Faktencheck-Jahresrückblick 2024

Heiße Motoren und schmelzende Gletscher: Die meistgelesenen Faktenchecks 2024

Aufregung um Mülltrennung in Niedersachsen, ein Audi, der angeblich zu klimafreundlich war und ein Kanzlerkandidat im Fokus – unsere meistgelesenen Faktenchecks liefern einen Rückblick auf die hitzigsten Debatten des Jahres.

von Sophie Timmermann

Luftaufnahme über dem Gletscher-Vorfeld des Zanfleuron-Gletscher mit aufgehender Sonne, Kanton Wallis, Schweiz, Europa
Nicht nur der Tsanfleuron-Gletscher in der Schweiz lieferte Nährboden für Falschmeldungen in 2024 (Foto: Manfred Stutz / Picture Alliance / imageBROKER)

Desinformation funktioniert besonders gut, wenn starke Emotionen erzeugt werden: Unsicherheit, Angst, Hass. Brisante politische Aussagen lassen die Reichweite in die Höhe schießen. Das zeigt sich auch in unseren meistgelesenen Faktenchecks des Jahres 2024. Wir zeigen, welche unserer rund 500 Recherchen unsere Leserinnen und Leser besonders interessierten und geben Tipps, wie jeder den Fakes auf die Schliche kommen kann – denn viele der Themen bleiben auch im nächsten Jahr relevant. 

Inhaltsverzeichnis

Warum der 1,76-Liter-Audio nicht auf den Markt kam

Ein Lieblingsthema der Deutschen darf unter unseren meistgelesenen Texten nicht fehlen: Autos. Keine Geschichte interessierte unsere Leserinnen und Leser dieses Jahr mehr als die eines alten Audi-Modells, das nur 1,76 Liter verbrauchte und mit nur einer Tankfüllung fast 5.000 Kilometer quer durch Europa fuhr. Warum ist das Fahrzeug trotz „beeindruckender Testergebnisse und TÜV-Bestätigung“ nicht auf den Markt gekommen?

Hier kommt die Erklärung: Audi baute 1989 tatsächlich ein Sondermodell, das 4.818 Kilometer mit einem Durchschnittsverbrauch von 1,76 Litern pro 100 Kilometer fuhr. Allerdings unter besonderen Bedingungen, etwa einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern und kaum Steigungen auf der Strecke. Der Wagen hatte auch keine Klimaanlage, Radio oder Dämmung – das Ganze war Teil einer Marketingstrategie. 

Das Serienmodell wurde von August 1989 bis August 1991 gebaut und hatte einen viel höheren Verbrauch. Im Juli 2022 testete die Zeitschrift Auto, Motor, Sport den Wagen und kam auf einen Durchschnittsverbrauch von 7,2 Litern. Kein Wunder, schließlich war das Serienprodukt nicht frisiert. Hier lesen Sie unseren meistgelesenen Faktencheck des Jahres.

Über den Audi 100 TDI 2.5 rankt sich online das Gerücht, er sei nie erschienen, obwohl er besonders spritsparend gewesen sei
Über den Audi 100 TDI 2.5 rankte sich online das Gerücht, er sei nie erschienen, obwohl er besonders spritsparend gewesen sei (Quelle: Audi AG / Audi Media Center)

Bauern protestierten im Januar – aber dürfen Speditionen auch?

Im Januar rief der Deutsche Bauernverband zu einer Protestwoche auf, um gegen die geplanten Kürzungen von Subventionen für Landwirtinnen und Landwirte zu demonstrieren. Tausende Traktoren waren auf der Straße des 17. Juni in Berlin unterwegs. Auch Speditionen wollten sich anschließen, das durften sie laut einem Tiktok-Beitrag aber nicht. Denn angeblich hätten die Supermarktketten Lidl, Edeka und Netto ihren Speditionen mit einer Kündigung gedroht, sollten sie an den Protesten teilnehmen – so zumindest die Behauptung. 

Tausende Nutzerinnen und Nutzer teilten die Meldung, einige riefen sogar zum Boykott der Supermärkte auf. Für die Behauptung gab es jedoch keinerlei Belege: Die Supermärkte dementierten, der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung sprach von einem „Fake“ und auch dem Bundesverband Logistik und Spedition waren keine Kündigungsdrohungen der Supermarktketten bekannt. Hier geht es zum Faktencheck

Screenshot des Tiktok-Videos und eines weiteren Beitrages mit der Behauptung
In einem Video auf Tiktok (links) behauptete ein Nutzer, Edeka, Lidl und Netto hätten ihren Speditionen mit einer Kündigung gedroht, sollten sie an den Protesten des Deutschen Bauernverbands teilnehmen. Auch als Bild (rechts) verbreitet sich die Behauptung, doch dafür gab es keine Belege. (Quelle: Tiktok / Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Wurden diese Promis wegen geheimer Krypto-Investment-Tipps verklagt? (Spoiler: Nein)

Was haben Joko Winterscheidt, Sahra Wagenknecht und Peter Maffay gemeinsam? Ihre Namen und Gesichter wurden allesamt missbraucht für eine Betrugsmasche, die es auf die Daten von tausenden Nutzerinnen und Nutzern absieht. Kein Fake begegnete uns 2024 so oft. Auch wenn der Verbraucherschutz und Ministerien teils seit Jahren über die Masche berichten, wird sie immer noch angewandt – und die Social-Media-Plattformen bekommen sie nicht in den Griff. 

Das Vorgehen ist wie folgt: Erst wird ein Artikel gefälscht, der aussehen soll, als käme er von einem bekannten Medium wie der Bild oder der Tagesschau. Im Text geht es dann um eine prominente Person – wahlweise Winterscheidt, Wagenknecht, Maffay oder jemand anders – die angeblich für ein Krypto-Investment wie Bitcoin geworben habe und anschließend dafür von der Bundesbank verklagt wurde. Dieser Fake-Artikel wird dann in Sozialen Netzwerken geteilt und oft als Werbung ausgespielt. Die Links dahinter führen allesamt zu dubiosen Webseiten. Das Ziel: Menschen sollen so  betrügerischen Investments verfallen. 

Mit Betrugsmaschen wie dieser entstehe im deutschsprachigen Raum jedes Jahr ein Milliardenschaden, berichtete ZAPP. Bleiben Sie also wachsam, was Ihnen auf Facebook und Co. als Werbung angezeigt wird – Tipps zum Erkennen seriöser Webseiten geben wir hier

Krypto-Fake & Bitcoin-Werbung auf Facebook mit Joko Winterscheidt
Mit reißerischen Überschriften wollen Facebook-Beiträge wie dieser Nutzer zu einem gefälschten ZDF-Artikel locken (Quelle: Facebook; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Recycling-Fauxpas in Hannover?

Hand aufs Herz: Ist bei Ihnen schon mal der Plastikbecher im Restmüll gelandet? Für weitaus mehr Aufregung sorgte ein Video der Müllabfuhr aus Hannover im Frühjahr. Mitarbeitende entleerten darin Container mit gelben, blauen und schwarzen Deckeln in denselben Müllwagen. Was steckte hinter den Aufnahmen? 

Wegen einer Baustelle konnten die Müllfahrzeuge die Straße in dem Video nicht befahren und es wurden Ersatzcontainer aufgestellt, erklärte die Abfallwirtschaft Hannover. Da die Behälter öffentlich rumstanden und auch Passanten ihren Müll dort haben einwerfen können, sei es immer wieder „zu einer nicht ordnungsgemäßen Befüllung der Behälter“ gekommen. Das erklärte der Abfallverband und schrieb weiter: „Da eine nachträgliche Trennung nicht möglich ist, bleibt nur die Möglichkeit, die fehlbefüllten Behälter als Restabfall zu entsorgen.“ Das sei in dem Video zu sehen. Die Bauarbeiten seien danach abgeschlossen worden. Mehr Informationen gibt es in unserem Faktencheck

Friedrich Merz im Fokus

Seit klar ist, dass Friedrich Merz der CDU-Kanzlerkandidat für die anstehende Neuwahl ist, häufen sich Beiträge und Behauptungen zu ihm im Netz. Vor allem eine seiner politischen Entscheidungen rückte dabei wieder in den Fokus: Merz Abstimmungsverhalten zur Strafbarkeit in der Ehe. Weshalb stimmte er 1997 gegen einen Gesetzentwurf, der die Vergewaltigung in der Ehe strafbar machte? Das fragten sich tausende Nutzerinnen und Nutzer. 

Unser Faktencheck zeigt, dass die Vorgeschichte dieser Entscheidung relevant ist. Merz stimmte 1996 für einen anderen Gesetzentwurf der CDU/CSU, der Vergewaltigung in der Ehe ebenfalls strafbar machen wollte. Allerdings scheiterte dieser, weil es Kritik an der darin enthaltenen Widerspruchsklausel gab. Sie sah vor, dass Strafverfolgung nicht stattfinden darf, wenn das Opfer dem widerspricht. 1997 wurde über eine Variante des Gesetzesentwurfs ohne diese Klausel abgestimmt – hier stimmte Merz mit Nein.

Falschmeldungen rund um die Spitzenkandidaten der verschiedenen Parteien beginnen sich zu häufen. Alle Faktenchecks zur Bundestagswahl 2025 sammeln wir hier

Friedrich Merz bei der Bundespressekonferenz
Friedrich Merz bei einer Bundespressekonferenz am 27. August 2024  (Quelle: Kira Hoffmann / photothek.de / Picture Alliance)

Fake-Aufnahmen aus der Ukraine? Dieses Narrativ hält sich hartnäckig

Seit mehr als 1000 Tagen dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine an. Auch Desinformation reißt nicht ab. Im Oktober 2024 kursierte eine virale Falschmeldung: Angeblich hatte der TV-Sender Welt in seiner Berichterstattung ein Video aus der Computerspielreihe Call of Duty gezeigt und es als Liveaufnahmen aus der Ukraine verkauft. Doch das stimmt nicht. 

Über eine Bilder-Rückwärtssuche mit einem Videoausschnitt fanden wir heraus, dass das Video im Sommer von der Asow-Brigade auf Youtube veröffentlicht worden war. Wir schickten das Video zudem an die Pressestelle von Activision, dem amerikanischen Unternehmen hinter der Computerspielreihe Call of Duty. Von der zuständigen Kommunikationsagentur hieß es, es handle sich „bei den gezeigten Szenen nicht um Szenen aus Call of Duty“. So lautet auch die Einschätzung eines Design-Experten

Fakes wie diese stehen selten allein, sie bedienen größere Narrative. In diesem Fall, dass Medien angeblich unseriös und falsch berichten würden – ein wiederkehrender Vorwurf im Ukraine-Krieg, der immer wieder mit manipulierten und falschen Belegen gefüttert wird. Alle unsere Faktenchecks rund um den Ukraine-Krieg finden Sie hier.

Zweifel am menschengemachten Klimawandel – jetzt muss die Schweiz herhalten

Eine – nicht repräsentative – Umfrage unter mehr als 130.000 Abonnentinnen und Abonnenten unseres Whatsapp-Kanals zeigte im Dezember 2024, dass ihnen am häufigsten Desinformation zum Thema Klimawandel begegnet. Darin reiht sich auch diese virale Falschmeldung, die uns in unser Nachbarland führt. 

Der Tsanfleuronpass in den Schweizer Alpen verband über Jahrtausende die beiden Gletscher Sex Rouge und Tsanfleuron miteinander. Heute jedoch trennt er sie. Denn seit September 2022 zeigt der Pass seinen Geröllrücken, das Eis darauf ist gänzlich geschmolzen. Das bot Anlass für manche, den menschengemachten Klimawandel in Frage zu stellen. So hieß es etwa auf Instagram: „Wenn man unter weggeschmolzenen Gletschermassen einen 2.000 Jahre alten Passweg entdeckt, der zur Römerzeit noch fleißig benutzt wurde, sollte man seine paranoide Klimahysterie vielleicht mal überdenken.“ 

Doch zum einen wurde der Pass wohl nicht zur Römerzeit „fleißig benutzt”, es ist nicht einmal sicher, ob er vor 2.000 Jahren eisfrei war. Zum anderen widerlegt eine vergangene eisfreie Periode eines Gletschergebiets nicht den wissenschaftlichen Konsens zum menschengemachten Klimawandel. Unser Faktencheck erklärt ausführlich, weshalb. 

Sie brauchen mehr Argumente in Diskussionen rund um den Klimawandel? Vielleicht hilft Ihnen unser Erklärstück zu hartnäckigen Klimafakes oder unsere Video-Reihe zu weit verbreiteten Klima-Narrativen

Verschwörungen um Wahlbetrug

Dieses Jahr wurde weltweit fleißig gewählt. Falschmeldungen waren da nicht weit und sie haben oft dieselben Muster. Immer wieder gibt es Behauptungen zu angeblich nicht versiegelten Wahlurnen, ungültigen Stimmzetteln oder manipulierten Briefwahlstimmen. Besonders die AfD warnt ihre Wählerinnen und Wähler vor der Briefwahl. 

Eigentlich scheint es da nicht verwunderlich, dass bei den Landtagswahlen in Brandenburg die AfD unter Briefwählern deutlich schlechter abschnitt als bei Urnenwählern. Dennoch wurde angesichts der Unterschiede über Wahlbetrug spekuliert. 

Doch laut dem Büro des Landeswahlleiters Brandenburg gab es dafür keine Hinweise. Laut einem Experten erklären sich die Unterschiede bei den Ergebnissen der Urnen- und Briefwahl durch soziodemografische Merkmale, wie zum Beispiel Alter und Bildungsgrad. Und der Fakt, dass die AfD immer wieder vor der Briefwahl warnt. Unser Faktencheck

Diejenigen, die Desinformation rund um Wahlen verbreiten, wollen damit Zweifel und Misstrauen säen, Menschen von der Wahl abhalten oder sogar dazu bringen, ihre eigene Stimme wertlos zu machen. Die Muster dahinter zu kennen hilft dabei, nicht auf Falschmeldungen reinzufallen. Hier klären wir über einige auf und hier warum die Erzählung vom angeblichen Wahlbetrug immer wieder ausgepackt wird. 

„Turbokrebs“ durch Corona-Impfstoffe? Eine Pathologin schürt Angst und erreicht Tausende

Die Corona-Pandemie ist vorbei, doch falsche und irreführende Behauptungen zu Impfstoffen und ihren angeblichen Nebenwirkungen und Impfkomplikationen reißen nicht ab. Anfang Oktober veröffentlichte eine Pathologin in der Berliner Zeitung einen Gastbeitrag. Darin warnt sie vor „Turbokrebs“, der angeblich nach Impfungen mit den mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 auftritt, spricht von einer „ungeklärten Übersterblichkeit“, neurologischen Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen. 

Ihr Text verbreitete sich rasant und über deutsche Grenzen hinaus. Dutzende Leserinnen und Leser baten uns um eine Einschätzung des Inhalts. Unser Ergebnis: Die Ärztin führt nur Belege an, die ihrer eigenen Argumentation dienen oder unwissenschaftlich sind, andere interpretiert sie falsch oder lässt sie unter den Tisch fallen. 

Expertinnen und Experten sehen keinen Zusammenhang zwischen Impfungen gegen Covid-19 und Krebserkrankungen. Auch die Behauptungen zu Übersterblichkeit,  Autoimmunerkrankungen und der Zulassung der Covid-19-Impfstoffe sind unbelegt oder teilweise falsch. Übrigens: „Turbokrebs“ ist kein Begriff, der in der Wissenschaft benutzt wird; er beschreibt keine anerkannte Diagnose und kein anerkanntes Krankheitsbild. Hier gibt es unsere ausführliche Analyse und Informationen zur Reaktion der Berliner Zeitung

Desinformation macht keine Ferien. Ihnen ist eine potenzielle Falschmeldung begegnet? Schreiben Sie uns bei Whatsapp.

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