Faktencheck

Sachsen: Keine Hinweise, dass sich eine Ukrainerin beim Friseur weigerte zu bezahlen

Die Geschichte einer Ukrainerin, die sich beim Friseur weigerte zu bezahlen, weil das Sozialamt angeblich die Rechnung von 200 Euro übernehme, verbreitet sich in Sozialen Netzwerken und als Sprachnachricht über Messenger wie Whatsapp. Der zuständigen Polizeibehörde ist ein solcher Vorfall nicht bekannt.

von Steffen Kutzner

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Die Geschichte von der Ukrainerin, die sich in Sachsen weigerte, ihren Friseurbesuch zu bezahlen, ist unseren Recherchen nach erfunden (Symbolbild: Pixabay / Jacqueline Macou)
Behauptung
Eine Ukrainerin habe sich bei einem Friseurbesuch geweigert, die Rechnung von 200 Euro zu bezahlen. Das Sozialamt bezahle für den Besuch, habe sie behauptet. Polizisten, die dann gerufen worden seien, hätten das bestätigt.
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Frei erfunden
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Frei erfunden. Die Geschichte kursiert mit unterschiedlichen Ortsangaben in Sachsen: Erzgebirgskreis und Chemnitz. Die zuständige Polizei hat von dem angeblichen Einsatz nie gehört. Auch die Stadtverwaltung Chemnitz kann die Geschichte nicht bestätigen. Das Sozialamt zahlt nicht für Friseurbesuche von Geflüchteten.

Auf Whatsapp kursiert momentan die Sprachnachricht einer Frau, die folgende Geschichte erzählt, die sich „vorige Woche im Erzgebirgskreis“ zugetragen haben soll: Eine Ukrainerin habe sich beim Friseur unter anderem die Haare färben und die Nägel machen lassen. Die Rechnung von etwa 200 Euro habe sie jedoch nicht bezahlen wollen, sondern auf das Sozialamt verwiesen. Daraufhin sei die Polizei gerufen worden, die nach einem kurzen Telefonat bestätigte, dass das Sozialamt den Friseurbesuch bezahle. Außerdem behauptet die unbekannte Frau in der Sprachnachricht, das Sozialamt stelle Gutscheine für Friseurbesuche aus, mit denen Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, dann bezahlen würden.

Der bis ins Detail gleiche Friseur-Vorfall soll sich laut eines Facebook-Beitrags angeblich auch in Chemnitz zugetragen haben. Wir haben nachgeforscht, was es damit auf sich hat. 

Polizeidirektion Chemnitz: Kein derartiger Vorfall bekannt

Zunächst haben wir bei der Polizeidirektion Chemnitz nachgefragt, die auch für den benachbarten Erzgebirgskreis zuständig ist. Pressesprecherin Jana Ulbricht erklärte uns via E-Mail, „dass kein derartiger Vorfall in den Polizeirevieren des Erzgebirgskreises bekannt bzw. aktenkundig ist“. Dasselbe gelte für Chemnitz. „In Würdigung der Gesamtumstände gehen wir davon aus, dass es diesen Vorfall weder im Erzgebirgskreis noch in Chemnitz gegeben hat.“

Wir haben auch beim sächsischen Sozialministerium nachgefragt, ob das Sozialamt die Kosten von Friseurbesuchen für ukrainische Geflüchtete erstattet hat. Aus dem Ministerium hieß es dazu jedoch, dass solche Erstattungen weder vorgesehen noch rechtlich möglich seien.

Menschen aus der Ukraine können seit dem 1. Juni in Deutschland Grundsicherung erhalten – damit bekommen sie die gleichen Sozialleistungen wie alle Menschen, die Hartz-4 beziehen. 

Stadtverwaltung Chemnitz und sächsisches Sozialministerium bestätigen, dass das Sozialamt keine Friseurbesuche zahlt

Auch die Stadt Chemnitz erklärte, dass das Sozialamt keine Kosten für Friseurbesuche übernimmt und auch keine entsprechenden Gutscheine ausstellt. Von dem angeblichen Vorfall hat man auch in der Stadtverwaltung nicht gehört, wie uns ein Pressesprecher per E-Mail mitteilte.

Wir haben auch die zuständige Friseurinnung in Chemnitz angefragt, ob der Vorfall dort bekannt geworden ist, und ob Kunden versucht hätten, mit Gutscheinen vom Sozialamt zu bezahlen. Innungsobermeister Jörn Lüdecke verwies uns per E-Mail auf einen Artikel der Freien Presse, in dem seine Aussage zum Thema wiedergegeben wurde. „Der [in der Sprachnachricht] geschilderte Sachverhalt oder andere Probleme im Zusammenhang mit ukrainischen Flüchtlingen seien ihm aus keinem der 125 Mitgliedsbetriebe der Innung bekannt“, heißt es darin. Auch die Handwerkskammer Chemnitz erklärte, dass man zu dem Vorfall keine Informationen beisteuern könne.

Falschinformationen über Geflüchtete folgen einem bekannten Muster

Von der Verfasserin des Facebook-Beitrags erhielten wir auf die Frage, in welchem Friseursalon sich der Vorfall ereignet haben soll, keine Antwort. 

Erfundene Geschichte wie diese sind nicht neu, wie uns Jana Ulbricht von der Polizeidirektion Chemnitz erklärte: Schon 2015 habe es ähnliche Behauptungen bezüglich Geflüchteten und Supermärkten gegeben: „Demnach hätten sich Asylbewerber in Supermärkten den Wagen gefüllt und den Kassenbereich ohne zu bezahlen mit dem Verweis auf das Sozialamt passiert. Auch damals war den kursierenden Nachrichten kein tatsächlicher Sachverhalt zuzuordnen“, so Ulbricht.

Update, 9. September 2022: Wir haben die Antwort des Obermeisters der Friseurinnung Chemnitz ergänzt, die uns erst nach Veröffentlichung dieses Faktencheck erreicht hat.

Redigatur: Matthias Bau, Alice Echtermann