Faktencheck

Gefälschter Medienbericht über Waffen aus der Ukraine, die in Frankreich landeten

In den Sozialen Netzwerken kursiert ein Screenshot eines vermeintlichen Nachrichtenartikels. In der Schlagzeile heißt es, dass in Frankreich mit Waffen auf Polizisten geschossen worden sei, die ursprünglich an die Ukraine geliefert worden waren. Allerdings existiert der vermeintliche Artikel nicht. Auch sonst gibt es keine Belege für die Behauptung.

von Sarah Schmidt

Waffen-aus-der-Ukraine-in-Frankreich-Proteste-Titelbild
Ein Screenshot des vermeintlichen Artikels, der auf der Meme-Seite 9gag hochgeladen wurde (Quelle: 9gag; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Zeitungsartikel berichte, die französische Polizei werde mit amerikanischen Gewehren beschossen, die möglicherweise aus der Ukraine stammten.
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Frei erfunden
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Frei erfunden. Der angebliche Artikel existiert nicht. Das zur Bebilderung gewählte Foto wurde bei einem Schießwettbewerb in Russland im Jahr 2012 aufgenommen und stammt nicht aus Frankreich. Es finden sich auch sonst keine Belege, die die Behauptung stützen würden.

Auf Facebook und in einem russischen Telegram-Beitrag heißt es, die französische Polizei habe bei Demonstranten Waffen beschlagnahmt, die „der Westen“ in die Ukraine geliefert habe. Zusammen mit der Behauptung wird ein Artikelbild geteilt, das zwei nebeneinander auf dem Boden aufgestellte Scharfschützengewehre mit Zielfernrohren zeigt. Die Schlagzeile zu dem Bild lautet: „Französische Polizei mit amerikanischen Gewehren beschossen, die aus der Ukraine stammen könnten“. Aus welchem Medium der vermeintliche Artikel stammen soll, ist aus dem Screenshot nicht ersichtlich.

Der Beitrag verbindet zwei Dinge miteinander: den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Ausschreitungen, die nach dem Tod eines 17-Jährigen bei einer Polizeikontrolle am 27. Juni 2023 in mehreren französischen Städten ausbrachen. Doch dafür, dass der Bericht echt ist, fanden wir keine Hinweise.

Angeblicher Screenshot von einem gefälschten Artikel. Laut der englischsprachigen Schlagzeile werden französische Polizisten mit amerikanischen Waffen beschossen, die möglicherweise aus der Ukraine kommen.
Auf Russisch wurde ein Beitrag mit dem Screenshot über eine halbe Million mal gesehen (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Screenshot von angeblichem Medienartikel zeigt ein Bild, das 2012 in Russland aufgenommen wurde

Eine Google-Suche nach der Schlagzeile des angeblichen Medienberichts im englischen Wortlaut führt zu keinem Ergebnis. So finden wir lediglich weitere Beiträge in den Sozialen Netzwerken, die den Screenshot teilen, zum Beispiel auf Twitter oder der Meme-Sharing-Seite 9Gag. Auf Telegram lässt sich das Bild zu einem russischsprachigen Kanal zurückverfolgen, dort wurde der Beitrag mehr als 500.000 mal gesehen. In den Beiträgen heißt es teilweise, die angeblich in Frankreich gefundenen Waffen seien aus den USA gelieferte Scharfschützengewehre von Accuracy International.

Das Bild, das für den Screenshot des angeblichen Artikels verwendet wurde, finden wir jedoch über eine Bilderrückwärtssuche unter anderem in der Bilddatenbank von Wikimedia. Dort finden sich auch weitere Details zum Foto: Es zeigt das Scharfschützengewehr Arctic Warfare .338 LM von Accuracy International. Aufgenommen wurde es laut Wikimedia am 4. November 2012 bei einem Scharfschützenwettbewerb in Russland und stammt vom russischen Militärblogger Vitaly Kuzmin. Es wird auch im russischsprachigen Wikipedia-Artikel für das Modell Arctic Warfare von Accuracy International verwendet, einem britischen Waffenhersteller.

Sprecherin des russischen Außenministeriums verbreitete Behauptung unbelegt weiter

Das Bild ist also nicht aktuell. Das alleine ist jedoch kein Beweis, dass die Behauptung, solche Waffen seien in die Ukraine geliefert worden und dann in Frankreich in die Hände von Demonstrierenden gelangt, falsch ist. Wir haben deswegen mit den Stichworten „Französische Proteste Waffen Ukraine“ auf Englisch und Französisch bei Google nach entsprechenden Medienberichten gesucht.

So finden wir zwar einige Medienberichte, zum Beispiel aus der Türkei, dem Iran oder aus Indien, doch darin fehlen Angaben zu den konkreten Waffen. Auffällig ist jedoch, dass sie sich alle auf die gleiche Quelle beziehen: Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums.

Sacharowa sagte am 6. Juli gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Tass – also mehrere Tage, nachdem der gefälschte Nachrichtenartikel bereits im Netz kursierte –, dass Waffen, die nach Kiew geliefert worden seien, von Protestierenden gegen die Polizei in Frankreich eingesetzt würden. Sacharowa sagte jedoch weder, um was für Waffen es sich handele, noch nannte sie Belege für die Behauptung. Gegenüber der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu bezeichnete eine Sprecherin des französischen Außenministeriums die Äußerungen Sacharowas als „unbelegte Anmerkungen.“ Anfragen von CORRECTIV.Faktencheck an das französische Innenministerium, die Géndarmerie Nationale und die Zollbehörde zu möglicherweise sichergestellten Gewehren blieben unbeantwortet.

In den Beiträgen in Sozialen Netzwerken heißt es teilweise, die angeblich in Frankreich gefundenen Waffen seien aus den USA gelieferte Scharfschützengewehre des oben bereits genannten britischen Waffenherstellers Accuracy International. Accuracy International hat auch eine Fertigungsstelle in den USA. Aber ob und wie viele Scharfschützengewehre von Accuracy International westliche Partner überhaupt in die Ukraine geliefert haben, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Accuracy International antwortete ebenfalls nicht auf die Frage, ob die im Bild gezeigten Modelle überhaupt in die Ukraine geliefert worden sind.

Meldungen über Waffen, die aus der Ukraine in andere Länder gelangen, sind nicht neu

Auch die ukrainische Faktencheck-Organisation Stopfake.org, die irische Faktencheck-Redaktion von Logically Facts und der britische Nachrichtensender BBC kommen zu dem Schluss, dass weder der Nachrichtenartikel noch sonstige glaubwürdige Belege für die Behauptung existieren.

Neu sind derartige Behauptungen jedoch nicht: Immer wieder greifen russische Propaganda-Kanäle das Narrativ auf, dass westliche Waffenlieferungen oft nicht in der Ukraine ankommen oder über den Schwarzmarkt wieder in Europa landen.

CORRECTIV.Faktencheck hat zu Waffenschmuggel im Ukraine-Krieg umfassend recherchiert. Generell lässt sich dazu sagen: das Risiko für Waffenschmuggel besteht in jedem Krieg, konkrete Belege für das russische Narrativ finden sich jedoch bisher nicht.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zu den Unruhen in Frankreich finden Sie hier.

Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Wikimedia-Eintrag Accuracy International AW .338 LM, 4. November 2012: Link (Englisch, archiviert)
  • Bericht der türkischen Nachrichtenagentur Anadolou, 06.Juli.2023: Link (Englisch, archiviert)