Faktencheck

Diclofenac: Wie Schmerzgele wie Voltaren ins Wasser gelangen und Tieren schaden können

Diclofenac ist ein Arzneimittelwirkstoff gegen Entzündungen und Schmerzen, der zum Beispiel in Voltaren und manchen Tabletten steckt. Gelangt er ins Wasser, kann er laut Umweltbundesamt schädlich für Tiere sein. Wie man Tiere davor schützen kann.

von Sarah Thust

Geier
In Spanien starben zahlreiche Geier an einer Diclofenac-Vergiftung. Der Wirkstoff ist auch in Deutschlands Gewässern zu finden, er steckt in Schmerzgelen wie Voltaren und in Medikamenten (Symbolbild: Achim Scholty / Pixabay)
Behauptung
Einige Tiere seien in südlichen Gefilden an Diclofenac-Vergiftungen gestorben. Sie nähmen den Wirkstoff über Trinkwasser auf oder über andere Tiere, die sie gefressen hätten. Auch in Deutschland gelange der Wirkstoff in den Wasserkreislauf. Händewaschen helfe, um die Tiere davor zu schützen.
Bewertung
Richtig. Die Informationen in dem Beitrag sind richtig – Diclofenac gelangt neben Voltaren-Schmerzgel auch durch weitere Medikamente in Gewässer. Die Bestimmungsgrenze für Diclofenac wurde zwischen 2016 und 2018 laut Umweltbundesamt an 21 Gewässer-Messstellen in Deutschland überschritten.

In einem Facebook-Beitrag hieß es am 11. Mai: „Vor einiger Zeit fielen in südlichen Gefilden die Geier im wahrsten Sinne des Wortes von den Bäumen. Bei der Obduktion der Tiere stellte man fest, dass sie an einer Diclofenac-Vergiftung gestorben waren“ (Link). Der Beitrag wurde rund 500 Mal geteilt. Um die Tiere zu schützen, solle man demnach Reste von Schmerzgelen wie Voltaren zuerst mit einem Papiertuch entfernen und nicht direkt abwaschen, hieß es darin. „Die Wirkstoffe gelangen sonst in hohem Maße in unsere Gewässer und werden von Tieren aufgenommen, die oftmals daran versterben.“ 

Wie gelangt das Schmerzmittel Diclofenac ins Wasser?

Einige Nutzerinnen und Nutzer zweifeln an diesen Aussagen: „Wtf? Das kann man doch gar nicht glauben“, schreibt einer. Dass Diclofenac ins Wasser gelangt und dort schädlich für Tiere sein kann, stimmt jedoch. Ein Gramm Voltaren Schmerzgel enthält 11,6 Milligramm Diclofenac. Auf der Internetseite empfiehlt Voltaren das Händetrocknen mit einem Papiertuch vor dem Waschen. Im Wasser könnte der Wirkstoff laut Umweltbundesamt schädlich für Tiere sein. 

Beitrag über Voltaren und die Folgen für Geier auf Facebook
Dieser Beitrag auf Facebook wurde knapp 500 Mal geteilt. Es stimmt, dass Diclofenac in Voltaren steckt, doch es ist auch in anderen Medikamenten enthalten (Quelle: Facebook; Screenshot am 27. Mai 2022: CORRECTIV.Faktencheck)

Diclofenac wird nicht nur in Schmerzgelen, sondern auch in anderen Medikamenten eingesetzt. Einen Teil davon scheidet der Körper wieder aus – auch dadurch steigt die Diclofenac-Konzentration im Wasser. 

Indien, Pakistan, Spanien: Einige Vögel und Fische zeigen Organschäden durch Diclofenac

Welche Orte in dem Facebook-Beitrag mit „südliche Gefilde“ gemeint sind, ist unklar. Vermutlich spielt die Aussage auf Fälle in Indien, Spanien oder Pakistan an, bei denen Geier durch Diclofenac-Vergiftungen starben.

In diesen Ländern führte die Vergiftung bei den Tieren zu plötzlichem Nierenversagen, wie Studien belegen. Diclofenac wurde dort zur entzündungshemmenden Behandlung kranker Rinder eingesetzt, deren Kadaver die Geier fraßen. 2006 wurde Diclofenac unter anderem für den tierärztlichen Gebrauch in Südasien verboten – auch in Deutschland ist die Anwendung von Diclofenac im Veterinärbereich laut Naturschutzbund untersagt.

Diclofenac auch in Deutschlands Gewässern nachgewiesen

Dennoch wurden auch in Deutschland Fälle nachgewiesen, bei denen Tiere Diclofenac aufgenommen hatten: Laut Umweltbundesamt wurden auch bei anderen Wildtierarten Rückstände von Diclofenac entdeckt, etwa bei Forellen. Bei Adlern und Karpfen sei es möglich, dass das Mittel zu einer Schädigung von Leber und Niere führt, berichteten Spektrum und Welt

Die Diclofenac-Konzentration, bei der „noch keine Effekte auf das Ökosystem“ auftreten, liegt laut Umweltbundesamt bei 0,05 Mikrogramm pro Liter. Diese Bestimmungsgrenze wurde im Zeitraum 2016 bis 2018 an 21 Messstellen in Deutschland überschritten. 

Für die Sendung „Die Tricks“ hat ein vom NDR beauftragtes Labor in Wasserproben aus einem Klärwerksauslauf in Lübeck sogar 2,27 Mikrogramm Diclofenac pro Liter gefunden.

Medikament-Rückstände können in den meisten Kläranlagen nicht vollständig beseitigt werden

Diclofenac wird laut Susanne Hufe, Sprecherin beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, in Deutschland als rezeptfreies Medikament eingesetzt. Der Verbrauch sei hoch und liege bei rund 85 Tonnen pro Jahr. „Daher geht auch eine relative hohe Fracht in die Kläranlagen. Dort ist Diclofenac vergleichsweise schlecht biologisch abbaubar“. Ein großer Anteil gelange unzersetzt über das Abwasser in Fließgewässer. 

Wie uns Adolf Eisenträger vom Spurenstoffzentrum des Bundes am Umweltbundesamt schrieb, gebe es wenig rechtliche Möglichkeiten, die Menge von Diclofenac im Wasser zu reduzieren, weil es in Deutschland nicht möglich sei, Medikamente für Menschen aus Umweltschutzgründen nicht zuzulassen. Die Hersteller und Inverkehrbringer von Arzneimitteln würden bisher weder national noch europarechtlich finanziell für die Kosten herangezogen.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft berichtete am 14. Januar 2022, dass Diclofenac laut eines Gutachtens binnen 30 Jahren Umweltreinigungskosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro verursachen würde. Der Verband fordert ein „Fondsmodell“, wodurch Hersteller von Arzneimitteln an den Reinigungskosten beteiligt werden. Andere Expertinnen und Experten betonen jedoch, dass sich zuerst der Umgang mit Wirkstoffen wie Diclofenac insgesamt ändern müsse. Laut dem Zweckverband Jenawasser, in dem Städte und Gemeinden aus dem Saale-Holzland-Kreis sowie dem Weimarer Land zusammenarbeiten, können selbst die modernsten Kläranlagen Medikamentenrückstände nicht vollständig beseitigen.

Tipps für Verbraucher

Verbraucher können dazu beitragen, dass die Diclofenac-Belastung sinkt. In einem Artikel hat die Deutsche Apotheker Zeitung folgende Tipps zusammengetragen: 

  • nur die nötige Menge auftragen beziehungsweise einnehmen;
  • die Hände mit einem Tuch abwischen, das im Restmüll entsorgt werden sollte;
  • das Gel erst einwirken lassen, bevor man sich wieder wäscht;
  • Reste des Arzneimittels über den Müll entsorgen, nicht im Wasser

Redigatur: Matthias Bau, Viktor Marinov