Faktencheck

Nein, der Krieg in der Ukraine verursacht nicht so viel CO2 wie Deutschland in 600 Jahren

Online kursiert eine Rechnung, die angeblich von der Uni Heidelberg stammen soll. Demnach verursache der Ukraine-Krieg mehr Emissionen als Deutschland in 600 Jahren. Doch weder hat die Uni Heidelberg so eine Rechnung veröffentlicht, noch stimmen die Zahlen.

von Gabriele Scherndl

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Deutschland hat 2022 746 Millionen Tonnen CO2 produziert. Online behaupten Nutzerinnen und Nutzer, der Ukraine-Krieg stoße viel mehr Emissionen aus – das ist falsch. (Quelle: Florian Gaertner / Photothek / Picture Alliance)
Behauptung
Die Universität Heidelberg habe errechnet, dass in dem 20 Monate andauernden Ukraine-Krieg so viel CO2 ausgestoßen worden sei, wie Deutschland in 600 Jahren nicht produzieren könnte.
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Frei erfunden
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Frei erfunden. Die Universität Heidelberg hat keine solche Rechnung veröffentlicht. Eine Forschungsgruppe rund um einen niederländischen Klimaforscher hat berechnet, dass der Krieg in den ersten zwölf Monaten für einen Ausstoß von knapp 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten verantwortlich war. Allein 2022 verursachte Deutschland 746 Millionen Tonnen – also etwa das Sechsfache. Auch in 20 Monaten könnte der Krieg laut dem Forscher nicht für so viel CO2 verantwortlich sein, wie behauptet wird.

Die exakte CO2-Emission von Streitkräften ist schwer zu ermitteln. Klar ist jedoch: Kriege haben Auswirkungen auf das Weltklima. Aktuell kursieren jedoch Falschbehauptungen darüber, wie hoch der Einfluss des Ukraine-Kriegs ist. 

Auf Facebook, X und Telegram behaupten Nutzerinnen und Nutzer, in 20 Monaten Ukraine-Krieg sei so viel CO2 ausgestoßen worden, wie Deutschland in 600 Jahren nicht produzieren könne. Das habe die Universität Heidelberg errechnet. 

All das ist falsch: Weder hat die Universität Heidelberg so eine Studie durchgeführt, noch stimmen die Zahlen. Der Krieg in der Ukraine war laut einer Studie in den ersten zwölf Monaten für einen Ausstoß von 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten verantwortlich. Deutschland stieß allein im Jahr 2022 746 Millionen Tonnen aus, also etwa das Sechsfache.

Ein Facebookbeitrag, in dem die Falschbehauptung wiederholt wird.
Mehrere Facebook-Nutzer teilten eine Rechnung zu den CO2-Emissionen des Ukraine-Krieges. Alles daran ist falsch. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Laut Klimaforschenden verursachte der Ukraine-Krieg in einem Jahr fast 120 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente

Eine Online-Suche nach so einer Studie oder Rechnung der Universität Heidelberg bringt keine Ergebnisse. Auch Ute Müller-Detert, Pressesprecherin der Universität Heidelberg, schreibt auf Anfrage, ihr sei keine derartige Veröffentlichung bekannt.

Was es gibt: Eine Studie von einem Team rund um den niederländischen Klimaforscher Lennard de Klerk vom Juni 2023. Darin berechneten die Forschenden den ökologischen Fußabdruck des Ukraine-Krieges in den ersten zwölf Monaten. Auch deutsche Medien berichteten über die Studie. Die Arbeit haben die European Climate Foundation und die ukrainische International Renaissance Foundation mit Unterstützung Schwedens finanziert. 

Laut der Studie belaufen sich die Treibhausgasemissionen in dem Zeitraum auf insgesamt 119 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Damit werden die Auswirkungen verschiedener Treibhausgase, wie Methan und Lachgas, einheitlich gemessen.

Laut der Studie betrifft fast die Hälfte dieser klimaschädlichen Auswirkungen den Wiederaufbau ziviler Infrastruktur, der nach dem Krieg nötig sein wird. Allein der Treibstoffverbrauch der russischen Truppen verursacht 14,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Bei den ukrainischen Truppen sind es 4,7 Millionen. Auch Brände und Gaslecks der zerstörten Nord-Stream-Pipelines tragen zur Klimabilanz des Kriegs bei. Viele dieser Zahlen beruhen auf Schätzungen, wie die Forschenden in ihrer Studie klarstellen.

Verschiedene Symbole in einer Tortengrafik. bei einem Gashahn steht 14.6, bei einem Panzer steht 21.9, bei einer Flamme steht 17.7, bei einer Gruppe Menschen steht 2.7, bei einem Flugzeug steht 12, bei einem Gebäude steht 50.2.
Das Forschungsteam rund um Lennard de Klerk stellt in seiner Studie dar, wie sich die Klimaauswirkungen des Ukraine-Kriegs zusammensetzen. Der größte Teil betrifft den Wiederaufbau ziviler Infrastruktur, aber auch Brände und umgeleitete Flüge spielen eine Rolle. (Quelle: Climate Focus; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Deutschland stieß 2022 746 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus – sechsmal so viel wie der Krieg

Die 119 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sind nur etwa ein Sechstel dessen, was Deutschland in einem einzigen Jahr ausstößt. 2022 waren das laut Umweltbundesamt 746 Millionen Tonnen, davon 666 Millionen Tonnen CO2.

Ein Tortendiagramm, dass die Treibhausgas-Emissionen Deutschlands zeigt. Gesamt sind das 746 Tonnen, das allermeiste davon (89,4 Prozent) ist CO2.
Von den 746 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten, die Deutschland 2022 ausstieß, waren 666 Millionen Tonnen CO2, also Kohlendioxid (Quelle: Umweltbundesamt; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Klimaforscher de Klerk schreibt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, es sei weder realistisch, noch möglich oder denkbar, dass der Ukraine-Krieg in 20 Monaten hunderte Male so viel CO2 ausstoßen könne wie Deutschland in einem Jahr. Die Behauptungen auf Facebook, X und Telegram sind also frei erfunden.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Max Bernhard, Viktor Marinov

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Grafik des Umweltbundesamts über die Treibhausgas-Emissionen Deutschlands im Jahr 2022, 15. März 2023: Link (archiviert)
  • Studie: „Climate damage caused by Russia’s war“, 1. Juni 2023 auf climatefocus.com: Link (Englisch, archiviert)