Der Prozess

Der Prozess, Tag 13

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel soll als Zeugin im Panschprozess auftreten. Der pensionierte Leiter der medizinischen Abteilung des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI), Siegfried Giess, tritt als souveräner Sachverständiger auf. Auch der PEI-Experte sagt, dass Antikörper im Menschen nachweisbar sind. Die Verteidigung bezweifelt die strafrechtliche Verwertbarkeit der bei der Razzia beschlagnahmten Krebszubereitungen.

von Marcus Bensmann , Hüdaverdi Güngör

Die Nebenkläger kurz vor Beginn des 13. Prozesstages© correctiv.ruhr

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Peter Stadtmann zeigt sich gewohnt still. Im Gegensatz zu den vergangenen Prozesstagen ist er in den Verhandlungspausen wesentlich ruhiger. Am Anfang sitzt Stadtmann nur mit zwei Anwälten im Gericht, Nummer drei und vier kommen erst später.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Einen Tag nach der Demonstration der Betroffenen in Bottrop, die trotz der Drohungen gegen die Demonstration stattgefunden hat, sind gut die Hälfte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger gekommen. Die klaren und kompetenten Aussagen des Sachverständigen des PEI beeindrucken sie. Manchmal lachen sie.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Die Bundeskanzlerin im Zeugenstand? Gleich zu Beginn des Verhandlungstages stellt der Rechtsanwalt der Nebenklage, Andreas Schulz, den Antrag die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder einen anderen Vertreter des Bundeskanzleramts als Zeuge zu laden. Grund dafür ist die Antwort des Bundeskanzleramt auf das Schreiben der Nebenklägerin Heike Benedetti. Sie hatte am 2. Januar Merkel geschrieben und bereits am 4. Januar eine Antwort erhalten. Das Kanzleramt verweist auf die Zuständigkeit der Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen und gibt sich überzeugt, dass die durch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) eingeleitete Verschärfung der Regeln bei der Überwachung der Herstellung von Zytostatika wirksam sein wird. Dann aber folgt ein Satz, den Anwalt Schulz zum Anlass für den Antrag auf Vorladung der Kanzlerin nimmt: Das Kanzleramt geht demnach davon aus, „dass es sich bei den Bottroper Geschehnissen um einen Einzelfall kriminellen Fehlverhaltens handelt“. Der Anwalt sagt, dass die Schnelligkeit der Antwort und die Beschreibung darauf hinweisen, dass dem Kanzleramt Kenntnisse zu dem Fall vorliegen. Das Gericht wird über den Antrag entscheiden.

  • Siegfried Giess vom PEI macht einen souveränen Eindruck. Er war Leiter der medizinischen Abteilung des PEI, die die Krebszubereitungen mit den monoklonalen Antikörpern aus der Alten Apotheke untersucht hatte. Nun ist er pensioniert. Das PEI hat sowohl den Infusionsbeutel untersucht, den Marie Klein zur Polizei gebracht hatte, als auch die 29 Zubereitungen mit monoklonalen Antikörpern, die am Tag der Razzia in der Alten Apotheke beschlagnahmt wurden. Die Mitarbeiter des PEI haben die Zubereitungen mit Sichtkontrolle, Proteinbestimmung, molekulare Gewichtsverteilung, SDS-Elektrophorese und der isoelektrischen Fokussierung untersucht und mit einer Referenzprobe verglichen. Nach Aussage von Giess sind das bewährte Methoden der Analyse, die im europäischen Rahmen durch das PEI angewandt  und teilweise seit über 20 Jahren eingesetzt werden. Alle Vorgänge seien gemäß der  Standardarbeitsvorschriften (SOP) dokumentiert und bezögen sich auf das europäische Arzneibuch. Alle Untersuchungsmethoden sind validiert.

  • Das PEI hat Erfahrung. Nach der Aussage von Giess habe das PEI bisher direkt die Erzeugnisse von Herstellern untersucht, aber keine in den Apotheken zubereiteten Infusionen. Giess sieht jedoch darin keinen Unterschied, denn eine Infusion sei ja nur eine Verdünnung. Methodisch würde das keinen Unterschied machen, sagt der PEI-Sachverständige.

  • Die Zubereitung der Zytostatika ist eine Verdünnung. Die Verteidigung will wissen, ob die Referenzproben des PEI von ausgebildeten Apothekern und Fachpersonal für die Zytostatika hergestellt worden sei. Der PEI-Experte sagte, dies sei nicht nötig gewesen, die strengen Vorgaben für die Zytoherstellung gelten da die Zubereitungen einem Menschen verabreicht werden sollen. Für die Herstellung der Referenzproben seien diese Vorsichtsmaßnahmen nicht nötig.

  • Stabilität spielt für die Untersuchung keine Rolle. Die Stabilität, also die Frage, ob der Wirkstoff zerfallen sein könnte, hat für die Untersuchung keine Auswirkung. Denn dann wären die Rückstände der Antikörper nachweisbar gewesen, sagt Giess,  aber auch diese seien nicht nachweisbar gewesen.

  • Kühlkette stand. Es sei sichergestellt worden, dass die Infusionen immer gekühlt waren und die Kühlkette kontrolliert worden sei, sagt der PEI-Sachverständige.

  • Blitzlicht ist egal. Monoklonale Antikörper seien zwar lichtempfindlich, aber ein einmaliges Blitzlicht hätte keine Wirkung, sagt der Sachverständige von Giess. Erst wenn man einen Beutel zwei Wochen auf der Hutablage im Auto liegen liesse, dann wären die Antikörper hin, sagt der PEI-Experte.

  • Nur die Spritze für eine Studie war ok. Nur in einer von 29 Zubereitungen haben die Untersuchung ergeben, dass die Konzentrierung der Vorgabe auf dem Etikett entsprach. Das war eine Spritze für eine Studie. Bei den anderen wurde ein gravierender Mindestgehalt festgestellt, bei sechs Zubereitungen gab es nicht nur einen Mindergehalt sondern es war auch ein anderer Wirkstoff drin. Zudem stellte die Analysen Verunreinigungen fest.

  • Grund für eine zu geringe Dosierung. Als die Verteidigung den PEI-Experte fragt, welche Gründe es für die festgestellten Minderdosierung geben könnte, sagt Giess, dass es nur einen gebe, nämlich dass zu wenig reingegeben wurde. Der PEI-Experte hält es für ausgeschlossen, dass schon das Ursprungsprodukt einen Mindergehalt haben könnte.

  • Halbwertzeit von 20 Tagen. Der PEI-Experte sagt, dass die Antikörper im Menschen eine Halbwertzeit von 20 Tagen hätte. Damit ist Giess der zweite Experte der sagt, dass man die Minderdosierung von Anitkörpern im Menschen hätte nachweisen können.

  • Kein Neuland. Mit Hilfe eines Gutachtens des international anerkannten Wissenschaftlers Fritz Sörgel versucht die Verteidigung die Verwertbarkeit der Untersuchungsergebnisse der beschlagnahmten Krebszubereitungen in Frage zu stellen. CORRECTIV hatte schon berichtet, dass die Verteidigung das Gutachten des Professors vom Institut für biomedizinische und pharmazeutische Forschung aus Bayern überzogen hatte. Nun konfrontiert der Anwalt der Nebenklage, Schulz, den PEI-Experten Punkt für Punkt mit dem Fazit des Gutachtens der Verteidigung. Unter anderem schreibt Sörgel darin, dass mit den Untersuchungen von Zytostatika  „Neuland“ betreten würde und dass es sich keinewegs um eine Routineanalytik mit anerkannten Analyseverfahren handele. Schulz fragt den PEI-Experten, ob das stimmen würde, der PEI-Experte verneint.   

  • Akten vom Staatsschutz gefordert. Ein Anwalt der Nebenklage beantragte, dass Akten vom Staatsschutz eingefordert werden. Grund dafür sind die Ermittlungen des Staatsschutzes, nachdem es Drohungen im Vorfeld der Demonstration in Bottrop gegeben hat. Das Schreiben des anonymen Absenders ging bei mehreren Betroffenen und dem Whistleblower Martin Porwoll ein.

  • Beschlagnahmte Infusionen angeblich nicht freigegeben. Die Verteidigung versucht, eine Ermittlungspanne zu konstruieren und damit den Apotheker von dem Vorwurf der Körperverletzung zu entlasten. Demnach seien die bei der Razzia  beschlagnahmten Infusionen weder von Peter Stadtmann noch anderem zuständigen Personal freigegeben gewesen. Dabei beziehen sich die Verteidiger auf die Aussagen eines Fahrers der Alten Apotheke, der ausgesagt hatte, dass er nur Infusionsboxen nach einer entsprechenden Freigabe ins Auto gepackt hätte. Da bei der Razzia die Krebszubereitungen aber vor dieser Freigabe beschlagnahmt worden seien, hätten sie nach Aussage der Verteidigung keinen strafrechtlichen Beweiswert. Die Infusionen hätten den „Machtbereich“ von Herrn Stadtmann noch nicht verlassen.  Die Verteidiger stellen daher den Antrag, den Anklagevorwurf der versuchten Körperverletzung fallen zu lassen. Die Anwälte der Nebenklage halten dieses Manöver der Verteidigung für durchsichtig.

  • Verteidiger bereiten sich auf den Whistleblower Martin Porwoll vor. Die Verteidigung hat das Gericht gebeten, Akteneinsicht in ein abgeschlossenes Verfahren gegen Porwoll zu erhalten. Das Gericht verweist auf die Verantwortlichkeit der Staatsanwaltschaft.

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Am  15.01. werden zwei weitere Mitarbeiterinnen der Apotheke und eine Ermittlungsbeamter vernommen.

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr):  15.01., 18.01., 24.01., 29.01., 31.01., 01.02., 05.02., 08.02., 14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 13.03.