Faktencheck

Ohne Abi zur Uni? Was hinter dem Beschluss der Kultusministerkonferenz für Geflüchtete aus der Ukraine steckt

Im April sorgte ein Beschluss der Kultusministerkonferenz für Diskussionen im Netz: Geflüchtete aus der Ukraine dürften in Deutschland ohne Abitur studieren – Geflüchtete aus zahlreichen anderen Ländern, beispielsweise aus Syrien, dagegen nicht. Ein Faktencheck.

von Sarah Thust

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Wer aus dem Ausland kommt und in Deutschland studieren will, muss eine Kopie von Zeugnissen aus dem Heimatland vorlegen (Symbolbild: Picture Alliance / DPA / Klaus-Dietmar Gabbert)
Behauptung
Ukrainische Geflüchtete dürften jetzt ohne Abitur ein Studium in Deutschland beginnen – Geflüchteten aus Syrien werde hingegen ihr Abschluss nicht anerkannt.
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Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, die ihren Sekundarschulabschluss in der Ukraine in diesem Jahr fluchtbedingt nicht abschließen konnten, können nach einer Feststellungsprüfung in Deutschland studieren. Geflüchtete aus Syrien können dann in Deutschland die Hochschulzugangsberechtigung erlangen, wenn sie einen allgemeinen Sekundarschulabschluss mit einem bestimmten Notendurchschnitt nachweisen können. Sowohl Menschen aus der Ukraine als auch aus Syrien müssen ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen.

„Ukrainische Geflüchtete dürfen nun ein Studium ohne Abi in Deutschland beginnen, damit kein Nachteil entsteht. […] Warum muss ein syrischer Arzt bei minus 0 anfangen, Abitur und C1 Deutsch lernen und ein Ukrainer nicht?“, heißt es in einem Beitrag auf Twitter, der Teil einer Debatte in Sozialen Netzwerken um die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse in Deutschland ist. Der Hintergrund: Am 20. April 2022 teilte die Kultusministerkonferenz (KMK) mit, dass Geflüchtete aus der Ukraine ohne abgeschlossenes Abitur in Deutschland studieren dürfen. Danach gab es im Netz unterschiedliche Diskussionen und Behauptungen über die Anerkennung von ausländischen Schul- und Universitätsabschlüssen. Unsere Recherche beleuchtet die Fakten zu der Debatte, beispielhaft für die Anerkennung der Hochschulzugangsberechtigung für syrische Geflüchtete. 

Nach einer „Feststellungsprüfung“ ist mit dem höchsten Schulabschluss in der Ukraine der Hochschulzugang in Deutschland möglich   

Der höchste Schulabschluss in der Ukraine ist „die vollständige allgemeine Mittlere Bildung“. Dieser Abschluss berechtigt aber nicht direkt zu einem Studium an einer Hochschule in Deutschland. Wie auf dem Infoportal zu ausländischen Bildungsabschlüssen der Kultusministerkonferenz nachzulesen ist, müssen Ukrainerinnen und Ukrainer noch eine sogenannte Feststellungsprüfung absolvieren, die unter anderem ausreichende Deutschkenntnisse abfragt, um Zugang zu deutschen Hochschulen zu erhalten. Verlangt werden dafür Deutschkenntnisse auf C1-Niveau.

Eine Feststellungsprüfung ist eine Art Eignungsprüfung für ausländische Studienbewerber. Wie auf dem Infoportal der Kultusministerkonferenz zu lesen ist, kann eine solche Prüfung entweder durch erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung an einem Studienkolleg erfolgen oder nach individueller Vorbereitung. 

Grundlage für diese Regelung ist, dass Deutschland und die Ukraine mit zu den Unterzeichnern eines Übereinkommens über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region gehören. Torsten Heil, Pressesprecher der Kultusministerkonferenz schrieb uns per E-Mail bezüglich der Feststellungsprüfung: „Diese Regelungen wurden für Geflüchtete nicht verändert.“ 

In der Ukraine wurden die Abschlussprüfungen für 2022 ausgesetzt

Aufgrund des Kriegs in der Ukraine gibt es jedoch aktuell eine wesentliche Änderung: Am 24. März 2022 verabschiedete das ukrainische Parlament das Gesetz 7132, wonach Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2021/2022 von den Abschlussprüfungen für die „vollständige allgemeine Mittlere Bildung“ befreit wurden. 

Ein Beschluss der KMK vom 20. April sieht deswegen vor, dass „in Zeiten der Ukraine-Krise“ die erworbenen Bildungsnachweise für den Hochschulzugang auch gelten, wenn nicht alle erforderlichen Prüfungsleistungen nachgewiesen werden können. „Diese Regelungen gelten für Bildungsnachweise/Abschlüsse, die in Zeiten der Ukraine-Krise im Jahr 2022 erworben werden/würden“, heißt es in dem Beschluss. Das gilt für Personen mit Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz (nach Paragraf 24, Aufenthaltsgesetz). Eine „Feststellungsprüfung“ wird jedoch weiterhin verlangt.

Unter diesen Bedingungen können Geflüchtete aus Syrien in Deutschland studieren

Wie ist die Situation im Vergleich dazu für Geflüchtete aus Syrien? Ein Sprecher des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) sagte uns telefonisch, dass ein solcher Beschluss, der die Abschlussprüfungen erlässt, für Syrien nicht bekannt sei. Auch ein Blick auf die Internetseite des syrischen Bildungsministeriums zeigt, dass das Ministerium die Abiturprüfungen weder im Zuge des Krieges seit 2011, noch aufgrund der Corona-Pandemie aussetzte. 

Wie Geflüchtete aus der Ukraine haben „auch syrische Schulabsolventen und -absolventinnen Zugang zum Studienkolleg und dadurch Hochschulzugang“, schrieb der KMK-Sprecher. Auch dafür sind Deutschkenntnisse nötig. 

Doch nicht jeder Sekundarschulabschluss aus Syrien wird in Deutschland dafür anerkannt: Das syrische Bildungswesen ermöglicht beispielsweise berufsbildende Sekundarschulabschlüsse, die in Deutschland in der Regel nicht anerkannt werden. Ein Blick in die Datenbank Anabin der Kultusministerkonferenz liefert die Information, dass nur allgemeine Sekundarschulzeugnisse, und das Sekundarschulzeugnis des religiösen Zweiges den Zugang zur Feststellungsprüfung in Deutschland ermöglichen. 

Diese werden als Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland anerkannt, wenn eine gewisse Gesamtpunktzahl erreicht wurde. Je nach Abschluss liegt die Grenze bei 60 oder 70 Prozent der Maximalpunktzahl. Das entspricht einer Note 3 beziehungsweise 2,5 nach dem deutschen Notenschlüssel.

Medienberichten zufolge hatten Geflüchtete zum Beispiel aus Syrien oder dem Irak in der Vergangenheit jedoch zum Beispiel Probleme bei der Anerkennung von Zeugnissen, unter anderem weil Original-Nachweise aus dem Heimatland beschafft werden müssten, aus dem sie geflüchtet sind. 

In einem Beschluss von Dezember 2015 regelte die KMK die Hochschulzulassung für Personen, die fluchtbedingt den Nachweis der im Heimatland erworbenen Hochschulzugangsberechtigung nicht erbringen können. Das gilt gleichermaßen für Menschen aus Syrien, Irak und auch der Ukraine, die aufgrund der Flucht die nötigen Nachweise nicht vorlegen können. Für diese Geflüchteten gilt ein dreistufiges Verfahren – dabei werden beispielsweise alternative Nachweise gefordert oder zusätzliche Eignungsprüfungen. Die Zuständigkeit für das Verfahren liegt bei den Hochschulen im jeweiligen Bundesland.

Fazit: Wer in Syrien einen allgemeinen Sekundarschulabschluss gemacht hat und das nachweisen kann, hat in Deutschland Zugang zum Studienkolleg, wo die Hochschulzulassung für Deutschland erreicht werden kann. Auch Ukrainerinnen müssen zuerst ans Studienkolleg, bevor sie sich für ein Studium bewerben können. Voraussetzung für die Feststellungsprüfung sind ausreichende Deutschkenntnisse – das gilt für Personen aus Syrien genauso wie für Menschen aus der Ukraine.  

Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Ratifizierung des Beschlusses in der Ukraine, die Prüfungen auszusetzen, vom 24. März 2022: Link
  • Kultusministerkonferenz regelt Hochschulzugang für Geflüchtete aus der Ukraine, Mitteilung vom 20. April 2022: Link
  • Beschluss der KMK für Studienbewerberinnen, die fluchtbedingt den Nachweis der im Heimatland erworbenen Hochschulzugangsberechtigung nicht erbringen können, vom 3. Dezember 2015: Link
  • KMK-Übersicht zur Grundstruktur des Bildungswesens in Syrien: Link
  • Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. April 1997 über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 2007: Link
  • Unesco-Konvention über die Anerkennung von Qualifikationen im Bereich der Hochschulbildung in der Europäischen Region: Link