundesministerium für Arbeit bestätigt, dass Hartz IV-Empfänger „an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken“ müssen. Sollte aber eine normale Beschäftigung, für die keine Zuschüsse gezahlt werden, in Betracht kommen, hätte diese Vorrang.  

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Screenshot aus einer Antwortmail des BMAS vom 18.07.2018 auf eine Presseanfrage von EchtJetzt.

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Screenshot aus einer Antwortmail des BMAS vom 19.07.2018 auf eine Presseanfrage von EchtJetzt

Zudem „sollen grundsätzlich nur motivierte Teilnehmer gefördert werden“, so das BMAS. Vermittelt wird also nur, wer dies auch will. Ob Sanktionen verhängt werden, wenn jemand eine Stelle ablehnt, stelle man dem Jobcenter frei. Diese sollten dies je nach „Vermittlungsvergangenheit“ der Person entscheiden.

Wer profitiert?

Der Lohnzuschuss für die Arbeitgeber für die Einstellung würde laut Entwurf in den ersten beiden Jahren 100 Prozent des Mindestlohns, danach pro Jahr je 10 Prozent weniger betragen.

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Screenshot aus dem Gesetzentwurf der Regierung, 10. SGB II-ÄndG §16i (1) und (2)

Laut „Anonymousnews“ könne der Arbeitgeber so 88 Prozent der Lohnausgaben sparen. Das habe „gegen-hartz.de“ errechnet. Die Rechnung stimmt. Jedenfalls über fünf Jahre gerechnet, wenn die Person lediglich den Mindestlohn verdient.

Zum Nachrechnen:

  • Jährlicher Mindestlohn bei einer 40-Stunden-Woche: 18.384 Euro
  • Mindestlohn über fünf Jahre: 91.920 Euro
  • Zuschuss im ersten Jahr: 18.384 Euro (100 Prozent des Mindestlohns)
  • Zuschuss im zweiten Jahr: 18.384 Euro (100 Prozent des Mindestlohns)
  • Zuschuss im dritten Jahr: 16.545,60 Euro (90 Prozent des Mindestlohns)
  • Zuschuss im vierten Jahr: 14.707,20 Euro (80 Prozent des Mindestlohns)
  • Zuschuss im fünften Jahr: 12.868,80 Euro (70 Prozent des Mindestlohns)
  • Zuschüsse insgesamt: 80.889,60 Euro
  • 80.889,60 Euro ÷ 91.920 Euro = 88 Prozent

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt?

Es sei unwahrscheinlich, dass Arbeitgeber dafür reguläre Stellen streichen würden, sagt Joachim Wolff vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB). Das Institut forscht für die Bundesagentur für Arbeit. „Es geht um Personen, die im normalen Wettbewerb um Stellen nicht konkurrieren können“, sagt Wolff. Wenn tatsächlich nur diese  “arbeitsmarktfernen“ Personen gefördert würden, solle das reguläre Arbeitsplätze allenfalls in geringem Umfang gefährden. Sie brächten keinen großen Vorteil für die Arbeitgeber, da die Geförderten häufig nicht so leistungsfähig seien. „Deshalb die Höhe des Lohnzuschusses“, sagt Wolff. Das Gesetz sei dafür da, Personen Chancen auf Teilhabe zu geben, bei denen man keine anderen Instrumente mehr habe. Man könnte Menschen in den Arbeitsmarkt bringen, für die man keine anderen Möglichkeiten mehr sehe.