Faktencheck

WM in Katar: Aussagen von Schweizer Fußball-Kapitän Granit Xhaka aus dem Kontext gerissen

Im Netz kursiert ein angeblich wörtliches Zitat von Granit Xhaka, Kapitän der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft, über Katar und die One-Love-Binde. Die Sätze sind zum Teil falsch, zum Teil aus dem Kontext gerissen. Was hat Xhaka wirklich gesagt?

von Steffen Kutzner

Granit Xhaka bei Pressekonferenz in Katar komprimiert
Granit Xhaka bei der Pressekonferenz am 23. November in Katar (Foto: Picture Alliance / Keystone / Laurent Gillieron)
Behauptung
Der Schweizer Kapitän der Fußballnationalmannschaft Granit Xhaka habe gesagt: „Wir werden nicht das Gleiche tun, wie die deutsche Nationalmannschaft. Wir werden die Sitten und Gebräuche in Katar respektieren. Wir sind hier, um Ball zu spielen und niemandem Unterricht zu erteilen.“
Bewertung
Manipuliert. Es handelt sich hierbei nicht um ein wörtliches Zitat von Granit Xhaka, sondern um eine Mischung aus tatsächlichen, sinngemäß zusammengefassten und teilweise erfundenen Sätzen.

Was hat der Kapitän der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft, Granit Xhaka, zum Thema Armbinden bei der Fußball-WM in Katar gesagt? In Sozialen Netzwerken, etwa auf Facebook oder Twitter, verbreitet sich seit dem 23. November das folgende angebliche Zitat: „Wir werden nicht das Gleiche tun, wie die deutsche Nationalmannschaft. Wir werden die Sitten und Gebräuche in Katar respektieren. Wir sind hier, um Ball zu spielen und niemandem Unterricht zu erteilen.“ Dazu wird ein Foto von Xhaka bei einer Pressekonferenz geteilt. 

Wir haben recherchiert, was er wirklich sagte. Die Aufnahme der Pressekonferenz vom 23. November zeigt: Das Zitat, das im Netz geteilt wird, ist kein wörtliches Zitat. Die Aussage ist größtenteils nicht so gefallen wie behauptet. Tatsächlich sagte Xhaka, er glaube nicht, dass „wir als Schweiz irgendetwas machen müssen“, um ein politisches Statement zu setzen, sondern dass sich das Team auf den Fußball konzentriere. Er sagte nichts vom Respektieren der „Sitten und Gebräuche in Katar“. Etwas später sagte er noch, man wolle niemanden „erziehen“, es ist aber unklar, ob er sich dabei auf die Sitten in Katar oder einen vier Jahre zurückliegenden Vorfall bei einem Fußballspiel gegen Serbien bezog. 

Zum Hintergrund: Der Schweizer Kapitän Xhaka wollte bei der Fußball-WM in Katar eigentlich eine sogenannte One-Love-Binde am Arm tragen. Der Fußballverband Fifa verbot dies unter Verweis auf die Kleidervorschriften, die Entscheidung wurde heftig kritisiert. Die deutsche Nationalmannschaft hielt sich beim Gruppenfoto vom ersten Spiel in Katar aus Protest den Mund zu. Auf der One-Love-Binde ist ein Herz vor bunten Farben zu sehen. Die Armbinde soll für Offenheit und Toleranz stehen, aber auch ein Zeichen gegen Homophobie setzen. In Katar ist Homosexualität strafbar, unter Umständen sogar mit dem Tod

Dieser Screenshot von Twitter wird auch auf Facebook verbreitet. Xhaka äußerte sich so jedoch nicht, das Zitat wurde stark verändert. (Quelle: Facebook/Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Xhaka sagte nicht, man solle die „Sitten und Gebräuche in Katar respektieren“

Auf der Seite der Fifa ist eine Pressekonferenz mit Xhaka vom 23. November zu finden, vor dem ersten Spiel der Schweizer Mannschaft. Die Pressekonferenz fand am selben Tag statt, an dem die Behauptung über sein angebliches Zitat auftauchte. Zudem trägt der Fußballer dasselbe T-Shirt wie auf dem Foto in Sozialen Netzwerken. 

Bei Minute 12:00 fragt ein britischer Journalist, ob die deutsche Mannschaft nicht isoliert von den anderen dastehe, wenn niemand sonst ein solches Statement wie das Zuhalten des Mundes liefere. Granit Xhakas Antwort scheint die Vorlage für das veränderte Zitat zu sein.

Er sagte: „Ich persönlich habe das Bild nicht gesehen, das die Deutschen gemacht haben. Ich habe nur mitbekommen, was sie gemacht haben. Eine Geste, die jetzt Deutschland entschieden hat, aber ich glaube nicht, dass wir als Schweiz irgendetwas machen müssen. Wir müssen das so akzeptieren, wie sie uns das gegeben haben, und that’s it. Da müssen wir nicht lange diskutieren, sondern wollen uns jetzt, wie der Trainer aber auch Adrian [Arnold] gesagt hat, auf den Fußball konzentrieren.“ Vom Respektieren der „Bräuche und Sitten“ in Katar ist hier also nicht die Rede. 

Wen Xhaka mit „sie“ meint, deren Vorgaben man akzeptieren müsse, ist nicht ganz klar, aber mutmaßlich ist es die Fifa. Denn der Schweizer Kapitän wollte die Armbinde laut Medienberichten eigentlich tragen. Der Schweizer Verband beschloss dann, dieses Risiko nicht einzugehen, um Xhaka zu schützen. Dieser hatte die Binde bereits zuvor bei Spielen der Nations League gezeigt.

One-Love-Armbinde wurde mehrmals während der Pressekonferenz mit Xhaka thematisiert

Die Armbinden und die Aktion der deutschen Mannschaft kommen in der Pressekonferenz mehrfach zur Sprache. Schon bei Minute 5:50 bezieht sich ein Journalist auf beides und fragt Xhaka, ob er oder die Schweizer Mannschaft etwas machen wolle, um Solidarität zu zeigen. 

Xhaka beantwortet die Frage jedoch nicht, sondern Kommunikations-Chef Adrian Arnold. „Wir sind traurig, dass wir dieses Armband nicht tragen können. Unser Kapitän hätte das gerne getragen. Aber die sportlichen Sanktionen, die uns die Fifa angedroht hat, hatten zur Folge, dass wir unsere Spieler schützen wollen“, sagt er. Auch ein Platzverweis sei angedroht worden. Das Team stehe aber ein für Werte wie Respekt, Solidarität und Toleranz.

Kurz darauf, bei Minute 8:50, fragt ein anderer Journalist nach dem Umgang der Mannschaft mit „Nebengeräuschen“ wie dem Verbot der Kapitänsbinde durch die Fifa. Der Trainer Murat Yakin antwortet darauf, dass der Plan sei, sich nur auf Fußball zu konzentrieren. „Was die Anderen machen, interessiert uns nicht.“

Unklar, worauf sich Xhakas Aussage über das „Erziehen“ bezieht

Xhaka sagt später auch das Wort „erziehen“, jedoch in einem anderen Zusammenhang: Ein serbischer Journalist fragt bei Minute 13:38, ob Xhaka erwarte, dass sich die serbische Mannschaft im anstehenden Spiel gegen die Schweiz vor allem auf ihn und seinen Mannschaftskollegen Xherdan Shaqiri konzentrieren werde – wegen „allem, was vor vier Jahren passiert“ sei. Damit spielt der Journalist offenbar auf eine politisch verstandene Geste von Xhaka und Shaqiri vor vier Jahren bei einem WM-Spiel gegen Serbien an. Damals zeigten die Spieler, die beide albanische Wurzeln haben, den albanischen Doppeladler, ein altes Symbol für Kosovo und Albanien. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an.

Xhaka antwortet auf die Frage, dass es am Schluss um Fußball gehe. Man sei „professionell genug“, um gegen Serbien oder andere Länder zu spielen; alle würden gewinnen wollen. „Wir sind hier, um Fußball zu spielen, und nicht, um an der Geschichte zu erziehen oder zu kreieren.“ Ob sich Xhaka mit dieser Antwort auf den Vorfall im Spiel gegen Serbien vor vier Jahren bezieht, oder doch möglicherweise auf Katar und die Kapitänsbinde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. 

Fest steht aber: Das Zitat von Granit Xhaka ist in der Form, wie es im Netz kursiert, nicht gefallen. Auch den Satz „Wir werden nicht das Gleiche tun, wie die deutsche Mannschaft“ hat Xhaka nicht gesagt.

Eine Anfrage an das Management zu Xhakas Aussagen blieb bis zur Veröffentlichung unbeantwortet. 

Redigatur: Viktor Marinov, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Video der Pressekonferenz vom 23. November 2022 auf der Webseite der Fifa: Link
  • Watson: „Eine Armbinde wird für die Fifa zum Ballast – die Geschichte eines beispiellosen Versagens“, 22. November 2022: Link