Hintergrund

Blackout: Wie das Katastrophenszenario eines Stromausfalls für Panikmache und Profit genutzt wird

Ein großflächiger und langanhaltender Stromausfall bedeutet das vorübergehende Ende der Zivilisation. Den sogenannten Blackout nutzen besonders die politische Rechte und verschwörungsaffine Menschen, um Stimmung gegen erneuerbare Energien und den Staat zu machen. Wir haben mit Experten darüber gesprochen, wie gut Deutschland auf den Ernstfall vorbereitet ist und ob er überhaupt eintreten wird.

von Steffen Kutzner

Puerto Rico Black Out
Daran, ob ein Blackout ein wahrscheinliches oder unwahrscheinliches Szenario ist, scheiden sich die Geister. Querdenker und Rechte beziehen sich gern auf das Katastrophenszenario – unter anderem, um damit Geld zu machen. (Symbolbild: Picture Alliance / Associated Press / Carlos Giusti)

Wasserentkeimungsmittel.
Lebensmittelnotrationen.
Diesel-Notstromgenerator.
Pfefferspraypistole.

Dinge wie diese finden sich auf Listen zur Katastrophenvorsorge, die aktuell auf Telegram kursieren. Verkaufs-Links zu Solarstromspeichern, Petroleum-Heizungen und Dosenbrot werden in Deutschland fast täglich über Kanäle verschickt, in denen auch Verschwörungsmythen und Falschinformationen kursieren. Die Links führen häufig zu Angeboten des rechten Kopp-Verlags und drängen Menschen dazu, sich auf die Katastrophe vorzubereiten: einen langanhaltenden, großflächigen Stromausfall. Den Blackout.

Seit Juni 2022 strömt weniger russisches Gas nach Deutschland, spätestens seitdem ist der Blackout ein präsentes Thema – und er lässt sich nicht einfach als Paranoia von „Preppern“ und entrückten „Erwachten“ abtun. Markus Söder etwa sprach im Juli 2022 im ARD Sommerinterview von einem „möglichen Blackout“ und argumentierte, dass die Laufzeit deutscher Atomkraftwerke verlängert werden solle. Die „Tagesschau“ titelte im März: „Bei einem Blackout droht der Kollaps“. 

In Österreich wird bereits für den Ernstfall geprobt: Das österreichische Innenministerium betreibt seit diesem Jahr ein eigenes Projekt für die Blackout-Vorsorge des Landes. Erst am 17. Mai fand im Ministerium eine Blackout-Übung statt und das Land Tirol führte im November 2021 in Innsbruck eine Übung durch, in die Rettungskräfte, ein Netzbetreiber, die österreichische Telekom und das Bundesheer involviert waren. Im Rahmen der Übung erklärte Österreichs damaliger Kanzler Alexander Schallenberg, es gehe beim Thema Blackout „nicht um Panikmache, sondern um eine mögliche Krise, deren Wahrscheinlichkeit man nicht unterschätzen sollte.“

Wir haben recherchiert, für wie wahrscheinlich Experten in Deutschland und Österreich einen Blackout halten – und wie das Szenario für Panikmache und Profit instrumentalisiert wird. 

Ein Blackout ist ein langer, großflächiger Stromausfall

Was genau ist ein Blackout? Die Bundesnetzagentur erklärt uns per E-Mail, Merkmale eines solchen Stromausfalls seien, dass er lange andauert und großflächig sei – die Auswirkungen seien „weitreichend und schwer abschätzbar“. Ganz ähnlich erklärt es uns Wolfram Geier, Leiter der Abteilung Risikomanagement beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), telefonisch: Ein Blackout gehe über Orts- und Kreisgrenzen weit hinaus und dauere mehr als 24 Stunden. Eine feste Zeitspanne habe man aber nicht definiert.

Lange Stromausfälle gab es in Deutschland immer wieder. Im Winter 2005 waren im Münsterland 250.000 Menschen für mehrere Tage ohne Strom, nachdem ungewöhnliche Schneemassen reihenweise Strommasten einknicken ließen. Das Ereignis ging als Münsterländer Schneechaos in die Geschichte ein. Wolfram Geier bezeichnete diesen Ausfall uns gegenüber als den bisher großflächigsten und längsten in Deutschland.

Als im Februar 2019 ein Bagger zwei Hauptstromkabel erwischte, lag der Berliner Stadtteil Köpenick schlagartig im Dunkeln. Erst nach 31 Stunden waren auch die letzten Kieze wieder ans Stromnetz angeschlossen – laut Tagesspiegel der größte und längste Stromausfall in Berlin seit Jahrzehnten. 

Viele Menschen mögen einen Stromausfall für eine Lappalie halten, bei der man statt fernzusehen im Kerzenschein ein Buch liest, bei dem Lebensmittel im Tiefkühlfach antauen und Uhren neu gestellt werden müssen. Doch ein Stromausfall kann wesentlich gravierende Auswirkungen haben. 2019 mussten in Köpenick 23 Intensivpatienten präventiv in andere Stadtbezirke verlegt werden – am Abend fiel die Notstromversorgung des Krankenhauses kurzzeitig aus. 2003 war ganz Italien mehrere Stunden ohne Strom, und Argentinien und Uruguay waren im Juni 2019 fast einen ganzen Tag stromlos. 

Über die Folgen eines echten Blackouts, der sich über Tage oder sogar Wochen hinzieht und ganze Bundesländer oder Nationen betrifft, machen sich viele Menschen keine Gedanken. Strom kommt schließlich aus der Steckdose und im Jahr 2020 lag die Zeit, die die Deutschen im Schnitt stromlos verbringen mussten, bei nicht einmal elf Minuten. Diese Zahl ist seit Jahren rückläufig und hat sich im Vergleich zu 2006 etwa halbiert, wie wir Anfang 2022 in einem Faktencheck erläuterten. Dennoch warnen Experten, dass die Gefahr nicht ausgeschlossen werden dürfe.

Folgen eines Blackout: Roman spielte 2012 das dystopische Szenario durch

Eine besondere Rolle in der Debatte spielt ein Roman des österreichischen Autors Marc Elsberg, der 2012 in die Buchhandlungen kam. Er heißt „Blackout – Morgen ist es zu spät“ und behandelt das Szenario auf 800 Seiten detailliert. Er gilt als sehr gut recherchiert und zeichnet das Bild eines europaweiten Blackouts über zwei Wochen hinweg. Die unmittelbaren Auswirkungen sind im Roman wie in der Realität gleich – und sie gehen über angetaute Lebensmittel und neu zu stellende Uhren weit hinaus:

In den ersten Minuten kommt es zu tausenden Autounfällen, weil Ampelanlagen ausfallen. Aus Zapfsäulen kommt kein Benzin mehr, aus Wasserhähnen kein Wasser. Aufzüge bleiben stecken. Handynetze fallen aus. Supermärkte schließen. Einige Tage später müssen Landwirte ihre Kühe notschlachten, weil Melkmaschinen nicht mehr funktionieren. Auch der Diesel in den Notstromaggregaten von Krankenhäusern und Kernkraftwerken geht zur Neige, weshalb manche Kraftwerke ihre Brennstäbe nicht mehr kühlen können.

Ursache des Blackouts ist im Roman ein terroristischer Cyberangriff, unter anderem auf die Software der Kraftwerke. Tatsächlich gab es bereits Cyber-Angriffe auf Stromnetze in Europa: Am 23. Dezember 2015 legte ein Hackerangriff weite Teile des ukrainischen Stromnetzes lahm. Stundenlang waren fast 300 Städte ganz oder teilweise ohne Strom, 700.000 Menschen waren betroffen. Am 16. Dezember 2016 gab es einen weiteren Angriff, der Teile von Kiew traf, jedoch bereits nach 75 Minuten endete. Und im April 2022 wurde laut Medienberichten ein weiterer Angriff auf das ukrainische Stromnetz verhindert. Die Spuren der Angriffe führen zu russischen Hackergruppen, die Verbindungen zur russischen Regierung haben könnten, wie die Washington Post berichtete. 

Cyber-Angriffe auf das deutsche Stromnetz sind zwar möglich, doch bisher hatten die großflächigen Stromausfälle in Europa andere Ursachen, wie zum Beispiel heftige Schneefälle. Der Stromausfall in Italien 2003 etwa entstand durch herabstürzende Äste eines Baums in der Schweiz in Verbindung mit einem zu stark belasteten Netz, das die Strommenge der ausgefallenen Leitung nicht auf andere Leitungen umlegen konnte. 

Wie entsteht ein Blackout?

Das europäische Stromnetz ist hochkomplex, aber was im Falle eines Blackouts passiert, kann man relativ einfach erklären. In einer österreichischen Dokumentation, die laut ORF mit fast 600.000 Zuschauern einen Reichweitenrekord erzielte und am 3. November 2021 ausgestrahlt wurde, wird das Stromnetz mit einem gefüllten Wasserrohr verglichen: Es muss so viel Wasser entnommen werden, wie eingefüllt wird – sonst ist der Druck zu hoch oder zu niedrig. Es muss also immer genauso viel Strom verbraucht werden, wie erzeugt wird, und umgekehrt. Kleinere Schwankungen können ausgeglichen werden, größere führen zum Zusammenbruch.

Steigt die Netzfrequenz zu weit über die übliche Taktung von 50 Hertz, reduzieren Kraftwerke ihre Einspeiseleistung. Sinkt die Frequenz zu sehr ab, werden zuerst Leistungsreserven aus den Kraftwerken zugeschaltet. Sinkt die Frequenz weiter, werden bestimmte Bereiche vom Netz getrennt, um den Stromverbrauch zu senken – dann kommt es zum Stromausfall. 

Fällt ein vom Schnee zu schwer gewordener Baum auf eine stark belastete Hochspannungsleitung und beschädigt sie, fällt diese Leitung für den Stromtransport weg. Der Strom, der durch sie geflossen ist, wird, vereinfacht gesagt, von den umliegenden Leitungen übernommen. Sind die jedoch schon stark belastet, können sie die zusätzliche Strommenge nicht aufnehmen und fallen durch die entstehende Überlastung ebenfalls aus. Ist die betroffene Leitung eine Übertragungsleitung, also eine Leitung, die große Strommengen über weite Strecken transportiert, kann ein sehr großes Gebiet betroffen sein.

Anders als bei Hochwasser gibt es dafür keine Vorwarnzeit. Als im November 2006 das Kreuzfahrtschiff „Norwegian Pearl“ in Papenburg (Niedersachsen) ausgeschifft wurde und dafür eine Hochspannungsleitung über der Ems abgeschaltet werden musste, kam es wegen schlechter Planung zu einem großflächigen Ausfall, der sich in Sekunden über West- und Südeuropa bis nach Marokko ausbreitete. 

Wie wahrscheinlich ist ein Blackout?

Jedes Szenario wird erst dann relevant, wenn es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt, dass es eintritt. Darüber, wie wahrscheinlich ein Blackout ist, gehen die Einschätzungen auseinander.

Die Bundesnetzagentur schrieb uns auf Nachfrage: „Ein großflächiger Blackout ist äußerst unwahrscheinlich; die Bezifferung einer Eintrittswahrscheinlichkeit ist nicht seriös möglich.“ Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag kam 2011 zu der Einschätzung: „Die Wahrscheinlichkeit eines langandauernden und das Gebiet mehrerer Bundesländer betreffenden Stromausfalls mag gering sein. Träte dieser Fall aber ein, kämen die dadurch ausgelösten Folgen einer nationalen Katastrophe gleich.“ (Seite 239) 

Während unserer Recherche stießen wir immer wieder auf den Namen eines Österreichers, der im deutschsprachigen Raum als der bekannteste Blackout-Experte gilt; Herbert Saurugg. Er ist Präsident der österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge und Autor vieler Fachbeiträge.

Saurugg erklärt uns in einem Videotelefonat, dass das Risiko für einen Blackout seiner Ansicht nach stark gestiegen sei. Konkret berechnen könne man es jedoch nicht, betont er, es gehe um eine systemische Risikoeinschätzung: „Selbst wenn das Risiko für einen Blackout nur im einstelligen Prozentbereich wäre, müsste ich wegen der Folgen, die ein Blackout mit sich bringt, handeln, sowohl als Individuum als auch als Staat. Das passiert aber nicht, weil wir uns an dem orientieren, was wir bereits erlebt haben.“ Ein Blackout ist zwar in Europa bisher nie vorgekommen, das sagt auch Saurugg – aber es gibt mehrere Umstände und Entwicklungen, die die Gefahr laut mehrerer Experten aktuell und künftig erhöhen.

Saurugg: Deutschland hat ein altersschwaches Stromnetz bei gleichzeitig steigender Belastung

Eine dieser Entwicklungen ist der europaweite Stromhandel. Braucht ein Land mehr Strom, als es produziert, kann es Strom aus einem anderen Land kaufen, das mehr Strom produziert, als es benötigt. Dieser Handel belastet das Netz stark. Die durch ihn ausgelösten Frequenzschwankungen seien sogar stärker als die durch erneuerbare Energien, heißt es in einer Studie aus dem Jahr 2018. Die Leitungen seien dafür nicht ausgelegt, das führe zu einem Teufelskreis, so Saurugg: „Die Leitungen sind mittlerweile so ausgelastet, dass man sie gar nicht mehr abschalten kann, um sie auf die nächste Stufe hochzurüsten. Bisher konnte man eine Leitung abschalten und andere Leitungen haben die Last übernommen.“ Das sei jetzt jedoch oft nicht möglich – die anderen Leitungen sind schon zu stark belastet, um die zusätzliche Last mitzutragen.

Die Bundesnetzagentur widerspricht dieser Darstellung. Wie uns ein Sprecher mitteilte, würden Leitungen dann getauscht, wenn das Netz wenig ausgelastet sei. Oder die alten Leitungen würden erst abgeschaltet, wenn die neuen Leitungen bereits verlegt seien. „Ein relevantes Blackout-Risiko besteht an dieser Stelle nicht“, so der Sprecher.

Strommasten rund um das Kohlekraftwerk Neurath des Stromkonzerns RWE. Wegen der Energiekrise überlegt die Bundesregierung, als Ersatz für Strom aus Erdgas Kohlekraftwerke aus der Reserve wieder ans Netz zu nehmen. (Quelle: Picture Alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)

Die Belastung des Stromnetzes steigt weiter, weil der Umstieg auf erneuerbare Energien dazu führt, dass Strom weitere Wege zurücklegen muss. „Es war ja eigentlich beabsichtigt, bis Ende des Jahres drei bis vier große Stromleitungen zu bauen, um den Windstrom von der Nordsee nach Süddeutschland zu transportieren. Aber die letzte Meldung ist, dass die erste frühestens 2028 fertig sein wird“, sagt Saurugg. So könnten Versorgungsengpässe entstehen – sogenannte Strommangellagen.

Neben den Leitungen selbst seien auch die Transformatoren veraltet, die die in den Kraftwerken und Windparks produzierte Höchstspannung von 380.000 Volt herunterregulieren, sodass am Ende in deutschen Haushalten 230 Volt aus der Steckdose kommen. Es gebe jedoch ein Problem mit den Transformatoren, erklärt Saurugg. „Die Hälfte davon ist über 50, 60 Jahre alt. Die haben aber nur eine prognostizierte Lebensdauer von etwa 60 Jahren, die sind also bereits am Lebensende und werden damit störanfälliger.“

Saurugg weist in unserem Gespräch darauf hin, dass von fünf Blackout-ähnlichen Großstörungen in den letzten Jahrzehnten zwei innerhalb des letzten Jahres (2021) stattfanden. Das könne Zufall sein, erklärt er. 

Der Mangel beim Gas könnte zu einem Mangel bei Strom führen

Der Krieg in der Ukraine und die Reduzierung der russischen Gaslieferungen wirkt sich auch auf Risikoszenarien bei der Stromversorgung aus: Weil viele Menschen aktuell befürchten, dass ihnen wegen des Gasmangels im Winter die Heizung abgedreht oder das Gas zu teuer wird, um ausreichend zu heizen, werden mehr elektrische Ersatzgeräte gekauft, vor allem Heizlüfter. Solche Geräte belasten das Netz zusätzlich. 

Um das Netz zu entlasten, könnte es zu vorsorglichen Flächenabschaltungen und damit zu Stromausfällen kommen. Davor warnt auch Wolfram Geier vom BBK: Es bestehe das Risiko, dass Deutschland von einer Gasmangellage in eine Strommangellage rutsche, die schlimmstenfalls zu Stromausfällen oder sogar Blackouts führen könne, wenn sich verschiedene Lagen unglücklich überschnitten.

Üblicherweise werden solche Engpässe über den Strommarkt geregelt. Das Problem daran: Deutschland war bisher neben Frankreich der wichtigste europäische Exporteur für Strom. „Wenn es eng geworden ist, haben alle Nachbarländer aus Deutschland importiert“, sagt Saurugg. Nachdem in Frankreich ein Teil der Energie aus Kernkraft nicht zur Verfügung stehe, „gibt es [für Deutschland] keinen mehr, von dem man importieren kann“. Das führe dazu, dass im kommenden Winter Energie fehlen könne, um das System am Laufen zu halten, warnt Saurugg. Diese Probleme zeigen, wie verwundbar das Stromnetz ist: „Wenn Heizlüfter schon ein großes Problem sind, was passiert dann, wenn wir E-Mobilität und Wärmepumpen haben, die viel mehr Energie brauchen?“

Blackout-Szenario treibt besonders Rechte und Verschwörungsgläubige um

Während sich in Österreich letzten Herbst der damalige Kanzler persönlich zu dem Thema äußerte, wird das Thema in der öffentlichen Debatte in Deutschland oft als Spinnerei abgetan oder rechten Kreisen zugeschrieben

Das liegt daran, dass tatsächlich vor allem dieses politische Spektrum das Thema immer wieder zur Sprache bringt. Aktuell gibt die Sorge um den Gasmangel im Winter der Szene Aufschwung. In verschwörungsaffinen Youtube-Videos mit Titeln wie „Notfall-Interview: Der perfide Plan hinter dem Blackout!“ oder „Blackout – die unterschätzte Gefahr“ tritt dabei aktuell immer wieder ein Ingenieur namens Robert Jungnischke auf. Seine Firma berät nach eigener Aussage Unternehmen zum Thema Blackout. Für Jungnischkes Buch zum Thema schrieb Herbert Saurugg ein lobendes Nachwort.

Saurugg erklärte uns gegenüber, er habe über den Hintergrund Jungnischkes nicht genau Bescheid gewusst. Jungnischke kandidierte kürzlich für die Partei Die Basis bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Die Basis ist dafür bekannt, die Maßnahmen gegen Covid-19 abzulehnen; in der Partei waren oder sind prominente Pandemie-Leugner wie Sucharit Bhakdi, Wolfgang Wodarg oder Reiner Fuellmich vertreten. 

Energiewende als Sündenbock

Politisch wird der Blackout instrumentalisiert um gegen die Energiewende Stimmung zu machen. Die AfD Thüringen etwa hat einen Informationsflyer zu dem Thema auf ihrer Webseite, in dem zu lesen ist: „Blackout vermeiden – Energiewende stoppen!“ Weiter heißt es: „Die Energiewendepolitik der Altparteien muss beendet werden. Die ‚Energiewende‘ gefährdet […] durch die Provokation eines ‚Blackouts‘ die öffentliche Sicherheit und Ordnung und damit schließlich auch das Leben von Menschen.“

Julian Genner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, ordnet die politische Richtung, aus der die Debatte primär kommt, so ein: „Beim Blackout-Thema geht es den konservativen Parteien auch darum, die Deutungshoheit zu besetzen und eine Form von Expertise wieder ins Spiel zu bringen. Dieses Narrativ ist auch ein Gegengewicht zum Narrativ der Klimakatastrophe, womit sich ja gerade die Grünen stark befassen. Die Grünen setzen in der Klimadebatte den Rahmen, sie definieren den Diskurs und die anderen können zwar mitspielen, aber nach den Regeln der Grünen. Der Blackout ändert diese Spielregeln, weil diese Debatte es möglich macht, andere Expertisen ins Feld zu führen, andere Forderungen zu stellen, und eben den Diskurs nicht nach den Regeln der Grünen zu führen.“

Dass der Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien das Stromnetz vor logistische Herausforderungen stellt, liegt auf der Hand. Ein Problem ist jedoch auch die Kommunikation von politischer Seite. Wolfram Geier vom BBK erklärt dazu: „Vielen Menschen fehlt das Hintergrundwissen, was es bedeutet, dass wir das Stromnetz künftig auf erneuerbare Energien umstellen. Wie man bei diesem Umbau vorgeht, wurde glaube ich noch nicht ausreichend kommuniziert.“ Die erneuerbaren Energien seien nicht das eine große Problem, sondern es sei die Mischung aus mehreren Faktoren. So betont Geier, wie auch der Österreicher Saurugg, dass der Stromhandel und die damit verbundene Belastung der Leitungen ein Risikofaktor für potenzielle Blackouts sei: „Die Problematiken zusammengenommen, sind der Grund für das gestiegene Risiko eines Stromausfalls, nicht die erneuerbaren Energien!“

Wir haben Marc Elsberg, den Autor von „Blackout“ gefragt, wie er die politische Instrumentalisierung des Szenarios empfindet. Er schrieb uns: „Ein Blackout-Szenario als Argument gegen erneuerbare Energien und die Energiewende im Allgemeinen zu verwenden, ist sachlich falsch und daher unredlich und schäbig.“

Wie wir bereits in einem Faktencheck Anfang 2022 recherchiert haben, gibt es bisher keine Belege dafür, dass sich Stromausfälle durch die Energiewende häufen. Statistisch nimmt ihre Zahl in Deutschland seit Jahren ab – der Umstieg auf erneuerbare Energien läuft ebenfalls seit Jahren. Oft wird der Beginn der Energiewende mit der Abkehr von der Atomkraft nach der Katastrophe von Fukushima 2011 beziffert.

Mit der Angst vor dem Blackout lässt sich Geld verdienen

Die Aufmerksamkeit für das Thema Blackout bringt aber auch finanzielle Vorteile. Viele der auf Telegram verbreiteten Verkaufslinks, die bestimmte Produkte als notwendige Vorbereitung auf den Blackout darstellen, führen zum Kopp-Verlag, der auch Verschwörungserzählungen, Querdenkern und fremdenfeindlicher Hetze eine Plattform bietet

Sucht man auf der Webseite nach dem Begriff Blackout, findet man nicht nur reihenweise Ratgeber, sondern auch Hilfsmittel, die für den Fall der Fälle das Überleben sichern sollen: Mobile Solarpanele. Notfallfackeln. Wasserfilter. Schon auf der Startseite sind die ersten Dinge, die angepriesen werden, Survival-Gadgets:

Screenshot der Startseite des Kopp-Verlags vom 14. August 2022 (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Neben Büchern, Zeitschriften und Filmen, ist eine der Rubriken auf der Startseite „Outdoor & Survival“ mit Unterrubriken zu Langzeitlebensmitteln, Wasserreinigung und Saatgutpaketen.

Der Markt mit Krisenprodukten wird intensiv genutzt, auch von bekannten Personen, die inzwischen der Querdenker-Szene zuzuordnen sind, wie dem Schlagersänger Michael Wendler. Wendler verstieg sich im Laufe der Pandemie in verschiedene Verschwörungserzählungen. Auch die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman driftete in die Szene ab. „Beim Kopp-Verlag fand sie eine neue Heimat“, heißt es in einem Artikel von Watson vom Oktober 2020. Beide posten in ihren Telegram-Kanälen nahezu täglich Links zu Produkten des Verlags (Herman zum Beispiel hier, hier oder hier am 14. August, und Wendler hier, hier oder hier am 8., 10. und 12. August).

Wir haben beim Kopp-Verlag nachgefragt, weshalb gerade Survival-Gadgets so prominent angepriesen werden. Eine Antwort erhielten wir nicht.

Nötig sind solche Produkte laut Herbert Saurugg normalerweise nicht: „Vorsorge braucht keine Spezialartikel, sondern meist nur Hausverstand und einen normalen Einkauf.“ Er empfinde die übertriebene Darstellung des Themas bei Querdenkern als schädlich für die Aufklärungsarbeit, so Saurugg.

Wir haben den Psychologen und Risikoforscher John Haas gefragt, weshalb der Blackout für manche so attraktiv ist. Er sagte uns: „Der Mensch fühlt sich besser, wenn er vorgesorgt hat.“ Es gehe dabei auch um wild-romantische Vorstellungen, zum Beispiel um das Leben im Wald. Grundsätzlich entstehe überall dort, wo es ein Defizit oder eine Fallhöhe zwischen Realität und Idealvorstellung gebe, „automatisch ein Markt“. 

Ähnlich sieht es Julian Genner von der Universität Freiburg. Er beschäftigt sich schon seit langem mit Menschen, die sich auf Katastrophen vorbereiten, unabhängig von deren Eintrittswahrscheinlichkeit – sogenannten „Preppern“. „Man schürt die Panik und kann auch direkt das Pflaster dazu verkaufen.“ Beim Kopp-Verlag liege auf der Hand, dass er eine politische Agenda habe. „Aber auch da sind das eher betriebswirtschaftliche Gründe, vermute ich. Denn vom Bücherverkauf allein werden die auch nicht leben können.“

Zwischen vernünftiger Vorsorge, „Preppern“ und Extremismus

Benni Thiebes, Geschäftsführer des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge, sieht beim Thema Vorsorge ein grundsätzliches kommunikatives Problem: Gelegentlich werde vom Bundesinnenministerium oder vom BBK daran erinnert, dass es Leitfäden mit Handlungsanweisungen zur Katastrophenvorsorge gebe. Darunter eine Checkliste dazu, welche Vorräte man braucht, um zehn Tage ohne einen Einkauf zu überstehen. Die alleinige Erwähnung dieser Empfehlungen „wird von manchen Medien als Panikmache dargestellt“, so Thiebes. „Eigenvorsorge hat einen schlechten Beigeschmack bekommen.“ 

Wolfram Geier vom BBK sagt uns: „Ein Grund, weshalb die Bevölkerung unsere Vorschläge zur Lebensmittelbevorratung nicht umsetzt, dürfte sein, dass Deutschland bislang ein ziemlich katastrophenfreies Land war. […] Die Leute können sich nur schwer vorstellen, dass sie mal bei einer Katastrophe nicht einkaufen gehen können, wenn sie nichts zu essen mehr im Haus haben, das ist kulturell gar nicht mehr verankert.“ 

Für manche Menschen ist es jedoch zum alles beherrschenden Thema geworden. Ihre Vorsorge nimmt mitunter übertriebene Ausmaße an. Diese sogenannte Prepper-Szene „existierte bereits in den 1970er Jahren (Angst vor dem Atomkrieg), hatte einen leichten Höhepunkt in den späten 1990er Jahren (Angst vor dem Y2K-Problem) und war während der Corona-Pandemie eher unauffällig“, erklärt uns Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, per E-Mail. 

Laut Julian Genner war vor allem die Finanzkrise 2008 ein Katalysator für die Prepper-Szene. „Da entstanden massive Abstiegsängste in Teilen der Mittelschicht: Es ist doch nicht so sicher, wie wir dachten, der Staat hilft vielleicht nicht, wir müssen uns selbst versorgen.“

Dort, wo die Furcht vor dem Blackout übersteigert empfunden wird, finden sich verschiedene Szenen und Gruppen zusammen – Prepper, Verschwörungsgläubige, sogenannte Querdenker und Rechtsextreme. Sie eint die Kritik am Staat und der Regierung, erklärt Frank Roselieb: „Die Klammer zwischen ‚Corona gibt es gar nicht‘ und ‚Der Blackout steht unmittelbar bevor‘ ist der Vierklang aus Medienversagen, Politikversagen, Demokrativersagen und Staatsversagen.“ Dabei werde der Bogen gespannt zwischen „einem ‚vollkommen übergriffigen Staat, der sein eigenes Versagen durch immer neue Verbote verdecken will‘ (Corona) und einem ‚vollkommen unfähigen Staat, der die Bürger durch falsche Entscheidungen, wie die Energiewende, absichtlich ins Verderben stürzt‘ (Blackout)“.

Bei einigen schlägt das Misstrauen gegen den Staat in eine radikale Ablehnung des Staats um. Als im April dieses Jahres vier Personen festgenommen wurden, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen wollten, stellte die Polizei fest, dass die Gruppe unter dem Namen „Aktion Blackout“ offenbar Anschläge auf das Stromnetz plante, um so bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen. Verabredet hatten sich die Personen in einem Telegram-Chat, in dem ein „krudes Weltbild zwischen Rechtsextremismus, Prepper-Ideologie und einer Ablehnung der Corona-Politik“ sichtbar wurde, wie die Tagesschau schreibt.

Ist Deutschland auf einen Blackout vorbereitet?

Wie sieht aber realistische Vorsorge aus? „Ihr Ziel muss es sein, zehn Tage ohne Einkaufen überstehen zu können“, heißt es in einem Ratgeber des BBK zum Thema Notfallvorsorge. Dazu, wie viele Menschen vorgesorgt haben, gibt es in Deutschland laut Wolfram Geier vom BBK keine validen Daten, weil sie nicht erhoben werden. Herbert Saurugg erinnert sich an eine österreichische Untersuchung, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sich ein Drittel der österreichischen Bevölkerung maximal vier Tage selbst versorgen könne, ein weiteres Drittel maximal eine Woche. Das sei in Deutschland ähnlich, vermutet Saurugg.

Die Angaben darüber, wie gut zumindest die österreichischen Bürgerinnen und Bürger in Sachen Lebensmittelbevorratung vorgesorgt haben, gehen jedoch auseinander. Laut der Dokumentation des ORF haben nicht einmal zehn Prozent Vorräte für zwei Wochen. Und Der Standard berichtete im Juni, dass 16 Prozent der Österreicher zwar vorgesorgt hätten, aber nur etwas mehr als die Hälfte dieser Menschen Lebensmittel für zehn oder mehr Tage vorrätig hätten.

Deutschland hat Maßnahmen für Katastrophenfälle ergriffen. So gibt es über das Land verteilt 5.200 Trinkwassernotbrunnen, aus der die Bevölkerung Wasser beziehen kann, sollte die Wasserversorgung zusammenbrechen. Hinzu kommt eine sogenannte Bundesreserve für Getreide und eine zivile Notfallreserve für Reis, Hülsenfrüchte und Kondensmilch. Die Standorte der Nahrungsmittelreserven sind geheim, um Plünderungen zu vermeiden. Angetastet werden mussten sie bisher nie. Ferner gibt es eine Ölreserve, mit der ein Importausfall von drei Monaten ausgeglichen werden könnte. Dazu gehören auch Vorräte an Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin.

In die Verteilung der Kraftstoffe wäre im Katastrophenfall das Technische Hilfswerk (THW) eingebunden, das 4.900 Notstromaggregate vorhält und 600 Netzersatzanlagen, die Strom direkt in Gebäude oder vorhandene Netz einspeisen können.

Dass es bisher keinen Blackout in Deutschland gab, führt dazu, dass es wenig Erfahrungswerte gibt, wie Staat und Rettungskräfte darauf reagieren könnten. In Hamburg hat das Unternehmen Stromnetz Hamburg 2017 einen Blackout simuliert. Im November 2004 wurde vom BBK eine sogenannte Lükex-Übung mit Blackout-Setting durchgeführt. Lükex-Übungen sind Katastrophensimulationen. 2004 war das Szenario ein großflächiger, zwei Wochen andauernder Stromausfall im Winter, zeitgleich mit zwei fiktiven Terroranschlägen. Ob die Erkenntnisse aus dieser Übung 18 Jahre später noch von großer Bedeutung sind, ist jedoch fraglich.

Fazit: Wie wahrscheinlich ein Blackout ist, hängt wesentlich davon ab, wen man fragt. Die von uns befragten Experten schätzen das Risiko ganz unterschiedlich ein. Einig sind sie sich jedoch darin, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Blackout steigt und die deutsche Bevölkerung auf den Eintritt eines solchen Szenarios nicht vorbereitet sei. Das gilt jedoch für alle Katastrophenszenarien, bei denen Menschen sich einige Tage selbst versorgen müssten. Eine gute Vorsorge sei wünschenswert, die Kommunikation zum Thema müsse sich verbessern, so der Tenor. Das würde möglicherweise auch dazu führen, dass das Thema Blackout nicht mehr für politische Stimmungsmache und Profitgier ausgeschlachtet werden könnte. 

Redigatur: Alice Echtermann, Matthias Bau

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