Ja, auf einer Demo in Leipzig wurden Ukraine-Unterstützer als „Nazis“ beschimpft
Ein international kursierendes Video soll angeblich einen Vorfall bei einer Demonstration in Deutschland zeigen: Mehrere Personen skandieren darin „Nazis raus!“ gegenüber einer Menschengruppe mit ukrainischen Flaggen. Im Netz zeigen sich einige Nutzerinnen und Nutzer irritiert. Doch die Aufnahme ist echt.
Ende Juli kursierte ein Video, das angeblich Deutsche zeigen soll, die gegenüber Personen mit Ukraine-Flaggen „Nazis raus!“ rufen. In Sozialen Netzwerken zeigen sich einige Nutzerinnen und Nutzer irritiert über den Vorfall – kommentiert wird etwa: „Ist das echt?“ oder „Das ist russische Propaganda“.
Unsere Recherche zeigt: Die Aufnahme ist echt. Sie zeigt einen Vorfall bei einer Demonstration in Leipzig im Oktober 2022. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten mit ihrer Aktion der Propaganda des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Angebliche Beweise dafür, dass die Ukraine ein von Nazis beherrschter Staat sei, widerlegten wir mehrfach.
Video zeigt eine Demonstration in Leipzig im Oktober 2022
Im Video sind mehrere Menschen zu sehen, die an einer Straßenbahnhaltestelle stehen und „Nazis raus!“ skandieren. Im Hintergrund sind Schilder und eine Fahne mit einer Friedenstaube erkennbar. Die Kamera schwenkt anschließend über eine Straße, auf der Polizeikräfte stehen. Auf der anderen Straßenseite ist eine Gruppe von Menschen mit ukrainischen Flaggen zu sehen.
Eine Bilder-Rückwartssuche mit einem Screenshot aus dem Video führt zu mehreren Medienberichten: Der Sender NTV veröffentlichte am 11. Oktober 2022 ein Video mit dem Titel „Protestler beschimpfen geflüchtete Ukrainer als ‚Nazis‘“. Einen Tag später berichtete die Nachrichtenseite T-Online in einem Artikel, dass ukrainische Geflüchtete bei einer Demo in Leipzig als „Schweine“ beschimpft wurden. Sowohl im Titelbild von T-Online als auch im Video von NTV sind die Szenen aus dem aktuell kursierenden Video zu erkennen.
Vorfall ereignete sich bei einer sogenannten Montagsdemonstration in Leipzig
Laut dem T-Online-Artikel handelte es sich bei der Demonstration um eine sogenannte Montagsdemonstration, die am 10. Oktober 2022 stattfand und sich gegen die Energie- und Russlandpolitik der Bundesregierung richtete. Historisch gehen die Montagsdemonstrationen auf Demokratie-Proteste in Leipzig in der damaligen DDR zurück. Dort führten sie im Jahr 1989 mit zum Sturz des SED-Regimes („Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“).
Im Oktober 2022 demonstrierten laut Schätzungen der Polizei 3.000 Menschen unter dem Motto „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“ in Leipzig. Zu einer Gegendemonstration seien etwa 400 Menschen erschienen.
Laut T-Online verliefen die Proteste ruhig, bis der Demozug am Richard-Wagner-Platz auf eine kleinere Kundgebung traf, an der auch ukrainische Geflüchtete teilnahmen. Dort hätten sich dann die Szenen abgespielt, die aktuell im Netz geteilt werden.
Eine Google-Suche mit den Schlagworten „Demonstration Leipzig 10. Oktober 2022“ liefert weitere Berichte über die Demo: Die Leipziger Zeitung schrieb am selben Tag, dass mehrere Kundgebungen und Protestaktionen zeitgleich stattgefunden hätten – darunter eine Solidaritätsveranstaltung mit der Ukraine unter dem Hashtag #RussiaIsATerroristState („Russland ist ein terroristischer Staat“). Diesen Slogan riefen die Teilnehmenden der pro-ukrainischen Kundgebung, wie auch im aktuell kursierenden Video zu sehen.
Demonstration wurde von Querdenkern angemeldet und in rechten Kreisen beworben
Laut T-Online wurde die Montagsdemonstration unter anderem von der von Querdenkern und Rechtsextremen gegründeten Partei Freie Sachsen gefördert.
Auch die Leipziger Zeitung berichtet, Mitglieder aus der Querdenken-Szene und aus rechten Kreisen hätten zu der Demo aufgerufen. Auf der Demo sei eine Fahne der Deutschen Wehrmacht mit dem Slogan „Klagt nicht, kämpft!“ zu sehen gewesen. Im Titelbild des Artikels ist außerdem eine Flagge der Partei Freie Sachsen zu erkennen. Weder die Äußerungen gegen die pro-ukrainischen Demonstrierenden noch die Wehrmachtsflagge erfüllten jedoch laut einem Sprecher der Polizei einen Straftatbestand, heißt es in einem Artikel des MDR.
Sowohl Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) als auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) verurteilten am Tag nach der Demonstration die Beschimpfungen gegen die Ukrainerinnen und Ukrainer, schreibt der MDR weiter.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Matthias Bau, Kimberly Nicolaus
Die wichtigste, öffentliche Quelle für diesen Faktencheck:
- NTV-Video über die Demonstration in Leipzig, 11. Oktober 2022: Link