Debatte

Der unsichtbare Elefant

Der Hauptgrund, warum NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern schlecht abschneidet, hat gut fünf Millionen Einwohner und besteht aus über 50 Städten und Gemeinden. Doch im Landtagswahlkampf spielt das Revier kaum eine Rolle.

von Stefan Laurin

© Safari von Emanuele unter CC BY-SA 2.0

Köln und Düsseldorf gehören zu den beliebtesten und am schnellsten wachsenden Großstädten Deutschlands. Der Kreis Coesfeld kann es mit einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent im April 2017 locker mit Boomregionen in Bayern und Baden-Württemberg aufnehmen. Im Sauerland, im Münsterland und in Ost-Westfalen sitzen zahlreiche Hidden-Champions: innovative mittelständische Industriebetriebe, die in ihren Bereichen Weltmarktführer sind. Konzerne wie Henkel, Bayer oder Lanxess sind international erfolgreich.

NRW könnte ein halbwegs erfolgreiches Bundesland sein. Eigentlich.

Doch mitten in NRW liegt das Ruhrgebiet: Mit 5,1 Millionen Einwohnern und 4435 Quadratkilometern ist das Revier der größte Ballungsraum Deutschlands und der fünftgrößte Europas. Die Arbeitslosenquote lag im Februar bei 10,5 Prozent. In ganz NRW hätte sie ohne das Revier bei 6,7 Prozent gelegen und damit nur knapp über dem Bundesdurchschnitt von 6,3 Prozent.

Das würde zwar nicht reichen, um mit Bayern oder Baden-Württemberg gleichzuziehen, aber immerhin wäre nicht mehr von „Nordrhein-Versagen“ die Rede. Mit dem Ruhrgebiet hatte NRW im Februar übrigens eine Arbeitslosenquote von 7,7 Prozent – in etwa vergleichbar mit Ostdeutschland.

Auch beim Thema Bildung senkt das Ruhrgebiet den Landesdurchschnitt. Die Ergebnisse der Lernstandserhebung zeigen, dass die Schüler im Ruhrgebiet schlechter sind als anderswo in NRW. Vor allem an den Hauptschulen und den „Schulen des längeren gemeinsamen Lernens“ ist die Lage nicht gut.

Bildungsstandort Ruhrgebiet

Folge 1: Wie gut sind die Schüler im Revier? 

Jeder dritte Achtklässler nicht auf Arbeitsmarkt vorbereitet

Folge 2: Wie gut sind die Schulen im Revier? 

Schulen in Herne und Gelsenkirchen kämpfen mit den größten Problemen

Folge 3: Was wird fürs Revier getan? 

Region ohne Sonderstatus

In den Programmen der Parteien zur Landtagswahl spielt das Ruhrgebiet allerdings kaum eine Rolle. Politische Antworten auf die problematische Sonderstellung des Ruhrgebiets sind rar.

SPD: Erfolgsstory

Die SPD erwähnt das Revier an zwei Stellen des Programms. Die Sozialdemokraten schreiben: „Es ist uns gelungen, auch in NRW die Trendwende einzuleiten. Aber diese Erfolge reichen uns nicht. Wir geben uns damit – insbesondere im Ruhrgebiet – nicht zufrieden.“

Bei der Senkung der Emissionen soll das Ruhrgebiet sogar Vorbild für das ganze Land sein: Die SPD will „die energetische Sanierung von 1000 Quartieren bis 2030 auf den Weg bringen“. Bottrop demonstriere als „Modellstadt“, wie ein „klimagerechter Stadtumbau“ aussehen könne, während der Industriestandort gesichert werde und Mieten bezahlbar blieben.

CDU: Sagen und Mythen

Im CDU-Programm wird ebenfalls lediglich ein Problem beschrieben. Lösungen werden nicht skizziert. „Während einige große Städte und Metropolregionen weiter wachsen, verlieren manche ländliche Bereiche, aber auch städtisch geprägte Regionen wie das Ruhrgebiet deutlich Einwohner. Die Bevölkerungsstruktur verändert sich.“ 

Außerdem legen die Christdemokraten altbekannte Mythen in blumiger Sprache neu auf:

„Nordrhein-Westfalen, das ‘soziale Gewissen’ Deutschlands, die Heimat des ‘rheinischen Kapitalismus’, die Geburtsstätte des Grundgesetzes mit der dichtesten Hochschullandschaft Europas, dem ‘Schmelztiegel Ruhrgebiet’ im Herzen und mit vitalen Wirtschaftsregionen im Umfeld der Ballungsräume, dieses Nordrhein-Westfalen war ein starkes Land und muss wieder ein starkes Land werden.“

FDP: Weiter so

Etwas konkreter wird die FDP in Bezug auf Maßnahmen für das Ruhrgebiet: „Wir wollen das im Ruhrgebiet bestehende Engagement in den Bereichen Material- und Energieforschung stärker unterstützen sowie aus dem bestehenden Know-how im Bereich neuer Medien im Rheinland einen Treiber der Digitalisierung machen.“

Ausführlich beschäftigen sich nur Grüne und Linke in ihren Programmen mit dem Ruhrgebiet. In ihren Programmen wurden Lösungsansätze entwickelt. Die Grünen haben dem Ruhrgebiet als einzige Partei einen ganzen Programmpunkt gewidmet.

Grüne: Leitmärkte der Zukunft

Unter der Überschrift „Ruhrgebiet – mit grüner Produktion in die Zukunft“ entwickeln sie Ideen für die wirtschaftliche Zukunft der Region: „Industrielle Leitmärkte der Zukunft sind für das Ruhrgebiet unter anderem E-Mobilität bzw. E-Logistik, Effizienztechnologien wie die ressourcensparende Herstellung von Bau- und Werkstoffen aus Altmaterial, Medizintechnik, Mikro- und Nanotechnologie sowie die abfallarme 3-D-Druckertechnologie.“

Außerdem fordert das Grünen-Programm, sich im Bereich der Wirtschaftsförderung stärker an mittelständischen Unternehmen zu orientieren und eine „konsequente interkommunale Zusammenarbeit“ anzustreben.

Bei der Bereitstellung von Psychotherapieplätzen wollen sie die vorhandene „Schlechterstellung des Ruhrgebietes als ‘Sonderregion’“ abschaffen – ebenso wie die Linken.

Linke: Kooperation und Feindbilder

Für Die Linke sind die Konzerne am Niedergang des Ruhrgebiets schuld. Die hätten „viele Jahrzehnte mit der Arbeit der Menschen hier Profite gemacht und lassen mit dem Strukturwandel ihre Industrieruinen zurück“. Die Folge sei, dass in NRW die Armut stark angestiegen sei.

Die Linke will deswegen „regional angepasste Förderprogramme und Strategien“ und regionale Kooperationen stärken. Vor allem der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr sei reformbedürftig. Zudem müssten „Strukturen und Demokratisierung der mittleren Verwaltungsebene (Bezirksregierungen)“ überprüft werden, der RVR am Gemeindefinanzausgleich beteiligt sein.

Nur zwei der Parteien, die zur Zeit im Landtag sitzen oder eine Chance haben, in ihm nach der Wahl am 14. Mai vertreten zu sein, haben sich inhaltlich intensiv mit dem Ruhrgebiet auseinandergesetzt und sich die Mühe gemacht, Vorschläge zu erarbeiten. Auch bei der AfD kommt das Wort Ruhrgebiet im ganzen Programm nicht einmal vor – dabei sollten hier doch viele Stimmen gesammelt werden. Die Piraten nennen es nur im Zusammenhang mit Energiearmut: Nirgendwo in NRW sei öfter die Versorgung von Haushalten mit Strom und Gas abgestellt worden.

Außer Grünen und Linken kümmert sich keine Partei in ihrem Programm um die Region, in der sich die Probleme des Landes bündeln. Ob Bildung, Nahverkehr, Arbeitslosigkeit. Das Ruhrgebiet ist der Elefant, der im Raum steht – und der von allen ignoriert wird.