Faktencheck

Heinrich Heine hat nicht geschrieben, dass die Sympathie für Ausländer in Europa „bald weg“ sei

Ein Gedicht gegen Ausländer in Europa wird in Sozialen Netzwerken dem deutschen Schriftsteller Heinrich Heine zugeschrieben. Doch anders als seit Jahren immer wieder behauptet, stammen die Worte nicht von ihm.

von Sarah Thust

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Der deutsche Schriftsteller Heinrich Heine wurde auf dem Friedhof Montmartre in der französischen Hauptstadt Paris begraben (Symbolbild: Goldmann / Picture Alliance)
Behauptung
Heinrich Heine habe ein Gedicht über „Inder, Türken, Hottentotten“ geschrieben, für die die Sympathie in Europa „bald weg“ sei, wenn sie dort „nisten“ würden.
Bewertung
Frei erfunden
Über diese Bewertung
Frei erfunden. Im Heinrich-Heine-Portal und auch sonst gibt es keinerlei Belege, dass die Verse von dem Schriftsteller stammen. Das Gedicht entspricht inhaltlich und formal nicht Heinrich Heines Sprache.

Ausgerechnet dem Dichter Heinrich Heine (1797 bis 1856), der aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Ansichten als Feindbild für Antisemiten und Nationalsozialisten gilt, wird ein Gedicht mit rassistischen Formulierungen zugeschrieben. Demnach soll Heine gedichtet haben, dass die Sympathie mit Menschen aus Indien, der Türkei und Afrika bald verschwinden würde, wenn diese „in hellen Scharen, wie die Maden in dem Speck in Europa nisten wollen“. Es kursiert seit Jahren in Blogs und Beiträgen in Sozialen Netzwerken. Ein Dutzend Beiträge auf Facebook verbreiteten diese Verse im Januar 2024 erneut, teilweise wurden sie hundertfach geteilt

Angebliches Gedicht passt nicht zu Heines Weltbild

Alle Werke sowie bekannten Briefe des deutschen Dichters sind im Heinrich-Heine-Portal digitalisiert, das vom Heine-Institut in Düsseldorf verwaltet wird. Eine Suche nach dem angeblichen Gedicht liefert im Portal keine Treffer.

CORRECTIV.Faktencheck fragte beim Heinrich-Heine-Institut per E-Mail nach – die Antwort: Das Zitat stamme nicht von Heine, eine solche Aussage von ihm sei „äußerst unwahrscheinlich“. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Nora Schön ordnete ein: „Eine solche rassistische und vereinfachende Darstellung wäre bei Heines Weltbild nicht denkbar, da er sich kritisch mit nationalistischen Parolen auseinandersetzte und sich aktiv gegen solche diffamierenden Aussagen einbrachte.“  

Laut dem Blog „Zeitzünder“ des österreichischen Schriftstellers Winfried Werner Linde stellte das Heinrich-Heine-Portal bereits 2012 klar, dass das Gedicht nicht von Heine stamme: „Abgesehen von seinem Inhalt, der nun überhaupt nicht zu Heines aufgeklärten, kosmopolitischen Denken passt, ist es auch allein sprachlich und formal, mit seinem holperigen Versmaß, dem bemühten Ausdruck und der schiefen Metaphorik, viel zu schlecht, als dass Heines Verfasserschaft auch nur vermutet werden könnte.“

Falsches Heinrich-Heine-Zitat seit Jahrzehnten in Umlauf

Eine Schlagwortsuche bei Google nach dem Beginn des Gedichts führt zu mehreren Faktenchecks mit demselben Ergebnis: Es gibt keine Belege, dass der deutsche Dichter sowas je schrieb. 

Es bleibt unklar, wer das Zitat ursprünglich falsch verbreitet hat. Die Heinrich-Heine-Gesellschaft, die laut eigener Angabe eng mit dem Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf zusammenarbeitet und das Werk Heines durch Veranstaltungen und Publikationen lebendig hält, schrieb schon 1993 im Heine-Jahrbuch, dass es sich um eine „Fälschung“ handele. Demnach ist die älteste bekannte Quelle, die diese Zeilen Heine zuschreibt, ein Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger vom 29. November 1991.

Dass Heines Name immer wieder fälschlicherweise mit dem Zitat in Verbindung gebracht wird, zeigen mehrere Beispiele: Eine Masterarbeit (PDF, Seite 117) an der Karl-Franzens-Universität Graz wies 2010 nach, dass zum Beispiel die Kronen Zeitung in Österreich das Zitat seit dem Jahr 2000 mehrfach im Rahmen von Leserbriefen uneingeordnet abdruckte. 

2009 zitierte auch der NPD-Politiker Jürgen Gansel das angebliche Heine-Gedicht in einer Rede im Sächsischen Landtag (PDF, Seite 9). 

Redigatur: Paulina Thom, Uschi Jonas

Korrektur, 8. Februar 2024: Wir haben im Text klargestellt, dass im Heinrich-Heine-Portal alle Werke und bekannten Briefe des Dichters digitalisiert vorliegen.