Hintergrund

„Mit wenigen Handgriffen“: Wie RT DE die EU-Sanktionen umgeht

Im März sperrt die EU russische Sender. Darunter RT, früher bekannt als Russia Today. Seitdem bewirbt der deutsche Ableger RT DE digitale Schlupflöcher: Spiegelseiten, über die prorussische Inhalte weiter gestreut werden. Bis heute ist es den zuständigen Stellen in Deutschland nicht gelungen, sie abzuschalten.

von Sophie Timmermann

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Im März ließ die Europäische Union die russischen Sender RT und Sputnik sperren. Die Sperrungen sind jedoch leicht zu umgehen, RT bietet Alternativen an, darunter sogenannte Spiegelseiten. (Foto: Ivo Mayr)

„Lawrow: Aufnahmen aus Butscha sind eine antirussische Inszenierung.“

„Dmitri Medwedew: Das Nazi-Regime in der Ukraine muss demontiert werden.“

„Russland beginnt mit dem Befreiungskampf gegen die ukrainische Besatzung.“

„Kremlsprecher Peskow: Drohung der Ukraine mit ‚schmutziger Bombe‘ ist real.“

Überschriften wie diese sollen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine rechtfertigen. Sie sind Propaganda, veröffentlicht auf Deutsch vom russischen Sender RT. Propaganda, die in der Europäischen Union wenige Tage nach Beginn des Krieges verboten wurde. Die Inhalte russischer Sender seien „eine direkte Bedrohung für die Ordnung und Sicherheit der EU”, schreibt uns ein Sprecher der Europäischen Kommission als Rechtfertigung für die Maßnahme. 

EU-Mitgliedsstaaten sollen die Sanktionen eigenverantwortlich umsetzen. Sie ergreifen Maßnahmen, damit die Webseiten der russischen Sender nicht mehr aufrufbar sind. In Deutschland bedeutet das: Internetanbieter sperren unter die Sanktionen fallende Inhalte anhand einer Liste der Bundesnetzagentur. Eine Liste, die ein Team der Bundesnetzagentur auf Grundlage sporadischer Arbeit erstellt, wie unsere Recherche zeigt. Die Sperrungen selbst, so ein IT-Experte, sind „mit wenigen Handgriffen zu umgehen”. 

Wie löchrig die Umsetzung ist, zeigt das Beispiel RT DE, dem deutschen Ableger des russischen Senders. RT DE veröffentlichte die Artikel mit den oben genannten Überschriften auf sogenannten Spiegelseiten – Kopien der originalen Webseite von RT DE. Alle erschienen, nachdem die Sanktionen verhängt wurden. Bis heute konnten wir die Texte auf mehreren Seiten aus Deutschland problemlos aufrufen, obwohl wir die Bundesnetzagentur bereits am 20. Oktober dazu angefragt haben. Es gab Dutzende solcher Kopien in den vergangenen Monaten. 

Die Spiegelseiten sind nur eines von mehreren digitalen Schlupflöchern, die RT DE nutzt, um die EU-Sperrungen zu umgehen. Wie nützlich also sind die Sanktionen gegen die russische Propaganda im Internet? 

Die Sanktionen: Mehrere russische Sender im gesamten EU-Gebiet verboten

„Sputnik und Russia Today stehen unter der ständigen direkten oder indirekten Kontrolle der Regierung der Russischen Föderation und tragen wesentlich dazu bei, die militärische Aggression gegen die Ukraine zu befeuern und zu unterstützen sowie ihre Nachbarländer zu destabilisieren“, schreibt der Rat der EU in einer Pressemitteilung am 2. März 2022. Worte mit Konsequenzen. Der Rat begründete damit die Sperrung von Inhalten der beiden russischen Sender, die er per Verordnung erließ. Im Juni folgten Sperrungen dreier weiterer Sender: Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24/Russland 24, und TV Centre International

„Verboten wird mit der Verordnung maßgeblich die ‚Sendetätigkeit’ der sanktionierten Medien, worunter das Verbreiten der Inhalte im Rundfunk und im Internet fällt”, erklärt uns der Jurist Björnstjern Baade, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin. Das beinhaltet alle Übertragungswege von Kabel über Webseiten und Satellit bis hin zu Apps. 

Die Sperrungen der EU sind nicht die ersten Verbote russischer Medien: Litauen und Lettland sperrten 2016 und 2021 die russischen Sender RTR Planeta und Rossiya RTR für mehrere Monate wegen Aufstachelung zu Gewalt und Hass. Auch RT wurde 2020 in Litauen gesperrt. Eine Sperrung für das gesamte Gebiet der EU sei jedoch erstmalig, so Baade. 

RTs französischer Ableger RT France ging gegen das Verbot in der EU vor. Erfolglos. Der Europäische Gerichtshof lehnte die Klage Ende Juli ab. Entscheidend sei die Begründung des Gerichts, so Baade, dass die Medien einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg unterstützten, der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen klar verurteilt worden sei. Die Unterstützung eines solchen Krieges durch Medien stelle Kriegspropaganda dar und könne daher untersagt werden. Das Urteil des EuGH bezeichnet die Beschränkung der Meinungsfreiheit in diesem Fall als verhältnismäßig.

Doch: „RT DE wäre nicht RT DE, wenn wir keine Lösungen hätten!”, erklärt der Sender selbstbewusst auf seiner Webseite.

Wie können ganze Webseiten gesperrt werden?

Von den großen Social-Media-Plattformen Facebook, Instagram, Tiktok, Twitter, Youtube und sogar Telegram wurde RT DE inzwischen in Europa verbannt. Doch was die Nachrichtenseite angeht, gibt es Tricks – das „passende Rezept“, um die EU-Sanktionen zu umgehen, liefert RT DE selbst. 

Auf der Webseite und über den Newsletter von RT DE werden verschiedene Lösungen angepriesen, praxisnah mit Erklärvideo. Über ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) kann beispielsweise die Ländersperre umgangen werden, indem Handys oder Computer virtuell über ein Nicht-EU-Land auf die Inhalte zugreifen.

Das Instagramprofil von RT DE ist nicht aufrufbar
Das Instagramprofil von RT DE ist seit der Sanktionsverordnung nicht mehr aufrufbar (Quelle: Instagram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die einfachste Lösung, schreibt RT DE in einem Newsletter, sei jedoch, die sogenannte DNS-Sperre zu umgehen. Das ist das Hauptinstrument, mit dem der Zugriff auf Webseiten gesperrt werden kann.

Was ist eine DNS-Sperre?

DNS steht für Domain Name System. Es ordne Adressen von Webseiten (zum Beispiel rt.com) einer IP-Adresse zu, erklärt IT-Experte Jochim Selzer vom Chaos Computer Club. Dafür braucht man sogenannte Nameserver. Vergleichbar ist das mit einem Telefonbuch, in dem für jede Domain die dazugehörige IP-Adresse gespeichert ist.

Bei DNS-Sperren trete der Staat üblicherweise an Internetanbieter heran und fordere sie auf, Anfragen an eine Webadresse nicht zu beantworten, so Selzer. Man kann die Webseite somit nicht mehr öffnen. Laut Telefonbuchanalogie bedeutet das: Eine Telefonnummer wird aus dem Telefonbuch gelöscht und ist nicht mehr auffindbar. Bei DNS-Sperren werden Einträge der betroffenen Webseiten aus den Nameservern gelöscht.

Grundsätzlich stellen solche Netzsperren einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung allen Datenverkehrs (Netzneutralität) dar, schreibt die Bundesnetzagentur. Doch es gibt Ausnahmen, die eine Netzsperre rechtfertigen, etwa wie in diesem Fall eine entsprechende EU-Verordnung, die in Deutschland anwendbar ist. Die Bundesnetzagentur prüft, ob eine Sperre möglich ist, ohne die Vorgaben zur Netzneutralität zu verletzen. 

Im Falle der Sanktionen gegen die russischen Sender liefert die Bundesnetzagentur Listen mit Webseiten, die gesperrt werden können, an Digitalverbände (wie Bitkom). Diese geben die Informationen an ihre Mitglieder – Internetanbieter wie die Telekom, Vodafone, 1&1 – weiter. 

Es handelt sich bei diesen Listen aber nicht um eine Anweisung zur Sperrung – die Entscheidung, ob gesperrt wird oder nicht, treffen die Internetanbieter selbst, betont die Bundesnetzagentur in einer E-Mail vom 27. Juni 2022 an die Verbände, die durch eine Anfrage von „Frag den Staat“ veröffentlicht wurde. Darin geht es um die Sperre der Domains von Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International ab dem 25. Juni. Es dürften ganze Webseiten (wie rt.com) gesperrt werden und nicht etwa nur einzelne Artikel. „Das durch die Sperrung potentiell auch Iegale Inhalte mitgesperrt werden, nimmt die EU in Kauf“, schreibt die Bundesnetzagentur. 

Über Schlupflöcher die Sanktionen umgehen: RT liefert das „passende Rezept“

In der Praxis sind DNS-Sperren wenig effektiv. Sie würden im Wesentlichen nur diejenigen von Inhalten abhalten, die ohnehin kein Interesse an ihnen haben, meint IT-Experte Jochim Selzer vom Chaos Computer Club: „Alle anderen wissen, wie sie mit wenigen Handgriffen diese Sperren umgehen können.” Denn Anleitungen gibt es online zuhauf. 

Auch der auf IT- und Medienrecht spezialisierte Rechtsanwalt Hermann Lindhorst sagt: „Internetsperren sind immer kritisch zu hinterfragen, einmal von der reinen Praktikabilität und auch aufgrund der grundrechtlichen Aspekte. Zum Zweiten sind sie nicht nur leicht zu umgehen, es gibt auch andere Alternativen.“

Zeitleiste: Von RTs Gründung bis zu den Sanktionen
2005: Gründung des russischen Auslandssenders Russia Today. Das Ziel: „Die russische Position zu den wichtigsten Fragen der internationalen Politik widerspiegeln“ und „das Publikum über die Ereignisse und Phänomene des russischen Lebens informieren“. Die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti gründet im selben Jahr die „gemeinnützige Organisation” ANO TV-Novosti, sie agiert als Muttergesellschaft für RT.
August 2014: Neueintragung der RT DE Productions GmbH in Deutschland mit Sitz in Berlin beim Amtsgericht Charlottenburg.
2020: Nachdem Lettland und Litauen in der Vergangenheit schon andere russische Sender sperrten, ist 2020 RT an der Reihe: Litauen sperrt fünf Programme. Der Grund: RT stehe in Verbindung zu Dmitry Kiselyov, der seit 2014 unter EU-Sanktionen steht. Kiselyov ist Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja. Die Agentur entstand 2013 auf Grundlage von RIA Novosti.
September 2021: Youtube sperrt Accounts von RT DE in Deutschland wegen Fehlinformationen über Covid-19. Wir konnten für eine Recherche die Daten der gelöschten Videos auswerten.
Februar 2022: Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten untersagt die Veranstaltung und Verbreitung des Fernsehprogramms von RT DE, weil die dafür erforderliche medienrechtliche Zulassung nicht vorliegt. Ein Antrag, für RT DE eine Lizenz in Luxemburg zu erhalten, scheiterte bereits 2021.
März 2022: EU-weite Sperre der russischen Sender RT und Sputnik
Juni 2022: EU-weite Sperre dreier weiterer russische Sender: Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russland 24 und TV Centre International
Juli 2022: RTs französischer Ableger RT France geht gerichtlich gegen die Sperrung vor. Der Europäische Gerichtshof lehnt die Nichtigkeitsklage Ende Juli ab.

Auf genau diese Alternativen stützt sich RT DE und bewirbt sogenannte Spiegelseiten („Mirror domains“), die die Inhalte der RT-Webseite identisch kopieren, aber über andere Adressen zu erreichen sind. Die Spiegelseiten tragen zwar „rtde“ im Namen, doch verwenden sie statt geläufiger Domain-Endungen wie „.de“ für Deutschland oder „.com“ Zusätze wie „.tech“ oder „.life“.

IP-Adressen der alternativen RT-Webseiten führen zu zwei russischen Firmen – eine davon ist die Muttergesellschaft von RT

Wir fanden neun verschiedene Domains deutscher Spiegelseiten. Dazu kommen weitere Sub-Domains, deren Adressen die gleiche Endung, aber unterschiedliche Anfänge haben (zum Beispiel meinungsfreiheit.rtde.life). Eine Anfrage über das Internetprotokoll Whois zeigt, sie wurden am 5. März und 6. April 2022 erstellt, also alle nach der Sanktionsverordnung – ein deutliches Indiz dafür, dass sie als Umweg für die Sperrungen gedacht sind. 

Unsere Suche liefert zwei IP-Adressen, die auf Server zweier russischer Firmen hinweisen: ANO TV-Novosti und PJSC Rostelecom. Erstere wurde 2005 von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti gegründet. Die Firma ANO TV-Novosti produziert die fremdsprachigen Sender von RT; sie steht sowohl auf der offiziellen RT-Webseite, als auch bei den aktuellen Spiegelseiten im Impressum. PJSC Rostelecom ist der größte russische Telekommunikationsanbieter, ein Aktienkonzern, dessen meiste Anteile der russische Staat besitzt. 

Spiegelseiten werden nicht nur für Deutschland verwendet – auch für Spanien oder Frankreich

Die Spiegelseiten gibt es in mehrsprachiger Ausführung, doch das Hauptaugenmerk scheint auf deutschen Inhalten zu liegen. Das britische Institute for Strategic Dialogue (ISD) berichtete im Oktober 2022 von 19 RT-Domains: neun deutschen, sieben spanischen, zwei französischen und einer englischen. „Für uns scheint es, als liege der Fokus auf dem deutschen und spanischen Publikum“, sagt uns die am Bericht beteiligte Analystin Kata Balint. 

Ein Vorgang mit System? „Fast alle [der Seiten], von denen wir Informationen bekommen konnten, wurden am selben Tag oder innerhalb weniger Tage erstellt, ungefähr innerhalb derselben zwei Stunden”, sagt Jordan Wildon, Senior Digital Methods Manager am ISD. Für Wildon scheint es, als habe man bei RT experimentiert, was funktioniert und wie man die Blockaden umgehen könne. 

Dass RT DE auf die Sperrungen reagiert hat, zeigen archivierte Versionen der Webseite. Im April hieß es dort mit Verweis auf genannte Spiegelseiten: „Diese älteren Links funktionieren möglicherweise nicht mehr.“ Man sehe Sperrungen der „Ausweichadressen“ unter anderem durch die Telekom. 

„Sichtung erfolgt in unregelmäßige Abständen“: Wie die Sperrung in Deutschland abläuft

Warum also ist die Sperrung in Deutschland so lückenhaft? Einblicke geben die veröffentlichten E-Mails der Bundesnetzagentur. Die Informationen gehen durch mehrere Hände: Die Bundesnetzagentur stellt die Listen zusammen, betont aber, dass sie nur für die Überwachung der Netzneutralitätsverordnung zuständig sei – es sei die „unternehmerische Entscheidung“ der Verbände im Telekommunikationssektor, ob sie die Webseiten sperren oder nicht. 

Die Verbände – Bitkom, Eco, Anga und Vatm – wiederum teilten uns auf Anfrage mit, dass sie die Informationen lediglich an ihre Mitglieder (Internetanbieter) weiterleiten. Die Durchsetzung und Kontrolle der Sperrung gehöre nicht zu ihren Aufgaben. 

Am Ende liegt es also bei den Internetanbietern, die Sperrung durchzusetzen. Sie sind durch die EU-Verordnung dazu verpflichtet. Wie Antworten der großen deutschen Anbieter Telekom, 1&1 und Telefónica / O2 auf unsere Anfragen zeigen, arbeiten diese fast ausschließlich auf Basis der von der Bundesnetzagentur gelieferten Listen. 

Man arbeite „eng und gut“ mit der Bundesnetzagentur zusammen, heißt es von 1&1. Eine Sperre setze immer einen Dialog mit der Bundesnetzagentur voraus. Ähnlich verlautet die Telekom: „Die Telekom Deutschland sperrt (…) nach Freigabe der Bundesnetzagentur den Zugang zu den definierten und festgelegten Webseiten.“ Eine inhaltliche Prüfung der bekannt gegebenen Seiten erfolge nicht durch die Internetprovider. Teléfonica schreibt, die Umsetzung basiere auf Listen des Gremiums europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC) sowie der Vorgaben der Bundesnetzagentur. 

Grundsätzlich macht diese Vorgehensweise Sinn. Internetanbieter können sich so in Sicherheit wiegen, nicht übermäßig und unrechtmäßig zu sperren. Um Spiegelseiten und Ausweichadressen von RT zu finden, müsste die Bundesnetzagentur jedoch aktiv danach suchen und ihre Listen für die Internetanbieter aktualisieren. Das geschieht offenbar nicht. 

Google-Suchergebnis
Eine Googlesuche am 2. November mit einem VPN zeigt, wie einfach RT-Inhalte erreichbar sind. Gleich das erste Suchergebnis: Eine der alternativen RT-Domains. (Quelle: Google; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auf die Frage, wie die Sperrlisten zu Stande kommen, liefert die Bundesnetzagentur uns eine ernüchternde Antwort: „Eine Sichtung erfolgt in unregelmäßigen Abständen durch Mitarbeiter des Referats Netzneutralität, Plattformmonitoring, Künstliche Intelligenz. Es handelt sich um eine – nicht zwingend abschließende – Internetsuche nach entsprechenden Inhalten, die auf Grund der EU-Sanktionsverordnung gesperrt werden müssen.“ Zum Teil beruhten die Informationen auch auf Anfragen einzelner Internetzugangsanbieter oder Dritter. Es bestehe Austausch auf europäischer Ebene, maßgeblich mit dem europäischen Gremium für elektronische Kommunikation BEREC. 

Schwachstelle Mirror domains: Die Bundesnetzagentur führt kein „engmaschiges Monitoring” durch – und auch sonst niemand

Wie die veröffentlichten E-Mails belegen, reagierte die Bundesnetzagentur auf die von RT DE beworbenen Spiegelseiten und machte Anfang April auf drei Domains aufmerksam. Weitere folgten Ende April. Die genannten Webseiten sind tatsächlich aktuell nicht aufrufbar.

Die veröffentlichten E-Mails der Bundesnetzagentur an die Telekommunikationsverbände reichen bis Ende Juli; ob danach weitere folgten, wissen wir nicht. Eine Liste aller bisher gesperrten Webseiten konnten oder wollten uns weder die Bundesnetzagentur, die Verbände noch die Internetanbieter liefern. 

Die Bundesnetzagentur gibt zu: „Das Instrument der Mirror-Domains ist eine der Schwachstellen bei DNS-Sperren.” 

„Um Inhalte kontinuierlich zu sperren, ist ein engmaschiges Monitoring notwendig. Ein solches Monitoring wird von der Bundesnetzagentur nicht durchgeführt.“ – Bundesnetzagentur

Der Internetanbieter 1&1 verweist in seiner Antwort an uns darauf, dass „schnell wechselnde” Spiegelseiten erst mit Zeitverzögerung gesperrt würden. 

Von einem schnellen Wechsel kann jedoch nicht die Rede sein: Seit mindestens Mai bewirbt RT DE dieselben Spiegelseiten. Wir konnten verschiedene Domains und Subdomains finden, die noch online waren. Warum und wie sie im Monitoring der Bundesnetzagentur durchrutschen, ist unklar. Auf unsere Anfrage am 20. Oktober, ob die besagten Webseiten bekannt seien, kündigte die Bundesnetzagentur an, die „ angeführten Domains in die nächste Mitteilung der Bundesnetzagentur an Verbände im Telekommunikationssektor aufnehmen“. Bisher scheint das nicht geschehen zu sein: Die Seiten sind weiterhin erreichbar (Stand: 9. November). 

Und die Bundesregierung? Scheint mit der Kontrolle der Sperren wenig zu tun zu haben. Auf Anfrage verweist das Bundeswirtschaftsministerium auf die Staatsanwaltschaften; diese seien zuständig für die Verfolgung von Sanktionsverstößen.

RTs Inhalte finden nach Europa – allen voran nach Deutschland

Fest steht: Inhalte von RT erreichen weiter das europäische Publikum, und das ziemlich breitflächig. Laut dem Bericht des Institute for Strategic Dialogue erzielten die 19 identifizierten RT-Domains insgesamt mehr als 11 Millionen Besuche zwischen April und Juni. Besonders eindrücklich: Klickzahlen von Juni zeigten laut ISD, dass Besucherinnen der deutschsprachigen alternativen Domains tatsächlich vorrangig aus Deutschland auf den Inhalt zugreifen. Unabhängig prüfen lassen sich die Zahlen nicht. Wahr ist laut ISD auch, dass die Reichweite von RT insgesamt im Vergleich zu vor dem Krieg gesunken ist. 

Das ISD stellte zudem fest, dass es über Whatsapp und Telegram eine Zunahme der Verweise auf RT-Domains gab, was „ziemlich problematisch“ sei, sagt die Analystin Kata Balint. Eine Datenanalyse der deutschsprachigen Telegramkanäle, die unser Faktencheck-Team täglich sichtet, bestätigt, dass die alternativen Webseiten dort im Umlauf sind. Kanäle wie „Deutsch-Russische Freundschaft“, aber auch Impfgegner-Gruppen wie „Impfkritik“ oder Verschwörungsanhängerinnen bei „Q&Anons” teilten dutzendfach Links zu den Spiegelseiten. 

RT versteht es, in seinen Berichten an der Trennlinie zwischen Andeutung und Fehlinformation zu bleiben. Oft werden falsche Aussagen anderer Personen zitiert. So stellt nicht RT selbst die Behauptung auf – doch die Botschaft bleibt hängen, wie die Aussage über eine angebliche Inszenierung von Leichenfunden in Butscha, oder dass in der Ukraine ein Nazi-Regime herrsche. Und: RT verbreitet seit Kriegsbeginn auch Falschinformationen, so wie im August über eine angebliche 70-prozentige Gehaltserhöhung ukrainischer Abgeordneter. Der Artikel erschien auf einer Spiegelseite namens test.rt.me (wir berichteten). 

Wie das ISD in einem weiteren Bericht im Juli schrieb, bedienen die Artikel von RT zudem bekannte Narrative, die ukrainische Geflüchtete in ein negatives Licht rücken. Darunter: die angebliche Bevorzugung von Ukrainerinnen und Ukrainern gegenüber anderen Geflüchteten, die hohen Kosten für ihre Aufnahme und Gewalt und Aggression, die von den Geflüchteten ausgehe. Oft sind solche Behauptungen schlicht erfunden, wie wir in unseren Faktenchecks berichteten (siehe hier, hier und hier).

Was bringen technische Sanktionen, um ein gesellschaftliches Problem zu lösen?

Unsere Recherche zeigt: RT DE umgeht das Sendeverbot in der EU, das Teil der Sanktionen gegen Russland ist, mit sehr einfachen Mitteln. Wie sinnvoll sind also Sperrungen, um das Problem der Desinformation in den Griff zu bekommen? 

„Es ist nie eine gute Idee, gesellschaftliche Probleme mit technischen Mitteln lösen zu wollen”, findet IT-Experte Jochim Selzer. Der Medienrechtler Hermann Lindhorst meint ebenfalls: „Aus meiner Sicht sind diese Dinge gesellschaftlich zu lösen, und nicht über repressive Internetsperren, deren Umgehung ohnehin nicht schwer ist.“

Dass prorussische Propaganda trotz der Sperrungen weiter auf offene Ohren in Deutschland trifft, zeigt ein im November veröffentlichter Bericht des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas). Die Zustimmungswerte zu pro-russischen Verschwörungserzählungen seien in der deutschen Gesamtbevölkerung seit April 2022 gestiegen. Lösen ließe sich das Problem nur über eine gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie zunehmenden Desinformationskampagnen begegnet werden könne. Desinformation allein als Informations- oder Sicherheitsproblem zu verstehen, greife zu kurz: „Es ist ein Angriff auf die Demokratie als solches.“

Die Schweiz und Norwegen, die nicht Mitglieder der EU sind, haben entschieden, RT und Sputnik nicht zu sperren. Der schweizer Bundesrat argumentierte im März, es sei „wirksamer, unwahren und schädlichen Äußerungen mit Fakten zu begegnen, anstatt sie zu verbieten“.

Redigatur: Alice Echtermann, Matthias Bau

Datenanalysen: Sebastian Gurkasch

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