Faktencheck

Nein, deutsche KFZ-Versicherung des Unfallopfers zahlt nicht die Schäden des ukrainischen Unfallverursachers

In einer Sprachnachricht erzählt eine Frau eine unglaubliche Geschichte: Obwohl ein Ukrainer ihrem Bekannten ins Auto gefahren sei, bezahle die Versicherung des Bekannten die Schäden am Auto des Unfallverursachers. Das klingt nach verkehrter Welt – und stimmt auch nicht.

von Steffen Kutzner

Unfall
Die Versicherung des Geschädigten übernimmt nicht den Schaden am Auto eines ukrainischen Unfallverursachers (Symbolbild: Clark van der Beken / Unsplash)
Behauptung
Wenn ein ukrainischer Fahrzeughalter einen Unfall verursache, zahle die KFZ-Versicherung des Unfallopfers den Schaden am ukrainischen Auto und hole sich das Geld später von einem staatlichen Fonds zurück.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Bis Ende Mai 2022 haben die deutschen KFZ-Versicherer tatsächlich Schäden durch ukrainische Fahrzeuge gemeinschaftlich übernommen. Das galt jedoch nur für Haftpflichtschäden, also Schäden am Auto des Opfers, nicht am Auto eines ukrainischen Verursachers. Seit Juni 2022 gilt das nicht mehr.

In einer Sprachnachricht, die aktuell auf Whatsapp kursiert, erzählt eine Frau von einem Bekannten, der in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen sei. Ein Ukrainer sei ihm an der Ampel aufgefahren, „aber volle Kanone, richtig Schaden dran!“ Die hinzugerufene Polizei habe erklärt, dass die KFZ-Versicherung des Geschädigten auch den Schaden am Auto des Ukrainers begleichen würde. Später hole sich die Versicherung das Geld von einem staatlichen Fonds zurück. Verkehrte Welt also? „Wo sind wir eigentlich gelandet?“, empört sich die Frau.

Die Frau nennt zwar einen konkreten Ort, wer sie aber ist und ob sich der geschilderte Unfall wirklich so zugetragen hat, konnten wir nicht verifizieren. Aber wir haben recherchiert, ob die Geschichte plausibel ist. Das Ergebnis: Sofern die Schuld am Unfall allein beim ukrainischen Fahrer liegt, gibt es kein Szenario, in dem die Versicherung eines Unfallopfers für den Schaden am Auto eines ukrainischen Unfallverursachers aufkommt.

Normalerweise kommt die KFZ-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers für den Schaden am Auto des Unfallopfers auf, und nicht umgekehrt. In der Geschichte der Frau hätte also eigentlich der Ukrainer den Schaden am Auto ihres Bekannten zahlen müssen. In Deutschland ist es nicht erlaubt, ein Auto ohne Haftpflichtversicherung zu fahren. Laut Bundesverkehrsministerium kann ein unversichertes Fahrzeug „durch die Behörden sichergestellt werden“. 

Den Schaden am Auto des Unfallverursachers zahlt – sofern sie abgeschlossen wurde – die eigene Vollkaskoversicherung. Wer keine hat und Schuld am Unfall ist, muss die Kosten für die Reparatur selbst tragen. 

Laut Versicherungsverband müssen Autos ukrainischer Geflüchteter versichert sein wie jedes andere Auto auch

Doch gibt es hierfür eine Sonderregelung für ukrainische Geflüchtete und ihre Autos? Wir haben beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nachgefragt, ob die Geschichte aus der Whatsapp-Sprachnachricht stimmen kann. Von Pressesprecherin Kathrin Jarosch erhielten wir die Antwort, dass die Autos ukrainischer Geflüchteter in Deutschland versichert sein müssen wie jedes andere Auto auch. „Der Versicherungsschutz kann über eine Grüne Karte des ukrainischen Versicherers nachgewiesen werden; alternativ ist der Abschluss einer Grenzversicherung möglich“, so Jarosch.

Die sogenannte Grüne Karte weist nach, dass ein Auto im Ausland versichert ist. Jedoch umfasst die Versicherung nicht immer auch Unfälle im Ausland. Ist das nicht der Fall, bieten mehrere deutsche Versicherer eine sogenannte Grenzversicherung an.

Nahezu täglich Unfälle mit unversicherten ukrainischen Autos

Wie viele in der Ukraine zugelassene Autos in Deutschland unterwegs sind, erfasst der GDV nicht, sondern nur die Anzahl der Unfälle mit Autos, die in Deutschland illegalerweise nicht versichert sind: „Zwischen Anfang Juni 2022 und Ende Mai 2023 kam es bundesweit zu 341 solcher Unfälle, das waren im Schnitt 28 Unfälle pro Monat“, schreibt uns Kathrin Jarosch. Wer Schuld an den Unfällen hat, geht aus der Zahl jedoch nicht hervor.

Aber selbst, wer schuldlos in einen Unfall mit einem nicht versicherten ukrainischen Auto verwickelt wird, bleibt auf den Kosten nicht sitzen, sondern kann Ansprüche an den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ stellen, wie uns das Bundesministerium für Justiz per E-Mail erklärte. Die Frau, die die Sprachnachricht aufgezeichnet hat, erwähnt nicht, ob der ukrainische Unfallverursacher versichert war oder nicht, aber da sie einen Fonds erwähnt, liegt es nahe, dass das nicht der Fall war: Denn wenn ein Schaden an einem deutschen Auto entsteht und niemand sonst dafür aufkommt, kommt der Entschädigungsfonds zum Einsatz. 

Staatlich ist dieser Fonds jedoch nicht; die Rücklage wird von den einzelnen KFZ-Versicherern gebildet. Die arbeiten aber privatwirtschaftlich und nicht staatlich. Grundlage für den Entschädigungsfonds ist Paragraf 12 des Pflichtversicherungsgesetzes, in dem geregelt ist, wer wann Ansprüche aus dem Fonds geltend machen kann.

Deutsche KFZ-Versicherer haben vor Juni 2022 Schäden übernommen – aber nur Haftpflichtschäden

Jedoch haben früher tatsächlich die deutschen KFZ-Versicherer Schäden durch nach deutschem Recht unversicherte ukrainische Fahrzeuge gemeinschaftlich übernommen, nämlich bis zum 31. Mai 2022

Doch auch das ist kein Beleg für die Behauptung in der Sprachnachricht, denn die KFZ-Versicherer haben nur Haftpflichtschäden übernommen, also Schäden an anderen Fahrzeugen. Hat ein unversicherter ukrainischer Fahrer also einen Schaden an einem anderen Auto verursacht, wurde lediglich der Schaden beim anderen Fahrzeug übernommen, nicht der Schaden am Auto des ukrainischen Verursachers. Das bestätigt auch Kathrin Jarosch vom GDV. So wie die Frau in der Sprachnachricht den Unfallhergang schildert, übernimmt keinesfalls die Versicherung des Unfallopfers die Schäden am Auto des Verursachers.

Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas