Ja, auf diesem Foto steht ein ukrainischer General vor einem Stepan-Bandera-Gemälde
Ein Foto von Walerij Saluschnyj, Oberkommandeur der Streitkräfte der Ukraine, kursiert international. Kritisiert wird, dass er vor einem Gemälde posiert, das den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera zeigt. Das Selfie wurde zwar zugeschnitten, es ist aber echt, bestätigt der Armeeoffizier, der ebenfalls auf dem Originalbild zu sehen ist.
Auf vielen Kanälen in Sozialen Netzwerken kursieren international Beiträge von einem Selfie des ukrainischen Generals Walerij Saluschnyj. Hinter ihm hängt ein Gemälde, das Stepan Bandera zeigen soll, eine umstrittene Figur der ukrainischen Geschichte: Die einen sehen ihn als Nationalsozialisten, in manchen Regionen der Ukraine wird er teilweise als Nationalheld gefeiert.
Zu Banderas umstrittenem Erbe haben wir in einem Hintergrundbericht bereits recherchiert. Historiker bezeichnen ihn als Faschisten. Die Organisation Ukrainischer Nationalisten, an deren Spitze er in den 1930ern für die Unabhängigkeit des Landes kämpfte, half Deutschland bei der Ermordung von Jüdinnen und Juden in der Westukraine.
Russlands Präsident Wladimir Putin rechtfertigt seinen Angriff auf die Ukraine mit einer angeblich notwendigen „Entnazifizierung“ des Landes. Behauptungen mit Bezug zu Bandera sind daher ein beliebtes Mittel, um diese Erzählung zu unterstützen. Manchmal sind sie frei erfunden. So etwa Ende 2022, als Polens Ministerpräsident in einer Fotomontage vor ein Bandera-Denkmal gestellt wurde.
Das Selfie vor dem Bandera-Gemälde hingegen ist keine Montage. Es wurde lediglich zugeschnitten und zeigt eigentlich noch einen zweiten Mann: Armeeoffizier Anatoli Stefan. Der bestätigte auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, dass das Bild echt ist.
Auf dem Originalfoto ist noch ein zweiter Mann neben Saluschnyj abgebildet
Über eine Bilderrückwärtssuche mit der Suchmaschine Pimeyes finden wir Aufnahmen, die zeigen, dass eigentlich zwei Männer auf dem Foto zu sehen sind: Ein Mann, der rechts neben Saluschnyj steht, wurde weggeschnitten. Über die Google-Bildersuche finden wir den Twitter-Account des ukrainischen Armeeoffiziers Anatoli Stefan, der das Foto am 1. November 2022 dort veröffentlicht hatte. Das ist die älteste Quelle, die wir finden konnten.
„Wir danken allen aufrichtig für die Unterstützung der ukrainischen Armee. Wir sind stolz auf jeden Soldaten der Ukraine. Gemeinsam zum Sieg! Ruhm der Nation“, schrieb Stefan zu dem Bild und verlinkte den Twitter-Account von General Walerij Saluschnyj. Am 1. Januar, dem Geburtstag Banderas, veröffentlichte er das Bild noch einmal und schrieb dazu „Alles Gute zum Geburtstag. Ruhm der Nation“.
Wir haben Anatoli Stefan via Twitter kontaktiert und ihn gefragt, ob das Foto ihn und General Saluschnyj gemeinsam vor einem Gemälde von Bandera zeigt und wann es aufgenommen wurde. Wenig später veröffentlichte er einen Twitter-Beitrag, in dem er sich auf diese Anfrage bezieht – er bestätigte „die Originalität dieses Fotos“, nannte aber keine weiteren Details.
Vorlage für das Gemälde war offenbar ein Foto Banderas
Bildvergleiche mit anderen Aufnahmen der beiden Männer belegen auch, dass die beiden auf dem Foto zu sehen sind.
Auch, dass der verstorbene Ex-Politiker Bandera auf dem Gemälde hinter den beiden zu sehen ist, ist offensichtlich. Wir konnten zwar nicht verifizieren, wo das Gemälde hängt. Doch eine Google-Suche zeigt, dass die Zeichnung auf einem Foto von Bandera basiert, das unter anderem von der Historischen Bibliothek der Ukraine verwendet wurde.
Auf der Bibliothekswebseite und auch auf Wikipedia ist außerdem ein Bild von Banderas Unterschrift zu sehen. Sie stimmt mit dem Schriftzug am unteren Bildrand auf dem Gemälde überein.
Ukrainischer Offizier Stefan sieht keinen Nazi-Bezug
Gefragt nach dem Nazi-Vorwurf, schreibt Anatoli Stefan auf Twitter: Er habe auf dem Bild nach einem Nazi-Verbrecher gesucht, ihn aber nicht gefunden. Keiner der drei Männer habe an den Nürnberger Prozessen teilgenommen. Um auch ein Statement von Saluschnyj zu bekommen, schrieben wir der Pressestelle der ukrainischen Streitkräfte, erhielten jedoch keine Antwort.
Der ukrainischen Armee, aber auch Bürgerinnen und Bürgern wird immer wieder unterstellt, sie würden Nazisymbole verbreiten – das soll das russische Narrativ, man wolle die Ukraine entnazifizieren, stützen. Wir veröffentlichten bereits mehrere Faktenchecks dazu, in einzelnen Fällen waren die Behauptungen größtenteils richtig. So trug etwa ein ukrainischer Soldat tatsächlich ein Symbol, das auch die SS verwendet hatte.
In vielen Fällen aber wurden Bildmontagen oder falsche Behauptungen verbreitet. So wurde etwa vor einigen Wochen ein Video gefälscht, das belegen soll, dass ukrainische Fußballfans „Sieg Heil“ auf ein Plakat geschmiert hätten. Eine Zeichnung davon wurde auch auf das Cover von Charlie Hebdo montiert – was ebenfalls eine Fälschung war. Ein Aufnäher auf der Jacke Selenksyjs wurde im September fälschlicherweise als Nazi-Symbol interpretiert. Ein Foto eines Mannes mit Hakenkreuz-Tattoos, das im Herbst verbreitet wurde, zeigte nicht, wie behauptet, den Kiewer Polizeichef, sondern einen russischen Neonazi.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Steffen Kutzner, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: