Kampf um die Innenstädte
Wo sind die Konzepte, um unsere Innenstädte zu retten? Kaufhausketten schließen, immer mehr Menschen kaufen online ein. Die Innenstädte drohen zu veröden. Doch im NRW-Kommunalwahlkampf spielt der Kampf um die Zukunft einer lebenswerten Stadt kaum eine Rolle. Diese drei Beispiele zeigen, wie eine alternative Nutzung aussehen könnte.
Als der Stern im westfälischen Marl 1974 eröffnet wurde, war er eine Sensation: ein Stadtzentrum unter einem Dach. Über 50.000 Quadratmeter Fläche – 130 Ladenlokale, Stadtbücherei und Volkshochschule sorgten vom frühen Morgen bis spät in den Abend für Besucherinnen und Besucher.
Der Marler Stern war verkehrstechnisch perfekt angebunden, er lag direkt am zentralen Busbahnhof der Stadt. Ein kleiner Bahnhof war in der Nähe und es gab ein großes Parkhaus. Hallenbad, Rathaus, Grimme Institut und das Kunstmuseum Glaskasten waren nur wenige Schritte entfernt. Imposante Hochhäuser in seiner Nähe sorgten für genug Publikum.
Der Abstieg des Sterns
Irgendwann ging es dann bergab. Erst mit Marl. Die Zechen schlossen, Steuereinnahmen brachen weg und das Becken des Hallenbades verstaubte. Dann folgte der Stern: Karstadt schloss. In der einst über die Stadtgrenzen hinweg bekannten Bücherei fingen Eimer das von der Decke tropfende Wasser auf und das alte Parkhaus wirkte immer mehr wie die Kulisse aus einem Mad-Max-Film.
Marl war tot, auf dem Weg zur Geisterstadt, nur wenige Jahrzehnte nach seiner Gründung 1936 gescheitert. Großstadt hatte man immer werden wollen, noch in den 1990ern träumten sie im Rat davon.
Marl: Den Stern entstauben
2018 begann die FAKT AG die Mehrzahl der Flächen im Stern zu kaufen. Ihr Vorstandsvorsitzender ist Hubert Schulte-Kemper, Ehrenbürger der Stadt und langjähriger Fraktionsvorsitzender der CDU in ihrem Rat. FAKT konnte den Abstieg stoppen. Ein moderner Edeka, C&A, eine Bäckerei, zumindest das Parterre des Sterns ist heute wieder gut belebt. Und bald soll auch die obere Etage folgen.
Am 10. September eröffnet dort ein Factory-Outlet Center. Zumindest teilweise, sagt Kristofer Jürgensen, der Geschäftsführer des Fashion Outlet Marl: „Wir beginnen mit zehn bis zwölf Geschäften. Im Sommer nächsten Jahres werden dann über 50 weitere hinzukommen.“ Es ist das erste Fashion Outlet Center des Ruhrgebiets. 2017 war ein solches Center auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs am Rand der Duisburger Innenstadt geplant. Ein Bürgerentscheid stoppte die Pläne.
Leerstand nutzen
Dass sich so etwas in Marl wiederholt, ist keine Sorge, die sich Jürgensen machen muss: „Wir bringen nicht einen Quadratmeter zusätzliche Verkaufsfläche nach Marl, sondern gehen in die obere Etage des Marler Sterns und nutzen die heute noch leerstehenden Geschäfte.“
Der Standort Marl ist seiner Ansicht nach ideal: „Mit einer Fahrzeit von 30 Minuten sind wir für 1,5 Millionen Menschen zu erreichen, bei 60 Minuten Fahrzeit sind es acht Millionen.“
Wenn alles im kommenden Jahr fertig ist, werden Projektoren je nach Tageszeit einen blauen oder einen Nachthimmel unter das Dach des Einkaufszentrums projizieren. „Alle Fashion Outlet Center bieten ihren Kunden mehr als günstige Preise. Wir wollen eine angenehme Atmosphäre schaffen, eine Kinderbetreuung anbieten und natürlich Cafés und Restaurants.“
Bochum: Haus des Wissens
Bochum geht einen anderen Weg. Gegenüber des Rathauses wird bis 2024 aus einem ehemaligen Gebäude der Post ein Haus des Wissen entstehen. Die Idee, sagt Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch, wäre von den Bürgerinnen und Bürgern ausgegangen: „2017 entstand aus einer großen Bürgerkonferenz der Wunsch nach einer Markthalle in der Innenstadt. Gleichzeitig suchten die Volkshochschule und die Bibliothek einen neuen Ort, da ihr altes Gebäude wegen einer schlechten Bausubstanz abgerissen wird und an dieser Stelle innerstädtisches Wohnen geplant ist.“
Während all diese Stränge zusammen liefen, sei die Idee eines Dritten Ortes entstanden, eines Hauses, welches die Stadtbibliothek, die Volkshochschule, UniverCity sowie eine Markthalle in einem einmaligen Gebäudekomplex in zentraler Innenstadtlage integriert.
„Im Fokus“, sagt Eiskirch, „steht hier die Entwicklung eines neuen Ortes der Begegnung, Partizipation, des Wissensaustausches sowie ein Ort der Sinne und des Einkaufgenusses.“ Der Zusammenschluss von öffentlichen und frequenzstarken Nutzungen, wie Markthalle und Bildungseinrichtungen innerhalb eines Gebäudes, böte enorme Chancen der Herstellung von Synergien und sei in dieser Form auf nationaler sowie auch auf internationaler Ebene einzigartig.
In Bochum gibt es schon lange vieles, was jetzt erst in anderen Städten entstehen soll. Seit den 70er Jahren entwickelte sich mit dem Bermudadreick eines der größten Kneipenviertel Deutschlands. Das geschah an der Politik vorbei. Damals junge Gastronomen erkannten das wirtschaftliche Potential der vielen Studentinnen und Studenten der Stadt und gründeten Clubs und Kneipen und stießen eine Entwicklung an, die bis heute anhält. Generation für Generation hat ihre Lokale in dem Viertel gegründet. Lange verlief diese Entwicklung weitgehend konfliktfrei.
Von den 892 Ladenlokalen der Innenstadt stehen indes 87 leer. Künftig soll ein Leerstandsmanagement her. Die Bochumer Wirtschaftsförderung will Mieter und Vermieterinnen an einen Tisch bringen, Einzelhandelsketten ansprechen, die „in das Bochumer Portfolio passen“ und Vermieter und Vermieterinnen überzeugen, auch einmal über die Preise nachzudenken.
Marc Heistermann vom Handelsverband NRW Ruhr setzt auch auf den Dialog zwischen Händlerinnen und Vermietern: „Zum Teil haben Vermieter unrealistische Vorstellungen über die Preise, die sie erzielen können. Aber sie sind oft auch eine Stütze für Kaufleute.“ Gerade in der Coronakrise hätten viele von ihnen die Mieten zeitweise gesenkt oder ganz auf Mieten verzichtet. „Da hieß es dann auch mal: „Wir kennen uns, wir haben gut zusammen gearbeitet und kommen jetzt auch gemeinsam durch die Krise.“
Schlechter Nahverkehr
Für Heistermann gibt es einige Gründe, warum Menschen die Innenstädte meiden. Und bei jedem dieser Gründe können die Städte ansetzen, wenn sie ihre Fußgängerzonen wieder attraktiver machen wollen: „Oft sind die Innenstädte nicht so sauber, wie die Kunden es erwarten. Und viele Menschen fühlen sich auch unsicher.“
Nach einer Umfrage der Essener WAZ aus dem Juni gehörten mangelnde Sauberkeit sowie Unsicherheit zu den Hauptgründen, die Stadt zu meiden. Ein weiteres Problem, zu teure und zu wenige Parkplätze sieht auch Heistermann: „Die Politik kann sich natürlich zum Ziel setzen, die Autos aus der Innenstadt zu verbannen. Aber im Ruhrgebiet werden sich dann viele nicht auf das Rad setzen, sondern eines der großen Einkaufszentren in den Vorstädten mit kostenlosen Parkplätzen anfahren.“
Tatsächlich ist der Nahverkehr im Ruhrgebiet schlecht, teuer und zeitraubend. Wer kann, meidet ihn. Der Weg von Städten wie Dorsten, Gladbeck oder Herten in die Innenstädte Essen, Bochums oder Dortmunds kann mit Bus und Bahn schnell über eine Stunde dauern. Das nächste große Einkaufszentrum ist mit dem Auto in der Regel in weniger als 30 Minuten zu erreichen.
Essen: Kaufen im Erdgeschoss
Für viele Immobilien wird es keine Zukunft im Bereich Handel geben, ist sich der Immobilienexperte und Makler Eckhard Brockhoff sicher. Gerade die Kaufhäuser hätten weniger Chancen: „Einzelhandel geht, wenn überhaupt, nur noch im Erdgeschoss. Die oberen Etagen müssen anders genutzt werden. Wohnungen Büros oder Praxen sind eine Alternative. Doch das klassische Kaufhaus mit seiner quadratischen Grundfläche sei dazu nicht geeignet: „Auch mit Fenstern würde der Lichteinfall weder zum Wohnen noch zum Arbeiten ausreichen.“ In Kaufhäusern gab es fast überall nur künstliche Lichtquellen. So will niemand wohnen und auch die Ansprüche an Büroarbeitsplätze sind höher.
Gemeinsam mit dem Immobilienentwickler Kölbl Kruse kaufte Brockhoff das alte Karstadtgebäude am Rüttenscheider Stern in Essen, das zuletzt von Hertie genutzt wurde. 2011 begann der Abriss, Ende 2012 wurde der Neubau mit dem Namen RÜ62 fertig gestellt. Zogen in das Erdgeschoss verschiedene Einzelhändler aus den unterschiedlichsten Bereichen, wurde die oberen Etagen als Büros und Praxen genutzt. „Ich denke“, sagt Eckard Brockhoff, „das, was wir dort gemacht haben, ist ein Muster für viele Standorte.“
Einkaufszentren für Amazon
Doch nicht nur die Zeit der großen Kaufhäuser geht zu Ende. Auch für die Einkaufszentren sieht es nicht gut aus. ECE Projektmanagement, das Unternehmen im Besitz der Familie Otto, stand lange Zeit für erfolgreiche Einkaufszentren. 200 Einkaufszentren managt das Unternehmen, viel hat es errichtet und dann an Investoren verkauft. Die bekanntesten ECE-Center im Ruhrgebiet sind der Limbecker Platz in Essen und die Thier-Galerien in Dortmund.
ECE hat angefangen, seine Einkaufszentren, wenn auch nicht im Ruhrgebiet, um Hotels zu erweitern, errichtet zunehmend Logistik- und Wohn- und Büroimmobilien. Den Plan, in Bochum ein großes Einkaufszentrum, zu bauen, hat das Unternehmen schon vor Jahren aufgegeben. In den USA, der Heimat der Malls, ist die Entwicklung weiter. Dort verhandelt Amazon mit der Simon Property Group, der größten Besitzerin von Einkaufszentren. Der Onlinehändler will leerstehende Flächen als Lager nutzen und so noch näher an seine Kunden rücken.
Jahrzehntelang waren Innenstädte und Einkaufszentren erbitterte Gegner, fast ideologisch wurde um jede Ansiedlung gestritten. Am Ende heißt der Sieger Online-Handel und Citys und Center suchen ihr Überleben mit Büroflächen, Gastronomie und Lagerflächen zu sichern.