Nein, in Italien sind nicht nur 3.783 Menschen an Covid-19 gestorben
Das nationale Gesundheitsinstitut Italiens soll mitgeteilt haben, dass nur 2,9 Prozent der italienischen Covid-Opfer tatsächlich an Covid-19 starben. Das ist falsch. Die Behauptung beruht auf einer Fehlinterpretation eines Berichts zu Vorerkrankungen.
Am 4. November veröffentlichte der Telegram-Kanal „Medusa Auge“ einen Beitrag, in dem behauptet wird: „Nur 2,9 Prozent der seit Februar 2020 verzeichneten ‚Covid-Toten‘ sind in Italien tatsächlich auf Covid-19 zurückzuführen.“ Das sei angeblich einem Bericht des italienischen Gesundheitsinstituts Istituto Superiore di Sanità zu entnehmen. „Von den 130.468 Todesfällen, sind daher nur 3.783 auf den Virus selbst zurückzuführen!“ Grund dafür sei, dass viele der Gestorbenen mindestens eine Vorerkrankung hatten. Als Quelle für die Behauptungen wird in dem Telegram-Beitrag ein Artikel der rechtspopulistischen italienischen Zeitung Il Tempo verlinkt.
Die Behauptung ist falsch, wie wir mit Hilfe der Faktencheck-Organisation Pagella Politica in Italien recherchierten.
Das Istituto Superiore di Sanità (ISS), das in Italien eine ähnliche Funktion wie das Robert-Koch-Institut in Deutschland innehat, reagierte bereits mit einer Pressemitteilung auf die Behauptung. Darin steht (übersetzt mit Google Translate): „Der Bericht besagt nicht, dass nur 2,9 Prozent der auf Covid-19 zurückzuführenden Todesfälle auf das Virus zurückzuführen sind.“ Tatsächlich sei Covid-19 bei 89 Prozent der Menschen die „direkt verantwortliche Todesursache“.
Angeblich nur 3.783 Covid-Tote in Italien: Bericht des ISS wurde falsch interpretiert
Der Bericht des ISS, auf den sich die Behauptung bezieht, ist vom 5. Oktober 2021. Darin taucht die Zahl von 2,9 Prozent tatsächlich auf: in einer Tabelle, die die Anzahl der Vorerkrankungen der Gestorbenen darstellt. Demnach hatten nur 2,9 Prozent der an Covid-19 gestorbenen Menschen keine Vorerkrankung. Dass sich der Telegram-Beitrag auf diese Tabelle bezieht, lässt sich daran erkennen, dass erwähnt wird, dass 67,7 Prozent mindestens drei Vorerkrankungen hatten. Dieselbe Zahl findet sich ebenfalls in der Tabelle.
Die Angabe von 130.468 Todesfällen findet sich in dem Bericht ebenfalls. Die Zahl von 3.783 sucht man jedoch vergebens. Sie scheint selbst berechnet worden zu sein – 2,9 Prozent von 130.468 sind 3.783.
Daraus, dass die Menschen Vorerkrankungen hatten, lässt sich aber nicht ableiten, sie seien nicht an Covid-19 gestorben. Darauf weist das ISS in seiner Pressemitteilung hin. Die häufigsten Vorerkrankungen seien Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und Demenz. Chronische Erkrankungen seien Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf.
Auch einer der Autoren des ISS-Berichts, Graziano Onder, hat laut eines Artikels der Webseite La Repubblica erklärt, dass die Daten falsch interpretiert würden.
Falschmeldung verbreitete sich weltweit
Laut eines Faktenchecks der italienischen Faktencheckorganisation Pagella Politica verbreitete sich die Falschmeldung nicht nur in Italien und Deutschland, sondern auch in Großbritannien, Finnland, Spanien, Griechenland und Australien.
Schon im Frühjahr 2020 wurde versucht, einen ähnlichen Bericht des ISS zu Vorerkrankungen als vermeintlichen Beleg für die Ungefährlichkeit von SARS-CoV-2 zu benutzen.
Ein Bericht des italienischen Statistikinstituts Istat zeigt jedoch deutlich, dass es parallel zu den Phasen mit vielen Covid-19-Todesfällen in Italien insgesamt eine starke Übersterblichkeit gab – es starben also mehr Menschen als im Schnitt der Vorjahre (2015 bis 2019).
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Bericht des ISS, „Characteristics of SARS-CoV-2 patients dying in Italy. Report based on available data on October 5th, 2021“: Link
- Pressemitteilung des ISS mit Richtigstellung: Link (Italienisch)
- Faktencheck von Pagella Politica: Link (Italienisch)
- Bericht des italienischen Statistikinstituts zur Übersterblichkeit in Italien: Link (Italienisch)
Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann