Faktencheck

Ja, auf diesem Foto trägt ein ukrainischer Soldat einen Totenkopf-Aufnäher mit SS-Motiven

In Sozialen Netzwerken verbreitet sich ein Foto von Präsident Selenskyjs Besuch in Isjum. Dazu heißt es, ein ukrainischer Soldat hinter ihm trage einen Aufnäher mit den Symbolen der SS-Division „Totenkopf“. Ein Faktencheck.

von Kimberly Nicolaus

Selenskyj SS
Dieses Foto kursiert in Sozialen Netzwerken und zeigt im Hintergrund einen ukrainischen Soldaten, der einen Totenkopf-Aufnäher mit Motiven trägt, die auch in der SS üblich waren (Quelle: Telegram / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Präsident Wolodymyr Selenskyj habe ein Foto mit einem ukrainischen Soldaten veröffentlicht, der einen Aufnäher mit den Symbolen der SS-Division „Totenkopf“ trage. Das Foto sei in Isjum entstanden. Es sei nicht das erste Mal, dass Selenskyj Fotos veröffentlichte, auf denen NS-Symbole zu sehen seien.
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Größtenteils richtig. Das Foto ist echt und in Isjum entstanden. Der Aufnäher zeigt aber nicht denselben Totenkopf, der von der SS-Division „Totenkopf“ getragen wurde, sondern ist laut Produktbeschreibung eine „moderne Interpretation des Totenkopfs, wie er von der NS-Armee verwendet wurde“. Ein Foto eines ukrainischen Soldaten mit demselben Aufnäher veröffentlichte das ukrainische Verteidigungsministerium schon einmal am 9. Mai 2022.

Auf Telegram und Twitter kursiert ein Foto, das mehrere Soldaten und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einem Besuch in der Stadt Isjum zeigt. Einer der Soldaten trägt auf dem Rücken seiner Uniform einen Aufnäher in Form eines Totenkopfs. Auf Twitter und Telegram heißt es, der Aufnäher sei während der Nazizeit ein Symbol der SS-Division „Totenkopf“ gewesen. Die Schutzstaffel (SS)-Division „Totenkopf“ war während des 2. Weltkriegs unter anderem dafür zuständig, Konzentrationslager zu bewachen.

Die Ukraine als faschistischen Staat darzustellen, gehört seit Beginn des Angriffskrieges zur Propaganda Russlands, wie wir in einem Hintergrundbericht schilderten. Seit Februar haben wir (inklusive diesem) sieben Faktenchecks veröffentlicht zu Behauptungen, die dieses Narrativ stützen sollten. In sechs Fällen stellte sich das angebliche Beweismaterial als falsch heraus: Einige Fotos waren manipuliert oder zeigten gar keine Ukrainer, andere wurden im falschen Kontext verbreitet (alle sechs Faktenchecks lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier und hier). 

In Sozialen Netzwerken zweifeln manche Menschen auch an der Echtheit des Fotos mit den Soldaten und Selenskyj. Ein Nutzer fragt auf Twitter: „Ist das nicht weithergeholt? […] Der Nazibezug ist nicht eindeutig.“ Eine andere Nutzerin schreibt auf Englisch: „Hier ist ein Beispiel dafür, wie ausländische pro-russische Journalisten und politische Parteien, Nazi-Symbole auf die Uniformen von ukrainischen Soldaten photoshopen, um der Ukraine Nazismus vorzuwerfen.“ 

In diesem Fall ist das Foto jedoch nicht manipuliert. Der Aufnäher zeigt Symbole, die in der SS üblich waren. Zudem legt der Markenname „R3ICH“ – eine Mischung aus dem deutschen Wort „Reich“ und der Zahl „3“ – eine Anlehnung an das Dritte Reich nahe.

Dieser Telegram-Beitrag zeigt Präsident Selenskyj in Isjum. Im Hintergrund steht ein ukrainischer Soldat mit einem Totenkopf-Aufnäher auf dem Rücken.
Dieser Telegram-Beitrag zeigt Präsident Selenskyj in Isjum. Im Hintergrund steht ein ukrainischer Soldat mit einem Totenkopf-Aufnäher auf dem Rücken. (Quelle: Telegram / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Foto von Selenskyj aus Isjum ist nicht manipuliert

Monatelang stand Isjum, eine Stadt im Osten der Ukraine, unter russischer Besatzung. Am 10. September eroberte die ukrainische Armee die Stadt zurück und wenige Tage später folgte ein Besuch von Präsident Selenskyj

Sein Besuch wurde mit Fotos festgehalten, die Selenskyi am 14. September auf seinem Telegram-Kanal und auf Facebook veröffentlichte. Die Fotos sind mittlerweile nicht mehr abrufbar. Die archivierten Versionen (hier und hier) zeigen jedoch, dass auch auf diesen Fotos der Totenkopf-Aufnäher auf der Rückseite der Uniform des ukrainischen Soldaten zu sehen ist. Dieselbe Szene zeigt ein Foto der US-amerikanischen Bildagentur Getty Images und ein Foto aus der Bilderdatenbank der Nachrichtenagentur AFP. In einem Video der BBC ist der Totenkopf-Aufnäher ebenfalls zu sehen (Minute 0:50). Demnach gibt es an der Echtheit des Fotos keine Zweifel. Die Bilder wurden nicht nachträglich manipuliert. 

Das Foto, das auf Telegram kursiert (links) wurde nicht nachträglich manipuliert, sondern zeigt dieselbe Szene (rechts), aus einem anderen Blickwinkel
Das Foto, das auf Telegram kursiert (links) wurde nicht nachträglich manipuliert, sondern zeigt dieselbe Szene (rechts), aus einem anderen Blickwinkel (Quelle: Telegram / BBC; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Totenkopf-Aufnäher enthält Motive, die in der SS üblich waren

Ein Twitter-Beitrag zeigt eine Nahaufnahme des Totenkopf-Aufnähers. Der Totenkopf trägt einen Militärhelm mit Mikrofon und Ohrenschutz. Darauf steht der Schriftzug „R3ICH“. Außerdem ist auf dem Helm ein Wappen mit Schlüssel erkennbar. 

Eine Google-Suche mit dem Stichwort „R3ICH“ führt zu mehreren Onlineshops, unter anderem mit ukrainischen Internetadressen. In einem der Onlineshops lautet die Produktbeschreibung des Aufnähers wie folgt: „Bei diesem Produkt handelt es sich um die sogenannten „Moral-Patches“, eine moderne Interpretation des „Totenkopf“-Patches, wie er von der NS-Armee verwendet wurde. Während des Zweiten Weltkriegs dienten sie den SS-Soldaten zur Einschüchterung des Feindes. Aber dieses alte Symbol hat seine Wurzeln in der vorchristlichen Zeit. Sein ursprünglicher Name ‘Adams Kopf’ und die Bedeutung des Schädels sind Mut, Furchtlosigkeit vor dem Tod, Glaube an den unmittelbaren Sieg, Glaube an die Wiedergeburt.“

Die SS-Division Totenkopf, die als Truppenzeichen einen weißen Totenkopf auf schwarzem Grund hatte, galt im Dritten Reich als „Elitetruppe“ des SS und war unter anderem dafür zuständig, Konzentrationslager zu betreiben und bewachen. „Die Division galt als ‚Elitetruppe‘ der SS, die mit besonderer Rücksichtslosigkeit und Fanatismus vorging“, schrieb uns Frank Bajohr, Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin. Bereits im Frankreichfeldzug 1940 habe die Division schwerste Kriegsverbrechen begangen. Das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin ist eine Forschungseinrichtung, die 1949 gegründet wurde, um die nationalsozialistische Diktatur wissenschaftlich zu erforschen.

Wir baten das Institut zudem um eine Einschätzung zu den aktuell kursierenden Fotos und den darauf zu sehenden Symbolen. „Das gezeigte Symbol [arbeitet] ganz offenkundig mit Motiven, die auch in der SS üblich waren“, schrieb uns eine Pressesprecherin. Die Anlehnung an das Dritte Reich durch den Markennamen „R3ICH“ sei vermutlich kein Zufall. 

Das Truppenkennzeichen der SS-Division „Totenkopf“ (links) und der Aufnäher mit dem Schlüssel-Symbol (rechts) von der Marke „R3ICH“, der auf dem Rücken des ukrainischen Soldaten zu sehen ist
Das Truppenkennzeichen der SS-Division „Totenkopf“ (links) und der Aufnäher mit dem Schlüssel-Symbol (rechts) von der Marke „R3ICH“, der auf dem Rücken des ukrainischen Soldaten zu sehen ist (Quelle: Wikimedia Commons / militarist.ua; Screenshot, Collage und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Auf dem Aufnäher ist zudem ein schwarzes Wappen mit Schlüssel abgebildet. Dies sieht dem Truppenkennzeichen der „1. SS-Panzer-Division Leibstandarte SS Adolf Hitler“ sehr ähnlich. Nach Beurteilung von Alex Kay, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Militärgeschichte an der Universität Potsdam, sei es allerdings allein über das Foto, das in Sozialen Netzwerken kursiert, sehr schwer zu erkennen, ob es sich um dasselbe Motiv handele.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Foto von einem ukrainischen Soldaten mit Totenkopf-Aufnäher veröffentlicht wird. Das ukrainische Verteidigungsministerium veröffentlichte am 9. Mai 2022 ein Foto auf Twitter, das einen ukrainischen Soldaten zeigt, der denselben Totenkopf-Aufnäher auf seiner Brust trägt. Auch dieses Foto ist mittlerweile nicht mehr abrufbar. 

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas

Update, 5. Oktober 2022: Wir haben im Text ergänzt, dass die SS-Division „Totenkopf“ als „Elitetruppe“ der SS galt und mit besonderer Rücksichtslosigkeit und Fanatismus handelte.

Update, 13. Oktober 2022: Wir haben in der Einleitung präzisiert, wie viele Faktenchecks bereits von uns veröffentlicht wurden, in denen sich Behauptungen über Rechtsextremismus in der Ukraine als falsch herausstellten. 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Videoaufnahme der BBC, die den Totenkopf-Aufnäher zeigt, 14. September: Link
  • Onlineshop mit Produktbeschreibung des Aufnähers: Link