Hintergrund

Sexuelle Gewalt im Ukraine-Krieg: Warum Lyudmila Denisova ihren Job verlor – und wie die russische Propaganda das ausnutzt

Ende Mai hat das ukrainische Parlament die Menschenrechtsbeauftragte Lyudmila Denisova entlassen. Sie habe unangemessen über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt durch russische Soldaten an Zivilisten gesprochen. Einige für Desinformation bekannte deutschsprachige Webseiten werfen ihr vor, die Fälle schlichtweg erfunden zu haben. Was ist dran an den Vorwürfen?

von Matthias Bau , Sophie Timmermann

Lyudmila Denisova
Lyudmila Denisova 2019 bei einem Treffen mit Journalistinnen und Journalisten in Moskau. Denisova wird vorgeworfen, sich Fälle von sexueller Gewalt durch russische Soldaten ausgedacht zu haben. Tatsächlich gibt es Ungereimtheiten, konkrete Belege fehlen jedoch. (Symbolbild: Alexander Zemlianichenko / Picture alliance / AP)

Triggerwarnung: Der folgende Beitrag enthält Schilderungen sexueller Gewalt, die belastend und retraumatisierend sein können.

Am 31. Mai sprach das ukrainische Parlament der Menschenrechtsbeauftragten Lyudmila Denisova das Misstrauen aus. Immer wieder hatten deutsche und internationale Medien ihre erschütternden Berichte über Menschenrechtsverletzungen, sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen ukrainischer Zivilisten durch russische Soldaten aufgegriffen. Darunter Schilderungen über die Vergewaltigung von Säuglingen, über die Massenvergewaltigung von zwei Dutzend Frauen in einem Keller und über den Missbrauch und die Folter eines Mannes, der sein Versteck verlassen hatte, um Wasser zu holen. 

In der Ukraine kritisierten Medienschaffende und Menschenrechtsaktivisten Denisovas detaillierte Berichte zu sexueller Gewalt als unangemessen und unethisch. Doch die Vorwürfe gehen noch weiter, befeuert von Russland und deutschsprachigen Webseiten, die seit Wochen aus pro-russischer Sicht über den Krieg in der Ukraine berichten und immer wieder Desinformation zum Thema verbreiten. 

Direkt nach ihrer Entlassung behauptete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in einem Telegram-Beitrag, dass Denisova entlassen wurde, weil sie Falschmeldungen über „angebliche Vergewaltigungen ukrainischer Bürger durch das russische Militär“ verbreitet habe. 

Telegram-Beitrag der Sprecherin des russischen Außenministeriums
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, schreibt in einem Telegram-Beitrag, Denisova sei entlassen worden, weil sie Falschmeldungen verbreitet habe (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Deutschsprachige Webseiten griffen Russlands Narrativ über angeblich erfundene Vergewaltigungen auf 

Wenig später griffen deutschsprachige Webseiten das russische Narrativ auf. Die Nachdenkseiten titelten: „Ukrainische Menschenrechtskommissarin stürzt über erfundene ‚Massenvergewaltigungen‘“. Im Text heißt es, Denisova habe sich „die meisten Schilderungen schlichtweg ausgedacht“ und sei daher entlassen worden. Ähnlich berichtete Report24. Der Anti-Spiegel behauptete sogar: „Alle Meldungen über Vergewaltigungen durch russische Soldaten waren frei erfunden“. 

Wir haben mit ukrainischen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) über dokumentierte Fälle sexueller Gewalt in der Ukraine gesprochen. Wir haben sie und Organisationen der Vereinten Nationen (UN) zu ihrer Zusammenarbeit mit der ehemaligen Menschenrechtskommissarin befragt. Lyudmila Denisova selbst nahm zu unseren Fragen keine Stellung.

Unsere Recherche zeigt: Es gibt berechtigte Zweifel an den Fällen, die Denisova öffentlichkeitswirksam über Medien und Soziale Netzwerke verbreitete. Wie viele davon sich tatsächlich ereigneten, bleibt unklar. Denisova hat zu ihren Schilderungen keine Unterlagen an die UN-Menschenrechtsmission in der Ukraine geschickt, obwohl die UN sie dazu ermutigte. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Fälle sexueller Gewalt im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine gab oder gibt – solche Vorfälle wurden von mehreren anderen Organisationen dokumentiert. Die Auswirkung der Vorwürfe gegen Denisova ist weitreichend: Die russische Propaganda hat damit einen Angriffspunkt zu leugnen, dass ihre Soldaten in der Ukraine Kriegsverbrechen begehen. 

Die Amtsenthebung Lyudmila Denisovas durch die Ukraine 

Die Entlassung der Menschenrechtsbeauftragten hat die Regierungspartei Diener des Volkes, der auch Präsident Wolodymyr Selenskyj angehört, initiiert und bekanntgegeben. Am 31. Mai sprach sich eine Mehrheit des ukrainischen Parlaments für ihre Amtsenthebung aus.

Denisova 2021 vor dem ukrainischen Parlament
Lyudmila Denisova spricht am 28. Juni 2021 im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada (Quelle: Picture Alliance / Photoshot)

Auf Facebook schrieb der ukrainische Abgeordnete Pavlo Frolov unter anderem, Denisova habe ihre Amtspflichten vernachlässigt, weil sie keine humanitären Fluchtkorridore eingerichtet und sich nicht für den Austausch von Gefangenen eingesetzt habe. Außerdem habe sie sich bei ihrer Arbeit zu sehr auf die anschauliche Schilderung von Fällen sexueller Gewalt konzentriert, für die sie keine Beweise vorgelegt habe. Das schade dem Ansehen der Ukraine.

Vorwürfe zu erfundenen Fällen beziehen sich auf ein Interview Denisovas, dort sagt sie etwas anderes

Nachdenkseiten, Anti-Spiegel und Report24 verweisen als vermeintlichen Beleg, dass Denisova sich die Fälle sexueller Gewalt ausgedacht habe, auf ein Interview, das Denisova wenige Tage nach ihrer Entlassung gab. Darin habe sie „zugegeben“, dass ihre Aussagen über sexuelle Gewalt „erfunden sein könnten“, schreibt Report24

Das Interview, um das es geht, veröffentlichte die ukrainische Nachrichtenseite LB.ua am 3. Juni. Darin räumt Denisova ein, für die Schilderung von Fällen sexueller Gewalt eine zu anschauliche Sprache verwendet und vielleicht „übertrieben“ zu haben, um die Welt aufzurütteln. Das Vokabular sei „hart gewesen“, sie habe aber nur wiedergegeben, was die Psychologen, die bei ihrer Hotline arbeiteten, ihr geschildert hätten. 

Dass sie Vorfälle erfunden habe, sagt Denisova in dem Interview nicht.

Denisovas Darstellung von Fällen sexueller Gewalt wurde stark kritisiert 

Für ihre Sprache kritisierten ukrainische Medienschaffende, Menschenrechtsverteidiger und Psychologinnen Denisova bereits Ende Mai in einem öffentlichen Brief. Darin heißt es, die Veröffentlichung „schockierender Details“ müsse gerechtfertigt und angemessen sein, vor allem wenn es um Kinder gehe. Sexuelle Gewalt sei für Familien ein schwieriges und traumatisches Thema, kein Thema für Veröffentlichungen im Sinne einer „Skandalkolumne“. 

Mitunterzeichnerin des Briefes ist Tetiana Pechonchyk, Vorstandsvorsitzende der ukrainischen Menschenrechtsorganisation Zmina. Ziel des Offenen Briefes war laut Pechonchyk nicht die Entlassung Denisovas, sondern darauf hinzuweisen, wie unethisch Denisovas Sprachgebrauch war. Der Skandal kommt für Pechonchyk nicht überraschend. Menschenrechtsorganisationen kritisierten vor Denisovas Wahl zur Menschenrechtsbeauftragten, dass sie und die Öffentlichkeit bei der Kandidatenwahl nicht miteinbezogen wurden. Denisova habe als ehemalige Parlamentsabgeordnete nicht die notwendige Unparteilichkeit für das Amt mitgebracht. Die Organisation Zmina habe die Zusammenarbeit mit ihr stark eingeschränkt. 

Julia Anosova, die als Anwältin für die ukrainische Menschenrechtsorganisation La Strada arbeitet, sieht Denisovas sprachlichen Umgang ebenfalls kritisch. Anosova erklärte im Gespräch mit CORRECTIV.Faktencheck, ihre Organisation verfolge strenge Standards und veröffentliche Details nur nach intensiver Rücksprache mit den Betroffenen. La Strada betreibt eine Hotline für häusliche Gewalt und Menschenhandel, seit Kriegsbeginn häuften sich dort Meldungen zu sexueller Gewalt, sagte Anosova. Die Hilfesuchenden befänden sich häufig in einem schwierigen psychischen Zustand. Sie dazu zu drängen, ihre Erfahrungen öffentlich zu teilen, könne „Manipulation“ zu eigenen Zwecken sein: Das Interesse der Betroffenen müsse über dem Interesse des Staates stehen.

Recherche der ukrainischen Webseite Ukrainska Pravda zeigt Unstimmigkeiten in Denisovas Aussagen auf 

Die Frage bleibt: Hat es die Fälle sexueller Gewalt, von denen Denisova berichtete, wirklich gegeben? Im Fokus der Vorwürfe steht eine Sonderhotline, die am 1. April vom Ombudsbüro Denisovas ins Leben gerufen wurde. Die Hotline soll die Quelle für die Schilderungen der ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten sein. Auf der Webseite steht, dass das Kinderhilfswerk Unicef das Projekt unterstütze. Denisova bezeichnete die Hotline teilweise als Projekt von Unicef – das weist Unicef auf unsere Nachfrage jedoch zurück: Man habe lediglich technische Unterstützung geleistet und Ausrüstung bereitgestellt. 

Über die Hotline sollten Betroffene psychologische Unterstützung erhalten, man habe viele Meldungen zu sexueller Gewalt bekommen, sagte Denisova in einem Interview. Sie habe „Wort für Wort“ erzählt, was ihr die Psychologinnen und Psychologen der Hotline geschildert hätten. 

Dass sie die Informationen von mehreren Psychologen der Hotline erzählt bekam, ist nach einer Recherche der ukrainischen Online-Zeitung Ukrainska Pravda von Ende Juni fragwürdig. Offiziell sollen fünf Personen bei der Hotline gearbeitet haben. Eine davon ist Denisovas Tochter: Oleksandra Kvitko. 

Von Vorwürfen der Vetternwirtschaft distanzierte sich Denisova Anfang Juni in einem Interview. Darin sagte sie, Unicef habe durch eine Partner-NGO die Psychologinnen und Psychologen der Hotline eingestellt. Uns gegenüber erklärte das Kinderhilfswerk jedoch, es habe kein Personal für das Ombudsbüro eingestellt. 

Denisova sagte, sie habe von den Fällen von ihrer Tochter erfahren

Bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft gab Denisova laut Ukrainska Pravda zu, die Schilderungen über sexuelle Gewalt von ihrer Tochter erfahren zu haben. Ob sie auch mit anderen Psychologinnen und Psychologen gesprochen habe, wisse sie nicht mehr. Wie ihre Mutter machte Oleksandra Kvitko in Interviews mit Medien erschütternde Details zu Fällen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigungen öffentlich. 

Tetiana Pechonchyk erklärte uns, dass solche Hotlines auch bei der Arbeit von Zmina eine wichtige Rolle spielten, weil sie ein niederschwelliger Anlaufpunkt für Betroffene seien. Das Problem an der Hotline der ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten sei vor allem, dass die Öffentlichkeit nicht wisse, ob Menschen sich dort mit den Fällen gemeldet hätten: „Vielleicht haben ihr die Menschen diese Geschichten erzählt, vielleicht nicht. Das ist das Problem, dass wir es einfach nicht wissen.“

Die Recherchen von Ukrainska Pravda legen weitere Unstimmigkeiten offen: Gegenüber der Staatsanwaltschaft habe Denisovas Tochter versichert, über die Hotline 1.040 Anrufe erhalten zu haben, bei 450 davon sei es um Vergewaltigungen von Kindern gegangen. Ein offizielles Protokoll habe aber gezeigt, dass lediglich 92 Anrufe eingegangen seien. 

Eine Stellungnahme zu den Vorwürfen bekam Ukrainska Pravda nach eigener Aussage weder von Denisova, noch von ihrer Tochter. Auch auf mehrfache Anfragen von CORRECTIV.Faktencheck reagierte Denisova nicht. 

Behörden und UN-Organisationen haben offenbar nie Unterlagen von Denisova erhalten 

Unklar ist nicht nur, was die Grundlage für die Berichte der ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten waren, sondern auch, ob sie jemals Unterlagen an Ermittlungsbehörden übergeben hat.

Ukrainska Pravda zitiert drei anonyme Quellen, die aussagten, dass zu den Fällen, die Denisova öffentlich machte, niemals Unterlagen an Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden seien. 

Ähnlich äußerte sich die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Venediktova gegenüber einem Korrespondenten des ukrainischen Nachrichtenmediums Babel: Denisova habe Material zu Fällen, über die sie in Sozialen Netzwerken kommunizierte, nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. 

Am 3. Juni, also nach ihrer Entlassung durch das Parlament, schrieb Denisova auf Facebook, sie habe sich mit Matilda Bogner, der Leiterin der Menschenrechtsmission der UN in der Ukraine, getroffen. Dabei habe man über die Ergebnisse der „fruchtbaren Zusammenarbeit“ gesprochen. Gegenüber CORRECTIV.Faktencheck gab das Büro Bogners an, bisher keine Unterlagen von Denisova zu Fällen sexueller Gewalt erhalten zu haben, obwohl man sie dazu „ermutigt“ habe.

Facebook-Beitrag von Denisova zu Arbeit mit UN
Wenige Tage nach ihrer Entlassung durch das Parlament, schrieb Denisova, sie habe mit Matilda Bogner, der Leiterin der Menschenrechtsmission der UN in der Ukraine, über ihre Zusammenarbeit gesprochen (Quelle: Facebook; Screenshots und Collage: CORRECTIV:Faktencheck).

Ein weiterer Fall: Am 23. Mai veröffentlichte Denisovas Büro mehrere Schilderungen über angebliche Vergewaltigungen von Kindern und Jugendlichen, die tödlich endeten. Dem folgte ein Aufruf an Pramila Patten, die Sondergesandte für sexuelle Gewalt in Konflikten des UN-Generalsekretärs: Sie solle die Fälle untersuchen. Diese Untersuchungen fanden jedoch nie statt, wie uns eine Sprecherin Pattens mitteilte. Der Grund: Man habe nie Unterlagen von Denisova erhalten.

Berichte der UN und Nichtregierungsorganisationen bekräftigen, dass es Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt an Kindern gab

Die Vorwürfe gegen Denisova wiegen schwer und säen Zweifel. Nach Ansicht von Tetiana Pechonchyk sind sie „eine Waffe für russische Propaganda geworden“. Damit könne Russland behaupten, „dass die Ukraine sich alle Gräueltaten oder alle Informationen über sexuelle Gewalt ausgedacht“ habe. 

Tatsächlich griff die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die Vorwürfe direkt nach Denisovas Entlassung auf. Sie bezeichnete Denisova als „Provokateurin“ und Journalistinnen und Journalisten, die ihre Berichte aufgegriffen als „Propagandisten“. „Werden sie ihre Behauptungen widerrufen und sich entschuldigen?“ 

Die Zweifel an der Arbeit Denisovas sind jedoch kein Beleg, dass es keine sexuelle Gewalt durch russische Soldaten in der Ukraine gab oder gibt. Viele andere Organisationen haben diese dokumentiert. Am 6. Juni sprach Pramila Patten in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats über 124 Berichte von mutmaßlichen Vorfällen sexueller Gewalt: darunter Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, erzwungenes Entkleiden und angedrohte sexuelle Gewalt. Die Fälle würden derzeit noch verifiziert. 

Die UN-Monitoring-Mission für Menschenrechte berichtete bereits im Mai von Fällen in Vororten von Kiew. Mitarbeitende hätten 14 Städte in den Regionen Kiew und Tschernihiw besucht und mit Menschen vor Ort gesprochen. Immer wieder gebe es Berichte über sexuelle Gewalt gegen Zivilisten. In einem Bericht vom 29. Juni heißt es, die Monitoring Mission habe 23 Fälle sexueller Gewalt bestätigen können. Der Großteil der Fälle sei in von Russland kontrollierten Gebieten begangen worden. Viele Betroffene hätten laut Bogner Angst, Stigma zu erfahren und erzählten nur widerstrebend von dem, was sie erlebt hätten. 

Die Anonymität ihrer Hotline sei wahrscheinlich der Grund, warum Betroffene Vertrauen hätten und Fälle meldeten, sagte uns auch Julia Anosova. Bei der Hotline von La Strada seien bisher 15 Berichte zu Vergewaltigungen durch russische Soldaten eingegangen. Betroffen seien alle Geschlechter sowie Kinder und Erwachsene. Die jüngste Person, von der man wisse, sei 12 Jahre alt, die älteste 50 Jahre. Es gibt weitere Berichte über solche Fälle von Amnesty International und Human Rights Watch, die sich direkt auf Zeugenberichte berufen. 

Gegenüber CORRECTIV.Faktencheck teilte die ukrainische Staatsanwaltschaft am 19. Juli per E-Mail mit, man habe bisher die Identität von 35 Betroffenen sexueller Gewalt feststellen können. Zwei dieser Menschen seien gestorben. Es seien Strafverfahren gegen drei russische Soldaten eingeleitet worden. In zwei Strafverfahren seien Informationen eingeflossen, die Lyudmila Denisova auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht habe. Um welche Fälle es sich dabei genau handelte, schrieb die Staatsanwaltschaft nicht. 

Denisovas Vorwürfe werden zur Probe für die Ukraine

Die Recherchen von Ukrainska Pravda lösten in der Ukraine teilweise Empörung aus. Mitarbeitende der Online-Zeitung wurden demnach danach bedroht. Ihnen wurde vorgeworfen, Russland zu unterstützen. Die Namen der beteiligten Journalistinnen sind auf einer Liste mit den Namen von Feinden der Ukraine aufgetaucht.

Tetiana Pechonchyk hält die Aufarbeitung der Vorwürfe trotzdem für richtig. Es sei wichtig, „die Wahrheit schon während des Krieges zu veröffentlichen“. So zeige die Ukraine, dass man ein solches Fehlverhalten nicht akzeptiere. 

Doch es gehe nicht nur um die öffentliche Wahrnehmung des Landes, meint Julia Anosova. Die Affäre um Denisova könne auch andere negative Auswirkungen haben. Die Anwältin befürchtet, dass die Vorwürfe die Bereitschaft von anderen Betroffenen, über ihre Erfahrungen zu sprechen, beeinflussen könnten. 

Denisova wollte mit ihren Schilderungen die Welt aufrütteln. Doch damit könnte sie genau denjenigen geschadet haben, die sie als Menschenrechtsbeauftragte schützen sollte – die Betroffenen sexueller Gewalt.

Redigatur: Alice Echtermann, Viktor Marinov

Update, 20. Juli 2022: Wir haben Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft, die uns am 19. Juni erreichten, im Text ergänzt.

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diese Recherche:

  • Interview von Lyudmila Denisova mit LB.ua vom 3. Juni 2022: Link (Ukrainisch)
  • Interview von Lyudmila Denisova mit Babel vom 9. Juni 2022: Link (Englisch)
  • Entschließung des ukrainischen Parlaments vom 31. Mai, Denisova das Misstrauen auszusprechen: Link (Ukrainisch)
  • Offener Brief an Denisova zur Kommunikation über Sexualverbrechen im Krieg: Link (Google Doc auf Ukrainisch) – hier auf Englisch: Link
  • Recherche von Ukrainska Pravda vom 27. Juni 2022: Link (Ukrainisch)
  • Report der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine, 29. Juni: Link (Englisch)