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Richtige Zahlen, voreilige Schlüsse

Einige Online-Publikationen behaupten, in Bayern sei die Zahl der Vergewaltigungen deutlich gestiegen. Doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum sollen es sein. Tatsächlich aber werden Formulierungen und Statistiken falsch gedeutet.

von Inga Wonnemann

Bildschirmfoto der Seite "Junge Freiheit", die unter anderem die Nachricht verbreiteten.

„Herrmanns Schock-Zahlen: Fast 50 Prozent mehr Vergewaltigungen“, titelt der „Münchener Merkur“. „Fast doppelt so viele Vergewaltigungen durch Zuwanderer“, schreibt die Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Auf den ersten Blick sind es erschreckende Zahlen. In den sozialen Medien werden diese Berichte inzwischen vielfach verbreitet. Doch stimmen die Zahlen auch?

Die Artikel beziehen sich auf einen Bericht des bayrischen Innenministers Joachim Herrmann, CSU. Er gab am Dienstag, den 12. September, die Halbjahreszahlen aus der Kriminalstatistik Bayerns bekannt. Besonders auffällig sind die Angaben zu Vergewaltigungsfällen. Im Bericht aus der Kabinettssitzung heißt es:

„Negativ fällt hingegen die Entwicklung der Vergewaltigungsfälle aus. Hier gab es im ersten Halbjahr 2017 eine deutliche Steigerung der Fallzahlen in Bayern (+ 222 Fälle, +4 7,9 Prozent) auf 685 Fälle. Gerade die Zahl der durch Zuwanderer begangenen Vergewaltigungsdelikte ist erheblich angestiegen (+ 60 Fälle, + 90,9 Prozent).“

Unterschied „Verwaltigungsdelikt“ und Vergewaltigung

Es stimmt – insgesamt zeigt sich ein Anstieg um fast 50 Prozent. Schaut man sich aber die Formulierung genau an, ist die Rede von „Vergewaltigungsdelikten“, und nicht wie in den Artikeln und Facebook-Posts behauptet, von Vergewaltigungen. „Wir haben uns Straftaten der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung gemäß Paragraf 177 Abs. 2, 3, 4 und Paragraf 178 StGB angeschaut“, erläutert der stellvertretende Pressesprecher des bayrischen Innenministeriums Michael Siefener.

Im November 2016 wurde insbesondere der Paragraf 177 um einige Punkte erweitert. Auch sexuelle Belästigung wie zum Beispiel „Begrapschen“ kann seither unter diesen Paragrafen fallen. Ob es sich bei den 222 Fällen um eine Vergewaltigung oder ein Begrapschen handelt, „lässt sich so trennscharf ohne aufwendige Auswertungen aus den Halbjahresdaten nicht herauslesen“, sagt der Sprecher. Und weiter: „Rein nach juristischer Definition ist die Vergewaltigung als besonders schwerer Fall eine Teilmenge der 222 Fälle.“

Auch die Zahl der Vergewaltigungsdelikte, die Zuwanderern zugeschrieben werden, klingt alarmierend. Ein Anstieg von knapp 91 Prozent, oder in Zahlen: Waren es im ersten Halbjahr 2016 insgesamt 66 Fälle, sind es im ersten Halbjahr 2017 dagegen 126 angezeigte Vergewaltigungsdelikte – also 60 Taten mehr. Insgesamt machen die tatverdächtigen Zuwanderer bei den sexuellen Delikten 18 Prozent aus. Als Zuwanderer gelten für Statister vor allem Asylbewerber, Geduldete und Bürgerkriegsflüchtlinge.

Halbjahreszahlen schwer vergleichbar

Halbjahreszahlen herauszugeben ist nicht unüblich – aber sie sind auch nicht wirklich vergleichbar. „Wir geben keine große Pressekonferenz zur Halbjahresstatistik, weil natürlich ein Halbjahrestrend nicht aussagt, wie es sich im gesamten Jahr entwickelt. Es kann sein, dass die Zahlen im zweiten Halbjahr zurückgehen.“ Auch handelt es sich nicht um verurteilte Straftaten, sondern um Anzeigen, die an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden.

Zu beachten ist, dass durch die Verschärfung des Sexualstrafrechts auch mehr Taten angezeigt werden. Weshalb ein Vergleich mit dem Vorjahr ebenfalls erschwert wird.

Fazit: Die Zahl der registrierten Sexualdelikte ist tatsächlich gestiegen. Man muss die Daten allerdings einordnen und keine falschen Zusammenhänge herstellen.