Faktencheck

Unbelegte Behauptungen über Zählweise der Corona-Todesfälle in den USA

In einem Artikel wird spekuliert, die Aufregung um das Coronavirus sei „ein riesiger Fake“. Denn in den USA könnten zehntausende Menschen fälschlich als Covid-19-Todesfälle deklariert worden sein. Damit solle die Sterberate angeblich „künstlich nach oben getrieben werden“. Für diese Schlussfolgerung gibt es keine Belege.

von Cristina Helberg

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Ein Corona-Test am 15. Juli in Sacramento in den USA. (Symbolbild: picture alliance/ZUMA Press)
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Unbelegt. Es gibt keine Belege, dass Corona-Todeszahlen in den USA „künstlich“ in die Höhe getrieben werden.

Die Webseite Schweizer Morgenpost behauptet in einem Artikel, dass in den USA zehntausende Menschen als „falsche Coronatote“ gezählt worden sein könnten. „In amerikanischen Städten und Bundesstaaten wird offenbar die Sterblichkeit unter den am Coronavirus erkrankten Menschen künstlich nach oben getrieben“, heißt es weiter. Zudem wird behauptet, es sei eine „bekannte Tatsache“, dass positiv auf das Coronavirus getestete Menschen auch dann als Coronatote zählen, wenn sie bei einem Unfall oder durch andere Erkrankungen sterben würden. 

Der Artikel vom 21. Juli wurde laut dem Analysetool Crowdtangle mehr als 2.600 Mal geteilt. Die Webseite Schweizer Morgenpost hat in der Vergangenheit wiederholt Falschmeldungen verbreitet, die wir geprüft haben. (Zum Beispiel hier, hier und hier)

Wir haben die Behauptungen zur Zählweise der Covid-19-Todesfälle in den USA geprüft. Es gibt keine Belege, dass die Zahlen viel zu hoch sind.

Anweisung des CDC widerspricht der Behauptung

Auf seiner Webseite schreibt das US-amerikanische Zentrum für Krankheitsbekämpfung und Prävention (CDC) deutlich: „Wenn COVID-19 als Todesursache auf dem Totenschein angegeben wird, wird die Angabe codiert und als Tod aufgrund von COVID-19 gezählt. COVID-19 sollte nicht auf dem Totenschein angegeben werden, wenn es den Tod nicht verursacht oder dazu beigetragen hat.“ Der Hinweis ist dort mindestens seit dem 28. Mai zu lesen, wie eine archivierte Version der Webseite zeigt. 

Schon am 3. April 2020 veröffentlichte das CDC außerdem eine detaillierte Anleitung, wie Totenscheine im Zusammenhang mit dem Coronavirus ausgefüllt werden sollen. Dort steht: „Zweck dieses Berichts ist es, Sterbebeglaubigern eine Anleitung für die ordnungsgemäße Bescheinigung der Todesursache in Fällen zu geben, in denen bestätigte oder vermutete Covid-19-Infektionen zum Tod geführt haben.“ Weiter wird in dem Dokument deutlich gemacht, dass im oberen, ersten Teil des Totenscheins die „unmittelbare Ursache für den Tod“ anzugeben sei. Bei einem tödlichen Unfall, wäre das demnach die tödliche Unfallverletzung und nicht eine eventuell vorliegende Coronavirus-Infektion. 

CDC weist auf mögliche spätere Änderungen hin 

Das CDC weist auf seiner Webseite außerdem daraufhin, dass es zwei Zählweisen der Covid-19-Todesfälle gibt, die voneinander zu unterscheiden sind. Zunächst laufen vorläufige Zählungen der Todesfälle bei der Behörde ein und werden veröffentlicht. Diese provisorischen Zählungen werden laufend überprüft und aktualisiert und können sich deshalb erhöhen oder verringern, wenn neue Daten zu Sterbeurkunden übermittelt wurden. Mit Stand 29. Juli 2020 zählte das CDC 148.866 Covid-19-Todesfälle in den USA.

Bundesstaat Washington änderte Zählweise im Juni 

Soweit die Anweisungen der Bundesbehörde. Allerdings wurden in einigen US-amerikanischen Bundesstaaten offenbar trotzdem eine Zeitlang alle positiv getesteten Personen automatisch zu den Covid-19-Todesfällen gezählt. Die Gesundheitsbehörde des US-Bundesstaat Washington veröffentlichte am 20. Juni eine Ankündigung, die Zählweise zu ändern. „Bisher haben wir alle Menschen, die starben und zuvor positiv auf Covid-19 getestet wurden, gezählt. Diese Methode identifiziert Personen, die das Virus hatten, sagt uns aber nicht, ob Covid-19 ihren Tod verursacht hat“, heißt es darin. 

Als Grund für diese Vorgehensweise gibt die Behörde an, sie habe versucht, von Beginn des Ausbruchs an, Daten möglichst in Echtzeit zu veröffentlichen, um dem Gesundheitssystem und der Politik Zugang zu den aktuellsten Informationen zu ermöglichen. Der reguläre Prozess für die Erhebung der Daten dauere bis zu 18 Monate. 

Im Zuge der Umstellung der Zählweise Mitte Juni löschte die Behörde im Staat Washington am 17. Juni sieben Todesfälle aus der Corona-Statistik: zwei Suizide, drei Tötungsdelikte und zwei Todesfälle durch Überdosis. Außerdem wurden in der Statistik neue Kategorien eingeführt: „bestätigter Covid-19-Tod“, „große Wahrscheinlichkeit auf Covid-19-Tod“, „Verdacht auf Covid-19-Tod“ und „kein Corona-Tod“ (Beispiele dafür sind Mord, Überdosis, Selbstmord, Autounfall oder Krankheit mit klarem Ausschluss einer Covid-19-Erkrankung). 

Opfer eines Motorradunfalls in Florida als Covid-19-Todesfall gezählt?

Die Schweizer Morgenpost nennt in ihrem Artikel nur zwei Einzelfälle als angebliche Belege für „zehntausende“ falsch zugeordnete Todesfälle. Zum Beispiel den Fall eines Motorradunfalls in Florida: Ein dabei getöteter Mann sei wegen eines vorherigen positiven Corona-Tests als Coronatoter gezählt worden. Als Quelle bezieht sich die Seite auf die Berichterstattung des Fernsehsenders FOX35. Erst nach deren Berichterstattung sei der Mann von der Liste der Coronatoten genommen worden. 

Die US-Faktenchecker von Lead-Stories haben in einem Faktencheck analysiert, dass der Sender FOX35 den Fall aufgebauscht hatte. Die Faktenchecker schreiben: „Ein Beamter des öffentlichen Gesundheitswesens, den FOX35 mit den Worten aufzeichnete, er wisse nicht, ob der Tod des Motorradfahrers in die Covid-19-Zählung aufgenommen wurde oder nicht, ist nicht die Person, die die Todesursache bestimmt. Staats- und Bundesbeamte sagen, dass der Tod nicht zur Gesamtzahl der Todesfälle des Staates addiert wurde.“ 

Familie in Oklahoma streitet um Todesursache 

Außerdem verweist die Schweizer Morgenpost auf einen Bericht der Webseite The Oklahoman über einen Mann, der an Alzheimer erkrankt war und positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Die Familie glaubt laut dem Bericht, er sei an Alzheimer gestorben, weil seine Coronavirus-Symptome schon abgeklungen waren. Auf seinem Totenschein gab ein Arzt jedoch das Coronavirus als Todesursache an. 

Aus diesen beiden Einzelfällen zieht die Schweizer Morgenpost den Schluss: „Mittlerweile befürchten viele Amerikaner, dass Zehntausende auf den Todeslisten stehen könnten, die zwar am Coronavirus erkrankt waren, aber nicht daran gestorben sind. Das könnte auch in Europa der Fall sein und das Chaos um das Virus als einen riesigen Fake entlarven.“ 

Sterbefallzahlen werden offenbar eher unterschätzt 

Auch wenn in Einzelfällen die Frage, ob Personen an oder mit dem Coronavirus gestorben sind, streitig sein kann, gibt es keinerlei Belege, dass „zehntausende Menschen“ in den USA falsch als Corona-Tote deklariert worden sein könnten und die Corona-Sterberate damit „künstlich“ nach oben getrieben werden soll. Stattdessen sind die US-Behörden offensichtlich darum bemüht, möglichst genaue Daten zu dokumentieren und arbeiten deshalb mit einem zweistufigen Verfahren. 

In Deutschland werden vom Robert-Koch-Institut (RKI) auch Todesfälle in die Statistik aufgenommen, die nicht an, aber mit dem Virus gestorben sind. Wir haben einen ausführlichen Faktencheck dazu veröffentlicht. Eine Sprecherin des RKI teilte uns mit, Fälle, in denen ein Infizierter zum Beispiel durch einen Unfall sterbe, seien sehr selten, so dass die Statistik nicht verzerrt werde. Obduktionen von verstorbenen Covid-19-Patienten in Hamburg zeigen außerdem, dass die überwiegende Mehrheit tatsächlich an Covid-19 starb.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Todesfälle im Zusammenhang mit Corona eher unterschätzt werden. Das sagte zum Beispiel der RKI-Chef Lothar Wieler am 3. April, als er auf die Kritik an der Zählweise in einer Pressekonferenz angesprochen wurde.Für Italien bestätigen diese Vermutung auch erste wissenschaftliche Untersuchungen, die kürzlich veröffentlicht wurden.