Faktencheck

Doch, der Meeresspiegel in Venedig steigt

AfD-Politiker Miguel Klauß behauptet, der Meeresspiegel in Venedig habe sich seit über 1.500 Jahren nicht verändert. Doch Messdaten zeigen: Der Meeresspiegel in Venedig steigt und die Stadt sinkt.

von Sarah Thust

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In Venedig ist von Herbst bis Frühjahr Hochwassersaison. Das heißt, es kommt öfter vor, dass Plätze und Gebäude überflutet werden und Touristen auf Gummistiefel umsteigen. (Symbolbild: Antonio Gravante / Shotshop / Picture Alliance)
Behauptung
Der gleichbleibende Meeresspiegel, zum Beispiel in Venedig in Italien seit über 1.500 Jahren, sei der Beweis für Klimaschwindel.
Bewertung
Falsch. Der Meeresspiegel in Venedig bleibt nicht gleich – er stieg allein zwischen 1993 und 2023 durchschnittlich um 4,5 Millimeter pro Jahr. Laut der Kommune Venedig haben sich zudem in den vergangenen Jahren die jährlichen Hochwasser gehäuft.

Der AfD-Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, Miguel Klauß, veröffentlichte Anfang Mai ein Video von sich in Sozialen Netzwerken und behauptet: Der gleichbleibende Meeresspiegel, zum Beispiel in Venedig seit über 1.500 Jahren, sei „der beste Beweis für den Schwindel der Klimasekte“. Auf Tiktok und Instagram erhielt sein Video hunderte Likes. 

Doch Klauß’ Behauptung ist falsch. Der Meeresspiegel in Venedig bleibt nicht gleich, wie die Aufzeichnungen der Pegelstände vor Ort seit 1872 belegen. 

Im letzten Jahrhundert ist der Meeresspiegel in Venedig um rund 30 Zentimeter gestiegen – gleichzeitig ist die Stadt um etwa 25 Zentimeter gesunken, wie eine Studie zeigt.

Instagram-Beitrag von AfD-Politiker Miguel Klauß: „Der gleichbleibende Meeresspiegel, zum Beispiel in Venedig seit über 1.500 Jahren, ist der beste Beweis für den Schwindel der Klimasekte hinsichtlich der Gefahr des steigenden Meeresspiegels“
Das Video zeigt Miguel Klauß, AfD-Landtagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, in einem Zug und dazu die Falschbehauptung, der Meeresspiegel sei in Venedig gleich geblieben (Quelle: Instagram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das italienische Institut für Umweltschutz und Forschung (Ispra) schreibt über den Meeresspiegelanstieg in Venedig: „Im Zeitraum 1872–2023 stieg der Pegel im Durchschnitt um 2,5 mm pro Jahr, wobei die Tendenz im Laufe der Zeit nicht immer konstant und gleichmäßig ist.“ In den letzten dreißig Jahren habe sich der Anstieg des durchschnittlichen Meeresspiegels fast verdoppelt (4,5 mm pro Jahr).

„Acqua alta“ – zusätzliche Belastung, die laut einer Studie wahrscheinlicher wird

Der Anstieg des Meeresspiegels ist nicht die einzige Belastung, der die Stadt ausgesetzt ist: Sie wurde auf einer Inselgruppe in einer Mittelmeer-Lagune erbaut, die Häuser stehen auf sandigem, matschigem Boden, der unter dem Gewicht immer mehr nachgibt. Immer wieder berichten Medien über Bauprojekte und Versuche, Venedig vor dem Versinken zu retten. 

Dazu kommen die saisonalen Hochwasser in der kalten Jahreszeit, auch „Acqua alta“ genannt. Dabei drückt eine starke Flut – begleitet von niedrigem Luftdruck und Wind – Wassermassen in die Lagune und Hochwasser überfluten infolgedessen kurzzeitig die Stadt. Auf ihrer Website informiert die Kommune Venedig Touristen, dass Fußgängerwege bis zu einem Pegelstand von 1,20 Metern genutzt werden können. 

Die Höchststände bisher: Bei einer Sturmflut im November 1966 erreichte der Pegel 1,94 Meter. Im November 2019 kam es zu Hochwassern, bei denen der Pegel auf 1,87 Meter stieg.

Schaubild der Kommune Venedig zeigt die Pegel bei Hochwasser auf dem San Marco Platz
Hochwasser in Venedig sind in der Regel von kurzer Dauer: Wenn beispielsweise die Flut einen Höchstwert von 120 Zentimetern erreicht, dauert sie im Durchschnitt weniger als anderthalb Stunden. Bis zu dieser Schwelle kann man sich in Venedig mit Gummistiefeln noch frei bewegen. Den höchsten Punkt bei 1,94 Meter erreichte die Sturmflut im Jahr 1966. (Quelle: Kommune Venedig; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Ein Stück weit sind Hochwasser in Venedig also normal, doch die Intensität und Häufigkeit der Überschwemmungen soll laut aktuellen Auswertungen des italienischen Instituts für Geophysik und Vulkanologie kontinuierlich zunehmen. Auch die Kommune Venedig berichtet auf ihrer Webseite, dass seit den 60er Jahren eine Zunahme der Hochwasserstände (von mehr als 1,10 Metern) zu beobachten sei. „Während wir zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein Ereignis mit Wasserständen von über 110 cm pro Jahr beobachten konnten, waren es in den vergangenen Jahren durchschnittlich 5–6 Ereignisse pro Jahr.“ Ebenso habe die Anzahl der Ereignisse mit sehr niedrigem Wasserstand mit der Zeit abgenommen.

Der Meeresspiegel steigt weltweit

Auch dass der Meeresspiegel durch den Klimawandel weltweit im Schnitt ansteigt, ist durch Messungen belegt. Laut einem Sonderbericht des Weltklimarates IPCC von 2019 ist der Meeresspiegel zwischen 1902 und 2010 weltweit durchschnittlich um 16 Zentimeter angestiegen (PDF zum Download). Dabei habe sich die Geschwindigkeit des Anstiegs in den letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt – von 1,4 auf 3,6 Millimeter pro Jahr. Gründe dafür seien die Erwärmung der Ozeane, wodurch sich das Wasser ausdehnt, und das Abschmelzen der Gletscher und der Polarkappen.

Regionale Extremwetter wie Hoch- oder Niedrigwasser werden zudem wahrscheinlicher, wie unterschiedliche Forschungsarbeiten nahelegen. Darüber haben wir bereits in mehreren Faktenchecks berichtetet. 

Es ist nicht das erste Mal, dass AfD-Politiker Klauß eine Falschbehauptung verbreitet. Da er vorherige Fragen nicht beantwortet hat und schrieb, er wolle nicht mehr von CORRECTIV kontaktiert werden, haben wir für diesen Faktencheck von einer Anfrage an den Politiker abgesehen. 

Falschbehauptungen über den Klimawandel nutzen häufig falsche Angaben zum Meeresspiegelanstieg

Um den Klimawandel infrage zu stellen, werden immer wieder Falschbehauptungen über ein angebliches Gleichbleiben des Meeresspiegels in Sozialen Netzwerken gestreut. Häufig werden dafür historische und neue Luftaufnahmen von Küsten gegenübergestellt, zum Beispiel von Dubai, Sydney, Malta oder der Freiheitsstatue in New York. Zu einem Bild aus Rio de Janeiro hieß es zum Beispiel, der Meeresspiegel dort sei seit 1880 gleichgeblieben – das war ebenfalls falsch, wie Messungen belegen.

Redigatur: Matthias Bau, Kimberly Nicolaus

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Messungen des Meeresspiegels in Venedig, Kommune Venedig, archiviert am 13. Mai 2025: Link
  • Mittlerer Anstieg des Meeresspiegels in Venedig, Institut für Umweltschutz und Forschung, archiviert am 6. Mai 2025: Link
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