Zuspitzungen in Berichten über Rodungen im Reinhardswald
Vor der hessischen Landtagswahl kursierten Artikel und Bilder auf Facebook, die den Grünen „Heuchelei“ vorwerfen. Es geht um den hessischen Reinhardswald, den die Grünen angeblich abholzen lassen. Die Vorwürfe sind extrem zugespitzt, enthalten aber einen wahren Kern.
„Die Heuchelei steht zur Wahl: Die Grünen lassen in Hessen den Reinhardswald abholzen“ titelte Pravda.Tv am 20.Oktober 2018. Derselbe Text erschien am 25. Oktober auch bei Watergate.Tv mit dem Titel: „Grüne lassen uralten Märchenwald abholzen“ und dem Zusatz: „Der nächste Wald ist dran“, in Anspielung auf die Proteste wegen der geplanten Rodung des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen. Und am 27. Oktober brachte auch die Freie Presse den Artikel.
Die Berichte beziehen sich auf einen Artikel von Tichys Einblick. Dort erschien im Juli 2018 ein Beitrag über den Wald: „Grüne und CDU zerstören Gebrüder Grimms Wald.“
Das ist übertrieben. Was stimmt: Ein kleiner Teil des Waldes gehört zu den Gebieten in Hessen, in denen Windräder gebaut werden dürfen. Dafür würden im Fall einer Genehmigung auch Bäume gefällt. Ein konkretes Bauvorhaben ist jedoch noch nicht genehmigt. Im Großteil des Waldes darf aber nicht gerodet werden, unter anderem auch in dem als „Märchenwald“ bekannten Gebiet Urwald Sababurg.
Die Grünen waren daran beteiligt, Flächen für diese Bebauung zu bestimmen. Aber sie haben das nicht alleine entschieden. Auch die CDU, SPD, die FDP und die Piraten haben zugestimmt. Nur die Linken nicht – weil sie damals nicht in der Regionalversammlung vertreten waren.
Wie es zu der Entscheidung kam
In Hessen sollen Windparks gebaut werden, als Beitrag zur Energiewende. Allerdings entschieden die Parteien, dass das Bundesland entscheiden soll, wo die Windräder gebaut werden – nicht die einzelnen Kommunen oder gar die zukünftigen Betreiber von Windparks.
Heraus kam: Zwei Prozent der Fläche in Hessen dürfen für die Bebauung von Windrädern genutzt werden. 98 Prozent nicht. Die Regionalversammlung entschied im Jahr 2016, wo sich diese Flächen befinden sollten. Und wies sogenannte Vorrangflächen aus. Nur dort dürfen Windräder gebaut werden. Naturschutzgebiete oder Naturdenkmäler konnten kein Vorranggebiet sein.
Tatsächlich finden sich Vorranggebiete im Reinhardswald. Ausgeschlossen sind aber Teile wie der Urwald Sababurg.
Bisher wurde aber noch kein Antrag für eine Rodung und Bebauung des Vorranggebietes im Reinhardswald genehmigt, wie das hessische Umweltministerium per Email mitteilte.
Was sagen Naturschutzorganisationen?
Thomas Norgall arbeitet für den BUND in Hessen. Er findet die Vorranggebiete eine gute Lösung, sagt er gegenüber Correctiv – auch das im Reinhardswald. Das teilte die Organisation bereits im Oktober 2016 in einer Pressemitteilung mit. Es gebe immer einen Konflikt bei Windrädern, sagt Norgall. Zwischen Bürgerinitiativen der Anwohner in der Umgebung, die keine Windräder wollen, oder von den Betreibern der Windparks, die noch mehr Fläche beanspruchen. Es komme außerdem zu Konflikten zwischen Klimaschutz – also dem Bau von Windrädern für Windenergie – und Naturschutz – weil mit dem Bau in die Natur eingegriffen wird.
Der NABU Hessen sieht das ähnlich. Mark Harthun sagt: „Der Konflikt ist lösbar.“ Indem man Windräder dorthin baut, wo sie am verträglichsten sind. Ihn stört an den aktuellen Behauptungen besonders die Bebilderung. Das seien nämlich oft Bilder aus dem Urwald Sababurg, der aber gerade nicht für Windräder abgeholzt werden darf.
Er befürchtet, dass Windrad-Bauer diese Falschdarstellungen nutzen könnten, um auch legitimen Naturschützern Lügen vorzuwerfen.
Harthun ist nämlich nicht mit jedem Windrad-Vorhaben einverstanden. Der NABU Hessen hat sogar Klage gegen eines eingereicht. Doch mit dem Teilgebiet im Reinhardswald hat Harthun kein Problem. Solange die alten Bäume wie geplant unberührt bleiben und der Artenschutz beim etwaigen Bau von Windrädern beachtet wird.