Faktencheck

Wahlurnen müssen keine Siegel haben

Auf Telegram kursieren bei der Bundestagswahl Bilder von Wahlurnen, die nicht versiegelt wurden. Das sei ein Hinweis für Wahlbetrug, wird spekuliert. Die Fotos belegen dies aber nicht, denn Urnen brauchen keine Siegel, sie müssen lediglich verschlossen sein.

von Sarah Thust

wahlurnen in wahllokalen
Diese Fotos werden in Sozialen Netzwerken verbreitet, weil die Wahlurnen nicht versiegelt waren. Die Spekulationen über Wahlbetrug sind jedoch irreführend: Urnen müssen kein Siegel haben, sondern generell verschlossen sein. (Quelle: Telegram / Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Wahlurnen, die nicht versiegelt wurden, seien Hinweise für Wahlbetrug.
Bewertung
Falsch. Die Fotos belegen keinen Wahlbetrug und Wahlurnen müssen nicht versiegelt sein. Sie müssen verschlossen werden und vor Fremdzugriff geschützt sein.

Am Tag der Bundestagswahl wurden in mehreren Beiträgen in Sozialen Netzwerken Aufnahmen und Berichte von angeblich nicht versiegelten Wahlurnen verbreitet (hier, hier, hier oder hier). In einigen Beiträgen sind verschließbare Urnen aus Pappe zu sehen. In einem anderen steht die AfD-Direktkandidatin Eva-Marie Doerfler laut eigener Angabe im Berliner Stadtbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf neben einer unversiegelten Wahlurne und spekuliert danach über Wahlbetrug. 

Diese Beiträge sind irreführend, wie ein Blick auf die Internetseite des Bundeswahlleiters zeigt. Siegel an Wahlurnen sind demnach nicht vorgeschrieben. Wenn sie fehlen, ist das also kein Hinweis auf Wahlbetrug. Wahlurnen müssen laut Bundeswahlordnung lediglich verschließbar sein. 

„Wie die Urne verschlossen werden muss, ist nicht festgelegt“, schrieb uns zudem eine Sprecherin des Bundeswahlleiters. „Verschließbar“ bedeutet also lediglich, dass die Urne einen Deckel haben muss. Vorhängeschlösser oder Verplombungen sind laut der Sprecherin ebenfalls nicht vorgeschrieben. Grundsätzlich gebe es keine „Einheitswahlurne“. 

Siegel an Wahlurnen sind optional

In der Praxis kommen oft Siegel oder Vorhängeschlösser zum Einsatz. Beispielsweise auf der Wahlhelfer-Webseite der Stadt Düsseldorf heißt es dazu: „Sollte das Schloss defekt sein, kann auch eine Versiegelung mit den am Wahltag vorliegenden Siegelmarken vorgenommen werden.“  

Es ist aber kein Verstoß, wenn die Urne nicht versiegelt ist. Unabhängig davon müssen Wahlurnen stets vor Fremdzugriff und einer widerrechtlichen Öffnung geschützt werden. „Am Wahltag überzeugt sich der Wahlvorstand vor Beginn der Stimmabgabe davon, dass die Wahlurne leer ist. Sodann verschließt die Wahlvorsteherin oder der Wahlvorsteher die Wahlurne. Sie darf bis zum Schluss der Wahlhandlung nicht mehr geöffnet werden“, heißt es auf der Webseite des Bundeswahlleiters. Gewährleistet wird das durch die durchgängige Besetzung des Wahlraumes mit Wahlhelfenden und die Öffentlichkeit, wie wir bereits in einem Faktencheck am Wahlwochenende berichtet haben.

Wir haben uns die auf Facebook, Twitter und Telegram kursierenden Beiträge trotzdem noch einmal genau angesehen. Zu den Verbreitern gehörten der Blogger Oliver Janich, die rechte Initiative „Ein Prozent“ und eine AfD-Politikerin. Die Beiträge stammten aus Nordrhein-Westfalen und Berlin. 

Fotos aus Dortmund lassen sich nicht verifizieren, Wahlurnen mussten nicht versiegelt werden

Am Wahltag teilte der Blogger Oliver Janich Fotos von verschlossenen Urnen aus Pappe, der Einwurfschlitz für die Wahlstimmen ist abgedeckt. Dazu schrieb er: „Hier fehlen oben drauf die Siegel an der Urne.“ Es ist außerdem das Foto einer Siegelmarke der Stadt Dortmund mit der Nummer 4010 zu sehen, die laut dem Post auf Beschwerden und Nachfragen hin von den Wahlhelfenden an der Urne angebracht worden sei. Die Klebereste an den Urnen stammten demnach von vergangenen Wahlen. 

Wahlurne mit Siegel der Stadt Dortmund
Dieses Foto soll angeblich ein Siegel bei der Bundestagswahl in Dortmund zeigen. Die Stadt konnte dies aber nicht bestätigen und betont: Wahlurnen können versiegelt werden – müssen es aber nicht. (Quelle: Telegram / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Wir konnten diese Angaben nicht verifizieren. Ein Sprecher der Stadt Dortmund sagte uns, es sei unklar, ob die Fotos echt beziehungsweise aktuell seien und in welchem Wahllokal sie entstanden. Allein über die Nummer der Siegelmarke lasse sich das nicht zurückverfolgen. Der Stadt lägen aber bisher keine Hinweise auf Verstöße vor, „sonst wäre man auch unverzüglich aktiv geworden“. 

Laut Wahl-ABC der Stadt Dortmund muss eine Wahlurne „verschließbar“ sein, „mit einem abnehmbaren Deckel“. Von einem Siegel ist nicht die Rede. 

Während der Bundestagswahl kursieren Bilder von Urnen ohne Siegel in Berlin

Auf Telegram, Facebook und Twitter verbreitete sich währenddessen ein Video der AfD-Direktkandidatin für den Wahlkreis Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, Eva-Marie Doerfler. Das Video wurde allein im Telegram-Kanal „Aufklärung für Deutschland“ mehr als 194.000 Mal gesehen. Doerfler erzählt von „Unstimmigkeiten“ und behauptet unter anderem, in ihrem Wahllokal sei die Urne nicht versiegelt gewesen, was „nicht zulässig“ sei. Das stimmt wie gesagt nicht; Urnen müssen nicht versiegelt sein. 

Eva-Marie Doerfler der AfD
Dieses Video von AfD-Direktkandidatin Eva-Marie Doerfler in Berlin kursiert in Sozialen Netzwerken (Quelle: Facebook / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Ähnliches behauptete auch der rechte Blogger Heiko Schrang in einer Sprachnachricht über Wahlurnen in Berlin-Pankow. Auch dort seien Wahlurnen unversiegelt, das Ganze angeblich ein Hinweis für Manipulation. Die Sprachnachricht wurde mehr als 155.000 Mal auf Telegram gesehen. 

Ein weiteres Foto von einer mutmaßlich unversiegelten Urne kursierte im Telegram-Kanal „Ein Prozent“ mit dem Kommentar: „Auf Versiegelung wird fast überall verzichtet.“ Das Foto zeigt eine verschließbare Wahlurne aus Pappe. Wo das Foto aufgenommen wurde, ist unklar – erwähnt wird Berlin. Ein Beleg für Wahlbetrug ist das Foto aber nicht. 

Papp-Urnen dürfen bei Wahlen eingesetzt werden, das war beispielsweise während der Kommunalwahlen in Köln 2020 der Fall. Wichtig ist, dass die Urnen blickdicht sind. Natürlich gilt für Urnen aus Karton wie für alle anderen auch: Eine Versiegelung ist nicht verpflichtend. 

In den Beiträgen aus Berlin ist auch von anderen Problemen bei der Bundestagswahl die Rede. Diese kamen tatsächlich vor, sind aber auch keine Beweise für Wahlbetrug. So fielen in Berlin unerwartet viele Wahlhelfer aus, in einigen Bezirken kam es zu Verzögerungen und Stimmzettel fehlten. Auch nach der offiziellen Schließung der Wahllokale gaben laut Medienberichten noch Tausende Menschen ihre Stimmen ab, die aufgrund der Verzögerungen warten mussten. 

Wir haben bei der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters Berlin nachgefragt, ob dort generell Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl aus Pankow oder anderen Bezirken eingegangen seien. Ein Sprecher schrieb uns am 29. September, dass die Bestandsaufnahme der Ereignisse am Wahltag noch nicht abgeschlossen sei und er deswegen keine Auskunft geben könne. Er könne auch nicht sagen, ob die oben erwähnten Fotos und Videos aus Berlin stammen. 

Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann