Hintergrund

Droht die „5G-Apokalypse“? Wie derzeit Stimmung gegen den neuen Mobilfunkstandard gemacht wird

Der weltweite 5G-Ausbau ist ein Thema der Desinformation. Obwohl die aktuelle Faktenlage wenig Anlass für Alarmismus bietet, wird er auch im deutschsprachigen Raum befeuert. Ein Blog fällt dabei besonders auf.

von Till Eckert

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Ein Mann geht am 4. April 2019 in Seoul an einer Werbung für das neue 5G-Netz vorbei. Südkorea startete zwei Tage früher das weltweit erste 5G-Netz im ganzen Land. (Foto: © Jung Yeon-Je / AFP)

Wenn neue Technologien eingeführt werden sollen, gehen bei manchen Menschen die Alarmglocken an: Droht dadurch eventuell Gefahr? Das zeigt zur Zeit insbesondere die Debatte um den neuen 5G-Mobilfunkstandard. Mehr noch: In den USA wird laut eines Artikels der New York Times durch Falschmeldungen eine „5G-Apokalypse“ beschworen, das soll sogar systematisch vom US-amerikanischen Ableger des russischen Staatssenders RT angetrieben werden.

Eine 5G-Desinformationskampagne? CORRECTIV konnte auf der deutschen Seite von RT nichts vergleichbares ausmachen. Zwar berichtet RT Deutsch dort über 5G, aber nicht in der von New York Times beschriebenen alarmistischen Art und Weise. So geht es häufig um die wirtschaftliche Beteiligung des chinesischen Unternehmens Huawei am deutschen Ausbau. Dennoch beobachtete CORRECTIV in den vergangenen Monaten auch in Deutschland einige reißerische Artikel und Facebook-Posts, die tausendfach geteilt wurden. Besonders auffällig: der Blog Connectiv.Events.

Seit Juli 2018 veröffentlicht die Webseite regelmäßig Texte, die sich an der angeblichen Gefahr durch 5G abarbeiten. Mal wird getitelt: „Zweiter dringender Weckruf: 5G ist Gefahr für Leib und Leben“. Einmal sollen angeblich „20.000 5G-Satelliten“ gestartet werden und „gefährliche Mikrowellenstrahlung über die ganze Welt“ senden. Ein anderes mal sollen „wegen 5G alle Bäume aus den Städten verschwinden“ oder „Feuerwehrleute neurologische Schäden“ durch die Arbeit an 5G-Mobilfunkmasten erlitten haben. In diesem Jahr veröffentlichte Connectiv.Events bereits 17 Artikel, die alle 5G als gefährlich bezeichnen oder zumindest suggerieren, es sei so.

Einige Artikel zu 5G bei „Connectiv.Events“. (Screenshot: CORRECTIV)

Glaubt man dem, was die Webseite beschwört, kann bald niemand mehr gefährlichen Strahlungen entkommen. Bedeutet 5G unser aller Ende? Kurz gesagt: Nein. CORRECTIV hat den aktuellen Stand der Gefährdungslage zusammengetragen – diese gibt keinen Anlass für Alarmismus, denn die Studienlage ist nicht abgeschlossen.

Anstehender 5G-Ausbau sorgt für Angst vor mehr Strahlung – doch das ist bisher weder abschätz- noch belegbar

5G steht für die fünfte Mobilfunkgeneration. Sie benötigt neue, beziehungsweise mehr Funktechnologie als die bisherigen. So soll sie Daten schneller übertragen und weniger Strom verbrauchen. Das wird laut Bundesamt für Strahlenschutz zu einem „deutlichen Ausbau der Sendeanlagen“ führen. Und genau das führt derzeit offenbar zu vielen Befürchtungen, denn mehr Funksendeanlagen bedeutet in den Augen vieler auch: mehr Strahlung. Grundsätzlich ist das richtig, denn wie das Bundesamt schreibt: „Auch die Zahl der Sendeanlagen und Geräte, die elektromagnetische Felder erzeugen, nimmt damit [durch den 5G-Ausbau] zu.“

Doch ganz so einfach ist es nicht. Die Technologie soll nämlich anders als die bisherigen funktionieren. Daten sollen zum Beispiel durch sogenanntes Beamforming nur dann übertragen werden, wenn Nutzer in der Nähe sind und sie auch benötigen. Das findet laut des Magazins IPInsider bereits bei aktuellen WLAN-Routern Verwendung. Vodafone testet die Beamforming-Technik bei 5G nach eigenen Angaben seit Mai 2018. Die Daten über die Funksendeanlagen sollen demnach flexibel und nicht konstant in gleichbleibender Geschwindigkeit und Rate übertragen werden – mal soll übertragen werden, mal nicht, mal schneller, mal langsamer, mal mehr, mal weniger, je nach Bedarf. Das soll laut dem Informationszentrum Mobilfunk der Telekom auch den Energieverbrauch sinken lassen.

Weil die Datenübertragung also immer schwanken soll, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt demnach schwer abschätzen, in welchem Ausmaß eine mögliche Strahlenbelastung zunehmen wird. Zudem ist nicht geklärt, wann und in welchem Ausmaß der Ausbau stattfinden wird. In Berlin wird 5G laut der Telekom schon seit Mai 2018 ausgebaut und getestet. Ein Sprecher sagte CORRECTIV am Telefon, bisher gebe es 70 Antennenstandorte in Berlin, die meisten davon im Stadtteil Charlottenburg.

Doch verlässliche deutschlandweite Erhebungen zur Anzahl der neuen Sendeanlagen und der möglichen Strahlenbelastung, die von ihnen ausgeht, soll es erst dann geben, wenn 5G flächendeckend in Betrieb gegangen ist. Angebliche Informationen oder Angaben dazu sind bislang reine Spekulation. Das Bundesamt für Strahlenschutz „rät zu einem umsichtigen Ausbau von 5G“ und will „die Wirkung der neuen Frequenzbereiche weiter erforschen“.

Wie wirkt sich die abgesonderte Strahlung auf uns aus?

Strahlung wird laut Bundesamt für Strahlenschutz vom Körper aufgenommen, „absorbiert“. Wie stark, hängt von der Stärke und Frequenz der elektromagnetischen Felder ab. Das Strahlenschutzgesetz und die Strahlenschutzverordnung legen Grenzwerte für Strahlenexposition fest, die nicht überschritten werden dürfen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Je näher wir uns an einem Gerät befinden, das elektromagnetische Strahlung aussendet, desto eher absorbiert unser Körper sie – und je höher die Frequenz, desto geringer ist die sogenannte Eindringtiefe in den Körper.

Das Bundesamt für Strahlenschutz informiert über die Eindringtiefe elektromagnetischer Strahlung. (Screenshot: CORRECTIV)

Es gibt Falschmeldungen, die behaupten, 5G solle Frequenzen um 100 GHz nutzen, die „vom Militär als Waffe zur Crowd-Control eingesetzt“ werde. Über die Frequenzbereiche, in denen 5G in Deutschland zunächst eingesetzt werden soll, informieren die Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Strahlenschutz:

  • 2-GHz-Band (darin wird bereits heute Mobilfunk betrieben)
  • 3,4 bis 3,7 GHz
  • 700 MHz

Wer diese Frequenzen im Kopf behält, weiß, wie tief die Strahlung in unsere Körper dringt – bei Frequenzen über 10 GHz wirkt sie nur noch an der Hautoberfläche. Doch ist die durch 5G ausgesonderte Strahlung auch „gefährlich“, wie von Connectiv.Events behauptet?

„Keine gesundheitsrelevanten Wirkungen zu erwarten“, wenn Grenzwerte eingehalten werden

Das Bundesamt für Strahlenschutz schrieb dazu in einer Pressemitteilung im Sommer 2018, dass viele technische Aspekte von 5G mit denen bisheriger Mobilfunkstandards vergleichbar seien – deshalb seien Erkenntnisse bisheriger Studien auf den neuen Standard übertragbar: „Dort hat sich gezeigt: Wenn die Grenzwerte eingehalten werden, sind nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand keine gesundheitsrelevanten Wirkungen zu erwarten.“

Dennoch sieht das Bundesamt weiteren Forschungsbedarf bei der mit 5G geplanten Nutzung zusätzlicher Frequenzbänder im Zenti- und Millimeterwellenlängenbereich. Es gebe wissenschaftliche Unsicherheiten bezüglich der Langzeitwirkung intensiver Handynutzung, auch sei die Technologie noch zu jung, um den möglichen Einfluss auf Krebserkrankungen oder Kinder zu beurteilen, dafür brauche es 20 bis 30 Jahre.

Das Bundesamt für Strahlenschutz will „bei Handlungsbedarf geeignete Maßnahmen einleiten“. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Studienlage zu Auswirkungen durch Strahlenbelastung ist unzureichend

Dass Mikrowellenstrahlung Krebs auslösen könne, wird oft behauptet. Als Beleg soll die Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) dienen, einer Organisation der Weltgesundheitsorganisation. Im Jahr 2011 (PDF) stufte sie Mikrowellenstrahlung als „Class 2B carcinogen“ ein – krebserzeugend nach Kategorie 2B. Diese Klassifizierung bedeutet zwar, dass die Strahlungsart prinzipiell Krebs auslösen könnte – doch so stufte die Organisation zum Beispiel auch Essiggurken und Aloe Vera ein (PDF).

Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt: „Mögliche Langzeitwirkungen und Wirkungen auf Kinder können zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht ausgeschlossen werden.“ Bis heute gibt es aber keine ausreichende Beweise, die belegen, dass die Nutzung eines Mobiltelefons Krebs auslöst, schreibt das Center for Desease Control and Prevention des US-Gesundheitsministeriums. Vor einer abschließenden Bewertung sei mehr Forschung nötig.

Einschätzung des Center for Disease Control and Prevention des US-Gesundheitsministeriums. (Screenshot: CORRECTIV)

So ähnlich steht das im Beitrag des Science Media Center Germany, einem Netzwerk aus Wissenschaftlern, das journalistische Berichterstattung unterstützen möchte. Die zitierten Wissenschaftler teilen grundsätzlich die Einschätzung, nach der keine Gefährdung von Mobilfunkstrahlung ausgehe, solange geltende Grenzwerte eingehalten würden.

Achim Enders, Leiter des Instituts für Elektromagnetische Verträglichkeit der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, zur potenziellen Gefahr durch 5G. (Screenshot: CORRECTIV)

Bislang kann wegen der unzureichenden Studienlage und Forschung zum Thema also nicht von einer neuen Gefahr durch 5G ausgegangen oder sicher gesagt werden, die Strahlung sei „gefährlich“. Andere angebliche Angaben oder Informationen sind zum jetzigen Zeitpunkt Spekulation.

Einigkeit besteht darin, gewisse Vorsicht bei der Nutzung von Mobiltelefonen walten zu lassen. Das Bundesamt für Strahlenschutz gibt folgende Hinweise, die allerdings nur wenige Menschen berücksichtigen dürften: „Auf ausreichenden Abstand des Smartphones zum Körper achten und beim Telefonieren Freisprecheinrichtungen und Headsets nutzen.“

Reißerische oder alarmierende Beiträge zu 5G sollten hinterfragt werden

Zusammengefasst lässt sich bisher folgendes zu 5G sagen: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt weder abschätz- noch belegbar, welche Strahlenbelastung durch die neue Mobilfunktechnologie auf uns wirken könnte; zudem ist anhand der aktuellen Studienlage nicht eindeutig belegt, ob und wie gefährlich sie uns werden könnte. Um sichere Aussagen dazu treffen zu können, müsste die Strahlenbelastung nach dem Ausbau gemessen werden und mehr Forschung zu ihrer Schädlichkeit stattfinden.

Artikel, Blog-Beiträge oder Facebook-Posts, die reißerisch oder alarmistisch formuliert sind, sollten demnach hinterfragt werden. Wird eine Quelle für die Behauptung angegeben? Werden durch diese Quelle mehrere wissenschaftliche Studien genannt oder nur eine einzige? Falls nur eine einzige Studie oder ein Experte zum Thema zitiert wird, ist die Behauptung bereits deshalb schon anzweifelbar. Die Forschungslage ist komplex und nicht derart vereinfachbar.

Was ist Connectiv.Events?

Ein Blick ins Impressum von Connectiv.Events gibt widersprüchliche Auskünfte: Demnach ist der Sitz in Palma de Mallorca, hinter der Seite steht als Geschäftsführerin Anna Maria August, die angegebene Telefonnummer hat eine deutsche Vorwahl. Ein Handelsregistereintrag in Spanien beschreibt Connectiv.Events als „Messe-, Ausstellungs- und Kongressveranstalter“. Es soll eine Plattform sein „für Menschen, die anders denken, […] ganz unabhängig von der religiösen oder politischen Orientierung“.

Unter den Rubriken „Medien“ und „Menschen“ finden sich zum Beispiel KenFM oder der Kopp-Verlag.

Was „Connectiv.Events“ über sich selbst schreibt. (Screenshot: CORRECTIV)

Bei einem der eingangs erwähnten Artikel von Connectiv.Events zum Thema 5G handelt es sich um eine Übersetzung eines englischen Textes der Seite Health Impact News, welche von US-amerikanischen Faktencheck-Organisation Snopes als Anti-Impf-Webseite eingestuft wird. Die Inhalte werden durch Snopes oft als falsch oder irreführend bewertet.

Ob durch Connectiv.Events im deutschsprachigen Raum, Health Impact News oder RT America im amerikanischen Raum, es zeigt sich: Das 5G-Thema scheint sich hervorragend für Stimmungsmache zu eignen – und offenbar auch für potenzielle Desinformation.