Faktencheck

Unbelegte Behauptungen über Gesundheitsdaten des US-Militärs und Impfnebenwirkungen

Im Netz wird behauptet, Daten des US-Militärs würden für 2021 einen starken Anstieg von Gesundheitsbeschwerden bei militärischem Personal durch Covid-19-Impfungen zeigen. Das militärische Gesundheitssystems teilte jedoch mit, dass die Daten in den Jahren zuvor nicht korrekt in die Datenbank übertragen wurden. Der vermeintliche Anstieg beruht demnach auf unvollständigen Daten.

von Sophie Timmermann

Soldier Takes COVID-19 Test
Ein US-Soldat bei einem Covid-19-Test in Fort McCoy, Wisconsin, USA am 9. August 2021 (Symbolbild: Picture Alliance / ZUMAPRESS.com / U.S. Army)
Behauptung
Daten aus einer Gesundheitsdatenbank des US-Militärs zeigten für 2021 als Folge der Covid-19-Impfungen einen „massiven“ Anstieg von Erkrankungen im Vergleich zu den Vorjahren – beispielsweise Krebs, Lähmungen, Fehlbildungen, neurologische Probleme, Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten.
Bewertung
Unbelegt. Die Datenbank ist nicht öffentlich zugänglich. Ein Pressesprecher des militärischen Gesundheitssystems teilte mit, die Daten der Vorjahre seien aufgrund eines Fehlers nicht vollständig in die Datenbank übertragen worden. Die Fallzahlen seien in Wirklichkeit viel höher – dadurch sei der falsche Eindruck entstanden, es hätte einen signifikanten Anstieg dieser Diagnosen in 2021 gegeben. Ein Zusammenhang der Diagnosen zu Impfungen ist nicht belegt.

Auf mehreren Webseiten wurde im Januar und Februar über dokumentierte Krankheiten in einer Gesundheitsdatenbank des US-Militärs berichtet. Es wird behauptet, die Daten würden einen starken Anstieg von Nebenwirkungen in Folge der Covid-19-Impfung belegen. „Nach Covid-19-Impfzwang: Massiver Krebsanstieg unter Soldaten der US-Armee!“, titelte die Webseite Unser Mitteleuropa. In einem Artikel auf dem Blog TKP hieß es am 26. Januar: „Massive Steigerung von Erkrankungen als Folge der Impfkampagne beim US-Militär“. Auf Reitschuster.de wurde am 6. Februar ein Artikel zu dem Thema mit der Überschrift „Gesundheitsdaten des US-Militärs zeigen Anstieg der Impfschäden“ veröffentlicht. Auch auf Twitter wurde die Behauptung verbreitet. 

Die Behauptungen verbreiteten sich zunächst in den USA und wurden von einem Anwalt namens Thomas Renz aufgestellt. Ein Sprecher des US-Militärs, Peter Graves, wies die Behauptung auf unsere Anfrage hin als falsch zurück. Es habe eine fehlerhafte Übertragung der Zahlen für die Vorjahre in die Datenbank gegeben, weshalb der falsche Eindruck entstehe, seit 2021 hätten medizinische Probleme bei Soldatinnen und Soldaten stark zugenommen. 

Auflistung von angeblichen Impfnebenwirkungen
Auch in Deutschland verbreitet sich die Behauptung zu der Datenbank des US-Militärs (Quelle: Twitter / Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck).

US-Anwalt stellte Gesundheitsdaten des US-Militärs in einer Podiumsdiskussion vor 

Die Beiträge beziehen sich auf Gesundheitsdaten, die ein Rechtsanwalt namens Thomas Renz im Rahmen einer vom republikanischen Senator Ron Johnson organisierten Podiumsdiskussion (im Video ab Stunde 04:54:34) am 24. Januar vorstellte. Der Anwalt ist laut Berichten der Washington Post und von Reuters in der Vergangenheit bereits durch irreführende Behauptungen zu Covid-19-Impfstoffen aufgefallen.

Laut Renz stammen die Daten aus der sogenannten Defense Medical Epidemiology Database (DMED), einer medizinischen Datenbank des militärischen Gesundheitssystems (Military Health System). In der DMED werden Gesundheitsdaten von Mitgliedern des US-Militärs erfasst, unter anderem auch zu ambulanten Behandlungen und Krankenhausaufenthalten. Die Online-Datenbank ist nicht öffentlich einsehbar, sondern nur für vom Militär dafür autorisierte Personen. 

Laut dem Anwalt hätten drei Ärzte aus dem US-Verteidigungsministerium als „Whistleblower“ Zahlen aus der Datenbank untersucht. Sie hätten für 2021 im Vergleich zum fünfjährigen Jahresdurchschnitt (2016-2020) unter anderem einen Anstieg von Fehlgeburten und Krebserkrankungen von jeweils 300 Prozent gesehen und bei neurologischen Problemen einen Anstieg von 1.000 Prozent, berichtete der Rechtsanwalt während der Podiumsdiskussion (ab Stunde 04:54:34). 

Anwalt liefert keine Belege für Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen

Nach der Podiumsdiskussion sagte der Anwalt gegenüber dem US-Journalisten Horowitz, die von den Ärzten untersuchten Krankheitsdiagnosen wären „allgemeine Krankheiten und Verletzungen, die durch medizinische Literatur als mögliche Nebenwirkungen der Covid-19-Impfungen etabliert wurden“. Auch auf seiner Webseite verknüpft Renz das Auftreten der Erkrankungen mit der Verabreichung der Impfung und spricht von „Impfschäden“, ohne dafür konkrete Belege zu liefern. 

Für den direkten Zusammenhang, den der Anwalt zwischen den untersuchten Krankheitsdiagnosen und den Impfungen zieht, gibt es jedoch keine Belege. Es ist nicht belegt, ob die dokumentierten Beschwerden durch Covid-19-Impfungen verursacht wurden. 

Da die Datenbank nicht öffentlich zugänglich ist, haben wir uns direkt an das militärische Gesundheitssystem gewandt und nachgefragt, inwiefern die Behauptungen mit den Daten der DMED übereinstimmen und was dort konkret erfasst wurde. 

Sprecher des militärischen Gesundheitssystems: Daten für die Jahre 2016-2020 sind falsch

Wie uns der Sprecher des US-Militärs, Peter Graves, in einer E-Mail am 1. Februar mitteilte, beruhen die Behauptungen auf einer fehlerhaften Übertragung von Daten aus den Jahren zuvor. 

Als Quelle der DMED-Datenbank dient das zugehörige medizinische Überwachungssystem (Defense Medical Surveillance System, DMSS), über das Gesundheitsdaten von Mitgliedern des US-Militärs erfasst werden. Von dort werden die Daten an die DMED übertragen. 

Meldestruktur für die medizinische Datenbank im militärischen Gesundheitssystem
Meldestruktur für die medizinische Datenbank im militärischen Gesundheitssystem der USA (Quelle: Militärisches Gesundheitssystem / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

In Folge der Berichte über die Behauptungen des Rechtsanwalts Thomas Renz habe man die vorliegenden Daten in der DMED-Datenbank überprüft und mit den ursprünglichen Daten im Überwachungssystem (DMSS) verglichen, erklärte uns der Militärsprecher. Dabei habe man einen Fehler entdeckt. Demnach seien die Daten für die Jahre 2016 bis 2020 unvollständig übertragen worden. Es zeigte sich, dass die medizinischen Diagnosen, die in der DMED für diese Jahre gelistet sind, „nur einen Bruchteil aller tatsächlichen Diagnosen widerspiegelten“, die ursprünglich im DMSS erfasst worden seien. 

Die Zahlen von 2021 seien dagegen auf dem neuesten Stand und vollständig. Das führte zu dem Anschein, es habe einen signifikanten Anstieg aller medizinischer Diagnosen in 2021 gegeben. Die DMED-Datenbank wurde mittlerweile offline gestellt, um das Problem zu beheben, so der Pressesprecher. 

Inwiefern die Darstellungen des Sprechers so der Wahrheit entsprechen, können wir nicht überprüfen. 

Redigatur: Steffen Kutzner, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Defense Medical Surveillance System: Link (archiviert)
  • Defense Medical Epidemiology Database: Link (archiviert)