Faktencheck

Nein, die WHO-Mitgliedsländer verhaften keine Bürger, die gegen eine Vogelgrippe-Impfung sind

Angeblich sollen sich alle 194 Mitgliedsländer der WHO darauf geeinigt haben, Kritiker der Vogelgrippe-Impfung mit Gefängnis zu bestrafen. Das ist frei erfunden. Gegen Vogelgrippe wird in Deutschland aktuell zudem niemand geimpft.

von Steffen Kutzner

SCHWEIZ GLARUS UEBUNG VOGELGRIPPE
Die Vogelgrippe überträgt sich durch Vögel, aber auch andere Tiere wie Kühe oder Nerze können sich infizieren (Symbolbild: Gian Ehrenzeller / Keystone / Picture Alliance)
Behauptung
Alle 194 Mitgliedstaaten der WHO hätten sich nach neuen WHO-Gesundheitsvorschriften darauf geeinigt, Bürger zu verhaften, die sich gegen den Vogelgrippe-Impfstoff aussprechen.
Bewertung
Frei erfunden
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Frei erfunden. So eine Einigung gab es nicht. Die WHO hat keine Kompetenzen, in die Souveränität der einzelnen Länder einzugreifen. Das Bundesgesundheitsministerium geht davon aus, dass in Deutschland noch nie ein Mensch gegen die Vogelgrippe geimpft wurde.

Auf Tiktok, X, und Telegram wird behauptet, alle 194 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation WHO hätten sich darauf geeinigt, Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen die Vogelgrippe-Impfung aussprechen, zu verhaften. Die Behauptung kursiert auch auf Japanisch und Spanisch. „Bald fängt alles wieder von vorne an“, wird dazu geschrieben und eine Verbindung zur Corona-Impfung suggeriert. Auch die US-Webseite The People’s Voice, die schon mehrfach mit Desinformation auffiel, griff das Thema auf

Dieser Screenshot eines Blogartikels wird auf Tiktok, Telegram und X verbreitet. Die Behauptung in der Überschrift ist erfunden.  (Quelle: Tiktok; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Weder der Text noch die verlinkten Quellen belegen geplante Verhaftungen wegen der Vogelgrippe-Impfung

Der Screenshot auf Tiktok zeigt einen Artikel eines Blogs namens „Reseau International“. Dort wird als vermeintliche Quelle eine Pressemitteilung der WHO vom 1. Juni 2024 verlinkt. Darin geht es jedoch überhaupt nicht um die Vogelgrippe und auch nicht um Impfungen. Sondern darum, dass die WHO-Mitgliedsländer ein Paket beschlossen hätten, in dem es unter anderem darum geht, eine gemeinsame Definition eines Pandemie-Notfalls festzulegen und sich zu Solidarität und Gerechtigkeit zu bekennen. Auch eine als vermeintliche Quelle verlinkte Pressekonferenz vom 1. Juni hat nichts mit der Behauptung zu tun, es geht darin weder um die Vogelgrippe noch um Festnahmen oder Verhaftungen. 

Der Text selbst liefert dazu keine weiteren Belege. Das Wort „verhaften“ kommt nur in der Überschrift und im Teaser vor – wie die Autoren diesen Schluss ziehen, bleibt unklar. Über die Vogelgrippe geht es außer in Überschrift und Teaser im Text nur einmal, in diesem Zitat von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus: „Nach zweijährigen Verhandlungen verabschiedeten sie eine Reihe robuster Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften, die auf den Lehren aus der 19 Jahre alten Vogelgrippe-Pandemie basierten.“ 

Dabei geht es also lediglich darum, dass die Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO ursprünglich von 2005 stammen.

WHO kann nicht die Souveränität der Mitgliedsländer aushebeln 

In dem Artikel heißt es, die WHO habe mit ihrer Entscheidung zur Vogelgrippe die „nationale Souveränität der Länder“ aufgehoben. Dass die WHO angeblich Gesetze für Mitgliedstaaten erlassen oder nationale Gesetzgebungen außer Kraft setzen könne, wird immer wieder behauptet, etwa im Rahmen des noch gar nicht beschlossenen Pandemie-Vertrags

Tatsächlich hat die WHO jedoch keine Befugnisse, in die Gesetzgebung der Staaten eingreifen oder Gesetze vorzuschreiben, wie wir etwa im März 2022 hier erklärt haben. Hintergrund ist, dass jedes Land selbst entscheidet, ob es beispielsweise dem Pandemie-Vertrag zustimmt oder nicht; kein Land wird dazu gezwungen, wie etwa die Tagesschau Ende April 2024 schrieb. In Paragraf 19 der WHO-Satzung steht: Abkommen und Verträge treten für die Mitgliedstaaten erst dann in Kraft, „wenn sie von ihm gemäß seinen Verfassungsbestimmungen angenommen worden sind“.

Dass sämtliche Mitgliedsländer sich darauf geeinigt haben sollen, Kritikerinnen oder Verweigerer der Vogelgrippe-Impfung festzunehmen, ist also frei erfunden. Kritische Äußerungen wie diese wären in Deutschland zudem von der Meinungs- und Redefreiheit geschützt. 

Was es mit der Vogelgrippe-Impfung auf sich hat

Ursache für die Vogelgrippe sind verschiedene H5-Viren, etwa H5N1 oder H5N7. Im Herbst 2023 wurde ein Impfstoff, der an die in der EU zirkulierenden H5-Viren angepasst ist, in der EU zugelassen, wie uns das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf Anfrage mitteilte. Zwei weitere gegen den Subtypen H5N1 wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zur Zulassung empfohlen

Nur: Weder in Deutschland noch irgendwo anders in Europa hat sich laut Gesundheitsministerium je ein Mensch mit dem Vogelgrippe-Virus infiziert. „Derzeit werden in Deutschland keine Menschen gegen die Vogelgrippe geimpft. In Deutschland hat sich bislang, wie in allen anderen europäischen Ländern, niemand mit dem Vogelgrippevirus infiziert, das heißt, es gab keine Übertragung von einem Tier auf den Menschen“, so das BMG.

In Deutschland wird die Impfung gegen Vogelgrippe vom Gesundheitsministerium aktuell nicht empfohlen, weil unklar ist, ob sie ausreichend gegen die aktuell in den USA kursierende Variante – die auch auf den Menschen übersprang – wirkt. Daher geht das BMG davon aus, dass hierzulande noch nie jemand gegen H5N1 geimpft wurde. Eine solche Impfung sei jedoch nicht meldepflichtig.

In Finnland gibt es eine freiwillige Impfung gegen die Vogelgrippe

In anderen Ländern wird die Impfung laut Medienberichten verabreicht, etwa in Finnland, wo Tierärzte und Mitarbeiter von Pelzfarmen sie erhalten können. Hintergrund ist, dass sich Nerze oft mit dem Vogelgrippevirus H5N1 anstecken und das Virus theoretisch so mutieren könnte, dass auch eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch möglich wäre. Die Impfung ist in Finnland freiwillig.

Die H5N1-Variante der Vogelgrippe kommt auch international beim Menschen kaum vor. Von Januar 2003 bis Mai 2024 hat die WHO 889 Fälle von H5N1 beim Menschen dokumentiert, wie aus dem Vogelgrippe-Bericht vom 28. Juni 2024 hervorgeht. Allerdings gab es im Frühjahr 2024 in den USA etwa 130 Fälle von Infektionen bei Milchkühen, wie der Deutschlandfunk berichtete. In vier Fällen übertrug sich das Virus auf Menschen, die engen Kontakt mit diesen Tieren hatten und dadurch leichte Erkrankungen entwickelten, wie Bindehautentzündungen, erklärt das Robert-Koch-Institut auf seiner Webseite. Es gibt zwar Vogelgrippe-Impfungen für Tiere, aber noch keine auf Rinder angepasste Impfung.

Redigatur: Gabriele Scherndl, Viktor Marinov