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Warum für mich das Projekt Unterrichtsausfall so wichtig ist

Bildung bedeutet Zukunft – auch wenn das nicht jeder Schüler sofort erkennen möchte. Schließlich ist eine Freistunde super. Oder doch nicht? David Schraven ist Journalist. Und Vater. Für ihn persönlich ist unser Projekt zum Unterrichtsausfall in vielerlei Hinsicht wichtig. Denn: Unterrichtsausfall ist unsozial.

von David Schraven

© Correctiv.Ruhr

Jahrelang war Unterrichtsausfall für mich kein Thema. Es fallen halt ab und an mal Stunden in der Schule aus. Wen interessiert das?

Ich habe einen Sohn. Der ist 14 Jahre alt. Ein netter Kerl, den ich wirklich sehr mag. Er ist in einem Alter, in dem es Sachen gibt, die spannender sind als Schule. Mädchen zum Beispiel. Oder Fußball spielen. Manchmal auch Playstation zocken. Ein normaler Junge halt. Mein Sohn findet Unterrichtsausfall super.

Kurzfristig schön – langfristig doof

Mein Sohn lernt eigentlich ganz gut.

Na gut, in Mathe könnte er besser sein. Aber sonst ist alles mehr oder weniger ok.

Nur… mir fällt auf, dass mein Sohn andauernd ausschlafen kann. Weil morgens Stunden ausfallen.

Oft kann er auch früher nach Hause gehen, weil Stunden ausfallen.

An machen Tagen hatte er nur eine oder zwei Stunden Sport. Das ist kein Witz.

Meinem Sohn macht das Spaß.

Mir nicht.

Ich bin kein böser Vater.

Ich gönne meinem Sohn das Ausschlafen – auch wenn ich früh raus muss. Ich bin kein böser Vater.

Aber ich denke, in der Zeit, in der er jetzt morgens lange schläft, lernt er zum Beispiel nicht Mathe. Er bekommt keinen Unterricht, um Mängel auszugleichen. Stattdessen werden Lücken größer, weil kein neuer Stoff durchgenommen wird.

Das wird dazu führen, dass mein Sohn nicht besser wird.

Das ist jetzt noch kein Problem. Aber es wird zum Problem, wenn mein Sohn 16 oder 17 Jahre alt ist, wenn er sein Abitur machen und dann später vielleicht ein Studium beginnen will.

Ausgleich nötig

Ich hoffe, ich kann die fehlenden Stunden ausgleichen irgendwie.

Wir organisieren für meinen Sohn Nachhilfe. Hunderte, tausende Eltern tun das. Nur wenn wir früh reagieren und privat Geld in seine Bildung investieren, können wir allzu große Wissens-Lücken ausgleichen.

Weil der notwendige Unterricht in der Schule nicht stattfindet.

Mich stört das, weil es viel Geld kostet. Meinen Sohn stört das, weil er zu Hause büffeln muss. Aber wir kriegen das hin. Und mein Sohn wird seine Lebenschancen kriegen. Dafür stehen wir ein.

Nur: wie ist das mit all den anderen, die es nicht hinkriegen?

Wie sieht es mit den Chancen der Kinder aus, deren Eltern sich keine Nachhilfe leisten können?

Wie sieht es mit den Kindern aus, deren Eltern aus den so genannten bildungsfernen Schichten kommen?

Wie sieht es mit den Kindern der vielen tausend Menschen aus, die unserem Schulsystem blind anvertrauen, weil sie sich nicht vorstellen können, das da was nicht klappt?

All diese Kinder werden benachteiligt. Sie werden um Lebenschancen gebracht.

Unterrichtsausfall ist unsozial

Ich kenne eine Grundschule, an der vier Lehrer acht Klassen unterrichten. Die Türen zwischen den Klassen werden einfach offengelassen, damit die Kinder „beschult“ werden. Seit Wochen versuche ich die Lehrer zu überreden, offen über ihre Schule und die Probleme dort zu reden. Sie trauen sich nicht, weil sie als Beamte Angst vor den oberen Schulbehörden haben. Sie befürchten für offene Worte bestraft zu werden.

Unterrichtsausfall ist zutiefst unsozial. Die, die sich nicht wehren können; die, die wenig Geld haben; die, die Wissen am dringendsten brauchen, werden benachteiligt. Ihr Leben lang. Die benachteiligten Kinder werden nie wissen, was sie heute nicht lernen.

Weil eine ausgefallene Stunde kein Spaß ist.

Weil die kurze Freude des Ausschlafens den langen Schaden des fehlenden Wissens nicht aufwiegt.

Unsere Schulen sind so ein großartiges System. Kostenlos strengen sich gut ausgebildete Lehrer an, unseren Kindern das Rüstzeug für ein besseres Leben zu geben. Gerade im Ruhrgebiet. Nur mit Hilfe ihres Wissens können sich unsere Kinder entwickeln.

So ist das Ideal.

Doch tatsächlich fallen tausende Stunden aus.

Weil Lehrer fehlen. Weil das System Schule überlastet ist.

Für eine bessere Zukunft brauchen wir bessere Schulen. Unterrichtsausfall muss bekämpft werden.

Dazu ist es nötig für uns alle zu wissen, wie viel Unterricht tatsächlich ausfällt. Nur so können wir erfahren, wie viele Lehrer tatsächlich fehlen. Nur so kann tatsächlich etwas geändert werden.

Offizielle Stelle verweigern Unterstützung

Wir haben versucht, für unsere Erhebung des Unterrichtsausfalls Unterstützung der verantwortlichen Stellen zu bekommen. Erfolglos.

Das Schulministerium sagt auf Basis von Stichproben: Nur 1,8 Prozent der Stunden würden ausfallen.

Wir haben das Ministerium gebeten, uns bei der Erhebung genauerer Daten in Dortmund zu helfen.

Das Ministerium hat seine Hilfe abgelehnt.

Wir haben die Bezirksregierung gebeten, uns bei der Erhebung genauerer Daten zu helfen.

Die Bezirksregierung hat ihre Hilfe abgelehnt.

Alle sind gefragt.

Deswegen brauchen wir die Hilfe aller Menschen, die in den Schulen aktiv sind:

Die Hilfe von Euch als Schüler. Macht mit, Ihr habt mehr verdient.

Die Hilfe von Ihnen als Eltern. Es geht um Ihre Kinder.

Wir brauchen aber auch die Hilfe von Ihnen als Lehrer oder Schuldirektor. Haben Sie keine Angst. Wir brauchen Sie. Es geht um ihre Arbeitsbedingungen. Wir behandeln Ihre Daten anonym.

Machen Sie mit!

Nur wenn wir genau wissen, wie viel Unterricht ausfällt, können wir das System Schule verbessern. Nur auf Basis genauer Daten können wir erfahren, wie viele Lehrer tatsächlich fehlen.

Machen Sie alle mit beim Unterrichtsausfall-check.

Hintergrund zum Unterrichtsausfall – der Check:

Zwischenstand: Tag 3 – über 370 ausgefallene Stunden (CORRECTIV.Ruhr)

Die wichtigsten Fragen und Antworten (CORRECTIV.Ruhr)

Die ersten Stimmen  (CORRECTIV.Ruhr)

Der Check: Dortmunds Schulen auf dem Prüfstand (CORRECTIV.Ruhr)

Dossier: Unterrichtsausfall in Dortmund (Ruhr Nachrichten)